Gesundheit heute

Positiver Stress und negativer Dauerstress

Außergewöhnliche körperliche oder psychische Belastungen waren schon vor Urzeiten Teil des menschlichen Lebens: Da galt es, reißende Flüsse zu überqueren, Tiere zu jagen und Konflikte in der Gruppe auszutragen. Kein Wunder, dass dem Menschen der Umgang mit solchen Situationen, die wir heute als Stress bezeichnen, im wahrsten Sinne des Wortes „im Blut liegt“. In Stresssituationen setzt das Gehirn innerhalb von Millisekunden Neurotransmitter (Botenstoffe der Nervenzellen) wie Acetylcholin frei. Das Nervensystem stellt sich dadurch auf „Kampf oder Flucht“ ein. Der Blutfluss wird vermehrt in die Muskeln umgelenkt und die Hormone Adrenalin und Kortisol ausgeschüttet, um ein Maximum an Energie schnell verfügbar zu machen. Die Folge: Der Blutdruck steigt, das Herz schlägt schneller, die Pupillen weiten sich, die Atmung wird kürzer und die Verdauung gedrosselt. Wir fühlen uns bereit, es mit der Welt aufzunehmen. Diese Stressantwort ist eine natürliche und notwendige Reaktion des Körpers auf Situationen, in denen unsere Existenz auf dem Spiel steht.

Heute wissen wir, dass punktuelle Stressreaktionen den Körper zwar kurzfristig bis zu seinen Grenzen belasten, die Gesundheit aber langfristig fördern können. Wer sich ihnen aussetzt, schläft besser, ist ausgeglichener und bleibt auch im Alter vitaler. Man spricht deshalb auch von positivem Stress oder Eustress. Voraussetzung von positivem Stress ist allerdings, dass es sich wirklich nur um vorübergehende Belastungen handelt, nach denen das Hormonsystem wieder heruntergefahren wird und zur Ruhe kommen kann. Auf den Energieaufbau muss eine Entladung folgen: „Gefahr vorbei, alles klar“ ist das Signal, auf das der Körper wartet.

Ungünstig: Dauerstress

Eine akute Stressantwort hält nur etwa 15 Minuten an – so viel Zeit gibt uns die Natur, um akute Gefährdungen zu regeln. Und das aus gutem Grund: Die Reserven, die durch den Adrenalinausstoß angezapft werden und die uns enorme körperliche Kräfte verleihen, würden gar nicht länger reichen.

Heute haben wir es aber immer öfter nicht mit kurzfristigen Belastungen zu tun, sondern mit anhaltenden Stresssituationen – meist psychischer oder sozialer Natur. Das „Gefahr-vorbei-alles-klar“-Signal bleibt aus. Bei diesem negativen Stress (auch Dauerstress oder Dysstress genannt) wird die – durch die Stresssituation ausgelöste – Hormonausschüttung nicht durch Energieentladung abgebaut. Wir verbrauchen mehr Energie, werden dadurch aber keinesfalls stärker. Denn die Hormone, die der Körper unter Dauerstress ausschüttet:

  • halten unser Immunsystem ständig in Alarmbereitschaft, so dass es ziellos und fehlerhaft arbeitet – Infektionen kommen häufiger vor, Wunden heilen schlechter.
  • sorgen für eine Dauerbelastung des Herz-Kreislauf-Systems: Der Blutdruck steigt, und die Blutgefäße werden anfälliger gegenüber schleichenden Entzündungen. Solche Entzündungen liegen nach heutiger Auffassung auch der Arteriosklerose (Arterienverkalkung) zugrunde. Verheerend wirkt sich das durch Dauerstress erhöhte Gefäßrisiko aus: Nach Zigarettenkonsum und erhöhten Blutfettwerten ist Dauerstress heute eine der Hauptursachen des Herzinfarkts. Aber auch andere Organe werden durch den Dauerstress stärker belastet – vor allem Magen-Darm-Probleme (vom Reizdarm bis zum Magengeschwür) kommen bei unter Dauerstress stehenden Menschen häufiger vor.
  • belasten auch unser Gehirn: Wir sind ständig „angespannt“, reizbar und leichter aus der Fassung zu bringen. Unsere Kreativität und Produktivität bei der Arbeit nehmen ab. Langfristig droht aber auch die „stille Resignation“: Wir stumpfen ab, werden lustlos, nach längerer Zeit sogar depressiv. Dauerstress beeinflusst also nicht nur unsere körperliche Gesundheit, sondern auch unser Denken und Empfinden bis hin zum sozialen Leben. Dauergestresste Menschen werden häufiger suchtkrank, sind öfter impotent und müssen sich häufiger wegen Depressionen behandeln lassen.

Das Gefährliche: Viele dieser Veränderungen stellen sich schleichend ein. Es gibt kein Signal, das davor warnt, dass unser Körper nicht mehr im grünen Bereich arbeitet.

Warum stehen wir unter Dauerstress?

Die Ursache von Dauerstress gibt es nicht. Was für den einen eine positive Belastung ist, kann für den anderen eine Überforderung sein. Die Stressforschung geht deshalb von einem relativen Belastungsmodell aus: Jeder Mensch besitzt eine Art „Stress-Thermostat“, der ihm vorgibt, welche Belastung er als optimal empfindet und wo seine Belastungsgrenzen liegen. Was wir innerlich als Belastung oder Bedrohung einstufen, hat also vor allem etwas mit der Bewertung der auf uns einwirkenden Belastung zu tun. Stress entsteht nicht nur „außen“, sondern auch „innen“: Wie die Welt ist, ist oft weniger entscheidend als unser Selbstbild.

Eine Situation wird am ehesten als bedrohlich erlebt, wenn wir das Gefühl haben, ihr nicht gewachsen zu sein. Bewerten wir unsere eigenen Kräfte als gering, so ist der Stressthermostat niedrig eingestellt und die Stressantwort springt schon bei geringen Belastungen an.

Bei der Einstellung des Thermostats spielen aber auch unsere Erwartungen und Bedürfnisse eine Rolle: Was brauchen wir, um uns gefordert, aber nicht überfordert zu fühlen? Auch hier sind Menschen sehr unterschiedlich – während die einen nach immer neuen Herausforderungen suchen, sehnen sich andere vor allem nach Sicherheit.

Bei der Bewertung von Belastungen spielen Persönlichkeitsfaktoren eine wichtige Rolle. Und die sind nur zum Teil beeinflussbar, da unsere Persönlichkeit nicht nur von unseren Lebenserfahrungen abhängt, sondern auch genetisch veranlagt ist. So wird angenommen, dass etwa 15 % der Erwachsenen von ihrer Persönlichkeit her gegenüber Stress kaum anfällig sind, weitere 15 % dagegen auf Stress überreagieren.

Sondertext: Burnout

Weiterlesen:

Stress erkennen

Schutzfaktoren gegen Stress

Stressmanagement

rasche Hilfe bei Stress

Von: Dr. med. Herbert Renz-Polster in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014).
Zurück
Hilfe bei nächtlichen Wadenkrämpfen

Vorbeugen mit Fersen auf dem Boden dehnt Oberschenkel und Wadenmuskulatur.

Hilfe bei nächtlichen Wadenkrämpfen

Von Dehngymnastik bis Medikamente

Sie kommen ohne jede Vorwarnung und schmerzen höllisch: nächtliche Wadenkrämpfe. Treten Sie häufig auf, beeinflussen sie zudem erheblich die Schlaf- und Lebensqualität. Doch was lässt sich dagegen tun?

Sturm im Wadenmuskel

Ursache der nächtlichen Wadenkrämpfe, sind spontane Aktionen in den Nervenbahnen. Diese lösen eine Art Erregungssturm im Muskel aus und führen dazu, dass sich der Muskel vorübergehend verkrampft. Warum die Nerven plötzlich verrücktspielen, ist noch nicht vollständig geklärt. Vermutet werden Flüssigkeitsmangel oder ein schädigender Einfluss auf die Nervenhaut, zum Beispiel durch Alkohol oder Vitamin-B-Mangel.

Auch Medikamente wie Lithium, Diuretika, Statine und Kalziumantagonisten können Wadenkrämpfe auslösen. Manchmal führen ungünstige Fußhaltungen dazu: Werden die Zehen in Spitzfußstellung nach unten gesenkt, (z. B. durch eine schwere Bettdecke) kommt es ebenfalls leichter zu Wadenkrämpfen. In manchen Fällen stecken hinter den Krämpfen auch eine Nervenerkrankung oder Schilddrüsenstörung.

Dehngymnastik und Füßewippen

Wer von nächtlichen Wadenkrämpfen betroffen ist, interessiert sich vor allem dafür, diese wieder zum Verschwinden zu bringen. In der Akutsituation hilft aktives oder passives Dehnen der Muskulatur. Manchmal nützt es auch, herumzugehen oder sich mit autogenem Training zu entspannen. Denjenigen, die immer wieder von Wadenkrämpfen heimgesucht werden, sollen folgende Vorbeugemaßnahmen helfen:

  • Regelmäßige passive Dehnübungen der Wadenmuskulatur, z. B. dreiminütiges Dehnen der Waden- und Oberschenkelmuskulatur vor dem Schlafengehen.
  • Häufige Aktivierung der Füße und Waden tagsüber, z. B. durch Wippen, Strecken und Dehnen der Füße während der Schreibtischarbeit oder vor dem Fernseher.
  • Schlafen mit einem Kissen unter den Knien, Vermeiden der Bauchlage, um nicht in Spitzfußstellung zu schlafen.
  • Ausreichend trinken, Alkohol reduzieren.
  • Prüfung der Medikation durch die Ärzt*in und eventuelles Ab- oder Umsetzen von Präparaten, die Wadenkrämpfe auslösen können.

Magnesium und Chinin

Reichen oben genannte Maßnahmen nicht aus, können Medikamente helfen. Vor allem Nahrungsergänzungsmittel mit Magnesium werden bei Wadenkrämpfen gern empfohlen. Es fehlen zwar wissenschaftliche Belege für eine Wirksamkeit, ein Versuch lohnt sich aber trotzdem, sagt der Neurologe und Seniorprofessor der Uniklinik Essen Hans-Christoph Diener.

Nachgewiesen ist die Wirkung für das Medikament Chinin. Aufgrund möglicher und z. T. schwerer Nebenwirkungen ist es seit 2015 rezeptpflichtig und wird bisher nur empfohlen, wenn alle anderen Therapieverfahren ausgeschöpft sind. Im Moment gibt es unter den Forschern Forderungen, das Präparat wieder häufiger einzusetzen, da es von Patienten*innen einer aktuellen Studie besser vertragen wurde als erwartet.

Quelle: idw 

Von: Dr. med. Sonja Kempinski; Bild: Suwit Rattiwan/Shutterstock.com