Gesundheit heute
Polymyalgia rheumatica
Polymyalgia rheumatica (PMR): Entzündlich-rheumatische Erkrankung mit heftigen Schmerzen und Steifigkeit in den Schulter- und Hüftmuskeln beider Seiten. Zusätzlich kommt es oft zu Gelenkentzündungen und Allgemeinbeschwerden wie Abgeschlagenheit und Fieber. Jede fünfte Patient*in leidet gleichzeitig an einer Riesenzellarteriitis, bei der starke Kopfschmerzen und Sehstörungen drohen. Die PMR tritt fast ausschließlich bei Menschen über 50 Jahren auf, Frauen sind mehr als doppelt so häufig betroffen wie Männer. Die Prognose ist bei sofortiger Behandlung mit hochdosiertem Kortison gut, meist verschwinden die Beschwerden schon nach wenigen Tagen. Um das Wiederaufflackern der Erkrankung zu verhindern, muss die Kortisontherapie in reduzierter Dosierung noch etwa zwei Jahre lang weitergeführt werden.
Hinweis: Die Polymyalgia rheumatica ist eng verwandt mit der Riesenzellarteriitis (RZA), häufig überlappen sich beide Formen. Manche Expert*innen halten die PMR auch für eine milde Form der RZA.
Leitbeschwerden
- Schmerzen vor allem in den Schultern, in Nacken und Oberarmen, seltener auch in Gesäß und Oberschenkeln, nachts und frühmorgens am heftigsten
- Ausgeprägte Morgensteifigkeit
- Schwierigkeiten, die Arme über die Schultern zu heben, dadurch z. B. Probleme beim Kämmen
- Gelenkschmerzen
- Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Gewichtsverlust, Fieber
- Kopfschmerzen und/oder Sehstörungen bei gleichzeitiger RZA.
Wann zum Arzt
In den nächsten Tagen zur Internist*in oder Hausärzt*in, bei
- symmetrischen Muskelschmerzen
- pulsierenden, über Wochen zunehmenden Kopfschmerzen im Schläfenbereich.
Sofort zur Augenärzt*in,
- wenn Sehstörungen auftreten, auch nachts oder am Wochenende.
Die Erkrankungen
Epidemiologie
Bezogen auf die Gesamtbevölkerung ist die PMR eher selten, da sie bei jungen und mittelalten Menschen kaum vorkommt. Anders sieht das bei den über 50-Jährigen aus. In dieser Gruppe erkranken jährlich 58 von 100.000 Einwohner*innen daran. Damit ist die PMR nach der rheumatoiden Arthritis die zweithäufigste entzündlich-rheumatische Erkrankung im Alter, wobei Frauen mehr als doppelt so oft darunter leiden als Männer.
Innerhalb Europas ist beim Vorkommen der PMR ein Nord-Süd-Gefälle zu beobachten: Von 100.000 Menschen erkranken daran jährlich in Norwegen 113, in Italien dagegen nur 13.
Krankheitsentstehung
Bei der Polymyalgia rheumatica führen autoimmune, also gegen körpereigene Strukturen gerichtete Prozesse zu einer Entzündung verschiedener Gewebe. Betroffen sind u. a. mittelgroße und große arterielle Gefäße, vor allem die Arterie unter dem Schlüsselbein (Unterschlüsselbeinarterie, A. subclavia). Die Unterschlüsselbeinarterie versorgt die Arme und Bereiche von Nacken, Hals und Schultern mit Blut. Kommt es durch die Gefäßentzündung zur Einengung der Arterie, drohen schmerzhafte Durchblutungsstörungen.
Die Entzündung macht jedoch nicht an der Unterschlüsselbeinarterie halt. Sie breitet sich auf weitere Gefäße aus, die z. B. durch die anliegende Muskulatur ziehen. Häufig greift die Entzündung auch auf angrenzende Sehnenscheiden, Schleimbeutel und Gelenke über.
Ursache
Als Auslöser beider Autoimmunerkrankungen werden Infekte vermutet, womöglich begünstigt durch eine genetische Veranlagung. Auch Umweltfaktoren sollen eine Rolle spielen.
Klinik
Die Betroffenen entwickeln meist innerhalb weniger Tage ausgeprägte beidseitige Schmerzen in Nacken, Schultern und Oberarmen. Auch die Muskulatur von Gesäß und Oberschenkel kann betroffen sein. Die Schmerzen sind nachts und am frühen Morgen am stärksten. Typischerweise leiden PMR-Patient*innen morgens länger als 45 Minuten an einer ausgeprägten Morgensteifigkeit, weshalb ihnen das Aufstehen und Ankleiden häufig schwerfällt.
Oft kommen zu den Beschwerden geschwollene Gelenke dazu, betroffen sind vor allem Hand- und Kniegelenke. Im Kniegelenk können sich dabei schmerzhafte, oft erhebliche Kniegelenksergüsse bilden.
Allgemeine Beschwerden sind bei der PMR ebenfalls häufig. Dazu gehören Abgeschlagenheit, erhöhte Temperatur, Appetitmangel und Gewichtsverlust. Die Patient*innen schwitzen vermehrt, insbesondere nachts. Einige von ihnen entwickeln depressive Verstimmungen bis hin zu schweren Depressionen.
Jede fünfte Patient*in leidet zusätzlich an einer Riesenzellarteriitis (RZA), Hinweise darauf sind Kopfschmerzen, Kauschmerzen und Sehstörungen (siehe dort).
Hinweis: Sehstörungen im Rahmen einer PMR oder RZA sind ein Notfall und müssen sofort ärztlich behandelt werden. Unterbleibt dies, droht die Erblindung.
Diagnosesicherung
Die Diagnose basiert auf der Schilderung der Beschwerden sowie auf einer gründlichen klinischen Untersuchung. Auffällig sind dabei druckschmerzhafte Oberarme und Oberschenkel. Oft kann sich die Patient*in nicht in den Nacken fassen oder dahinter eine (vermeintlich vorhandene) Schürze zubinden (eingeschränkter Schürzen- und Nackengriff).
Im Blutlabor sind als Zeichen der ausgeprägten Entzündung die Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) und das CRP deutlich erhöht. Manchmal zeigt das Blutbild vermehrt weiße Blutkörperchen, d. h. eine Leukozytose. Nicht erhöht sind Muskelenzyme wie die Kreatinkinase und Autoantikörper. Dies festzustellen ist wichtig, weil die Ärzt*in damit andere Muskelentzündungen oder rheumatische Erkrankungen als Ursache der Beschwerden ausschließen kann (siehe Differenzialdiagnosen).
Bei der bildgebenden Diagnostik hilft insbesondere der Ultraschall weiter. Damit lassen sich Schleimbeutelentzündungen an Schultern und/oder Hüfte gut erkennen. In der Magnetresonanztomografie sind solche Veränderungen auch erkennbar, diese Untersuchung wird allerdings wegen der Kosten und des Aufwands seltener verwendet. Ansonsten werden bildgebende Verfahren wie das Röntgen vor allem zum Ausschluss anderer Ursachen eingesetzt.
Im Zweifel sichert ein Therapieversuch mit Kortison die Diagnose. Die Gabe von Kortison bessert die Beschwerden meist in kürzester Zeit (siehe Behandlung).
Differenzialdiagnosen. Schmerzen, Morgensteifigkeit und schmerzhaft bedingte Kraftlosigkeit sind Zeichen zahlreicher Erkrankungen. Dazu gehören Polymyositis und Dermatomyositis, Muskelerkrankungen durch Medikamente, aber auch die rheumatoide Arthritis, die septische Arthritis oder die Fibromyalgie. Mögliche Ursachen der genannten Beschwerden sind aber auch degenerative Erkrankungen an der Schulter, wie z. B. die Rotatorenmanschettenläsion.
Behandlung
Die Polymyalgia rheumatica spricht gewöhnlich schnell auf eine Therapie mit Kortison an. Die Beschwerden sind dann wie weggeblasen, viele Patient*innen fühlen sich wie neugeboren. Im Gegensatz dazu sind nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) wie Diclofenac oder andere Schmerzmittel nahezu wirkungslos und werden zur Behandlung der PMR nicht empfohlen.
Kortisontherapie. Ohne Beschwerden im Kopfbereich werden 12,5–30 mg Prednisolon pro Tag verordnet. Je nach Beschwerden und Entwicklung der BSG- und CRP-Werte wird die Kortisondosis langsam und schrittweise auf eine dauerhafte Erhaltungsdosis von möglichst weniger als 5 mg/Tag verringert. Die Therapie muss zur Verhütung von Rückfällen für mindestens ein Jahr beibehalten werden.
Liegen gleichzeitig Kopfschmerzen vor, muss sofort hochdosiert Kortison (40–60 mg Prednisolon pro Tag) gegeben werden. Bei einer Augenbeteiligung mit Sehstörungen bekommen die Patient*innen zunächst fünf Tage lang täglich 500–1000 mg Prednisolon intravenös, danach wird auf Tabletten umgestellt und die Dosis reduziert (siehe auch Riesenzellarteriitis).
Hinweis: Bei jeder zweiten PMR-Patient*in ist unter der langfristigen Kortisontherapie mit Nebenwirkungen zu rechnen. Besonders gefürchtet ist die kortisonbedingte Osteoporose, der man durch die Einnahme von Kalzium und Vitamin D vorbeugt. Ebenfalls entsprechend behandlungsbedürftig sind Blutdruckerhöhung, Infektionen, Katarakt und die Entwicklung eines Diabetes.
Andere Medikamente. Häufig verordnet die Ärzt*in zusätzlich zu Kortison das Immunsuppressivum Methotrexat oder den Interleukin-6-Hemmstoff Tocilizumab
Kontrollen und Nachsorge
Um die Krankheitsaktivität zu prüfen und die Kortisongabe entsprechend anzupassen, sind regelmäßige Kontrollen erforderlich. Im Zentrum stehen dabei Befragung, klinische Untersuchung und Bestimmung der Entzündungswerte CRP und BSG. Im ersten Jahr sollen diese Kontrolltermine alle vier bis acht Wochen erfolgen, im zweiten Jahr alle acht bis zwölf Wochen. Unverzüglich die Ärzt*in aufsuchen sollte man zudem, wenn die Beschwerden wieder auftreten oder wenn sich unter der Therapie Nebenwirkungen entwickeln.
Prognose
Bei frühzeitiger Behandlung mit Kortison ist die Prognose gut. Die Dauer der Erkrankung beträgt zwischen sechs Monaten und vier Jahren, in seltenen Fällen kann sie auch bis zu zehn Jahre anhalten.
Ihre Apotheke empfiehlt
Regelmäßige Tabletteneinnahme. Bei der Polymyalgia rheumatica ist es wichtig, sich ganz genau an die Verordnung der Medikamente zu halten. Nur so kann die Entzündung langfristig eingedämmt werden. Kortisontabletten sollten morgens eingenommen werden, das passt am besten zum körpereigenen zirkadianen Kortisonrhythmus. Denn die innere Kortisonausschüttung beginnt nachts gegen zwei oder drei Uhr und steigt bis zu ihrem Gipfel um ca. 8:30 morgens an. Danach fallen die Kortisonwerte im Blut wieder kontinuierlich ab und erreichen gegen Mitternacht ihren tiefsten Punkt.
Nicht abrupt absetzen. Unter einer Therapie mit Kortison schränkt der Körper seine eigene Kortisonproduktion stark ein. Wer von heute auf morgen seine Kortisontabletten absetzt, riskiert Entzugserscheinungen. Diese reichen von Übelkeit, Gelenkschmerzen, Schwäche und Müdigkeit bis zu Blutdruckabfall und Verwirrung. Um dies zu vermeiden, darf das Kortison nur vorsichtig und unter ärztlicher Aufsicht ausgeschlichen werden.
Nicht abwarten bei Beschwerden. Erneute Beschwerden dürfen nicht ausgesessen werden. Um die anti-entzündliche Therapie wieder anzupassen, ist möglichst rasch die behandelnde Ärzt*in aufzusuchen.
Bewegen und gesund ernähren. Unter einer Kortisontherapie droht die Gewichtszunahme. Hiergegen helfen Bewegung und eine gesunde Ernährung. Weil Kortison die Salzausscheidung einschränkt, sollte man möglichst salzarm essen. Milch und Milchprodukte versorgen den Organismus mit Kalzium und Eiweiß und beugen dem Verlust von Knochen- und Muskelmasse vor.
Weiterführende Informationen
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Die Rheuma-Liga hält auf ihrer Webseite (https://www.rheuma-liga.de/) auch Informationen und Merkblätter zur Polymyalgia rheumatica vor.

Auch Eisbäder können in der physikalischen Therapie zur Behandlung von Erkrankungen genutzt werden.
Heiß und kalt gegen den Schmerz
Therapeutische Temperaturreize
Wärme und Kälte werden schon seit Jahrhunderten zur Behandlung von Schmerzen, Verletzungen und entzündlichen Erkrankungen eingesetzt. Inzwischen weiß man auch, dass Anwendungen wie Sauna und Kältekappen sogar vorbeugend wirken können. Doch was passiert dabei im Körper, welche Erkrankungen lassen sich damit behandeln und wann muss man mit extremen Temperaturreizen aufpassen?
Therapie mit Tradition
Unsere Vorfahren kannten sich mit der therapeutischen Wirkung von Wärme gut aus: Archäologische Funde belegen zum Beispiel, dass wärmende Kirschkernkissen schon vor dem 15. Jahrhundert genutzt wurden. Im alten Ägypten nahm man heiße Steine und Sandsäcke, um Schmerzen zu lindern. Die römischen Thermen waren berühmt für ihre Heilwirkung durch heißes Wasser und heiße Dämpfe. Und eine bestimmte Form der Wärmetherapie, das Moxa-Brennen, wird seit Jahrtausenden in der traditionellen chinesischen Medizin praktiziert.
Ähnlich sieht es mit Kälteanwendungen aus: Medizinische Texte aus der Zeit vor Christi Geburt dokumentieren Kältebehandlungen bei Verletzungen. Auch Hippokrates und Galen empfahlen Eis und kaltes Wasser für die Therapie von Prellungen und Entzündungen. Arabische Ärzte wie Avicenna propagierten im Mittelalter kalte Umschläge gegen Fieber.
Wärme- und Kälteanwendungen konnten auch durch die moderne Medizin nicht verdrängt werden. Sie sind auch heute ein wichtiger Bestandteil von Behandlungen. Im Rahmen der physikalischen Therapie werden Temperaturreize sowohl in traditioneller Weise, aber auch in neuen Anwendungsarten wie z.B. Kältekammern erfolgreich eingesetzt.
TRP-Kanäle reagieren auf Kälte und Wärme
Früher beruhte der Einsatz von Kälte und Wärme gegen Schmerzen auf Erfahrungsmedizin, also auf Beobachtungen von Patient*innen, die damit behandelt werden. Seit Kurzem verstehen Forschende jedoch genauer, warum Wärmepflaster oder Coolpacks schmerzlindernd wirken: In der Haut befinden sich Nervenfasern mit temperaturempfindlichen Rezeptorkanälen (TRP-Kanäle). Sie reagieren auf definierte Temperaturveränderungen. Durch ihre Reaktion werden verschiedene Vorgänge im Körper angestoßen.
Wärme aktiviert insgesamte vier TRP-Kanäle. Einer davon wird auch durch Capsaicin, einem Inhaltsstoff der Paprika angeregt. Die Aktivierung dieser Kanäle an den Nervenendigungen in der Haut löst drei Mechanismen aus:
- Es kommt zur Stimulation von Nervenzentren im Gehirn, die wiederum schmerzlindernde Nervenbahnen im Rückenmark beeinflussen. Dadurch wird der Schmerz abgeschwächt.
- Wo Pflaster oder Wärmekissen aufliegen, steigt die Temperatur im Gewebe. Dadurch wird die Durchblutung verbessert, was wiederum den Stoffwechsel ankurbelt und Heilungsprozesse beschleunigt.
- Die Wärme macht auch das Bindegewebe elastischer. So erklärt man sich, dass Wärme die Beweglichkeit bei schmerzender Muskel- und Gelenksteifigkeit verbessert.
Auch für die Kälte gibt es TRP-Kanäle an den Nervenfasern. Zwei wurden bisher identifiziert: TRPA1 übermittelt bei Hauttemperaturen (nicht Außentemperaturen!) unter 17° C Signale an das Gehirn und ist damit an der Wahrnehmung extremer Kälte beteiligt. TRPM8 wird bei einer Hauttemperatur von 25-27° C aktiviert – und durch chemische Substanzen wie Menthol. Nach Aktivierung von Kältekanälen kommt es zu folgenden Reaktionen:
- Schmerzleitende Signale werden abgeschwächt, das Schmerzempfinden deshalb vermindert.
- Der Transkriptionsfaktor Nrf2 wird aktiviert. Dieses Protein reguliert bestimmte Gene in den Zellen und spielt eine Rolle bei entzündungshemmenden und zellschützenden Prozessen.
- Durch das Sinken der Gewebetemperatur wird die Durchblutung gedrosselt. Dadurch gelangen weniger entzündungsfördernde Enzyme und Hormone in das Gewebe, Entzündungen werden dadurch gemildert.
Hinweis: Entdeckt wurden die TRP-Kanäle vom US-amerikanischen Sinnesphysiologen Prof. Dr. David Julius. Er hielt dafür im Jahr 2021 den Nobelpreis für Medizin.
Wo kommt Wärme zum Einsatz?
Wärme wird auf zweierlei Weise angewendet. Tradition hat die lokale Therapie, also die direkte Anwendung auf der Haut. Dies geschieht mithilfe von
- Wärmeflaschen, elektrischen Wärmekissen oder in der Mikrowelle (früher auf dem Ofen) aufgeheizten Kirschkernkissen
- Rotlicht und Fangopackungen
- Wärmekompressen oder Wärmepflaster auf chemischer Basis, ohne spezielle Wirkstoffe
- Wärmepflaster oder Wärmecremes/-salben mit speziellen Wirkstoffen wie Capsaicin, dem Capsaicin-Analogon Nonivamid oder gefäßerweiternden Substanzen (z.B.) Nicoboxil
Eine solche lokale Wärmetherapie ist bei verschiedenen Erkrankungen wirksam. Dazu gehört die Behandlung von Muskelkater und Rückenschmerzen, aber auch die Vorbeugung von nächtlichen Wadenkrämpfen. Ein weiteres Einsatzgebiet lokaler Wärme sind Schmerzen und Krämpfe im Rahmen der Menstruation. Dabei soll die Wärme auf Bauch und Unterleib ähnlich wirksam sein wie Schmerztabletten. Das beruht nicht nur auf einer Beseitigung von Muskelverspannungen. Die Wärme fördert auch die Durchblutung des Beckens. Dadurch werden Körperflüssigkeiten und Blut besser abtransportiert und der Druck auf Nervenbahnen im Becken nimmt ab.
Wärme kann außerdem bei der rheumatoiden Arthritis die Gewebeelastizität verbessern und dadurch die Gelenksteifigkeit reduzieren. Hierbei ist jedoch unbedingt zu beachten, dass Wärme nur in entzündungsfreien Phasen der Erkrankung angewendet wird. Ist die Krankheit aktiv, schadet Wärme. Denn durch die verbesserte Durchblutung wird die Entzündung weiter angetrieben.
Doch nicht nur lokale Wärme hat positive Wirkungen. Wird der ganze Körper in der Sauna aufgeheizt, wird das Herz-Kreislauf-System trainiert. Dadurch lernt der Körper, besser mit Hitze fertig zu werden. Außerdem reagiert er auf zellulärer Ebene schneller auf extreme Reize. Insgesamt werden antioxidative, entzündungshemmende und zellschützende Prozesse angestoßen. Infolgedessen verbessert sich die Funktion der Gefäßinnenhaut und das Risiko für Atemwegsinfekte sinkt.
Für manche Menschen ist Wärme als Therapie allerdings nicht geeignet. Patient*innen mit Diabetes mellitus leiden z. B. häufig an Nerven- oder Durchblutungsstörungen. Sie müssen mit Wärme besonders vorsichtig umgehen: Eine zu heiß befüllte Wärmeflasche kann bei gestörtem Schmerz- oder Temperaturempfinden leicht zu Verbrennungen führen. Gleiches gilt für Menschen, die aufgrund einer anderen Ursache an einer Nervenstörung leiden. Auch das Saunieren wird in einigen Situationen nicht empfohlen. Das gilt für Personen mit instabiler Angina pectoris, fiebriger Erkrankung oder verminderter Schweißbildung, aber auch für Patient*innen nach einem Herzinfarkt.
Hinweis: Wärmepflaster- und cremes mit und ohne pharmakologische Inhaltsstoffe sind in der Apotheke zu haben. Dort erhält man auch eine ausführliche Beratung, welche Form der Wärmeapplikation für die jeweiligen Beschwerden am besten geeignet ist.
Was Kälte alles kann
Die Kältetherapie hat ebenfalls seit je her zahlreiche Einsatzgebiete. Dazu gehören insbesondere
- Akute Verletzungen wie Zerrungen und Prellungen. Durch die kältebedingte Verringerung der Durchblutung werden Schwellungen und Schmerzen reduziert.
- Rheumatische Erkrankungen. Kälte führt im akuten, entzündlichen Stadium zu einem Rückgang der entzündlichen Reaktion und zu einer Verminderung von Gelenkschwellungen.
- Schmerztherapie. Durch Verringerung der Durchblutung wird die Ansammlung von schmerzauslösenden Substanzen im Gewebe vermindert. Außerdem verlangsamt Kälte die Weiterleitung von Schmerzimpulsen entlang der Nervenbahnen.
- Regeneration beim Sport. Kälteanwendungen können die Intensität und die Dauer von Muskelkater verringern.
Zum Kühlen gibt es neben dem klassischen Eiswürfelbeutel auch Sprays, Eislollys, Kältekompressen und Kühlgele.
Kältespray wird insbesondere bei Sportverletzungen, Prellungen und Verstauchungen eingesetzt. Dazu sprüht man es aus mindestens 20 cm Entfernung auf die Haut. Zu beachten ist dabei, dass zu langes Sprayen zu Erfrierungen führen kann.
Eislollys kommen vor allem bei Sehnenansatzschmerzen und in der Sportmedizin zum Einsatz. Man kann sie mit einem Joghurtbecher, Wasser und einem Holzspatel selbst herstellen. Sie werden mit kreisenden Bewegungen auf dem betroffenen Areal bewegt, wobei das Schmelzwasser kontinuierlich mit einem Handtuch aufzunehmen ist.
Kältekompressen helfen besonders gut bei Insektenstichen, stumpfen Verletzungen, Zahnschmerzen oder akuten Muskel- und Gelenkentzündungen. Es gibt sie als Gelkompressen (oder Cool-Packs), die im Eisfach gelagert und bei Bedarf auf die betroffene Stelle gelegt werden. Chemische Kompressen kühlen, nachdem der Innenbeutel durch Druck zum Platzen gebracht wurde. Für beide Arten gilt: Immer ein Tuch zwischen Haut und Kompresse legen, denn ein direkter Hautkontakt mit der konstanten Kälte kann zu Erfrierungen führen. Außerdem sollte in Intervallen, also nicht permanent gekühlt werden.
Kühlgel mit Menthol oder Alkohol erfrischt müde Füße, Arme und Beine. Es wird auf die Haut aufgetragen und leicht einmassiert. Für Kinder unter sechs Jahren sind solche Kühlgele nicht geeignet, weil sie die empfindliche Haut reizen. Schwangere sollte vor allem mentholhaltige Gele meiden. Das ätherische Öl kann vorzeitige Wehen auslösen.
Eine relativ neue Art der lokalen, also örtlichen Kälteanwendung ist die Kältekappe. Sie soll gegen den durch Chemotherapie ausgelösten Haarausfall helfen. Denn die Chemotherapie wirkt besonders auf Zellen, die sich schnell teilen: und das sind neben den Krebszellen auch die Haarfollikelzellen. Bei dieser vorbeugenden Therapie wird die Kopfhaut während der Chemo mit einer Spezialkappe gekühlt, in der -4° C kalte Flüssigkeit zirkuliert. Die Haarfollikelzellen fahren aufgrund der kältebedingt verringerten Hautdurchblutung ihren Stoffwechsel herunter und sind deshalb weniger anfällig für die Chemotherapeutika. In Studien mit Brustkrebspatientinnen konnte die Kältekappe bei der Hälfte der Frauen den Haarverlust auf weniger als 50% verringern. An einigen Kliniken wird dieses Scalp-Cooling bereits eingesetzt. Unklar ist allerdings noch, ob die herabgekühlte Kopfhaut nicht auch zirkulierende Tumorzellen schützt, die später zu einer Metastasierung führen könnten.
Neben den verschiedenen örtlichen Kälteanwendungen wird auch die Ganzkörper-Kältetherapie immer populärer. Dafür setzt man den Organismus in Kältekammern für wenige Minuten Temperaturen unter -100° C aus. Eine Alternative zu den Kammern ist das Eintauchen des Körpers bis zum Brustbein in 4° C kaltes Wasser. Von dieser Kältebehandlung verspricht man sich den Rückgang von Entzündungen und Schmerzen sowie eine bessere Regeneration nach sportlicher Belastung.
Nachgewiesen sind positive Effekte auf die rheumatoide Arthritis und auf die Fibromyalgie. Daneben soll der Kälteschock auch Psyche und Wohlbefinden verbessern, auf das Immunsystem wirken und das Körperfettgewebe beeinflussen. Wie die Ganzkörperkältetherapie wirkt, ist noch nicht völlig geklärt. Diskutiert werden u.a. die Freisetzung von Noradrenalin, die Abnahme entzündungsfördernder Botenstoffen und die Verlangsamung von Stoffwechselaktivitäten.
Hinweis: Genauso wie die Sauna ist auch die Ganzkörper-Kältetherapie nicht für alle Menschen geeignet. Weil dabei Blutdruck, Herz- und Atemfrequenz steigen, sollten Patient*innen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen vor solchen Kälteanwendungen immer ihre Ärzt*in konsultieren.
Quellen: Esch J, DAZ 2024; 15: 42; Morvilius S, Erfahrungsheilkunde 2022: 3: 153-157