Gesundheit heute

Polymyalgia rheumatica

Polymyalgia rheumatica (PMR): Entzündlich-rheumatische Erkrankung mit heftigen Schmerzen und Steifigkeit in den Schulter- und Hüftmuskeln beider Seiten. Zusätzlich kommt es oft zu Gelenkentzündungen und Allgemeinbeschwerden wie Abgeschlagenheit und Fieber. Jede fünfte Patient*in leidet gleichzeitig an einer Riesenzellarteriitis, bei der starke Kopfschmerzen und Sehstörungen drohen. Die PMR tritt fast ausschließlich bei Menschen über 50 Jahren auf, Frauen sind mehr als doppelt so häufig betroffen wie Männer. Die Prognose ist bei sofortiger Behandlung mit hochdosiertem Kortison gut, meist verschwinden die Beschwerden schon nach wenigen Tagen. Um das Wiederaufflackern der Erkrankung zu verhindern, muss die Kortisontherapie in reduzierter Dosierung noch etwa zwei Jahre lang weitergeführt werden.

Hinweis: Die Polymyalgia rheumatica ist eng verwandt mit der Riesenzellarteriitis (RZA), häufig überlappen sich beide Formen. Manche Expert*innen halten die PMR auch für eine milde Form der RZA.

Leitbeschwerden

  • ·         Schmerzen vor allem in den Schultern, in Nacken und Oberarmen, seltener auch in Gesäß und Oberschenkeln, nachts und frühmorgens am heftigsten
  • ·Ausgeprägte Morgensteifigkeit
  • ·Schwierigkeiten, die Arme über die Schultern zu heben, dadurch z. B. Probleme beim Kämmen
  • Gelenkschmerzen
  • Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Gewichtsverlust, Fieber
  • ·         Kopfschmerzen und/oder Sehstörungen bei gleichzeitiger RZA.

Wann zum Arzt

In den nächsten Tagen zur Internist*in oder Hausärzt*in, bei

  • symmetrischen Muskelschmerzen

  • pulsierenden, über Wochen zunehmenden Kopfschmerzen im Schläfenbereich.

Sofort zur Augenärzt*in,

  • wenn Sehstörungen auftreten, auch nachts oder am Wochenende.

Die Erkrankungen

Epidemiologie

Bezogen auf die Gesamtbevölkerung ist die PMR eher selten, da sie bei jungen und mittelalten Menschen kaum vorkommt. Anders sieht das bei den über 50-Jährigen aus. In dieser Gruppe erkranken jährlich 58 von 100.000 Einwohner*innen daran. Damit ist die PMR nach der rheumatoiden Arthritis die zweithäufigste entzündlich-rheumatische Erkrankung im Alter, wobei Frauen mehr als doppelt so oft darunter leiden als Männer.

Innerhalb Europas ist beim Vorkommen der PMR ein Nord-Süd-Gefälle zu beobachten: Von 100.000 Menschen erkranken daran jährlich in Norwegen 113, in Italien dagegen nur 13.

Krankheitsentstehung

Bei der Polymyalgia rheumatica führen autoimmune, also gegen körpereigene Strukturen gerichtete Prozesse zu einer Entzündung verschiedener Gewebe. Betroffen sind u. a. mittelgroße und große arterielle Gefäße, vor allem die Arterie unter dem Schlüsselbein (Unterschlüsselbeinarterie, A. subclavia). Die Unterschlüsselbeinarterie versorgt die Arme und Bereiche von Nacken, Hals und Schultern mit Blut. Kommt es durch die Gefäßentzündung zur Einengung der Arterie, drohen schmerzhafte Durchblutungsstörungen.

Die Entzündung macht jedoch nicht an der Unterschlüsselbeinarterie halt. Sie breitet sich auf weitere Gefäße aus, die z. B. durch die anliegende Muskulatur ziehen. Häufig greift die Entzündung auch auf angrenzende Sehnenscheiden, Schleimbeutel und Gelenke über.

Ursache

Als Auslöser beider Autoimmunerkrankungen werden Infekte vermutet, womöglich begünstigt durch eine genetische Veranlagung. Auch Umweltfaktoren sollen eine Rolle spielen.

Klinik

Die Betroffenen entwickeln meist innerhalb weniger Tage ausgeprägte beidseitige Schmerzen in Nacken, Schultern und Oberarmen. Auch die Muskulatur von Gesäß und Oberschenkel kann betroffen sein. Die Schmerzen sind nachts und am frühen Morgen am stärksten. Typischerweise leiden PMR-Patient*innen morgens länger als 45 Minuten an einer ausgeprägten Morgensteifigkeit, weshalb ihnen das Aufstehen und Ankleiden häufig schwerfällt.

Oft kommen zu den Beschwerden geschwollene Gelenke dazu, betroffen sind vor allem Hand- und Kniegelenke. Im Kniegelenk können sich dabei schmerzhafte, oft erhebliche Kniegelenksergüsse bilden.

Allgemeine Beschwerden sind bei der PMR ebenfalls häufig. Dazu gehören Abgeschlagenheit, erhöhte Temperatur, Appetitmangel und Gewichtsverlust. Die Patient*innen schwitzen vermehrt, insbesondere nachts. Einige von ihnen entwickeln depressive Verstimmungen bis hin zu schweren Depressionen.

Jede fünfte Patient*in leidet zusätzlich an einer Riesenzellarteriitis (RZA), Hinweise darauf sind Kopfschmerzen, Kauschmerzen und Sehstörungen (siehe dort).

Hinweis: Sehstörungen im Rahmen einer PMR oder RZA sind ein Notfall und müssen sofort ärztlich behandelt werden. Unterbleibt dies, droht die Erblindung.

Diagnosesicherung

Die Diagnose basiert auf der Schilderung der Beschwerden sowie auf einer gründlichen klinischen Untersuchung. Auffällig sind dabei druckschmerzhafte Oberarme und Oberschenkel. Oft kann sich die Patient*in nicht in den Nacken fassen oder dahinter eine (vermeintlich vorhandene) Schürze zubinden (eingeschränkter Schürzen- und Nackengriff).

Im Blutlabor sind als Zeichen der ausgeprägten Entzündung die Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) und das CRP deutlich erhöht. Manchmal zeigt das Blutbild vermehrt weiße Blutkörperchen, d. h. eine Leukozytose. Nicht erhöht sind Muskelenzyme wie die Kreatinkinase und Autoantikörper. Dies festzustellen ist wichtig, weil die Ärzt*in damit andere Muskelentzündungen oder rheumatische Erkrankungen als Ursache der Beschwerden ausschließen kann (siehe Differenzialdiagnosen).

Bei der bildgebenden Diagnostik hilft insbesondere der Ultraschall weiter. Damit lassen sich Schleimbeutelentzündungen an Schultern und/oder Hüfte gut erkennen. In der Magnetresonanztomografie sind solche Veränderungen auch erkennbar, diese Untersuchung wird allerdings wegen der Kosten und des Aufwands seltener verwendet. Ansonsten werden bildgebende Verfahren wie das Röntgen vor allem zum Ausschluss anderer Ursachen eingesetzt.

Im Zweifel sichert ein Therapieversuch mit Kortison die Diagnose. Die Gabe von Kortison bessert die Beschwerden meist in kürzester Zeit (siehe Behandlung).

Differenzialdiagnosen. Schmerzen, Morgensteifigkeit und schmerzhaft bedingte Kraftlosigkeit sind Zeichen zahlreicher Erkrankungen. Dazu gehören Polymyositis und Dermatomyositis, Muskelerkrankungen durch Medikamente, aber auch die rheumatoide Arthritis, die septische Arthritis oder die Fibromyalgie. Mögliche Ursachen der genannten Beschwerden sind aber auch degenerative Erkrankungen an der Schulter, wie z. B. die Rotatorenmanschettenläsion.

Behandlung

Die Polymyalgia rheumatica spricht gewöhnlich schnell auf eine Therapie mit Kortison an. Die Beschwerden sind dann wie weggeblasen, viele Patient*innen fühlen sich wie neugeboren. Im Gegensatz dazu sind nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) wie Diclofenac oder andere Schmerzmittel nahezu wirkungslos und werden zur Behandlung der PMR nicht empfohlen.

Kortisontherapie. Ohne Beschwerden im Kopfbereich werden 12,5–30 mg Prednisolon pro Tag verordnet. Je nach Beschwerden und Entwicklung der BSG- und CRP-Werte wird die Kortisondosis langsam und schrittweise auf eine dauerhafte Erhaltungsdosis von möglichst weniger als 5 mg/Tag verringert. Die Therapie muss zur Verhütung von Rückfällen für mindestens ein Jahr beibehalten werden.

Liegen gleichzeitig Kopfschmerzen vor, muss sofort hochdosiert Kortison (40–60 mg Prednisolon pro Tag) gegeben werden. Bei einer Augenbeteiligung mit Sehstörungen bekommen die Patient*innen zunächst fünf Tage lang täglich 500–1000 mg Prednisolon intravenös, danach wird auf Tabletten umgestellt und die Dosis reduziert (siehe auch Riesenzellarteriitis).

Hinweis: Bei jeder zweiten PMR-Patient*in ist unter der langfristigen Kortisontherapie mit Nebenwirkungen zu rechnen. Besonders gefürchtet ist die kortisonbedingte Osteoporose, der man durch die Einnahme von Kalzium und Vitamin D vorbeugt. Ebenfalls entsprechend behandlungsbedürftig sind Blutdruckerhöhung, Infektionen, Katarakt und die Entwicklung eines Diabetes.

Andere Medikamente. Häufig verordnet die Ärzt*in zusätzlich zu Kortison das Immunsuppressivum Methotrexat oder den Interleukin-6-Hemmstoff Tocilizumab

Kontrollen und Nachsorge

Um die Krankheitsaktivität zu prüfen und die Kortisongabe entsprechend anzupassen, sind regelmäßige Kontrollen erforderlich. Im Zentrum stehen dabei Befragung, klinische Untersuchung und Bestimmung der Entzündungswerte CRP und BSG. Im ersten Jahr sollen diese Kontrolltermine alle vier bis acht Wochen erfolgen, im zweiten Jahr alle acht bis zwölf Wochen. Unverzüglich die Ärzt*in aufsuchen sollte man zudem, wenn die Beschwerden wieder auftreten oder wenn sich unter der Therapie Nebenwirkungen entwickeln.

Prognose

Bei frühzeitiger Behandlung mit Kortison ist die Prognose gut. Die Dauer der Erkrankung beträgt zwischen sechs Monaten und vier Jahren, in seltenen Fällen kann sie auch bis zu zehn Jahre anhalten.

Ihre Apotheke empfiehlt

Regelmäßige Tabletteneinnahme. Bei der Polymyalgia rheumatica ist es wichtig, sich ganz genau an die Verordnung der Medikamente zu halten. Nur so kann die Entzündung langfristig eingedämmt werden. Kortisontabletten sollten morgens eingenommen werden, das passt am besten zum körpereigenen zirkadianen Kortisonrhythmus. Denn die innere Kortisonausschüttung beginnt nachts gegen zwei oder drei Uhr und steigt bis zu ihrem Gipfel um ca. 8:30 morgens an. Danach fallen die Kortisonwerte im Blut wieder kontinuierlich ab und erreichen gegen Mitternacht ihren tiefsten Punkt.

Nicht abrupt absetzen. Unter einer Therapie mit Kortison schränkt der Körper seine eigene Kortisonproduktion stark ein. Wer von heute auf morgen seine Kortisontabletten absetzt, riskiert Entzugserscheinungen. Diese reichen von Übelkeit, Gelenkschmerzen, Schwäche und Müdigkeit bis zu Blutdruckabfall und Verwirrung. Um dies zu vermeiden, darf das Kortison nur vorsichtig und unter ärztlicher Aufsicht ausgeschlichen werden.

Nicht abwarten bei Beschwerden. Erneute Beschwerden dürfen nicht ausgesessen werden. Um die anti-entzündliche Therapie wieder anzupassen, ist möglichst rasch die behandelnde Ärzt*in aufzusuchen.

Bewegen und gesund ernähren. Unter einer Kortisontherapie droht die Gewichtszunahme. Hiergegen helfen Bewegung und eine gesunde Ernährung. Weil Kortison die Salzausscheidung einschränkt, sollte man möglichst salzarm essen. Milch und Milchprodukte versorgen den Organismus mit Kalzium und Eiweiß und beugen dem Verlust von Knochen- und Muskelmasse vor.

Weiterführende Informationen

  • Die Rheuma-Liga hält auf ihrer Webseite (https://www.rheuma-liga.de/) auch Informationen und Merkblätter zur Polymyalgia rheumatica vor.

Von: Dr. rer. nat. Katharina Munk, Dr. med. Arne Schäffler in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, StutAktualisierung: Dr. med. Sonja Kempinski
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Wetterfühlige Knochen gibt’s nicht

Bei manchen Patient*innen fängt die Kniearthrose im Regen an zu zwicken. Alles nur Einbildung?

Wetterfühlige Knochen gibt’s nicht

Mythos entkräftet

Bei feuchtem Wetter wird das Rheuma schlimmer – das hat schon die Großmutter gewusst. Und auch heutzutage klagen darüber viele Menschen, die an Erkrankungen von Knochen, Muskeln oder Gelenken leiden. Doch laut einer aktuellen Untersuchung gehören wetterfühlige Knochen ins Land der Phantasie - bis auf eine Ausnahme.

Meteoropathie unter der Lupe

Patient*innen mit rheumatoider Arthritis, Arthrose oder anderen muskuloskelettalen Erkrankungen berichten regelmäßig davon, dass ihnen ein Wetterwechsel in die Knochen fährt. Bei manchen werden die Beschwerden in nasskaltem Wetter schlimmer, andere leiden mehr in trockener Hitze. Die Wetterfühligkeit – wissenschaftlich Meteoropathie genannt – beschäftigt auch Forschende schon lange. Die Untersuchungsergebnisse dazu sind allerdings höchst widersprüchlich.

Ein australisches Team wollte jetzt klären, was es mit dem Phänomen auf sich hat. Dazu werteten sie in einer Übersichtsanalyse elf Studien mit über 15000 Patient*innen aus. Diese litten z. B. unter rheumatoider Arthritis, Hüft- oder Kniearthrose, Kreuzschmerzen, Gicht oder allgemeinen Muskel- und Gelenkschmerzen.

Das Ergebnis: Temperaturänderungen lösten bei den Betroffenen keine Schmerzen in den Knochen aus, und sie verschlimmerten auch vorhandene Beschwerden nicht. Das Gleiche galt für Veränderungen der Luftfeuchtigkeit und des Luftdrucks – auch sie standen in keinem Zusammenhang mit den Beschwerden der Erkrankten.

Gicht mag es nicht heißt und trocken

Eine Ausnahme war jedoch die Gicht: Ihr Krankheitsverlauf wurde vom Wetter beeinflusst. Hohe Temperaturen bei geringer Luftfeuchtigkeit verdoppelten das Risiko für Rötung, Schwellung und Schmerzen der befallenen Gelenke.

Wetteränderungen sind offenbar kein Risikofaktor dafür, dass Rheuma- oder Arthroseschmerzen ausgelöst oder verschlimmert werden, fasst das Forscherteam zusammen. Es sei denn, die Patient*in leidet unter Gicht: Das Zipperlein scheint durch trockene Hitze regelrecht angefeuert zu werden.

Quelle: Seminars in Arthritis and Rheumatism

Von: Dr. med. Sonja Kempinski; Bild: mauritius images / Oleg Elkov / Alamy / Alamy Stock Photos