Gesundheit heute
Systemischer Lupus erythematodes
Systemischer Lupus erythematodes (SLE, Schmetterlingsflechte, Lupus visceralis, Lupus disseminatus): Chronisch-entzündliche Autoimmunkrankheit mit Befall zahlreicher Organe und unterschiedlichsten Verlaufsformen. Die häufigsten Symptome sind Fieberschübe, Gelenkbeschwerden und Hautveränderungen. Die etwa 35 000 Betroffenen in Deutschland sind zu 80 % weiblich, die ersten Symptome zeigen sich meist mit 30 Jahren. Zum Eindämmen der entzündlichen Prozesse werden Hydroxychloroquin und, wenn nötig, Kortison eingesetzt. Bei drohenden Organschäden kommen immununterdrückende Medikamente hinzu.
Symptome und Leitbeschwerden
- Fieber, Müdigkeit, Gewichtsverlust
- Gelenkschmerzen und Muskelschmerzen
- Scheibenförmige rote, manchmal schuppende Flecken an unbedeckter Haut (Arme, Hände, Dekolleté, Nacken)
- Symmetrische Rötung auf Nasenrücken und Wangen (Schmetterlingserythem).
Wann in die Arztpraxis
Demnächst, bei
- unerklärbarem Gewichtsverlust oder Fieber
- Gelenk- oder Muskelschmerzen
- neu aufgetretenen ungewöhnlichen Hautveränderungen.
Die Erkrankung
Der systemische Lupus erythematodes (SLE) ist eine chronische Autoimmunkrankheit. Dabei richtet sich das Immunsystem gegen den eigenen Körper. Beim SLE werden vor allem die Gefäße angegriffen. Das passiert, indem das Immunsystem Antikörper gegen die Zellkerne der eigenen Körperzellen bildet.
Häufigkeit und Vorkommen
Vom SLE sind vor allem Frauen im gebärfähigen Alter betroffen. In Europa geht man davon aus, dass auf 100 000 Einwohner*innen etwa 30 bis 50 Betroffene kommen. Die Erkrankung tritt weltweit auf. In Asien ist sie doppelt, in Afrika sieben- bis achtmal so häufig wie in Europa.
Ursachen
An der Entstehung des SLE sind mehrere Faktoren beteiligt. Eine Rolle spielt die genetische Veranlagung. Womöglich liegt die Störung auf dem zweiten X-Chromosom, das nur Frauen haben, weshalb auch mehrheitlich Frauen an einem SLE erkranken. Als wichtige weitere Auslöser werden Virusinfektionen (z. B. mit dem Ebstein-Barr-Virus) und Sonnenlicht betrachtet.
Hinweis: Beim medikamenteninduzierten Lupus erythematodes (siehe unten) führt die Einnahme bestimmter Medikamente zu einem Beschwerdebild, das dem SLE gleicht.
Klinik
Die Erkrankung entwickelt sich oft schleichend, wobei die Beschwerden in Schüben auftreten. Im akuten Schub fühlen sich die Patient*innen müde, krank und abgeschlagen und haben häufig Fieber. Dazu kommen weitere organspezifische Symptome und Befunde – in jeweils ganz unterschiedlichem Ausmaß:
- Haut (bei 95 % der Patient*innen betroffen): Die Haut von Lupuserkrankten ist sehr empfindlich gegenüber UV-Strahlen. Vor allem an sonnenlichtexponierten Stellen wie z. B. dem Dekolleté entstehen Rötungen, Hornhautverdickungen und Pigmentstörungen (UV-Licht kann sogar Krankheitsschübe auslösen). Bei 50 % der Betroffenen zeigt sich die typische schmetterlingsförmige Hautrötung im Gesicht (Schmetterlingserythem). 20 % haben ein sekundäres Raynaud-Syndrom, bei dem sich durch Kälte die kleinen Blutgefäße der Finger kleinstellen. Die Finger verfärben sich dann zuerst weiß und später blaurot. Manche Erkrankte leiden auch an nicht-vernarbendem Haarausfall, oft treten Schleimhautentzündungen in Mund und Rachen auf.
- Gelenke (95 %): Meist morgens machen sich schmerzhafte, geschwollene Gelenke insbesondere an Knien und Händen bemerkbar. Häufig sind die Sehnenscheiden mitbefallen. Im Gegensatz zur rheumatoiden Arthritis nehmen die Gelenke dabei allerdings keinen Schaden.
- Blut: Es kommt zu Anämie (Blutarmut, also Mangel an roten Blutkörperchen), aber auch zu Leuko- und/oder Thrombozytopenie (Mangel an weißen Blutkörperchen bzw. Blutplättchen). Etliche Patient*innen weisen Gerinnungsstörungen auf. Diese führen zu Thrombosen und Schlaganfällen und bei Schwangeren zu einem erhöhten Risiko für Fehlgeburten.
- Lungen: Häufig entwickeln sich Rippenfellentzündungen (50 %) mit starken Schmerzen beim Atmen. Bei vielen Patient*innen kommt es zu einer nicht-infektiösen Lungenentzündung, bei der das Lungengewebe schließlich bindegewebig vernarbt (Lungenfibrose). Die Folgen sind Husten und Luftnot.
- Nieren (45 %): Die Nierenentzündung (Lupusnephritis) gehört zu den folgenschwersten Manifestationen des SLE. Dabei führen entzündliche Veränderungen und Ablagerungen an den Glomeruli (den Filterkörperchen der Niere) dazu, dass über die Niere vermehrt Eiweiß verloren geht. Gleichzeitig können gewisse Abfallstoffe des Körpers nicht mehr gut ausgeschieden werden. Unbehandelt droht im schlimmsten Fall ein komplettes Nierenversagen.
- Herz und Gefäße (40 %): Am häufigsten entzündet sich der Herzbeutel (Perikarditis), was zu beschleunigtem Herzschlag, Atemnot und Fieber führt. Seltener sind Herzinnenhaut oder Herzmuskel betroffen (Endokarditis und Myokarditis), Zeichen dafür sind Schwäche und Schmerzen. Die lupusbedingte Entzündung des Gefäßbindegewebes und die im Blut auftretenden Antikörper bewirken, dass die Gefäße schneller verkalken. In der Folge kommt es vermehrt zu Herz-Kreislauferkrankungen wie Bluthochdruck, Herzinfarkt und Schlaganfall.
- Zentrales Nervensystem (30 %): Der SLE kann durch entzündliche Vorgänge eine ganze Reihe von Störungen des ZNS hervorrufen. Dazu zählen Krampfanfälle und Psychosen, starke Kopfschmerzen, Depressionen sowie Störungen von Merkfähigkeit und logischem Denken.
Verlauf
Da sowohl die Schwere als auch der Verlauf stark variieren, sprechen manche Ärzt*innen davon, dass die Krankheit "würfelt": chronisch schubförmige, seltener auch kontinuierlich fortschreitende Verläufe, der Wechsel der betroffenen Organe – alles ist möglich. Das Ausmaß der Beschwerden unterscheidet sich ebenso. Manche Patient*innen leiden stark unter Hauterscheinungen und Gelenkbeschwerden. Andere merken von ihrer Erkrankung kaum etwas – z. B. wenn nur die Niere betroffen ist. Letzteres ist aber umso gefährlicher, weil die Diagnose dann oft erst gestellt wird, wenn das Organ schon schwer geschädigt ist.
Sonderformen
Beim Lupus gibt es zwei wichtige Sonderformen. Den medikamenteninduzierten Lupus erythematodes und den kutanen Lupus erythematodes.
Der medikamenteninduzierte Lupus erythematodes wird durch Arzneimittel ausgelöst. Bekannt dafür sind das Antiarrhythmikum Procainamid, die Hochdruckmedikamente Hydralazin und Methyldopa sowie das Tuberkulosemedikament Isoniazid. Sie verursachen Gelenk- und Muskelschmerzen sowie Hauterscheinungen, die dem SLE stark ähneln. Häufig kommt es auch zu schmerzhaften Entzündungen des Rippenfells oder des Herzbeutels (Pleuritis, Perikarditis). Durch Absetzen des auslösenden Medikaments bilden sich die Beschwerden komplett zurück.
Im Gegensatz zum traditionellen SLE sind beim medikamenteninduzierten Lupus erythematodes deutlich mehr Männer als Frauen betroffen. Unterscheiden lassen sich die beiden Formen durch die Blutuntersuchung: Beim medikamenteninduzierten Lupus finden sich im Blut meist Anti-Histon-Antikörper, aber keine Antikörper gegen Doppelstrang-DNA. Beim normalen SLE ist das Gegenteil der Fall: Keine oder nur selten Anti-Histon-Antikörper, dafür häufig Antikörper gegen Doppelstrang-DNA.
Eine weitere wichtige Sonderform ist der kutane Lupus erythematodes. Er zeichnet sich dadurch aus, dass die Veränderungen größtenteils auf die Haut beschränkt bleiben. Von ihm gibt es zahlreiche Varianten, die mit den unterschiedlichsten Hautläsionen aufwarten. In seltenen Fällen kann sich aus einem kutanen Lupus erythematodes ein SLE entwickeln.
Diagnosesicherung
Meist führen Gelenkschmerzen, Fieber und Müdigkeit die Patient*innen zur Ärzt*in. Treten dann auch noch Hauterscheinungen auf, liegt der Verdacht auf einen SLE nahe. Für die SLE-Diagnose müssen bestimmte Kriterien erfüllt sein. Dazu gehören Befunde aus den Blutuntersuchungen und Organveränderungen.
Blutuntersuchungen. Bei Verdacht werden zuerst die sog. Antinukleären Antikörper (ANA) im Blut bestimmt. Ein ANA-Titer über 1 : 80 bekräftigt die Verdachtsdiagnose SLE. In diesem Fall folgen genauere Blutuntersuchungen. Im Fokus stehen dabei das Blutbild, bestimmte Autoantikörper und weitere Blutbestandteile. Für einen SLE sprechen
- verminderte rote und weiße Blutkörperchen sowie Blutplättchen
- Anti-Doppelstrang-DNA-Antikörper und Antiphospholipid-Antikörper
- erniedrigte Komplementfaktoren, also bestimmte Eiweiße, die im Immunsystem eine Rolle spielen.
Klinische Untersuchungen. Hierbei werden alle vom SLE bedrohten Organe unter die Lupe genommen. Häufig zieht die behandelnde Rheumatolog*in dafür spezialisierte Fachärzt*innen heran, z. B. aus der Kardiologie, Nephrologie oder Pneumologie. Neben bildgebenden Verfahren (Röntgen, Ultraschall, MRT) und weiteren Blut- und Urinuntersuchungen (Kreatinin im Blut, Erythrozyten und Eiweiß im Urin) sind manchmal auch Biopsien erforderlich. Die Proben für die Gewebeuntersuchungen werden aus befallenen Hautbereichen oder, bei Verdacht auf eine Lupusnephritis, der Niere entnommen.
Die Laboruntersuchungen und die klinischen Befunde sind immer in der Gesamtschau zu betrachten. Da Lupuspatient*innen in der Regel nur einige der oben genannten Befunde aufweisen und sich auch nicht immer Antikörper im Blut befinden, werden die einzelnen Ergebnisse bepunktet und diese Punkte zusammengezählt. Bei Erreichen einer bestimmten Summe gilt die Diagnose als hochwahrscheinlich.
Differenzialdiagnosen. Je nach Ausprägung kommen verschiedene Differenzialdiagnosen infrage. Überwiegen die Gelenkbeschwerden, ist vor allem eine rheumatoide Arthritis auszuschließen. Sind Hauterscheinungen prominent, kommen Dermatomyositis und systemische Sklerose differenzialdiagnostisch infrage. Ähnlich wie ein Lupus mit schubweisem Fieber und Gelenkschmerzen kann zudem eine Polyarteriitis nodosa verlaufen.
Behandlung
Eine Heilung ist beim SLE nicht möglich. Ziel der Behandlung ist vielmehr, die Schübe zu verhindern oder wenigstens abzukürzen, die Beschwerden zu lindern sowie dauerhafte Organschäden zu vermeiden. Besonderes Augenmerk gilt dem Erhalt der Nierenfunktion. Aufgrund des kaum vorhersehbaren Verlaufs ist die Kontinuität der ärztlichen Betreuung und das Vertrauensverhältnis zwischen Rheumatolog*in und Patient*in besonders wichtig. Die unterschiedlichen Medikamente werden je nach Schwere und Organbefall eingesetzt und bei den regelmäßigen Kontrolluntersuchungen an die Krankheitsaktivität angepasst.
Basistherapie. Alle SLE-Patient*innen sollen Hydroxychloroquin einnehmen – unabhängig von der Krankheitsaktivität. Das Antimalariamittel senkt das Risiko für Schübe und die Sterblichkeit. Die Dosierung wird an das jeweilige Ausmaß der Entzündung angepasst. Zieldosis sind 5 mg/kg Körpergewicht am Tag. Bei leichten Gelenkschmerzen helfen nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), bei leichten Hautbeschwerden Kortisonsalben. Zur Basistherapie gehören auch etliche nicht-medikamentöse Maßnahmen wie z. B. ein konsequenter Lichtschutz (siehe Ihre Apotheke empfiehlt).
Behandlung von Schüben und schweren Verläufen. Reicht Hydroxychloroquin zum Eindämmen der Krankheitsaktivität nicht aus, kommt Kortison hinzu. In schweren Fällen zunächst intravenös als Stoßtherapie, danach anschließend in Tablettenform. Um die unerwünschten Wirkungen von Kortison zu minimieren, versucht man, die Kortisondosis auf weniger als 5 mg/Tag zu reduzieren. Gelingt dies nicht, werden zusätzlich immununterdrückende Medikamente verordnet. Infrage kommen dafür Methotrexat, Azathioprin und Mycophenolat, bei drohendem Organversagen auch Cyclophosphamid. Seit einiger Zeit gibt es mit Anifrolumab und Belimumab weitere Medikamente, die für den Lupus zugelassen sind. Letzteres ist ebenso wie der Calcineurininhibitor Voclosporin besonders zur Behandlung der Lupusnephritis geeignet. Wenn alle Wirkstoffe versagen, sind in schwersten Fällen auch der Plasmaaustausch, die Stammzelltherapie sowie die Gabe von CAR-T-Zellen eine Option.
Prognose
Ist die Erkrankung gut unter Kontrolle, haben die Betroffenen langfristig eine Lebenserwartung, die der von Gesunden gleicht. Die wenigsten SLE-Patient*innen sterben heute in einem Schub oder aufgrund von Organschäden. Durch die beschleunigte Arteriosklerose sind heute stattdessen Herz-Kreislauf-Erkrankungen die häufigste Todesursache beim SLE.
Ihre Apotheke empfiehlt
Was Sie selbst tun können
Hilfe suchen. Die Diagnose SLE ist für die Betroffenen häufig zunächst ein Schock. Je besser man seine Erkrankung versteht, desto besser kann man damit umgehen. Unterstützung bringen Ratgeber und vor allem Selbsthilfegruppen.
Lichtschutz. UV-Licht kann nicht nur die Hauterscheinungen, sondern auch die Krankheit insgesamt aktivieren. Deshalb ist die wichtigste Maßnahme für Lupuspatient*innen ein guter Lichtschutz. Solarien oder direkte Sonnenexposition sind unbedingt zu vermeiden. Im Freien sollten Betroffene auf unbedeckte Hautbereiche konsequent Sonnencreme mit hohem Lichtschutzfaktor auftragen.
Vitamin D. Das durch UV-Licht in der Haut gebildete Vitamin D ist ein wichtiger Nährstoff für die Knochen. Wer aus gesundheitlichen Gründen die Sonne meidet, sollte regelmäßig den Vitamin-D-Spiegel im Blut messen lassen. Ist dieser zu niedrig, hilft die Substitution von Vitamin D über Nahrungsmittel oder als Vitamintablette.
Infektionsprophylaxe. Auch Infektionen können Schübe auslösen, weshalb sich Betroffene davor schützen sollten. Dabei helfen die gängigen Hygienemaßnahmen wie regelmäßiges Händewaschen und das Meiden von Menschenmengen, insbesondere in Erkältungszeiten. Ist das nicht möglich, können Mund-Nasen-Masken vor Tröpfcheninfektionen mit Viren schützen. Zudem sollte man seine nähere Umgebung von der Erkrankung und der Infektionsgefahr informieren und andere Menschen um das Einhalten von Husten- und Niesetikette bitten.
Impfungen. Impfungen bewahren Lupuspatient*innen ebenfalls vor Infektionen. Der empfohlene Impfschutz ist regelmäßig zu überprüfen und evtl. aufzufrischen – natürlich abgestimmt auf die medikamentöse Behandlung und den Krankheitsverlauf. Totimpfungen wie z. B. gegen Covid-19, Grippe oder Tetanus sind in der Regel unproblematisch. Bei Lebendimpfungen (Masern, Röteln, Mumps) muss die behandelnde Ärzt*in individuell entscheiden, ob diese möglich sind.
Kinderwunsch. Lupuspatient*innen müssen heute nicht mehr auf Kinder verzichten. Zwar sind Fehl- und Frühgeburten etwas häufiger als bei gesunden Frauen. Die Neugeborenen haben aber kein erhöhtes Risiko für Fehlbildungen. Eine Schwangerschaft sollte immer gemeinsam mit der behandelnden Ärzt*in und der Gynäkolog*in geplant werden. Einige Lupusmedikamente dürfen während der Empfängnis und in der Schwangerschaft nicht verwendet werden und sind deshalb durch andere zu ersetzen. Zudem ist eine engmaschige Kontrolle der Krankheitsaktivität wichtig.
Mundgesundheit. Lupuspatient*innen entwickeln häufig Geschwüre im Mund. Treten sie auf, sollte man unbedingt die behandelnde Ärzt*in aufsuchen. Denn Mundgeschwüre können ein Zeichen dafür sein, dass der SLE aktiv ist.
Weiterführende Informationen
Die Lupus Erythematodes Selbsthilfegemeinschaft e. V. hat 3000 Mitglieder und 60 bundesweite regionale Selbsthilfegruppen. Auf ihrer Webseite bietet sie Kontakte und Informationen.

Auch Eisbäder können in der physikalischen Therapie zur Behandlung von Erkrankungen genutzt werden.
Heiß und kalt gegen den Schmerz
Therapeutische Temperaturreize
Wärme und Kälte werden schon seit Jahrhunderten zur Behandlung von Schmerzen, Verletzungen und entzündlichen Erkrankungen eingesetzt. Inzwischen weiß man auch, dass Anwendungen wie Sauna und Kältekappen sogar vorbeugend wirken können. Doch was passiert dabei im Körper, welche Erkrankungen lassen sich damit behandeln und wann muss man mit extremen Temperaturreizen aufpassen?
Therapie mit Tradition
Unsere Vorfahren kannten sich mit der therapeutischen Wirkung von Wärme gut aus: Archäologische Funde belegen zum Beispiel, dass wärmende Kirschkernkissen schon vor dem 15. Jahrhundert genutzt wurden. Im alten Ägypten nahm man heiße Steine und Sandsäcke, um Schmerzen zu lindern. Die römischen Thermen waren berühmt für ihre Heilwirkung durch heißes Wasser und heiße Dämpfe. Und eine bestimmte Form der Wärmetherapie, das Moxa-Brennen, wird seit Jahrtausenden in der traditionellen chinesischen Medizin praktiziert.
Ähnlich sieht es mit Kälteanwendungen aus: Medizinische Texte aus der Zeit vor Christi Geburt dokumentieren Kältebehandlungen bei Verletzungen. Auch Hippokrates und Galen empfahlen Eis und kaltes Wasser für die Therapie von Prellungen und Entzündungen. Arabische Ärzte wie Avicenna propagierten im Mittelalter kalte Umschläge gegen Fieber.
Wärme- und Kälteanwendungen konnten auch durch die moderne Medizin nicht verdrängt werden. Sie sind auch heute ein wichtiger Bestandteil von Behandlungen. Im Rahmen der physikalischen Therapie werden Temperaturreize sowohl in traditioneller Weise, aber auch in neuen Anwendungsarten wie z.B. Kältekammern erfolgreich eingesetzt.
TRP-Kanäle reagieren auf Kälte und Wärme
Früher beruhte der Einsatz von Kälte und Wärme gegen Schmerzen auf Erfahrungsmedizin, also auf Beobachtungen von Patient*innen, die damit behandelt werden. Seit Kurzem verstehen Forschende jedoch genauer, warum Wärmepflaster oder Coolpacks schmerzlindernd wirken: In der Haut befinden sich Nervenfasern mit temperaturempfindlichen Rezeptorkanälen (TRP-Kanäle). Sie reagieren auf definierte Temperaturveränderungen. Durch ihre Reaktion werden verschiedene Vorgänge im Körper angestoßen.
Wärme aktiviert insgesamte vier TRP-Kanäle. Einer davon wird auch durch Capsaicin, einem Inhaltsstoff der Paprika angeregt. Die Aktivierung dieser Kanäle an den Nervenendigungen in der Haut löst drei Mechanismen aus:
- Es kommt zur Stimulation von Nervenzentren im Gehirn, die wiederum schmerzlindernde Nervenbahnen im Rückenmark beeinflussen. Dadurch wird der Schmerz abgeschwächt.
- Wo Pflaster oder Wärmekissen aufliegen, steigt die Temperatur im Gewebe. Dadurch wird die Durchblutung verbessert, was wiederum den Stoffwechsel ankurbelt und Heilungsprozesse beschleunigt.
- Die Wärme macht auch das Bindegewebe elastischer. So erklärt man sich, dass Wärme die Beweglichkeit bei schmerzender Muskel- und Gelenksteifigkeit verbessert.
Auch für die Kälte gibt es TRP-Kanäle an den Nervenfasern. Zwei wurden bisher identifiziert: TRPA1 übermittelt bei Hauttemperaturen (nicht Außentemperaturen!) unter 17° C Signale an das Gehirn und ist damit an der Wahrnehmung extremer Kälte beteiligt. TRPM8 wird bei einer Hauttemperatur von 25-27° C aktiviert – und durch chemische Substanzen wie Menthol. Nach Aktivierung von Kältekanälen kommt es zu folgenden Reaktionen:
- Schmerzleitende Signale werden abgeschwächt, das Schmerzempfinden deshalb vermindert.
- Der Transkriptionsfaktor Nrf2 wird aktiviert. Dieses Protein reguliert bestimmte Gene in den Zellen und spielt eine Rolle bei entzündungshemmenden und zellschützenden Prozessen.
- Durch das Sinken der Gewebetemperatur wird die Durchblutung gedrosselt. Dadurch gelangen weniger entzündungsfördernde Enzyme und Hormone in das Gewebe, Entzündungen werden dadurch gemildert.
Hinweis: Entdeckt wurden die TRP-Kanäle vom US-amerikanischen Sinnesphysiologen Prof. Dr. David Julius. Er hielt dafür im Jahr 2021 den Nobelpreis für Medizin.
Wo kommt Wärme zum Einsatz?
Wärme wird auf zweierlei Weise angewendet. Tradition hat die lokale Therapie, also die direkte Anwendung auf der Haut. Dies geschieht mithilfe von
- Wärmeflaschen, elektrischen Wärmekissen oder in der Mikrowelle (früher auf dem Ofen) aufgeheizten Kirschkernkissen
- Rotlicht und Fangopackungen
- Wärmekompressen oder Wärmepflaster auf chemischer Basis, ohne spezielle Wirkstoffe
- Wärmepflaster oder Wärmecremes/-salben mit speziellen Wirkstoffen wie Capsaicin, dem Capsaicin-Analogon Nonivamid oder gefäßerweiternden Substanzen (z.B.) Nicoboxil
Eine solche lokale Wärmetherapie ist bei verschiedenen Erkrankungen wirksam. Dazu gehört die Behandlung von Muskelkater und Rückenschmerzen, aber auch die Vorbeugung von nächtlichen Wadenkrämpfen. Ein weiteres Einsatzgebiet lokaler Wärme sind Schmerzen und Krämpfe im Rahmen der Menstruation. Dabei soll die Wärme auf Bauch und Unterleib ähnlich wirksam sein wie Schmerztabletten. Das beruht nicht nur auf einer Beseitigung von Muskelverspannungen. Die Wärme fördert auch die Durchblutung des Beckens. Dadurch werden Körperflüssigkeiten und Blut besser abtransportiert und der Druck auf Nervenbahnen im Becken nimmt ab.
Wärme kann außerdem bei der rheumatoiden Arthritis die Gewebeelastizität verbessern und dadurch die Gelenksteifigkeit reduzieren. Hierbei ist jedoch unbedingt zu beachten, dass Wärme nur in entzündungsfreien Phasen der Erkrankung angewendet wird. Ist die Krankheit aktiv, schadet Wärme. Denn durch die verbesserte Durchblutung wird die Entzündung weiter angetrieben.
Doch nicht nur lokale Wärme hat positive Wirkungen. Wird der ganze Körper in der Sauna aufgeheizt, wird das Herz-Kreislauf-System trainiert. Dadurch lernt der Körper, besser mit Hitze fertig zu werden. Außerdem reagiert er auf zellulärer Ebene schneller auf extreme Reize. Insgesamt werden antioxidative, entzündungshemmende und zellschützende Prozesse angestoßen. Infolgedessen verbessert sich die Funktion der Gefäßinnenhaut und das Risiko für Atemwegsinfekte sinkt.
Für manche Menschen ist Wärme als Therapie allerdings nicht geeignet. Patient*innen mit Diabetes mellitus leiden z. B. häufig an Nerven- oder Durchblutungsstörungen. Sie müssen mit Wärme besonders vorsichtig umgehen: Eine zu heiß befüllte Wärmeflasche kann bei gestörtem Schmerz- oder Temperaturempfinden leicht zu Verbrennungen führen. Gleiches gilt für Menschen, die aufgrund einer anderen Ursache an einer Nervenstörung leiden. Auch das Saunieren wird in einigen Situationen nicht empfohlen. Das gilt für Personen mit instabiler Angina pectoris, fiebriger Erkrankung oder verminderter Schweißbildung, aber auch für Patient*innen nach einem Herzinfarkt.
Hinweis: Wärmepflaster- und cremes mit und ohne pharmakologische Inhaltsstoffe sind in der Apotheke zu haben. Dort erhält man auch eine ausführliche Beratung, welche Form der Wärmeapplikation für die jeweiligen Beschwerden am besten geeignet ist.
Was Kälte alles kann
Die Kältetherapie hat ebenfalls seit je her zahlreiche Einsatzgebiete. Dazu gehören insbesondere
- Akute Verletzungen wie Zerrungen und Prellungen. Durch die kältebedingte Verringerung der Durchblutung werden Schwellungen und Schmerzen reduziert.
- Rheumatische Erkrankungen. Kälte führt im akuten, entzündlichen Stadium zu einem Rückgang der entzündlichen Reaktion und zu einer Verminderung von Gelenkschwellungen.
- Schmerztherapie. Durch Verringerung der Durchblutung wird die Ansammlung von schmerzauslösenden Substanzen im Gewebe vermindert. Außerdem verlangsamt Kälte die Weiterleitung von Schmerzimpulsen entlang der Nervenbahnen.
- Regeneration beim Sport. Kälteanwendungen können die Intensität und die Dauer von Muskelkater verringern.
Zum Kühlen gibt es neben dem klassischen Eiswürfelbeutel auch Sprays, Eislollys, Kältekompressen und Kühlgele.
Kältespray wird insbesondere bei Sportverletzungen, Prellungen und Verstauchungen eingesetzt. Dazu sprüht man es aus mindestens 20 cm Entfernung auf die Haut. Zu beachten ist dabei, dass zu langes Sprayen zu Erfrierungen führen kann.
Eislollys kommen vor allem bei Sehnenansatzschmerzen und in der Sportmedizin zum Einsatz. Man kann sie mit einem Joghurtbecher, Wasser und einem Holzspatel selbst herstellen. Sie werden mit kreisenden Bewegungen auf dem betroffenen Areal bewegt, wobei das Schmelzwasser kontinuierlich mit einem Handtuch aufzunehmen ist.
Kältekompressen helfen besonders gut bei Insektenstichen, stumpfen Verletzungen, Zahnschmerzen oder akuten Muskel- und Gelenkentzündungen. Es gibt sie als Gelkompressen (oder Cool-Packs), die im Eisfach gelagert und bei Bedarf auf die betroffene Stelle gelegt werden. Chemische Kompressen kühlen, nachdem der Innenbeutel durch Druck zum Platzen gebracht wurde. Für beide Arten gilt: Immer ein Tuch zwischen Haut und Kompresse legen, denn ein direkter Hautkontakt mit der konstanten Kälte kann zu Erfrierungen führen. Außerdem sollte in Intervallen, also nicht permanent gekühlt werden.
Kühlgel mit Menthol oder Alkohol erfrischt müde Füße, Arme und Beine. Es wird auf die Haut aufgetragen und leicht einmassiert. Für Kinder unter sechs Jahren sind solche Kühlgele nicht geeignet, weil sie die empfindliche Haut reizen. Schwangere sollte vor allem mentholhaltige Gele meiden. Das ätherische Öl kann vorzeitige Wehen auslösen.
Eine relativ neue Art der lokalen, also örtlichen Kälteanwendung ist die Kältekappe. Sie soll gegen den durch Chemotherapie ausgelösten Haarausfall helfen. Denn die Chemotherapie wirkt besonders auf Zellen, die sich schnell teilen: und das sind neben den Krebszellen auch die Haarfollikelzellen. Bei dieser vorbeugenden Therapie wird die Kopfhaut während der Chemo mit einer Spezialkappe gekühlt, in der -4° C kalte Flüssigkeit zirkuliert. Die Haarfollikelzellen fahren aufgrund der kältebedingt verringerten Hautdurchblutung ihren Stoffwechsel herunter und sind deshalb weniger anfällig für die Chemotherapeutika. In Studien mit Brustkrebspatientinnen konnte die Kältekappe bei der Hälfte der Frauen den Haarverlust auf weniger als 50% verringern. An einigen Kliniken wird dieses Scalp-Cooling bereits eingesetzt. Unklar ist allerdings noch, ob die herabgekühlte Kopfhaut nicht auch zirkulierende Tumorzellen schützt, die später zu einer Metastasierung führen könnten.
Neben den verschiedenen örtlichen Kälteanwendungen wird auch die Ganzkörper-Kältetherapie immer populärer. Dafür setzt man den Organismus in Kältekammern für wenige Minuten Temperaturen unter -100° C aus. Eine Alternative zu den Kammern ist das Eintauchen des Körpers bis zum Brustbein in 4° C kaltes Wasser. Von dieser Kältebehandlung verspricht man sich den Rückgang von Entzündungen und Schmerzen sowie eine bessere Regeneration nach sportlicher Belastung.
Nachgewiesen sind positive Effekte auf die rheumatoide Arthritis und auf die Fibromyalgie. Daneben soll der Kälteschock auch Psyche und Wohlbefinden verbessern, auf das Immunsystem wirken und das Körperfettgewebe beeinflussen. Wie die Ganzkörperkältetherapie wirkt, ist noch nicht völlig geklärt. Diskutiert werden u.a. die Freisetzung von Noradrenalin, die Abnahme entzündungsfördernder Botenstoffen und die Verlangsamung von Stoffwechselaktivitäten.
Hinweis: Genauso wie die Sauna ist auch die Ganzkörper-Kältetherapie nicht für alle Menschen geeignet. Weil dabei Blutdruck, Herz- und Atemfrequenz steigen, sollten Patient*innen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen vor solchen Kälteanwendungen immer ihre Ärzt*in konsultieren.
Quellen: Esch J, DAZ 2024; 15: 42; Morvilius S, Erfahrungsheilkunde 2022: 3: 153-157