Gesundheit heute

Psoriasis-Arthritis

Psoriasis-Arthritis (PsA, Schuppenflechten-Arthritis, Arthritis psoriatica): Chronisch-entzündliche und in Schüben verlaufende Gelenkerkrankung, die bei etwa einem Drittel der Patient*innen mit Schuppenflechte (Psoriasis) auftritt. Betroffen sind Gelenke der Gliedmaßen und die Wirbelsäule, aber auch Sehnen und Sehnenansätze. Am häufigsten zeigt sich die rheumatische Erkrankung durch Schmerzen und Schwellungen an Händen und Füßen, oft sind morgens die Gelenke steif. Die Schuppenflechte geht in drei von vier Fällen der Arthritis um Jahre voraus, sodass bei Ausbruch der Arthritis typische Hautveränderungen vorhanden sind, welche die Diagnose erleichtern. Bei Kindern kommt es allerdings oft erst zu Gelenkbeschwerden und später zu den typischen schuppigen Hauterscheinungen. Die Arthritis wird mit antirheumatischen Wirkstoffen und Physiotherapie behandelt, die Therapie der Hauterscheinungen verläuft wie bei der "normalen" Schuppenflechte.

Symptome und Leitbeschwerden

    Gelenkschmerzen an den Händen und Füßen, vor allem in Ruhe und in den

  • frühen Morgenstunden, ausgeprägte Morgensteifigkeit
  • Besserung der Schmerzen und der Steifigkeit durch Bewegung
  • Gleichzeitige Entzündung aller Gelenke eines Fingers oder eines Zehs, dadurch Schwellung des Fingers oder Zehs zu sog. Wurstfingern oder -zehen (Daktylitis)
  • Tiefsitzende Rückenschmerzen oder Nackenschmerzen
  • Beschwerden der Schuppenflechte wie gerötete schuppige Hautstellen und gelblich fleckige oder zerbröckelnde Fingernägel
  • Allgemeinsymptome wie Erschöpfung.

Wann in die Arztpraxis

Demnächst, wenn

  • Gelenke schmerzen, anschwellen oder steif werden
  • Rücken- oder Nackenschmerzen nach Tagen nicht besser werden
  • sich schuppige Herde auf der Haut oder Veränderungen an den Fingernägeln bemerkbar machen.

Die Erkrankung

Die Psoriasis-Arthritis ist eine Autoimmunerkrankung, bei der sich Zellen des Immunsystem gegen den eigenen Körper richten und dadurch Entzündungen an Gelenken und Sehnen hervorrufen. Sie tritt bei etwa 30 % der Patient*innen mit Schuppenflechte auf. Das bedeutet, dass in Deutschland etwa 700.000 Menschen davon betroffen sind. Frauen und Männer erkranken gleich häufig, meist beginnen die Beschwerden zwischen dem 35. und 50. Lebensjahr.

Auch Kinder können an einer Psoriasis-Arthritis erkranken. Bei ihnen gehört die Erkrankung in die Gruppe der juvenilen idiopathischen Arthritiden.

Warum sich eine Psoriasis-Arthritis entwickelt, ist unbekannt. Eine genetische Komponente ist wahrscheinlich, denn bei 40 % der Betroffenen leiden Familienmitglieder ebenfalls an der Erkrankung. Als Risikomarker für eine Psoriasis-Arthritis gilt HLA-B27, ein Antigen des HLA-Systems.

Vererbt wird die Erkrankung nicht, wohl aber die genetische Veranlagung dazu. Damit die Krankheit ausbricht, müssen noch weitere Auslöser hinzukommen – wie etwa eine Infektion, ein Medikament oder eine Allergie. Auch psychischer Stress und vor allem das Rauchen gelten als Risikofaktoren, die eine Psoriasis-Arthritis triggern können.

Klinik

Bei der Psoriasis-Arthritis unterscheidet man zwei Typen, wobei auch Mischformen vorkommen.

Am häufigsten ist der periphere Typ. Befallen sind dabei vor allem die kleinen Gelenke von Händen und Füßen. Es kommt zu Entzündung, Schwellung und später auch zur Zerstörung der Gelenke. Typisch für die Psoriasis-Arthritis ist der Befall in Form eines "Strahls". Dabei sind alle drei Gelenke eines Fingers oder einer Zehe betroffen. Sind zusätzlich die Gewebe zwischen den Gelenken entzündet und verdickt (Weichteilschwellung), spricht man von Wurstfingern oder Wurstzehen. Häufig sind auch Sehnen und Sehnenansätze entzündet. Im Fall der Achillessehne klagen die Patient*innen über starke Fersenschmerzen.

Beim zentralen Typ sind die Wirbelsäule und/oder große Gelenke wie das Schulter- oder Kniegelenk angegriffen. Neben Schmerzen und Funktionseinschränkungen drohen auch hier Gelenkzerstörungen. An der Wirbelsäule und dem Kreuz-Darmbein-Gelenk kann es zu Versteifungen wie beim Morbus Bechterew kommen.

Komplikationen

Eine häufige Komplikation ist die Entzündung der Augenhaut, z. B. als Bindehautentzündung (Konjunktivitis), Entzündung der Gefäßhaut (Uveitis) und der Regenbogenhaut (Iritis). Anzeichen dafür sind gerötete Augen, Juckreiz oder Schmerzen.

Seltener kommt es auch zu einer unspezifischen Entzündung der Dickdarmschleimhaut, einer sog. Kolitis. Sie kann ohne Beschwerden verlaufen, aber auch zu Durchfall oder Verstopfung, Blähungen und Bauchschmerzen führen.

Verlauf

Die Psoriasis-Arthritis ist eine chronische Erkrankung mit einem sehr variablem Verlauf. In 75 % der Fälle geht die Schuppenflechte den Gelenkentzündungen voran. Manchmal treten beide Manifestationen gemeinsam auf und in einigen Fällen kommt es auch erst zur Arthritis und die Schuppenflechte folgt. Sehr selten liegen auch die typischen Gelenkentzündungen einer Psoriasis-Arthritis vor, ohne dass der Betroffene Anzeichen einer Schuppenflechte aufweist.

Das Ausmaß der Hauterscheinungen hat nichts mit der Stärke der Gelenkentzündungen zu tun. So gibt es Fälle mit sehr ausgeprägter Arthritis, aber nur minimalen Hautschuppungen oder Nagelveränderungen. Manche Patient*innen leiden auch unter extremem Hautbefall, während ihre Gelenkentzündungen minimal sind und kaum Probleme verursachen.

Wie auch viele andere chronisch-rheumatische Erkrankungen verläuft die Psoriasis-Arthritis in Schüben. Phasen mit hoher Krankheitsaktivität, d. h. ausgeprägten entzündlichen Prozessen, Schmerzen und Schwellungen wechseln sich mit beschwerdefreien Zeiten ab.

Diagnosesicherung

Kommt es bei einer Patient*in mit Schuppenflechte zu Gelenkproblemen, ist dies ein erster Hinweis auf eine Psoriasis-Arthritis. Die Befragung ergibt, welche Gelenke schmerzen und ob sie morgens steif sind. Bei der körperlichen Untersuchung werden alle Gelenke gründlich auf Schwellungen, Schmerzen und Funktionseinschränkung geprüft. Die Anzahl der betroffenen Gelenke dokumentiert die Ärzt*in sowohl bei der Basisuntersuchung als auch bei den regelmäßigen Kontrollterminen. Sie ist Ausdruck der Krankheitsaktivität und dient dazu, den Erfolg einer Therapie nachzuweisen.

Laboruntersuchungen. Mithilfe des Labors lässt sich erkennen, ob die Entzündungswerte erhöht sind , z. B. das CRP und die Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG). Spezifische Marker für die Psoriasis-Arthritis gibt es keine im Blut. Auch der Rheumafaktor wird bestimmt. Dieser ist bei der Psoriasis-Arthritis negativ. Ist er erhöht, spricht das für eine andere rheumatische Erkrankung, z. B. für die rheumatoide Arthritis. Ein weiterer Hinweis sind die HLA-Antigene: Beim zentralen Typ ist das HLA-B27 sehr häufig positiv.

Bildgebende Verfahren. Akute entzündliche Veränderungen und Gewebeschwellungen lassen sich gut mit dem Ultraschall oder der Magnetresonanztomografie nachweisen. Knöcherne Veränderungen sind im Röntgenbild oder auf CT-Aufnahmen zu erkennen. Je nach Krankheitsstadium sieht man einen bunten Auf- und Abbau von Knochengewebe, Knochenneubildungen, Verkalkungen, Gelenkspaltverschmälerungen und kleine Knochenrisse. Bei Befall der Wirbelsäule erkennt man veränderte Wirbelkörper, Knochenanbauten (Syndesmophyten) und verschmälerte Räume zwischen den Wirbeln Die Syndesmophyten können so stark ausgeprägt sein, dass sie die Wirbelkörper knöchern miteinander verbinden und dadurch die Wirbelsäule versteifen.

Schwierig ist die Diagnose einer Psoriasis-Arthritis dann, wenn sich keinerlei Hauterscheinungen finden. Das kommt vor allem bei Kindern vor. Hinweise, die in solchen Fällen auf eine Psoriasis-Arthritis hindeuten, sind z. B. eine Schuppenflechte bei nahen Verwandten oder ein oder mehrere typische "Wurstfinger", also der Befall aller drei Gelenke eines Fingers gleichzeitig. Dieses Entzündungsmuster ist bei anderen rheumatischen Erkrankungen selten. Auch diskrete Nagelveränderungen können helfen, die Erkrankung richtig einzuordnen. Manchmal wird die exakte Diagnose aber erst gestellt, wenn Jahre später die "passenden" Hauterscheinungen dazukommen.

Differenzialdiagnosen. Bei Befall von Hand- oder Fußgelenken ist die wichtigste Differenzialdiagnose die rheumatoide Arthritis. Die zentrale Form der Psoriasis-Arthritis kann leicht mit einem Morbus Bechterew verwechselt werden.

Behandlung

Schmerzen reduzieren und die Funktion der Gelenke erhalten – das sind die zentralen Behandlungsziele bei der Psoriasis-Arthritis. Die Schuppenflechte selbst wird natürlich ebenfalls behandelt (siehe dort), um das Hautbild zu verbessern. Um all dies zu erreichen, muss die chronische Entzündung im Körper eingedämmt werden. Um das optimal zu erreichen, müssen die betreuende Rheumatolog*in und die Dermatolog*in eng zusammenarbeiten.

Pharmakotherapie

Zur Bekämpfung der Gelenkentzündung kommen je nach Ausmaß der Erkrankung nichtsteroidale Antirheumatika NSAR), Kortison und krankheitsmodifizierende Medikamente (sog. DMARD) zum Einsatz.

Bei leichten bis mittelschweren Gelenkschmerzen ohne Schwellungen werden in der Regel NSAR oder Coxibe wie z. B. Diclofenac oder Etoricoxib verordnet. Auch Kortison kommt zum Einsatz, meistens als Injektion in das betroffene Gelenk.

In schwereren Fällen oder bei nachgewiesenen Gelenkveränderungen verordnen die Ärzt*innen DMARD. Sie halten nicht nur das Voranschreiten der Gelenkzerstörung auf, sondern sie bessern auch die für die Patient*innen sehr belastenden Hauterscheinungen. Begonnen wird oft mit Methotrexat. Spricht die Patient*in darauf nicht an, stehen Biologika zur Verfügung. Diese Wirkstoffe sind gegen verschiedene Botenstoffe und Immunzellen gerichtet und dämmen die Entzündung auf unterschiedliche Weise ein. Erfolgreich eingesetzt werden z. B. Tumornekrosefaktor-alpha-Blocker, Interleukin-17A-Inhibitoren oder Ustekinumab, ein Antikörper gegen Interleukin 12 und Interleukin 23. Auch eine weitere Gruppe von DMARD, die Januskinase-Inhibitoren, sowie PDE4-Hemmer können bei der Psoriasis-Arthritis eingesetzt werden.

Physiotherapie

Krankengymnastik und andere physiotherapeutische Maßnahmen (siehe "Ihre Apotheke empfiehlt") sind wichtig, um die Funktionsfähigkeit der Gelenke zu erhalten.

Operative Verfahren

Nicht alle Patient*innen sprechen zufriedenstellend auf die intensive antirheumatische Therapie an. Bei nicht kontrollierbaren Schmerzen oder starken Funktionseinschränkungen hilft die orthopädische Chirurgie weiter. Mögliche Optionen sind:

  • Synovektomie. Bei diesem Verfahren entfernt die Ärzt*in die entzündete oder wuchernde Gelenkinnenhaut ganz oder in Teilen. Dadurch werden die entzündlichen Prozesse im Gelenk reduziert und die Schmerzen gelindert. Die Synovektomie erfolgt entweder durch eine offene Operation oder im Rahmen einer Gelenkspiegelung.
  • Arthrodese. Die Gelenkversteifung ist angeraten, wenn bei stark geschädigten Gelenken die Schmerzen nicht mehr kontrollierbar sind oder das Gelenk so instabil ist, dass es nicht mehr funktioniert. Chirurgisch eingesetzte Platten und Drähte verbinden die Knochen der Gelenke, so dass diese zusammenwachsen. Dadurch wird das Gelenk versteift und ist wieder stabil – lässt sich aber nicht mehr bewegen. Vor allem kommt die Arthrodese bei geschädigten Hand- und Fußwurzelgelenken zum Einsatz.
  • Osteotomie. Führen die gelenkzerstörenden Prozesse zu bleibenden Fehlstellungen, lassen diese sich manchmal durch eine Umstellung der Knochen behandeln. Eingesetzt wird dieses Verfahren beispielsweise bei Verformungen der Vorfüße am rheumatischen Fuß.
  • Endoprothetik. Häufig ist der künstliche Ersatz eines rheumatisch stark geschädigten Gelenks sinnvoll. Hierzu gibt es je nach Einsatzort die verschiedensten Prothesen. Sie reichen von Silikongelenken am Langfinger bis zur Totalendoprothese am Knie.

Prognose

Die Psoriasis-Arthritis ist eine chronische Erkrankung mit sehr variablem Verlauf. Bei vielen Patient*innen lassen sich die Gelenkbeschwerden mit Medikamenten und Physiotherapie sehr gut kontrollieren und das Fortschreiten der Erkrankung bremsen. Ungünstig ist die Prognose, wenn schon früh viele Gelenke betroffen sind. In schweren Fällen kann es nötig werden, zerstörte Gelenke mit einer Prothese zu ersetzen.

Ihre Apotheke empfiehlt

Patient*innen mit einer Psoriasis-Arthritis können neben der regelmäßigen Einnahme der verordneten Medikamente eine Menge selbst tun, damit es ihnen besser geht.

Krankengymnastik und Funktionstraining. Ganz wichtig ist es, die in der Krankengymnastik erlernten Übungen regelmäßig zuhause durchzuführen. Viele Betroffene profitieren auch von den von der Deutschen Rheuma-Liga entwickelten Funktionstrainings. Es umfasst bewegungstherapeutische Übungen und wird sowohl im Trockenen als auch im Wasser angeboten. Funktionstraining gilt als ergänzende Leistung zur Rehabilitation, eine gewisse Anzahl von Stunden wird nach Verordnung durch die Ärzt*in von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen.

Sind die Hände betroffen, kann tägliches Üben mit Qigong-Kugeln die Handmotorik und -durchblutung verbessern und entspannen helfen: Nehmen Sie die beiden Kugeln in eine Handfläche und lassen Sie die Kugeln mit leichten Bewegungen der Finger umeinander kreisen. Erst zehnmal im Uhrzeigersinn, dann zehnmal gegen den Uhrzeigersinn. Wiederholen Sie die Übung mit der anderen Hand.

Sport. Sport sollten die Betroffenen auf keinen Fall aufgeben. Nach Rücksprache mit der Ärzt*in dürfen selbst gelenkbelastende Sportarten ausgeübt werden, solange die Schmerzen und Beschwerden nicht zunehmen. Ansonsten eignen sich für Rheumakranke vor allem Walking, Radfahren und Schwimmen.

Kälte. Im akuten Stadium lindern Eisbeutel oder Kühlpacks Schmerzen und Gelenkschwellungen. Dazu legt man sie direkt aus dem Gefrierfach mehrmals täglich für einige Minuten auf die schmerzenden Gelenke. Die Beutel sollten dazu immer in ein Tuch eingeschlagen werden, damit die Haut keine Erfrierungsschäden davonträgt.

Kryokammern. Schmerzlindernd und entzündungshemmend soll sich auch der Aufenthalt in der sog. Eissauna oder Kältekammer auswirken. Darin herrschen zumeist Temperaturen von −110° C. Studien konnten aber bisher keinen Effekt nachweisen.

Wärme. Sind die Gelenke nicht akut entzündet, hilft auch Wärme. Ob Sauna, Vollbäder, Fango oder aufgelegte erwärmte Kirschkernsäckchen – sie alle entspannen die Muskeln, fördern die Durchblutung und bessern die Dehnbarkeit des Bindegewebes.

Reisen. Wem es in wärmeren Gefilden besser geht, kann spezielle Reiseangebote nutzen, um dem feucht-kalten Winterklima für eine Weile zu entfliehen. Tipps für einen unbeschwerten Urlaub trotz Rheuma bietet auch die Rheuma-Liga auf ihrer Webseite (Link siehe unten).

Ernährung. Am meisten profitieren Rheumakranke von einer ausgewogenen, aber fleischarmen bis fleischlosen Kost. Nützlich soll ein hoher Anteil an Fisch sein, da Omega-3-Fettsäuren eine entzündungshemmende Wirkung zugeschrieben wird. Daneben sollen ebenso die Inhaltsstoffe von Kakao und Grünem Tee entzündungshemmend wirken und rheumatische Beschwerden lindern. Zucker und Salz begünstigen dagegen entzündliche Prozesse im Körper, weshalb man damit Maß halten sollte. Auch gezuckerte Limonaden und zu viel Kaffee (mehr als vier Tassen) verschlechtern Studien zufolge die rheumatoide Arthritis. Manche Betroffene profitieren von einer veganen Ernährung. Um Mangelzustände zu vermeiden, muss dabei auf die ausreichende Zufuhr von Vitaminen und Spurenelementen geachtet werden.

Weiterführende Informationen

Von: Dr. rer. nat. Katharina Munk, Dr. med. Arne Schäffler in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualisierung: Dr. med. Sonja Kempinski
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Heiß und kalt gegen den Schmerz

Auch Eisbäder können in der physikalischen Therapie zur Behandlung von Erkrankungen genutzt werden.

Heiß und kalt gegen den Schmerz

Therapeutische Temperaturreize

Wärme und Kälte werden schon seit Jahrhunderten zur Behandlung von Schmerzen, Verletzungen und entzündlichen Erkrankungen eingesetzt. Inzwischen weiß man auch, dass Anwendungen wie Sauna und Kältekappen sogar vorbeugend wirken können. Doch was passiert dabei im Körper, welche Erkrankungen lassen sich damit behandeln und wann muss man mit extremen Temperaturreizen aufpassen?

Therapie mit Tradition

Unsere Vorfahren kannten sich mit der therapeutischen Wirkung von Wärme gut aus: Archäologische Funde belegen zum Beispiel, dass wärmende Kirschkernkissen schon vor dem 15. Jahrhundert genutzt wurden. Im alten Ägypten nahm man heiße Steine und Sandsäcke, um Schmerzen zu lindern. Die römischen Thermen waren berühmt für ihre Heilwirkung durch heißes Wasser und heiße Dämpfe. Und eine bestimmte Form der Wärmetherapie, das Moxa-Brennen, wird seit Jahrtausenden in der traditionellen chinesischen Medizin praktiziert.

Ähnlich sieht es mit Kälteanwendungen aus: Medizinische Texte aus der Zeit vor Christi Geburt dokumentieren Kältebehandlungen bei Verletzungen. Auch Hippokrates und Galen empfahlen Eis und kaltes Wasser für die Therapie von Prellungen und Entzündungen. Arabische Ärzte wie Avicenna propagierten im Mittelalter kalte Umschläge gegen Fieber.

Wärme- und Kälteanwendungen konnten auch durch die moderne Medizin nicht verdrängt werden. Sie sind auch heute ein wichtiger Bestandteil von Behandlungen. Im Rahmen der physikalischen Therapie werden Temperaturreize sowohl in traditioneller Weise, aber auch in neuen Anwendungsarten wie z.B. Kältekammern erfolgreich eingesetzt.

TRP-Kanäle reagieren auf Kälte und Wärme

Früher beruhte der Einsatz von Kälte und Wärme gegen Schmerzen auf Erfahrungsmedizin, also auf Beobachtungen von Patient*innen, die damit behandelt werden. Seit Kurzem verstehen Forschende jedoch genauer, warum Wärmepflaster oder Coolpacks schmerzlindernd wirken: In der Haut befinden sich Nervenfasern mit temperaturempfindlichen Rezeptorkanälen (TRP-Kanäle). Sie reagieren auf definierte Temperaturveränderungen. Durch ihre Reaktion werden verschiedene Vorgänge im Körper angestoßen.

Wärme aktiviert insgesamte vier TRP-Kanäle. Einer davon wird auch durch Capsaicin, einem Inhaltsstoff der Paprika angeregt. Die Aktivierung dieser Kanäle an den Nervenendigungen in der Haut löst drei Mechanismen aus:

  • Es kommt zur Stimulation von Nervenzentren im Gehirn, die wiederum schmerzlindernde Nervenbahnen im Rückenmark beeinflussen. Dadurch wird der Schmerz abgeschwächt.
  • Wo Pflaster oder Wärmekissen aufliegen, steigt die Temperatur im Gewebe. Dadurch wird die Durchblutung verbessert, was wiederum den Stoffwechsel ankurbelt und Heilungsprozesse beschleunigt.
  • Die Wärme macht auch das Bindegewebe elastischer. So erklärt man sich, dass Wärme die Beweglichkeit bei schmerzender Muskel- und Gelenksteifigkeit verbessert.

Auch für die Kälte gibt es TRP-Kanäle an den Nervenfasern. Zwei wurden bisher identifiziert: TRPA1 übermittelt bei Hauttemperaturen (nicht Außentemperaturen!) unter 17° C Signale an das Gehirn und ist damit an der Wahrnehmung extremer Kälte beteiligt. TRPM8 wird bei einer Hauttemperatur von 25-27° C aktiviert – und durch chemische Substanzen wie Menthol. Nach Aktivierung von Kältekanälen kommt es zu folgenden Reaktionen:

  • Schmerzleitende Signale werden abgeschwächt, das Schmerzempfinden deshalb vermindert.
  • Der Transkriptionsfaktor Nrf2 wird aktiviert. Dieses Protein reguliert bestimmte Gene in den Zellen und spielt eine Rolle bei entzündungshemmenden und zellschützenden Prozessen.
  • Durch das Sinken der Gewebetemperatur wird die Durchblutung gedrosselt. Dadurch gelangen weniger entzündungsfördernde Enzyme und Hormone in das Gewebe, Entzündungen werden dadurch gemildert.

Hinweis: Entdeckt wurden die TRP-Kanäle vom US-amerikanischen Sinnesphysiologen Prof. Dr. David Julius. Er hielt dafür im Jahr 2021 den Nobelpreis für Medizin.

Wo kommt Wärme zum Einsatz?

Wärme wird auf zweierlei Weise angewendet. Tradition hat die lokale Therapie, also die direkte Anwendung auf der Haut. Dies geschieht mithilfe von

  • Wärmeflaschen, elektrischen Wärmekissen oder in der Mikrowelle (früher auf dem Ofen) aufgeheizten Kirschkernkissen
  • Rotlicht und Fangopackungen
  • Wärmekompressen oder Wärmepflaster auf chemischer Basis, ohne spezielle Wirkstoffe
  • Wärmepflaster oder Wärmecremes/-salben mit speziellen Wirkstoffen wie Capsaicin, dem Capsaicin-Analogon Nonivamid oder gefäßerweiternden Substanzen (z.B.) Nicoboxil

Eine solche lokale Wärmetherapie ist bei verschiedenen Erkrankungen wirksam. Dazu gehört die Behandlung von Muskelkater und Rückenschmerzen, aber auch die Vorbeugung von nächtlichen Wadenkrämpfen. Ein weiteres Einsatzgebiet lokaler Wärme sind Schmerzen und Krämpfe im Rahmen der Menstruation. Dabei soll die Wärme auf Bauch und Unterleib ähnlich wirksam sein wie Schmerztabletten. Das beruht nicht nur auf einer Beseitigung von Muskelverspannungen. Die Wärme fördert auch die Durchblutung des Beckens. Dadurch werden Körperflüssigkeiten und Blut besser abtransportiert und der Druck auf Nervenbahnen im Becken nimmt ab.

Wärme kann außerdem bei der rheumatoiden Arthritis die Gewebeelastizität verbessern und dadurch die Gelenksteifigkeit reduzieren. Hierbei ist jedoch unbedingt zu beachten, dass Wärme nur in entzündungsfreien Phasen der Erkrankung angewendet wird. Ist die Krankheit aktiv, schadet Wärme. Denn durch die verbesserte Durchblutung wird die Entzündung weiter angetrieben.

Doch nicht nur lokale Wärme hat positive Wirkungen. Wird der ganze Körper in der Sauna aufgeheizt, wird das Herz-Kreislauf-System trainiert. Dadurch lernt der Körper, besser mit Hitze fertig zu werden. Außerdem reagiert er auf zellulärer Ebene schneller auf extreme Reize. Insgesamt werden antioxidative, entzündungshemmende und zellschützende Prozesse angestoßen. Infolgedessen verbessert sich die Funktion der Gefäßinnenhaut und das Risiko für Atemwegsinfekte sinkt.

Für manche Menschen ist Wärme als Therapie allerdings nicht geeignet. Patient*innen mit Diabetes mellitus leiden z. B. häufig an Nerven- oder Durchblutungsstörungen. Sie müssen mit Wärme besonders vorsichtig umgehen: Eine zu heiß befüllte Wärmeflasche kann bei gestörtem Schmerz- oder Temperaturempfinden leicht zu Verbrennungen führen. Gleiches gilt für Menschen, die aufgrund einer anderen Ursache an einer Nervenstörung leiden. Auch das Saunieren wird in einigen Situationen nicht empfohlen. Das gilt für Personen mit instabiler Angina pectoris, fiebriger Erkrankung oder verminderter Schweißbildung, aber auch für Patient*innen nach einem Herzinfarkt.

Hinweis: Wärmepflaster- und cremes mit und ohne pharmakologische Inhaltsstoffe sind in der Apotheke zu haben. Dort erhält man auch eine ausführliche Beratung, welche Form der Wärmeapplikation für die jeweiligen Beschwerden am besten geeignet ist.

Was Kälte alles kann

Die Kältetherapie hat ebenfalls seit je her zahlreiche Einsatzgebiete. Dazu gehören insbesondere

  • Akute Verletzungen wie Zerrungen und Prellungen. Durch die kältebedingte Verringerung der Durchblutung werden Schwellungen und Schmerzen reduziert.
  • Rheumatische Erkrankungen. Kälte führt im akuten, entzündlichen Stadium zu einem Rückgang der entzündlichen Reaktion und zu einer Verminderung von Gelenkschwellungen.
  • Schmerztherapie. Durch Verringerung der Durchblutung wird die Ansammlung von schmerzauslösenden Substanzen im Gewebe vermindert. Außerdem verlangsamt Kälte die Weiterleitung von Schmerzimpulsen entlang der Nervenbahnen.
  • Regeneration beim Sport. Kälteanwendungen können die Intensität und die Dauer von Muskelkater verringern.

Zum Kühlen gibt es neben dem klassischen Eiswürfelbeutel auch Sprays, Eislollys, Kältekompressen und Kühlgele.

Kältespray wird insbesondere bei Sportverletzungen, Prellungen und Verstauchungen eingesetzt. Dazu sprüht man es aus mindestens 20 cm Entfernung auf die Haut. Zu beachten ist dabei, dass zu langes Sprayen zu Erfrierungen führen kann.

Eislollys kommen vor allem bei Sehnenansatzschmerzen und in der Sportmedizin zum Einsatz. Man kann sie mit einem Joghurtbecher, Wasser und einem Holzspatel selbst herstellen. Sie werden mit kreisenden Bewegungen auf dem betroffenen Areal bewegt, wobei das Schmelzwasser kontinuierlich mit einem Handtuch aufzunehmen ist.

Kältekompressen helfen besonders gut bei Insektenstichen, stumpfen Verletzungen, Zahnschmerzen oder akuten Muskel- und Gelenkentzündungen. Es gibt sie als Gelkompressen (oder Cool-Packs), die im Eisfach gelagert und bei Bedarf auf die betroffene Stelle gelegt werden. Chemische Kompressen kühlen, nachdem der Innenbeutel durch Druck zum Platzen gebracht wurde. Für beide Arten gilt: Immer ein Tuch zwischen Haut und Kompresse legen, denn ein direkter Hautkontakt mit der konstanten Kälte kann zu Erfrierungen führen. Außerdem sollte in Intervallen, also nicht permanent gekühlt werden.

Kühlgel mit Menthol oder Alkohol erfrischt müde Füße, Arme und Beine. Es wird auf die Haut aufgetragen und leicht einmassiert. Für Kinder unter sechs Jahren sind solche Kühlgele nicht geeignet, weil sie die empfindliche Haut reizen. Schwangere sollte vor allem mentholhaltige Gele meiden. Das ätherische Öl kann vorzeitige Wehen auslösen.

Eine relativ neue Art der lokalen, also örtlichen Kälteanwendung ist die Kältekappe. Sie soll gegen den durch Chemotherapie ausgelösten Haarausfall helfen. Denn die Chemotherapie wirkt besonders auf Zellen, die sich schnell teilen: und das sind neben den Krebszellen auch die Haarfollikelzellen. Bei dieser vorbeugenden Therapie wird die Kopfhaut während der Chemo mit einer Spezialkappe gekühlt, in der -4° C kalte Flüssigkeit zirkuliert. Die Haarfollikelzellen fahren aufgrund der kältebedingt verringerten Hautdurchblutung ihren Stoffwechsel herunter und sind deshalb weniger anfällig für die Chemotherapeutika. In Studien mit Brustkrebspatientinnen konnte die Kältekappe bei der Hälfte der Frauen den Haarverlust auf weniger als 50% verringern. An einigen Kliniken wird dieses Scalp-Cooling bereits eingesetzt. Unklar ist allerdings noch, ob die herabgekühlte Kopfhaut nicht auch zirkulierende Tumorzellen schützt, die später zu einer Metastasierung führen könnten.

Neben den verschiedenen örtlichen Kälteanwendungen wird auch die Ganzkörper-Kältetherapie immer populärer. Dafür setzt man den Organismus in Kältekammern für wenige Minuten Temperaturen unter -100° C aus. Eine Alternative zu den Kammern ist das Eintauchen des Körpers bis zum Brustbein in 4° C kaltes Wasser. Von dieser Kältebehandlung verspricht man sich den Rückgang von Entzündungen und Schmerzen sowie eine bessere Regeneration nach sportlicher Belastung.

Nachgewiesen sind positive Effekte auf die rheumatoide Arthritis und auf die Fibromyalgie. Daneben soll der Kälteschock auch Psyche und Wohlbefinden verbessern, auf das Immunsystem wirken und das Körperfettgewebe beeinflussen. Wie die Ganzkörperkältetherapie wirkt, ist noch nicht völlig geklärt. Diskutiert werden u.a. die Freisetzung von Noradrenalin, die Abnahme entzündungsfördernder Botenstoffen und die Verlangsamung von Stoffwechselaktivitäten.

Hinweis: Genauso wie die Sauna ist auch die Ganzkörper-Kältetherapie nicht für alle Menschen geeignet. Weil dabei Blutdruck, Herz- und Atemfrequenz steigen, sollten Patient*innen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen vor solchen Kälteanwendungen immer ihre Ärzt*in konsultieren.

Quellen: Esch J, DAZ 2024; 15: 42; Morvilius S, Erfahrungsheilkunde 2022: 3: 153-157

Von: Dr. med. Sonja Kempinski; Bild: mauritius images / FotoHelin / Alamy Stock Photos