Gesundheit heute

Hüftkopfgleiten

Hüftkopfgleiten (Epiphyseolysis capitis femoris): Abgleiten des Hüftkopfs vom Hals des Oberschenkelknochens im Bereich der Wachstumsfuge ohne Einwirkung von Gewalt. Einer von 10.000 Heranwachsenden ist betroffen, meist in der Frühpubertät, Jungen etwas häufiger als Mädchen. Bei der häufigeren Lenta-Form vergeht oft einige Zeit bis zur Diagnose, weil sich die Schmerzen weniger in der Hüfte als in Knie und Oberschenkel bemerkbar machen. Die seltene akute Form ist ein orthopädischer Notfall mit stärksten Schmerzen, oft bricht die Patient*in zusammen und kann nicht mehr laufen.

Eine Operation ist bei beiden Formen unumgänglich. Lässt sich das Hüftgelenk ohne Fehlstellungen korrigieren, ist die Prognose gut. Ansonsten droht ein früher Gelenkverschleiß samt Hüftgelenksarthrose.

Symptome und Leitbeschwerden

  • Belastungsabhängige Schmerzen in der Leiste, im Oberschenkel oder im Knie bei Lenta-Formen
  • Plötzlich auftretende stärkste Schmerzen, Geh- und/oder Steh-Unfähigkeit bei der akuten Form.

Wann in die Arztpraxis

Sofort, bei

  • plötzlichen starken Schmerzen im Hüftbereich und Geh-Unfähigkeit.

In der nächsten Woche, wenn

  • bei Kindern und Jugendlichen wiederholt Schmerzen im Knie, im Oberschenkel oder der Hüfte auftreten.

Die Erkrankung

Der Hüftkopf (Oberschenkelkopf) ist das obere Ende des Oberschenkels. Er sitzt auf dem Oberschenkelhals und bildet zusammen mit der Hüftgelenkspfanne des Beckens das Hüftgelenk. Bei Jugendlichen sind die Knochen noch nicht ausgereift, in den Wachstumsfugen wächst der Knochen noch in die Länge. Eine der Wachstumsfugen befindet sich zwischen Hüftkopf und Schenkelhals. Aus unbekannten Gründen lockert sich das Knochengewebe bei manchen Jugendlichen in dieser Wachstumsfuge mit unterschiedlichen Folgen.

Lenta-Form (Epiphyseolysis capitis femoris lenta). In 75 % der Fälle führen die Auflockerungen in der Wachstumsfuge dazu, dass der Hüftkopf über Wochen und Monate hinweg langsam vom Oberschenkelknochen abgleitet. Die Lenta-Form macht lange Zeit kaum Beschwerden. Oft spüren die betroffenen Jugendlichen nur ein gelegentliches Ziehen in Leiste, Oberschenkel und Knie oder eine rasche Ermüdbarkeit des erkrankten Beins.

Akute Form (Epiphyseolysis capitis femoris acuta). Selten (etwa 10 % der Fälle) löst sich die Wachstumsfuge plötzlich komplett ab und der Hüftkopf trennt sich vom Oberschenkelhals. Die akute Form entsteht meist verletzungsbedingt, kann sich aber auch (z. B. beim Schulsport) auf eine Lenta-Form "aufpfropfen" (Epiphyseolysis capitis femoris acuta ad lentam, 15 % der Fälle). Die plötzlichen Schmerzen sind so stark, dass die Beweglichkeit im Hüftgelenk eingeschränkt ist und sich das Bein kaum mehr belasten lässt.

Ursachen und Risikofaktoren

Die Ursache ist unklar. Vermutet wird ein multifaktorielles Geschehen, wobei folgende Faktoren die Erkrankung begünstigen:

  • Übergewicht
  • Hormonelle Einflüsse (die Erkrankung entwickelt sich v. a. zu Beginn eines pubertären Wachstumsschubs, außerdem tritt sie häufiger bei verzögerter Geschlechtsreifung auf)
  • Genetische Einflüsse.

Komplikationen

Eine schwere Komplikation ist das Absterben des Hüftkopfes (Hüftkopfnekrose). Sie droht, wenn durch das Abgleiten des Hüftkopfs die versorgende Arterie abknickt und der Knochen nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt wird. Manchmal bleibt eine Einschränkung der Beweglichkeit zurück, möglich ist auch die Entwicklung eines Hüftimpingements. Langfristig kommt es oft zu einer Hüftgelenksarthrose. Eine weitere schwerwiegende Komplikation ist die Auflösung des Knorpels im Hüftgelenk, das Waldenström-Syndrom.

Diagnosesicherung

Ein übersehenes Hüftkopfgleiten hat ernste Folgen. Deswegen sollten Jugendliche mit unklaren Beschwerden im Bereich der Hüfte, des Oberschenkels, aber auch des Knies immer eine Ärzt*in aufsuchen.

Körperliche Untersuchung. Zunächst untersucht die Ärzt*in das schmerzende Bein, um die Erkrankung einzugrenzen und um festzustellen, ob die Hüfte betroffen ist. Meist hält die Patient*in das Bein nach außen gedreht und hinkt beim Gehen. Im Liegen lässt sich das gebeugte Bein dann nicht nach einwärts drehen.

Bildgebende Untersuchung. Manchmal ist das Abrutschen des Hüftkopfs schon in einer Ultraschalluntersuchung der Hüfte sichtbar. Entscheidend ist jedoch die Röntgenuntersuchung. Zum Seitenvergleich, aber auch weil in jedem zweiten Fall beide Hüften betroffen sind, werden immer beide Hüften geröntgt. Im Röntgenbild lassen sich dann beispielsweise eine unregelmäßige Wachstumszone und eine Verschiebung des Hüftkopfs erkennen sowie der Abrutschwinkel beurteilen. Im Zweifelsfall klärt auch der Kernspin die Diagnose.

Differenzialdiagnosen. Ähnliche Beschwerden bei Kindern oder Jugendlichen finden sich z. B. bei der Coxitis fugax, dem Morbus Perthes und der schnappenden Hüfte (Coxa saltans).

Behandlung

Die Behandlung ist wegen der drohenden Komplikationen operativ, wobei das Verfahren vom Ausmaß der Verschiebung abhängig ist. Da die Krankheit oft beidseitig auftritt, ist es meist ratsam, auch die gesunde, d. h. noch beschwerdefreie Hüfte zu operieren. Bei den akuten Formen ist bis zur Operation immer Bettruhe angesagt, bei den Lenta-Formen reicht in leichten Fällen die Entlastung mit Gehstützen bis zum Eingriff.

  • Lenta-Form. Bei einer Verschiebung mit einem Abrutschwinkel < 30° fixieren die Ärzt*innen den Hüftkopf mit Schrauben oder Drahtstiften. Ist die Fehlstellung größer (Abrutschwinkel > 30°), wird der Schenkelhals umgestellt, z. B. im Rahmen einer Umstellungsosteotomie nach Imhäuser. Eine Osteotomie bedeutet, dass der betroffene Knochen durchtrennt und dann in der gewünschten Position wieder zusammengefügt und fixiert wird.
  • Akute Form. Sie erfordert eine notfallmäßige Operation innerhalb weniger Stunden, um die Durchblutung zu erhalten. Der abgerutschte Hüftkopf wird wieder eingerichtet (reponiert) und dann verschraubt oder mit Drähten gesichert.

Nach dem Eingriff schonen Gehstützen die Hüfte für 6–12 Wochen. Nach Abschluss des Wachstums wird das eingebrachte Material (Drähte, Schrauben) meist wieder entfernt.

Prognose

Bei rechtzeitiger Operation sind die Heilungsaussichten auch bei weit abgerutschten Hüftköpfen sehr gut. Dennoch lassen sich Spätschäden wie eine Arthrose nicht sicher ausschließen.

Ihre Apotheke empfiehlt

Was Sie selbst tun können

Frühzeitig in die Arztpraxis. Wenn Ihr Kind über Schmerzen in Knie, Oberschenkel oder Hüfte klagt, zögern Sie den Besuch einer Arztpraxis nicht hinaus. Um ein Hüftkkopfgleiten schnell auszuschließen, ist es zudem empfehlenswert, gleich eine Orthopäd*in zu konsultieren.

Von: Dr. med. Martin Schäfer in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualisierung: Dr. med. Sonja Kempinski
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7 Sport-Mythen unter der Lupe

Regelmäßiges Dehnen ist wichtig für den Körper. Ob man es beim Training oder zwischendurch macht, ist unerheblich.

7 Sport-Mythen unter der Lupe

Von Kältespray bis Magnesium

Was bringt Magnesium bei Muskelkrämpfen? Sollte man vor dem Sport präventiv NSAR nehmen? Und wann ist Dehnen sinnvoll? Um Sport und Gesundheit ranken sich viele Mythen. Ein Mediziner spricht Klartext, was davon stimmt.

  • Dehnen ist gesund. Die einen schwören auf Dehnen vor dem Sport, die anderen machen das lieber nach dem Training. Für den Sportmediziner und Orthopäden Dr. Patric Behr ist Dehnen generell sinnvoll und der Zeitpunkt unbedeutend. Wichtig ist nur, dass überhaupt regelmäßig gedehnt wird – ob in Zusammenhang mit einem Training oder zwischendurch ist dabei egal.

  • Magnesium hilft gegen Muskelkrämpfe. Muskelkrämpfe liegen in den meisten Fällen nicht am Magnesiummangel, sagt Dr. Behr. Eher ist der Muskel nicht richtig trainiert oder sogar verkürzt. Zudem können Muskelkrämpfe neurogen getriggert sein – also Beschwerden im Rücken können Muskelkrämpfe im Unterschenkel auslösen. In all diesen Fällen hilft Magnesium nicht. Eine gezielte Zufuhr ist nur in speziellen Fällen sinnvoll, etwa bei hohen Ausdauerleistungen in extremer Hitze.
  • NSAR vor dem Sport steigert die Leistung. Entzündungshemmende Schmerzmittel sollen die Leistungsfähigkeit steigern und Schmerzen kaschieren. Beides ist nicht sinnvoll und sogar kontraproduktiv. Denn durch ein geringeres Schmerzempfinden steigt die Verletzungsgefahr. Besser ist es, zum Schutz des Organismus regenerierende Nahrungsergänzungsmittel einzunehmen. Dr. Behr empfiehlt dafür z. B. Curcumin.
  • Fettverbrennung beginnt erst nach 30 Minuten. Das ist ein Mythos: Denn der Körper verbrennt beim Sport immer Kalorien. Allerdings werden die Fettreserven erst ab einem bestimmten Kalorienverbrauch angezapft. Das kann je nach Verbrauch früher oder später geschehen. Pauschale Zeitangaben machen da keinen Sinn.
  • Aufwärmen senkt das Verletzungsrisiko. Das stimmt. Deshalb ist richtiges Aufwärmen so wichtig. Richtig heißt, dass dabei alle Bewegungsmuster der Sportart vorkommen. Über die Dauer lässt sich streiten, bei einer Stunde Sport geht man von ungefähr 10 Minuten aus. Nicht vergessen werden darf, dass am Ende der Belastung die Verletzungsgefahr wieder steigt. Denn dann lässt die Aufmerksamkeit nach und die Muskeln sind müde. Deshalb sollte man in sein Training immer eine Cool-down-Phase integrieren.
  • Bringen Tapes im Sport etwas? Wissenschaftliche Beweise gibt es für den Nutzen der Tapes nicht. Manche Sportler*innen berichten dennoch, dass sie Schmerzen reduzieren können und die Stabilität verbessern. Wichtig ist allerdings, dass die Tapes richtig angebracht werden.
  • Kälte ist bei Verletzungen sinnvoll. Das ist richtig, weshalb Kälte (Eis) auch ein wichtiger Bestandteil der bekannten PECH-Regel bei geschlossenen Verletzungen ist. Kälte reduziert die Schmerzen und wirkt Schwellungen entgegen. Im Idealfall kühlt man sofort. Besser als Eissprays ist ein Eiswasser-Schwann. Denn Eis-Sprays können zu Verbrennungen auf der Haut führen.

Quelle: medscape

Von: Dr. med. Sonja Kempinski; Bild: mauritius images / Connect Images / Zachary Miller