Gesundheit heute

MCS-Syndrom

MCS-Syndrom (Multiple Chemical Sensitivity, Multiple Chemikalienunverträglichkeit, vielfache Chemikalienüberempfindlichkeit, idiopathische Umwelt-Unverträglichkeit): Chronisches Krankheitsbild unbekannter Ursache mit vielfältigen Beschwerden, die von den Betroffenen auf schädigende Substanzen wie Lösungsmittel, Abgase, Zigarettenrauch oder Duftstoffe in der Umwelt zurückgeführt werden. Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer. Behandelt wird durch das Meiden der Auslöser und psychotherapeutische Unterstützung. Die Prognose ist ungünstig, die Beschwerden können meist nur gelindert, aber nicht geheilt werden.

Leitbeschwerden

  • Augenbrennen, laufende Nase, Juckreiz
  • Müdigkeit, Erschöpfung, Schwäche
  • Kopf- und Gliederschmerzen
  • Kreislaufbeschwerden, z. B. Schwindel
  • Magen-Darm-Störungen wie Übelkeit
  • Atemnot.

Wann in die Arztpraxis

Sofort bei plötzlich auftretender starker Atemnot oder sehr starken Kopfschmerzen mit Schwindel.

In den nächsten Tagen, wenn die beschriebenen Beschwerden sich nach Meidung des vermuteten Auslösers nicht bessern.

Die Erkrankung

Krankheitsentstehung

Auch wenn das öffentliche Interesse zunimmt und inzwischen einige Studien zum MCS-Syndrom veröffentlicht wurden – gesicherte Erkenntnisse über seine Ursachen gibt es bisher kaum. Tendenziell lassen sich alle Theorien dazu einem oder mehreren der folgenden drei Grundfaktoren zuordnen:

  • Expositionstheorie. Eine erhöhte Belastung mit einem oder mehreren Schadstoffen (Initialexposition), die sich nachfolgend über Jahre zur Überempfindlichkeit gegenüber (vielen) weiteren Substanzen auswächst.
  • Vulnerabilitätstheorie. Eine erhöhte Gefährdung für das MCS, die Forschende vor allem bei vorbestehenden anderen chronischen Erkrankungen vermuten. Dazu zählen eine allergische Disposition, Stress-Überempfindlichkeit, Depressionen, Angststörungen und posttraumatische Belastungsstörungen. Dass Frauen hiervon häufiger betroffen sind als Männer, würde ihre deutlich höhere Erkrankungsrate an MCS gegenüber Männern erklären.
  • Psychosomatische Störung. Viele Mediziner sehen das MCS als Ausdruck einer somatoformen Störung. Diese These wird heute zunehmend hinterfragt, MCS-Selbsthilfeorganisationen etwa interpretieren die häufig zu beobachtenden psychischen Auffälligkeiten von MCS-Betroffenen als Folge der MCS, nicht als Ursache. Unbestritten ist aber, dass es eine ausgeprägte Komorbidität von MCS mit psychosomatischen Belastungen gibt.

Die Betroffenen selbst führen ihre Beschwerden auf unterschiedliche Einflussfaktoren aus der Umwelt zurück, etwa

  • Umweltchemikalien (v. a. leichtflüchtige Substanzen, z. B. in Lösungsmitteln, wie Formaldehyd aus Kunststoffen oder Lacken)
  • Schwermetalle (z. B. Amalgamfüllungen)
  • Zusatzstoffe von Nahrungsmitteln
  • eine Besiedlung des Darms mit Hefepilzen (Candida-Infektion)
  • elektromagnetische Felder.
    • Rund ein Fünftel der Betroffenen gibt mehr als 10 beschwerdeauslösende Stoffe an.

      Diagnosesicherung

      Eine Diagnose im eigentlichen Sinne ist schwierig, weil das Krankheitsbild noch so wenig untersucht ist. Bei den Untersuchungen geht es also auch darum, andere (vielleicht gut behandelbare) Krankheiten auszuschließen, etwa N:4571|Allergien. Welche Untersuchungen sinnvoll sind, hängt zudem von den Beschwerden des Betroffenen ab.

      Es gibt aber einige Kriterien, die für das Vorliegen eines MCS-Syndroms sprechen (sog. Konsenskriterien):

      • Die Symptome treten durch erneuten Kontakt mit dem Auslöser immer wieder auf.
      • Die Symptome treten schon bei sehr geringen Konzentrationen auf, die für die gleiche Person in der Vergangenheit unproblematisch waren oder für andere Personen kein Problem sind.
      • Die Symptome lassen nach oder enden, wenn der Kontakt zum Auslöser endet.
      • Die Symptome werden von verschiedenen Stoffen verursacht, die nicht chemisch miteinander verwandt sind.
      • An den Beschwerden sind mehrere Organe oder Organsysteme beteiligt, also z. B. Atemapparat und Magen-Darm-Trakt.
      • Die Symptomatik ist chronisch.
      Differenzialdiagnosen

      Erkrankungen, die ähnliche Beschwerden verursachen, sind beispielsweise verschiedene Allergien und Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Auch das Mastzellaktivierungssyndrom ist möglich, also eine Überaktivität bestimmter Immunzellen, die allergische Reaktionen steuern. Zu den weiteren Differenzialdiagnosen zählen psychosomatische und psychiatrische Erkrankungen.

      Behandlung

      Sind keine behandelbaren anderen Erkrankungen feststellbar, so fußt die Therapie auf drei Säulen:

      • Möglichst konsequentes Ausschalten der schädigenden Umwelteinflüsse (zumindest in der eigenen Wohnung).
      • Unterstützende Psychotherapie für die Bewältigung (Coping) der oft extrem belasteten Lebenssituation der Betroffenen. Infrage kommt zum Beispiel eine Verhaltenstherapie.
      • Eine gute Information über das Krankheitsbild. Eine umfassende Beratung bieten umweltmedizinische Ambulanzen und Gesundheitsämter.

      Die alleinige Einnahme von Psychopharmaka ist unwirksam und wird daher nicht empfohlen.

      Prognose

      Die Prognose der MCS ist ungünstig. Im Verlauf der Erkrankung kommt es meist zu einer Zunahme der Beschwerden. Auch kommen häufig weitere Auslöser hinzu, auf die Betroffene sensibel reagieren.

      Ihre Apotheke empfiehlt

      Was Sie selbst tun können

      Isolieren Sie sich nicht. Erhalten Betroffene wenig Verständnis für ihre Beschwerden im Familien- und Freundeskreis, ziehen sie sich meistens zurück. Die soziale Isolation verstärkt aber den Leidensdruck noch weiter. Suchen Sie gezielt den Kontakt zu Menschen, bei denen Sie Verständnis, Rückhalt und Unterstützung finden. Hierbei können auch Selbsthilfegruppen weiterhelfen.

      Hautpflege. Leiden Sie unter Hautbeschwerden wie Juckreiz und Entzündungen kann eine gezielte Basispflege der Haut die Beschwerden lindern und die Hautbarriere unterstützen. Dies stärkt Ihr Schutzschild und fördert Ihr Wohlbefinden.

      Entspannungstechniken. Eine chronische Erkrankung und das oft unvorhersehbare Risiko, den Auslösern Ihrer Erkrankung zu begegnen, führt zu einer andauernden Stressbelastung. Erlernen Sie gezielte Entspannungstechniken, um diese Belastungen besser zu bewältigen. Bewährt hat sich hierbei z. B. die achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (MBSR für "mindfulness-based stress reduktion").

Von: Dr. med. Arne Schäffler, Dr. med. Nicole Menche in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualisierung: Daniela Grimm
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Helfen Nikotinpflaster bei Long-COVID?

Nikotinpflaster helfen bei der Raucherentwöhnung und womöglich auch gegen Long-COVID-Beschwerden.

Helfen Nikotinpflaster bei Long-COVID?

Kampf gegen die Müdigkeit

Eigentlich wurden Nikotinpflaster für die Raucherentwöhnung entwickelt. Doch offenbar haben sie noch andere Qualitäten: Einer aktuellen Studie zufolge helfen sie auch bei Long COVID – zumindest gegen Müdigkeit und kognitive Einbußen.

Jede Zehnte leidet länger

Bis zu 10 Prozent der COVID-19-Infizierten entwickeln anhaltende Gesundheitsbeeinträchtigungen, die unter dem Begriff Long COVID zusammengefasst werden. Dazu gehören insbesondere Müdigkeit, Kurzatmigkeit und kognitive Funktionsstörungen wie eine schlechtere Konzentration. Zur Behandlung werden Reha-Maßnahmen und psychologische Unterstützung eingesetzt, daneben auch Medikamente wie Antidepressiva, Antihistaminika oder Schmerzmittel.

Auch Nikotinpflaster wurden bezüglich ihrer Wirkung auf Long COVID untersucht. Deutsche Forschende der Universitätsmedizin Leipzig haben dafür Long-COVID-Patient*innen über zehn Tage hinweg mit Nikotinpflastern behandelt. Davor und danach füllten die 231 Studienteilnehmenden einen Fragebogen zu ihrem Befinden aus.

Bei drei Viertel der Betroffenen weniger Beschwerden

Die Nikotinzufuhr über die Haut war effektiv: 73% der Studienteilnehmenden zeigten einen deutlichen Rückgang ihrer Beschwerden und fühlten sich nach der Nikotintherapie deutlich besser, berichtet die Arbeitsgruppe.

Doch wie kommt diese Wirkung zustande? Als Auslöser von Long COVID gelten u.a. Proteine des Coronavirus, die bei der Infektion in die Zellen gelangen. Im Gehirn besetzen sie wichtige Rezeptoren und blockieren dadurch die gesunde Kommunikation im Nervensystem. Dies erkläre sehr gut die neurologischen Long-COVID-Beschwerden wie kognitive Einbußen, Müdigkeit und Stimmungsverschlechterung, sagen die Forschenden.

Doch nicht nur Viruspartikel, auch Nikotinmoleküle binden an die genannten Rezeptoren. Dadurch können sie die Viruspartikel regelrecht verdrängen. Nachweisen lässt sich das mit einem speziellen bildgebenden Verfahren, der PET-CT/MRT. Diese Untersuchung wurde bei einer Teilnehmerin der Studie vor und nach der Nikotintherapie durchgeführt.

Viruspartikel vom Rezeptor verdrängt

In den Aufnahmen vor der Therapie waren die Rezeptoren noch mit Viruspartikeln besetzt. Nach der zehntägigen Behandlung mit Nikotinpflastern ließ sich deutlich erkennen, dass das Nikotinmolekül die Rezeptoren von den viralen Proteinen befreit hatte. In der Folge war wieder eine normale Signalübertragung möglich, was die Beschwerden der Patientin deutlich linderte.

Jetzt gilt es, diese Ergebnisse mit weiteren, größeren Studien zu untermauern. Bis dahin können Betroffene versuchen, ihre Symptome mit einer niedrig dosierten Nikotinpflastertherapie zu lindern. Zur Sicherheit suchen sie dafür am besten vorher ärztlichen Rat.

Aus gesundheitlichen Gründen mit dem Rauchen anzufangen, ist natürlich keine Option, warnen die Forschenden. Die negativen Auswirkungen des Rauchens überwiegen die möglichen positiven Wirkungen des Nikotins bei weitem.

Quellen: ptaheute, Bioelectronic Medicine

Von: Dr. med. Sonja Kempinski; Bild: mauritius images / Science Source / Doug Martin