Gesundheit heute

Verlaufsmodifizierende Therapie der Multiplen Sklerose

Ziel der verlaufsmodifizierenden Therapie ist es, sowohl die Schwere und Häufigkeit der Schübe zu reduzieren als auch die Langzeitprognose zu verbessern. Dabei werden Medikamente eingesetzt, die das Abwehrsystem verändern - und damit die mutmaßliche Ursache der MS bekämpfen. Auch hier sollte möglichst früh mit der Behandlung begonnen werden, bestenfalls schon nach dem ersten Schub.

Zur verlaufsmodifizierenden Therapie der einzelnen MS-Formen sind derzeit mehrere Medikamente zugelassen. Die im Folgenden aufgeführten Wirkstoffe sind in alphabetischer Reihenfolge dargestellt und zeigen innerhalb ihrer Indikationsgruppe keine Überlegenheit gegenüber einer anderen Substanz.

Schubförmig remittierende MS

Milde bzw. moderate Verlaufsform

Medikamente der ersten Wahl:

  • Dimethylfumarat (Tecfidera®): Dimethylfumarat ist ein Wirkstoff aus der Gruppe der Fumarate zur dauerhaften Anwendung. Es wird zweimal täglich als Kapsel mit dem Essen geschluckt. Häufige Nebenwirkungen sind Flush, also eine anfallsweise auftretende Gesichtsrötung, und Verdauungsstörungen. Unter Dimethylfumarat-Therapie verringert sich häufig die Zahl der Lymphozyten, eine Untergruppe der weißen Blutkörperchen, im Blut. Dadurch steigt das Risiko für eine PML (progressive multifokale Leukenzephalopathie), einer lebensbedrohlichen Krankheit des Zentralnervensystems. Um eine PML frühzeitig zu erkennen, wird das Blutbild in regelmäßigen Abständen kontrolliert.
  • Glatirameracetat (Copaxone®, Clift®Copaxone): Der Immunmodulator Glatirameracetat ist ein Eiweißgemisch, das dem Hauptbestandteil der - bei der MS vom körpereigenen Abwehrsystem angegriffenen - Markscheiden ähnelt. Sein genauer Wirkmechanismus ist bis heute ungeklärt. Wahrscheinlich "lenkt" es die Abwehrzellen von den Markscheiden "ab" und lindert so Entzündungen. Glatirameracetat wird vom Patienten selbst unter die Haut gespritzt. Es ist gut verträglich, braucht allerdings einige Monate, bis es voll wirksam ist.
  • Interferone sind körpereigene Botenstoffe des Abwehrsystems mit unterschiedlichen Wirkungen. Die bei der MS-Behandlung eingesetzten Beta-Interferone dämpfen sowohl die wahrscheinlich an der MS-Entstehung beteiligten T-Zellen als auch die abwehrstimulierenden Botenstoffe. In Deutschland sind fünf gentechnisch hergestellte Beta-Interferone (Betaferon®, Extavia®, Avonex®, Rebif® und Plegridy®) zur Behandlung der schubförmig remittierenden MS (und der sekundär progredienten Form mit aufgesetzten Schüben, s. u.) zugelassen, die entweder vom Patienten selbst unter die Haut oder vom Arzt in den Muskel gespritzt werden. Häufige Nebenwirkung sind Hautreaktionen an der Einstichstelle und grippeähnliche Beschwerden, die sich mit der Zeit aber bessern und gut behandelbar sind.
  • Teriflunomid (Aubagio®): Teriflunomid zählt wie Glatirameracetat zu den Immunmodulatoren. Es wird einmal täglich unabhängig von den Mahlzeiten geschluckt. Häufige Nebenwirkungen sind Durchfall, Übelkeit und Haarwachstumsstörungen. Während der Behandlung sollten regelmäßige Kontrollen der Leberwerte erfolgen.

Medikamente der zweiten Wahl

  • Azathioprin (z. B. Imurek®): Azathioprin ist ein sogenanntes Immunsuppressivum, d. h. es unterdrückt die körpereigene Abwehr, die sich bei MS ja gegen den eigenen Körper richtet. Verwendet wird es nur, wenn eine Therapie mit anderen Wirkstoffen nicht möglich ist. Eine weitere Ausnahme besteht, wenn der Patient auf Grund einer Begleiterkrankung bereits mit Azathioprin behandelt wird und sich die MS unter dieser Therapie stabilisiert hat.
  • Intravenöse Immunglobuline (IVIg): Intravenöse Infusionen von Immunglobulinen sind in Einzelfällen in der Schwangerschaft und kurz nach der Geburt möglich, vor allem bei Unverträglichkeit von Alternativen.

(Hoch-)aktive Verlaufsform

Medikamente der ersten Wahl:

  • Cladribin (Mavenclad®): Cladribin zählt zur Wirkstoffgruppe der Zytostatika. Es ist für die Behandlung von erwachsenen Patienten mit hochaktiver schubförmig remittierender MS zugelassen. Bei einem Teil der Patienten reduziert es die Schubrate und verlangsamt den Krankheitsprozess. Da Cladribin das Immunsystem langfristig beeinflusst, muss es nicht täglich eingenommen werden, sondern lediglich über einen Zeitraum von zwei Jahren. Pro Jahr werden zwei Behandlungszyklen im Abstand von einem Monat durchgeführt, in denen die Patienten für vier bis fünf Tage Cladribin-Tabletten erhalten. Häufige Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen sowie eine Abnahme der Lymphozytenzahl im Blut. Diese als Lymphopenie bezeichnete Erniedrigung der Lymphozyten führt zu einer erhöhten Infektanfälligkeit. Außerdem steigt – wie auch unter Einnahme von Dimethylfumarat – das Risiko für eine PML, weshalb in regelmäßigen Abständen das Blutbild kontrolliert werden muss.
  • Fingolimod (Gilenya®): Das Immuntherapeutikum Fingolimod wird meist nur bei hochaktiven Verläufen eingesetzt. In Einzelfällen wird es auch bei milden oder moderaten Verlaufsformen verordnet, wenn Patienten auf die übliche Basistherapie (mit Interferonen, Glatirameracetat, Dimethylfumarat oder Teriflunomid) nicht ansprechen. Fingolimod wird einmal täglich als Hartkapsel eingenommen. Häufige Nebenwirkungen sind das Absinken der Herzfrequenz und Störungen der Herzerregungsleitung. Selten, aber schwerwiegend sind Funktionsstörungen der weißen Blutkörperchen. Beobachtet wurden ferner Fälle von PML sowie von Basalzellkarzinomen. Während der Behandlung wird deshalb eine jährliche medizinische Beurteilung der Haut empfohlen sowie eine mindestens jährliche Blutbildkontrolle.
  • Natalizumab (Tysabri®): Der Wirkstoff Natalizumab ist ein sogenannter monoklonaler Antikörper. Hierbei handelt es sich um im Labor hergestellte Proteine, die sich gegen ganz bestimmte Strukturen im Körper richten. Natalizumab ist für die Therapie hochaktiver, schubförmiger Verläufe zugelassen, falls eine Behandlung mit Beta-Interferonen oder Glatirameracetat keine Wirkung gezeigt hat und im Kernspin mehr als 9 Entzündungsherde nachgewiesen wurden. Es sorgt dafür, dass weniger Abwehrzellen aus den Blutgefäßen in das entzündete Gewebe wandern und dadurch weniger Entzündungsreaktionen auftreten. Es wird einmal monatlich als Kurzinfusion gegeben. Wegen teils ernster Nebenwirkungen wie z. B. Hirn- und Hirnhautentzündungen ist der Einsatz von Natalizumab eng begrenzt.
  • Ocrelizumab (Ocrevus®): Ein weiterer zur Behandlung hochaktiver, schubförmiger MS-Verläufe zugelassener monoklonaler Antikörper ist Ocrelizumab. Darüber hinaus ist es das derzeit einzige verfügbare Medikament zur Behandlung der primär progredienten MS (s. u.). Ocrelizumab wird über intravenöse Infusionen verabreicht, zunächst in zwei Einzeldosen im Abstand von 14. Tagen und danach alle sechs Monate. Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen Hautreaktionen an der Einstichstelle und grippeähnliche Beschwerden. Vor Therapiebeginn und während der Behandlung sollten regelmäßige Kontrollen des Blutbilds erfolgen.

Medikamente der zweiten Wahl:

  • Alemtuzumab (Lemtrada®): Der monoklonale Antikörper Alemtuzumab wird aufgrund von Berichten über teils schwerwiegende Nebenwirkungen bis auf weiteres nur noch in Ausnahmefällen und als Mittel der zweiten Wahl eingesetzt (Stand April 2019)
  • Mitoxantron (Novantron®, Ralenova®): Auch das Zytostatikum Mitoxantron wird nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen verordnet, und ist in der Regel kein Medikament der 1. Wahl. Eingesetzt wird es zusätzlich bei der sekundär progredienten MS (siehe unten). Mitoxantron wird üblicherweise alle drei Monate über eine intravenöse Infusion verabreicht, in besonders schweren Fällen können auch weitere Infusionen notwendig sein. Häufige Nebenwirkungen sind eine erhöhte Anfälligkeit für Infektionen (v. a. Atemwegs- und Harnwegsinfektionen), Übelkeit, Magenschmerzen und Verdauungsstörungen. In seltenen Fällen treten Herzrhythmusstörungen und Herzmuskelschwäche auf. Deshalb sollten vor und während der Therapie Untersuchungen des Herzens mittels EKG und Echokardiografie sowie Röntgenuntersuchungen der Lunge durchgeführt werden.

Sekundär progrediente MS

Mit aufgesetzten Schüben:

  • Beta-Interferone (siehe weiter oben)
  • Mitoxantron (siehe weiter oben)

Ohne aufgesetzte Schübe:

  • Mitoxantron (siehe weiter oben)

Primär progrediente MS

  • Ocrelizumab ist der bislang einzige verfügbare Wirkstoff zur Behandlung der primär progredienten MS. Bei einem Teil der Patienten verlangsamt es das Fortschreiten der Beschwerden. Es ist allerdings nur im Frühstadium der Erkrankung zugelassen.

Weiterführende Informationen

  • www.leitlinien.net – Unter der Stichwortsuche finden Sie zum Begriff Multiple Sklerose die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zur Diagnostik und Therapie.
  • www.dmsg.de – Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft, Bundesverband e. V., Hannover: Internetseite der größten deutschen MS-Fachgesellschaft, in der Betroffene über Patientenbeiräte organisiert sind.
  • www.kompetenznetz-multiplesklerose.de – Das Kompetenz Netz Multiple Sklerose erstellt in Abstimmung mit der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, der MS-Leitliniengruppe und dem ärztlichen Beirat der DMSG Therapiehandbücher. Hier wird für jedes Medikament auf erforderliche Sicherheitskontrollen, Gegenanzeigen und praktisches Vorgehen bei Therapieumstellung eingegangen.
  • G. Krämer; R. Besser: Multiple Sklerose – Antwort auf die häufigsten Fragen. Trias, 2006. Faktenreicher fachärztlicher Ratgeber mit umfangreichen Informationen und Tipps, Alltag und Erkrankung zu meistern. Hilfreiche Erstinformationen für Betroffene, Angehörige und Interessierte.
  • www.multiple-sklerose-e-v.de – Initiative Selbsthilfe Multiple Sklerose Kranker e.V.: Hier finden MS-Betroffene Informationen zu Therapien, Akut- und Reha-Kliniken, den Umgang mit Behörden und Institutionen.

Von: Dr. med. Nicole Menche in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualisierung der Sektionen: Christian Pirzer.
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Restless Legs zur Ruhe bringen

Frauen leiden häufiger unter Restless Legs als Männer.

Restless Legs zur Ruhe bringen

Eisen oder Dopaminagonist?

Wenn Restless Legs den Schlaf rauben, ist guter Rat oft teuer. Lebensstiländerungen können helfen, reichen aber bei ausgeprägten Beschwerden nicht aus. Zur Wahl stehen dann Eisen, Antiepileptika oder Dopaminagonisten.

Bis zu 10 % der Bevölkerung betroffen

Restless Legs (RLS) sind eine chronische neurologische Erkrankung, bei der es in Ruhe zu einem starken Stechen, Kribbeln oder Schmerzen in den Beinen kommt. Diese unangenehmen Gefühle lösen bei den Betroffenen einen Bewegungsdrang aus (restless legs = ruhelose Beine), mit dem sich die Beschwerden kurzfristig lindern lassen. Weil Restless Legs sich vor allem nachts und in Ruhephasen bemerkbar machen, stören sie den Schlaf der Betroffenen meist erheblich.

Bis zu 10% der Bevölkerung sollen vom RLS betroffen sein, Frauen in der Regel häufiger als Männer. In leichten Fällen können nicht-medikamentöse Maßnahmen wie moderater Ausdauersport, Wechselduschen und eine gute Schlafhygiene helfen. Außerdem soll man abends auf Kaffee, Alkohol und Rauchen verzichten – diese Genussmittel gelten als mögliche Auslöser der Beschwerden.

Eisenmangel korrigieren

Hat die Betroffene einen erniedrigten Eisenspiegel (gemessen an den Ferritinwerten im Blut), steht als erste Maßnahme die Gabe von Eisen an. Liegt ein Eisenmangel vor, bessern sich die Beschwerden nach einem Ausgleich häufig. Die Eisengabe kann durch Tabletten oder intravenös erfolgen. Die Verabreichung über die Vene wird vor allem bei einem starken Eisenmangel bevorzugt.

Reicht das nicht aus, werden ein Dopaminagonist oder ein Antiepileptikum (z. B. Gabapentinoid) verordnet. Bei effektiver Therapie erfolgt dann eine Langzeitbehandlung mit diesen Wirkstoffen. Bleiben die Beschwerden bestehen, sind Opioide als Monotherapie oder kombiniert mit einem Dopaminagonisten eine Option.

Dopaminagonisten nur mit Fingerspitzengefühl

Dopaminagonisten können allerdings eine Reihe von Nebenwirkungen hervorrufen. Typisch ist, dass sie nach einigen Monaten der Anwendung die Beschwerden häufig verstärken. Dies droht vor allem, wenn sie hoch dosiert werden – wie es in den USA häufig geschieht. Dort wurden die Leitlinien inzwischen geändert: Als Erstlinientherapie bei schwerem RLS wird die intravenöse Eisenbehandlung, gefolgt von Antiepileptika, empfohlen.

In Deutschland gehören beim schweren RLS weiterhin Dopaminagonisten zur ersten Wahl. Betont werden aber entsprechende Vorsichtsmaßnahmen: 

  • Die Dosierung soll so gering wie möglich gehalten werden und die jeweilige Maximaldosis nicht übersteigen. 
  • Der Verlauf soll engmaschig kontrolliert werden, um eine dopaminverursachte Verschlechterung nicht zu übersehen.
  • Dopaminagonisten sollen nicht kombiniert werden.

Quellen: Leitlinien Restless Legs, Medscape

Von: Dr. med. Sonja Kempinski; Bild: mauritius images / Andriy Popov / Alamy / Alamy Stock Photos