Gesundheit heute

Kinderlähmung

Kinderlähmung (Poliomyelitis oder kurz Polio): Durch Polioviren hervorgerufene, ansteckende Infektionskrankheit, die überwiegend im Kindesalter auftritt. Die Kinder sind ansteckend ab dem Ausbruch der Erkrankung bis keine Erreger mehr in den Ausscheidungen nachweisbar sind. Durch konsequentes Impfen ist Europa seit 2002 offiziell poliofrei. Seit 2010 traten jedoch in Europa erneut Polio-Fälle auf. Hierbei handelte es sich insbesondere um importierte Erkrankungen aus Risikogebieten.

Meistens zeigen erkrankte Kinder keine Symptome oder lediglich grippeähnliche Beschwerden. Gefürchtet sind die zwar seltenen, aber schweren Verlaufsformen: In diesen Fällen kommt es zu nur teils reversiblen Lähmungen, meist der Beine. Ist die Atemmuskulatur betroffen, droht Ersticken und es muss künstlich beatmet werden. Da es keine spezifische Therapie gegen die Viren gibt, wird nur symptomatisch behandelt, z. B. mit Schmerzmitteln.

Symptome und Leitbeschwerden

  • Häufig symptomlos oder nur leichte, grippeähnliche Beschwerden
  • Uncharakteristisches Vorstadium mit Fieber und grippeähnlichen Beschwerden wie Durchfall oder Erbrechen über wenige Tage
  • Kurzzeitige Besserung
  • Dann erneuter Fieberanstieg auf ca. 39° C mit Kopf , Muskel- und Rückenschmerzen
  • Im weiteren Verlauf steifer Nacken, asymmetrische Lähmungen mit schlaffer Muskulatur und Lichtempfindlichkeit
  • Evtl. Zittern, Schluck- und Atembeschwerden.

Wann in die Kinderarztpraxis

Sofort, wenn

  • Ihr Kind bei einem bestehenden Infekt unter einem steifen Nacken oder Lähmungen leidet
  • Ihr Kind beim Aufsetzen den Kopf nicht mehr selbstständig halten kann
  • Ihr Kind Probleme beim Atmen hat.

Die Erkrankung

Krankheitsentstehung/Übertragung

Das Poliovirus ist ein Darmvirus (Enterovirus), das über den Kot ausgeschieden wird. In der Regel erfolgt eine Infektion, wenn die ausgeschiedenen Bakterien in den Mund gelangen, z. B. über kontaminiertes Trinkwasser, Nahrungsmittel oder die Hände. Ein solcher Infektionsweg heißt auch "fäkal-orale Übertragung". Schlechte hygienische und sanitäre Zustände – wie sie z. B. in ärmeren Ländern vorkommen – fördern die Ausbreitung der Kinderlähmung.

Wichtig zu wissen ist, dass es drei verschiedene Poliomyelitis-Virustypen gibt. Wer die Erkrankung durchgemacht hat, kann sich also trotzdem mit einem der beiden anderen Typen infizieren. Einen umfassenden Schutz bietet ausschließlich die Impfung.

In der Frühphase der Infektion, also innerhalb der ersten 36 Stunden, werden die Polioviren gelegentlich auch durch eine Tröpfcheninfektion übertragen. Dabei werden die Viren der Erkrankten beim Husten, Niesen oder Sprechen in die Luft geschleudert und von der Gesunden aufgenommen.

Verlauf

Bei über 90 % der Infizierten verläuft die Infektion beschwerdefrei und unbemerkt. Bei rund 5 % entwickeln sich grippeähnliche Beschwerden. Nur ungefähr 1 % bekommt eine Hirnhautentzündung oder Lähmungen, die durch direkte Schädigung der Nervenzellen bedingt sind. Je älter das Kind ist, desto höher ist das Risiko schwerer Verläufe.

Bei der Infektion besiedeln die Poliomyelitis-Viren zuerst den Rachenraum und wandern dann in den Magen-Darm-Trakt. Aus dem Darm werden die Viren in das Blut der Infizierten befördert. Von dort aus gelangen sie in seltenen Fällen in das zentrale Nervensystem, insbesondere in Stamm- und Mittelhirn. Bei der Poliomyelitis ohne Lähmungen (nicht-paralytische Poliomyelitis) löst die Infektion eine Hirnhautentzündung aus. Die Kinder haben hohes Fieber, leiden an Nackensteifigkeit und Schwäche der Halsmuskulatur. In seltenen Fällen kommt es zu einer Poliomyelitis mit Lähmungserscheinungen (paralytische Poliomyelitis). Betroffene Kinder klagen über starken Muskelschmerzen. Innerhalb von Stunden entwickeln sich schlaffe Muskellähmungen, insbesondere der Beinmuskulatur und zumeist einseitig am Oberschenkel. Selten steigen die Lähmungen im Körper auf und führen zu Schluckstörungen und Atemlähmungen. Die Lähmungen heilen innerhalb eines Jahres ab, meist bleiben jedoch Schäden zurück, z. B. Skelett- und Gelenkveränderungen wie ein Klumpfuß oder eine Skoliose.

Komplikationen

Ungefähr ein Drittel bis die Hälfte der Erkrankten entwickelt etwa 10 bis 40 Jahre nach der Erkrankung ein Post-Polio-Syndrom. Dabei handelt es sich um Muskelschmerzen und -lähmungen, die durch "Überforderung" der übrig gebliebenen Nervenzellen erklärt werden. Betroffene leiden zudem unter schneller Ermüdbarkeit und geringer Belastbarkeit. In Deutschland sind etwa 50.000–60.000 Menschen vom Post-Polio-Syndrom betroffen.

Diagnosesicherung

Stuhlprobe oder Abstrich. Die Ärzt*in weist das Virus in einem Rachenabstrich oder im Stuhl nach. Als Schnelltest eignen sich auch PCR-Untersuchungen, da die Anzucht der Viren in speziellen Agars bis zu 14 Tage dauert.

Lumbalpunktion. Meist entnimmt die Ärzt*in zusätzlich Rückenmarksflüssigkeit (Liquor) aus dem Bereich der Lendenwirbelsäule (sog. Lumbalpunktion). Auch hier lassen sich die Polioviren nachweisen.

Behandlung

Gegen das Virus selbst gibt es keine Medikamente. Um die Beschwerden zu lindern, erhalten die Kinder Schmerzmittel und fiebersenkende Medikamente. Entscheidend ist, dass sich die kleinen Patient*innen an die verordnete Bettruhe halten. Anstrengung erhöht nämlich die Wahrscheinlichkeit, dass Lähmungen auftreten. Außerdem müssen die Kinder im Krankenhaus überwacht werden. In schweren Fällen wird das Kind auf der Intensivstation beatmet, um die Zeit bis zur Rückbildung der Lähmungen zu überbrücken.

Schon früh wird mit regelmäßiger Krankengymnastik (Physiotherapie) und Ergotherapie begonnen. Regelmäßiges, oft jahrelanges Beüben der Muskulatur bessert die verbliebenen Schäden.

Ihre Apotheke empfiehlt

Prävention

Polio-Impfung. Gegen Polio gibt es keine Medikamente, deswegen gilt: Lassen Sie Ihr Kind unbedingt impfen! Denn nur so bleiben die Infektionszahlen dauerhaft niedrig. Machen Sie sich bewusst, dass die Krankheit in vielen außereuropäischen Reisezielen durchaus noch verbreitet ist. Für alle Säuglinge, Kinder und Jugendliche wird die Polio-Impfung routinemäßig empfohlen. In der Regel wird sie kombiniert mit anderen Impfungen wie Tetanus und Keuchhusten (= DTP-Dreifachimpfung gegen Diphtherie, Tetanus und Pertussis = Keuchhusten). Diese erste Impfserie zur Grundimmunisierung führt die Kinderärzt*in üblicherweise zwischen dem 2. und 11.–14. Lebensmonat durch. Im Alter von 9–17 Jahren erfolgt eine ein- oder besser zweimalige Auffrischung. Bis zur vollständigen Grundimmunisierung sind 2–4 Impfungen erforderlich. Personen mit fehlender oder unvollständiger Grundimmunisierung sollen diese nachholen.

Personen über 18 Jahren wird keine routinemäßige Auffrischung empfohlen. Lediglich vor Reisen in Endemiegebiete oder bei möglicher beruflicher Exposition (beispielsweise beim Arbeiten im medizinischen Bereich) rät die Ständige Impfkommission allen Erwachsenen, ihren Impfschutz zu überprüfen. Liegt die letzte Impfung mehr als 10 Jahre zurück, ist eine einmalige Auffrischimpfung in Betracht zu ziehen.

Von: Dr. med. Herbert Renz-Polster, Dr. med. Nicole Menche, Dr. med. Arne Schäffler in: Gesundheit für Kinder, Kösel, München, 8. Auflage (2015). Überarbeitung: Dagmar Fernholz, Bettina Bobinger
Zurück
Kind bezahlt mit späterer Krankheit

Wer seinem Baby Gutes tun möchte, beschränkt seinen Zuckerkonsum in der Schwangerschaft.

Kind bezahlt mit späterer Krankheit

Zuviel Zucker in der Schwangerschaft

Die Zeit von der Empfängnis bis zum zweiten Geburtstag ist entscheidend für die gesunde Entwicklung eines Kindes. Erhält es währenddessen zu hohe Mengen Zucker, drohen später Typ-2-Diabetes und Bluthochdruck.

Rationierung nach dem 2. Weltkrieg

Die ersten 1000 Tage im Leben eines Kindes gelten als eine ganz besonders sensible Phase für die gesundheitliche Entwicklung eines Kindes. Das ist zwar schon lange bekannt, wird aber zu selten beachtet. Eine aktuelle britische Studie untermauert nun eindrucksvoll, wie schwerwiegend die Folgen schlechter Ernährung in diesem Zeitraum sind.

Untersucht wurden darin Personen, die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in Großbritannien geboren worden waren. In dieser Zeit gab es dort eine staatliche Zuckerrationierung. Für Erwachsene – also auch für werdende Mütter – waren täglich maximal 40 g Zucker erlaubt.

Seltener Diabetes und Hochdruck

Das hatte positive Folgen für die Gesundheit: Die Kinder, die dadurch als Ungeborene weniger Zucker aufgenommen hatten, entwickelten im Erwachsenenalter deutlich seltener einen Typ-2-Diabetes oder einen Bluthochdruck als die Menschen, die der Rationierung nicht ausgesetzt waren, berichtet die Ernährungswissenschaftlerin Prof. Sandra Hummel.

Noch deutlicher wurde der schützende Effekt, wenn der Zuckerkonsum sowohl in der Schwangerschaft als auch in den ersten Lebensmonaten geringgehalten wurde. Diese Phase überschneidet sich mit der Einführung der Beikost und gilt als besonders sensibel. In den ersten sechs Lebensmonaten sollten Babys idealerweise überhaupt keinen zugesetzten Zucker bekommen, betonte die Expertin.

Nicht mehr als 15 bis 25 g Zucker am Tag

Auch später gilt es, den Zuckerkonsum zu bremsen. So wie Erwachsene sollten auch Kinder maximal 10% ihres Energiebedarfs als Zucker aufnehmen. Das sind je nach Alter, Geschlecht und Kalorienbedarf maximal 15 bis 25 g am Tag. Die Realität sind anders aus: Im Durchschnitt nehmen Kinder doppelt so viel Zucker zu sich, mahnte die Expertin.

Kinder müssen vor zu viel Zucker geschützt werden, fordern verschiedene Fachgesellschaften. Es ist dringend geboten, zuckerreiche Lebensmittel gezielt zu besteuern und die Werbung für ungesunde Kinderprodukte zu verbieten. „Zucker darf nicht länger ein günstiger Füllstoff für Kinderlebensmittel sein. Wir brauchen gesetzliche Vorgaben, die die Gesundheit der nächsten Generation schützen“, betont Hummel.

Quelle: Pressemeldung DDG und DGE

Von: Dr. med. Sonja Kempinski; Bild: mauritius images / Ambrozinio / Alamy / Alamy Stock Photos