Gesundheit heute

Natürlich heilen, aber wie?

Mehr als hundert verschiedene Naturheilverfahren werden heute im deutschen Sprachraum angewendet. Diese Methoden nutzen in der Natur vorhandene Stoffe oder Kräfte zu Heilzwecken, also z. B. Pflanzen, Nahrungsmittel, Mineralien, Wärme, Licht, Wind, Magnetismus, Körperkraft oder Berührung.

Ursprünglich stützten sich Ärzte vor allem auf Wasserbehandlungen, Wärme- und Kältetherapie, Atemtherapie, Bewegungstherapie, Pflanzenheilkunde und die auf eine gesunde Lebensführung abzielende Ordnungstherapie. Diese Verfahren werden deshalb manchmal auch als klassische Naturheilverfahren bezeichnet.

Während manche Naturheilverfahren Eingang in die an Universitäten gelehrte Schulmedizin gefunden haben – das gilt z. B. für viele physikalische Verfahren und für Teile der Phytotherapie (Pflanzenheilkunde) – werden andere von der Schulmedizin abgelehnt, wie z. B. die klassische Homöopathie.

Die am Rande oder außerhalb der Schulmedizin praktizierten Verfahren werden zusammenfassend oft als Alternativmedizin bezeichnet. Allerdings haben längst nicht alle von der Schulmedizin abgelehnten Verfahren den Anspruch, die Schulmedizin zu ersetzen. Stattdessen verstehen sie sich eher als eine Ergänzung zur konventionellen Medizin. Viele Vertreter der Naturheilverfahren bevorzugen deshalb den Begriff der Komplementärmedizin (ergänzende Medizin).

Die Schulmedizin macht in jüngster Zeit Anstrengungen, die Naturheilverfahren wissenschaftlich zu prüfen und integriert komplementärmedizinische Verfahren zunehmend in ihre Behandlungspläne. Die so entstehende integrative Medizin verbindet sozusagen beide Welten.

Die komplementäre Medizin ist in den letzten Jahrzehnten in allen Industrieländern ungeheuer populär geworden. Mehr als 50 % der Patient*innen nutzen sie regelmäßig – mit regional stark unterschiedlichen Präferenzen. So ist die hierzulande sehr breit genutzte Homöopathie in den USA nur wenig bekannt, während sich dort dafür Osteopathie, Chiropraktik und naturopathic medicine (ein eigenes System aus Lebens- und Ernährungsregeln sowie bestimmten traditionellen Diagnose- und Therapietechniken) fest etabliert haben.

Durch ihre Popularität werden Naturheilverfahren allerdings auch zunehmend zum Zielobjekt renditesüchtiger Strategen: Die Anti-Aging-Medizin bedient sich zahlreicher, angeblich natürlicher Heilmittel, und auch die Zeitschriften- und Buchverlage unterstützen mit unzähligen Veröffentlichungen diesen Trend – man denke nur an über Nacht populär gewordene Methoden wie Eigenurintherapie, Apfelessig oder die Blutgruppendiät. Mehr zu den Grundlagen der Anti-Aging-Medizin erfahren Sie unter Theorie der Lebensgeschichte.

Verhältnismäßigkeit der Mittel

Auch sanfte Therapien können einschneidend sein. Leider begegnen einem auch in der Naturheilkunde immer wieder Fälle, in denen mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird. Therapeut*innen, die einerseits ein Antibiotikum für eine Mittelohrentzündung als zu „eingreifend“ bewerten, scheuen andererseits – in bester Absicht! – nicht davor zurück, ihren Patient*innen z. B. ausgefallene Diätpläne oder monatelange „Umstimmungstherapien“ zu verordnen.

Prüfen Sie deshalb vor jeder Therapie auch die Verhältnismäßigkeit der Mittel. Genauso wie man bei leichten Schmerzen nicht sofort ein Schmerzmittel einsetzt, müssen bei einer Schramme oder einem Mückenstich nicht immer gleich „die Kügelchen“ gezückt oder eine Akupressursitzung durchgeführt werden. Vertrauen Sie auch einmal auf die Natur – wäre der Körper nicht auf die normalen Belastungen des Alltags vorbereitet, wäre der Mensch schon vor vielen Generationen ausgestorben.

Weiterführende Informationen

  • www.nlm.nih.gov/medlineplus/alternativemedicine.html – Englischsprachige Internetseite der National Library of Medicine und der National Institutes of Health (USA): Mit vielfältigen Patienteninformationen zum Thema Komplementärmedizin.
  • www.kokonat.eu/start – Internetseite des Zentrums für naturheilkundliche Forschung der Technischen Universität München
  • E. Ernst: Praxis Naturheilverfahren. Springer, 2005. Fachlich fundierter Ratgeber, liefert einen ausführlichen Überblick über die evidenzbasierte Wirksamkeit von 64 naturheilkundlichen Diagnose- und Therapieverfahren.

Weiterlesen:

  • Die Wurzeln der Komplementärmedizin
  • Wirkungsweise der Komplementärmedizin
  • Unspezifische Wirkungen- wie sie sich erklären lassen
  • Naturheilverfahren realistisch nutzen
  • Naturheilverfahren in den Medien

Von: Dr. med. Herbert Renz-Polster in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014).
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Akupressur bei Regelschmerzen

Selbstakupressur per App

Hilft Akupressur Frauen, die unter Regelschmerzen leiden? Und ist eine Smartphone-App mit Anleitung zur Selbsthilfe ein attraktiver Ansatz für Betroffene? Diesen Fragen ist ein Forscherteam der Charité Berlin nachgegangen.

Weniger Schmerzen nach Akupressur

Viele Frauen leiden jeden Monat an Schmerzen während der Periode. Krämpfe im Unterbauch, Kopf- und Rückenschmerzen zählen zu den Hauptbeschwerden.
Das Forscherteam wollte herausfinden, ob sich die Beschwerden bei jungen Frauen mit starken Regelschmerzen durch die Selbstakupressur nachhaltiger reduzieren lassen als durch Einnahme von Schmerztabletten oder durch hormonelle Kontrazeptiva. Akupressur ist ein Verfahren aus der Traditionellen Chinesischen Medizin, das die Frauen selbst zu Hause durchführen können. Dabei drücken oder massieren sie bestimmte Punkte am Körper.
Die Forscher teilten die Teilnehmerinnen in zwei Studiengruppen ein: Beide Gruppen erhielten eine Studien-App zur Erhebung relevanter Daten. Nur die Interventionsgruppe bekam eine App-Version, die zur Selbstakupressur kurz vor und während der Menstruation anleitete.

Jede dritte Frau, die auf der App die Punkte für eine Selbstakupressur in Form von Bildern sah, erreichte nach drei Monaten eine fünfzigprozentige Schmerzminderung. Nach einem halben Jahr beschrieben mehr als die Hälfte der Frauen eine Schmerzminderung. In der Kontrollgruppe waren es zu beiden Zeitpunkten nur rund jede vierte Teilnehmerin. Außerdem benötigte die Akupressurgruppe weniger Schmerztabletten als die Frauen in der Kontrollgruppe.

Kombination aus Traditioneller Chinesischer Medizin und neuester Technik

Die Forscher sind überzeugt, dass die App den Frauen geholfen hat, eine einfache Selbstakupressur von drei Akupunkturpunkten durchzuführen und ihre Regelschmerzen deutlich zu reduzieren.

Quelle: Charité – Universitätsmedizin Berlin

Weiterführende Informationen: Die App Luna wurde für iOS kürzlich inhaltlich und technisch aktualisiert und ist kostenlos im App-Store erhältlich.

Von: Simone Lang