Gesundheit heute

Wie Hunger und Sättigung funktionieren

Früher dachte man, sobald der Magen leer sei, beginne er sich zusammenzuziehen und löse das Hungergefühl aus. Heute weiß man, dass die Sache komplizierter ist: Wann wir Hunger bekommen, hat nicht nur etwas mit dem Magen, sondern auch mit unserem Zellstoffwechsel und mit Signalen aus unserem Gehirn zu tun. Allerdings: Wie diese genau funktionieren, ist erst in Anfängen bekannt.

Bekannt ist, dass Hunger und Sättigung durch eine bestimmte Region im Gehirn, den Hypothalamus, vermittelt werden. Hier arbeiten zwei Zentren, Hungerzentrum und Sättigungszentrum. Diese Zentren geben Hormone ins Blut ab, die entweder Nahrungsaufnahme oder einen Essstopp veranlassen: Das Hungerzentrum schüttet die „Hungerhormone“ Neuropeptid Y, Agouti Related Peptide (AGRP) und Melanin Concentrating Hormone (MCH) sowie cannabisähnliche Hormone (Endocannaboide) aus. Das Sättigungszentrum arbeitet vor allem mit den „Sättigungshormonen“ Propiomelanocortin (Alpha-MSH), CART und Serotonin. Wie stark das Hungerzentrum und das Sättigungszentrum arbeiten, hängt von Signalen aus dem Körper ab: Ein abfallender Blutzuckerspiegel meldet Hunger, während das bei hohem Blutzuckerspiegel vermehrt ausgeschüttete Insulin das Sättigungszentrum aktiviert. Auch bestimmte Aminosäuren (etwa Tryptophan) und Fettsäuren aus der Nahrung schicken Signale an das Hunger- bzw. Sättigungszentrum.

Auch Signale aus dem Magen-Darm-Trakt spielen eine Rolle: Durch die Dehnung des Magens werden bestimmte Hormone an der Magenwand ausgeschüttet (wie etwa das Glucagon Like Peptide 1) und stimulieren das Sättigungszentrum – was durchaus unserer Alltagserfahrung entspricht: Ist der Magen voll, so fühlen wir uns satt. Sättigungssignale werden aber auch von den tieferen Darmabschnitten ausgesendet, und zwar vor allem dann, wenn Fett verdaut wird – hier ist z. B. das Hormon Cholezystokinin (CCK) beteiligt. Dass fetthaltige Mahlzeiten besser sättigen, hat also mehrere Gründe: Zum einen hemmt Fett die Magenentleerung – der Magen bleibt länger voll. Zum anderen werden bei der Fettverdauung starke Sättigungssignale an das Gehirn geschickt.

Wie stark die Hunger- bzw. Sättigungssignale jeweils wirken, wird aber auch vom Fettgewebe beeinflusst, insbesondere davon, wie viel Fett in den Fettzellen gesammelt ist. Hier spielen die Hormone Ghrelin (Growth Hormone Release Inducing), Amylin und Leptin und auch Insulin eine wichtige Rolle. Die Signale aus dem Fettgewebe scheinen dabei vor allem darauf zu zielen, die Fettmasse zu verteidigen: Wenn die Fettzellen Fett abgeben, wird der Appetit stark angeregt – bitterer Hunger plagt uns deshalb paradoxerweise auch dann, wenn wir mehrere hunderttausend Kalorien Speckreserven an den Hüften tragen.

Es gibt Hinweise, dass Hunger und Sättigung auch genetisch beeinflusst sind – nach der Set-point-Theorie orientieren sich Hunger und Sättigung auch an einem für jeden Menschen unterschiedlichen Idealgewicht. Zudem spielt der Geschmack der Nahrung eine erhebliche Rolle: Mit einer geschmacklich eintönigen Nahrung bleiben Ratten schlank. Wenn sie sich an wohlschmeckender Nahrung bedienen dürfen, nehmen sie zu. Und das gilt auch für Menschen, denn Essen ist nicht nur Nahrungsaufnahme, sondern auch ein Genuss.

Wie wichtig beim Essen Signale aus der Umwelt sind, zeigt das folgende Experiment: Wird ein manipulierter Suppenteller beim Essen unbemerkt über ein mit dem Tellerboden verbundenes Schlauchsystem nachgefüllt, essen die Teilnehmer des Experiments im Schnitt 73 % mehr Suppe. Diese Tendenz, fertig zu essen, hat evolutionsbiologisch betrachtet einen Sinn – gute Gelegenheiten galt es unter den knappen Bedingungen der menschlichen Vorgeschichte voll und ganz auszuschlachten. Schon 5-jährige Kinder essen nach der Maxime: jetzt oder nie. Bei großen Portionsgrößen essen sie bis zu dreimal mehr!

„Nach Angebot“ zu essen ist unter heutigen Bedingungen ein großes Problem. Man schätzt, dass der Mensch in seinem evolutionären Umfeld auf eine Energiedichte von etwa 107 kcal pro 100 g Nahrung eingestellt war – ein Hamburger bei McDonald’s hat aber 287 kcal pro 100 g! Konkret heißt das: Wir müssen – entgegen unserer evolutionären Voreinstellung – lernen, einen Teller auch einmal stehen zu lassen, wenn wir uns satt fühlen!

Von: Dr. med. Herbert Renz-Polster in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014).
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Helfen Vitamine dem Gehirn?

Zum Fithalten der grauen Zellen empfehlen Experten vor allem tägliches Gehirnjogging - z.B. mit Kreuzworträtseln.

Helfen Vitamine dem Gehirn?

Wenn graue Zellen altern

Mit dem Alter verändert sich nicht nur der Körper. Auch die Leistung des Gehirns nimmt Schritt für Schritt ab. Multivitaminpräparate sollen dabei helfen, diese kognitiven Verluste zu verlangsamen.

Informationen werden langsamer verarbeitet

Älterwerden schlägt auch aufs Gehirn: Ab etwa 60 Jahren verarbeitet es neue Informationen langsamer, und Gedächtnislücken treten häufiger auf – das ist ganz normal. Ob die Einnahme von Multivitaminpräparaten dem Gedächtnisverlust entgegenwirkt, wurde in einer mehrteiligen US-amerikanischen Studie geprüft.

Mehr als 5000 Erwachsene nahmen dafür über zwei bis drei Jahre hinweg täglich entweder ein Präparat aus 20 essenziellen Mikronährstoffen oder ein Scheinmedikament ein. Schon in den ersten beiden Vorstudien ließen sich positive Effekte auf die Kognition erkennen – die Hirnleistungstest waren jedoch nur am Telefon und am PC durchgeführt worden.

Gehirnalterung um zwei Jahre verzögert?

In einer dritten Studie wurden die kognitiven Fähigkeiten genauer unter die Lupe genommen. Dazu testeten die Forscher*innen die allgemeine Kognition und das Gedächtnis bei 500 Proband*innen persönlich mit verschiedenen neuropsychologischen Verfahren. Auch in dieser Studie zeigte sich ein zumindest leichter positiver Effekt der Präparate: Diejenigen Proband*innen, die täglich Multivitamine geschluckt hatten, schnitten in puncto Gedächtnis etwas besser ab als diejenigen, die nur ein Scheinmedikament erhielten.

In einer Metaanalyse bewertete das Team dann die Ergebnisse aller drei Untersuchungen zusammen. Dabei errechnete es, dass das Multivitaminpräparat im Vergleich zum Scheinmedikament die Alterung der Gehirnfunktion (kognitive Alterung) um etwa zwei Jahre verzögert hatte.

Noch zu früh für eine Empfehlung

Soll jetzt jeder täglich zu einer Extraportion Vitamintabletten greifen? Kritiker*innen der Studie betonen, dass es für eine generelle Empfehlung zu früh sei und diese Ergebnisse erst durch weitere Studien unterstützt werden müssen. Zumal es bisher kaum Hinweise darauf gibt, dass Vitamine die Hirnfunktion im Alter verbessern können. Zudem raten sie, die regelmäßige Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln prinzipiell zunächst mit der Hausärzt*in zu besprechen.

Zum Glück gibt es noch andere Möglichkeiten, dem kognitiven Verlust im Alter entgegenzuwirken. Dazu gehören eine gesunde Ernährung, Bewegung und das Gehirn täglich zu fordern und zu trainieren.

Quelle: arznei-news.de

Von: Dr. med. Sonja Kempinski; Bild: mauritius images / Image Source