Gesundheit heute

Vulvodynie

Vulvodynie: Chronische Schmerzzustände im Bereich des äußeren Geschlechtsorgans der Frau, für die keine erkennbaren Ursachen gefunden werden können. Die Schmerzen sind zumeist Dauerschmerzen und betreffen diffus die gesamte Vulva (häufig) oder nur eine bestimmte Stelle (seltener). Betroffen sind in der Regel junge Frauen. Behandlungsstrategien, die Linderung verschaffen, gibt es mehrere, eine Heilung ist jedoch derzeit nicht möglich.

Symptome und Leitbeschwerden

  • Juckreiz und brennende Schmerzen oft über die gesamte Haut vom Schamhügel bis zum After, manchmal auch die Scheide mit einschließend
  • Druck- und Zugbelastung sowie Berührung am äußeren Geschlechtsorgan sind so unangenehm, dass auf Unterwäsche verzichtet wird und eventuell schon Gehen und längeres Sitzen als Belastung empfunden wird
  • Geschlechtsverkehr ist schmerzhaft bis praktisch unmöglich, wird er praktiziert, erreichen die Beschwerden danach ein Maximum
  • Fahrradfahren ist schmerzhaft oder unmöglich
  • Tampons einzuführen ist unmöglich
  • Schmerzen beim Wasserlassen und Blut im Urin treten auf
  • Rauheitsgefühl sowie das Gefühl, auf einem Ball zu sitzen
  • Schmerz kann oft nicht genau lokalisiert werden
  • Bauchschmerzen, Blähbauch, Verstopfung und Durchfall (Reizdarmsyndrom) werden als Belastung empfunden
  • Teilweise treten auch Sensibilitätsstörungen auf.

Wann zum Frauenarzt

In den nächsten Tagen, wenn

  • Juckreiz und brennende Schmerzen sowie extreme Schmerzen bei Berührung des äußeren Genitals ohne bekannte Ursache auftreten.

Die Erkrankung

Die Vulvodynie betrifft nach Studienergebnissen über 5 % der Frauen mindestens einmal im Leben, wobei die Schmerzen individuell sehr unterschiedlich sein können. Ob es sich um eine Krankheit handelt oder nicht vielmehr um ein komplexes Beschwerdebild, ist umstritten. Tendenziell wird die Vulvodynie aber inzwischen als eigene Erkrankung im Schnittpunkt zwischen Gynäkologie, Dermatologie und Psychosomatik anerkannt. Trotzdem wissen viele Haus-, Haut- und Frauenärzte nichts von dieser Erkrankung – und so wundert es nicht, dass Betroffene oft viele Arztbesuche brauchen, bis ihr Beschwerdebild richtig gedeutet wird.

Unstrittig ist die häufige Verbindung der Vulvodynie mit anderen funktionellen Erkrankungen wie der Fibromyalgie oder – am häufigsten – der interstitiellen Zystitis (IC).

Ursachen

Auch wenn die Ursache für die Vulvodynie noch nicht genau geklärt ist, weiß man, dass mehrere Faktoren an ihrer Entstehung beteiligt sind. Derzeit geht man von folgenden (Teil-)Ursachen aus:

  • Genetische Veranlagung
  • Schwache Beckenbodenmuskulatur oder Krämpfe der Muskulatur im Beckenbereich
  • Komplizierte vaginale Geburt(en) in der Vorgeschichte
  • Schädigung von Nerven im Beckenbereich
  • Störungen der Schmerzverarbeitung, zumal die Vulvodynie oft in Kombination mit anderen Schmerzsyndromen wie Interstitielle Zystitis oder Fibromyalgie auftritt
  • Überempfindlichkeit gegen Bestandteile der eigenen Vaginalflora (z. B. gegen Candida albicans)
  • Vaginale Hauterkrankungen wie Pilzinfektionen, Feigwarzen oder Hautreizungen durch Intimpflegemittel oder Seife.

Diagnosesicherung

Die Vulvodynie ist eine Ausschlussdiagnose, da es z. B. keine sichtbaren Veränderungen gibt und allenfalls eine Rötung zu sehen bzw. eine berührungsempfindliche Stelle im Bereich der Vulva feststellbar ist. Das heißt, dass der Arzt zuerst alle anderen infrage kommenden Erkrankungen ausschließen muss. Dies sind in erster Linie eine chronische Adnexitis, Hauterkrankungen des äußeren Geschlechtsorgans, z. B. eine Weißfleckenkrankheit, Pilzerkrankung, aber auch eine psychische Erkrankung wie eine Depression.

Außer einer genauen gynäkologischen Untersuchung kann es auch notwendig sein, Gewebeproben zu entnehmen, um andere, für die Schmerzen verantwortliche, Erkrankungen auszuschließen.

Behandlung

Pharmakotherapie

Da die Heilung nicht möglich ist, ist das Behandlungsziel die Symptomkontrolle. Hierbei sind nicht nur der Gynäkologe, sondern auch der Schmerztherapeut involviert. Für die Therapie gibt es noch keine allgemein anerkannten Grundsätze. Als Behandlungen kommen infrage:

  • Schmerzmittel (NSAR, Opioide, Lokalanästhesie beispielsweise mit Lidocain)
  • Antidepressiva mit schmerzlindernder Eigenschaft wie Amitriptylin.
  • Injektionen mit Botulinumtoxin bei langandauernden, auf Medikamente nicht ansprechenden Schmerzen
  • Antikonvulsiva (z. B. Pregabalin) zur Herabsetzung der Empfindsamkeit für den Schmerz-/Juckreiz
  • Muskelrelaxanzien (setzen die Muskelspannung herab)
  • Medikamente, die bei neuropathischen Schmerzen eingesetzt werden, wie Gabapentin und Carbamazepin
  • Behandlung der begleitenden Erkrankungen, also des Reizdarms oder einer chronischen Pilzinfektion der Scheide.

Operative Behandlung

Nur in Ausnahmefällen, wenn die Patientin dies nach längerer erfolgloser Therapie wünscht, kommt eine chirurgische Entfernung der betroffenen Stelle in Betracht (Vestibulektomie).

Prognose

Zwar gelingt es oft, die Beschwerden zu lindern, allerdings sind Rückfälle häufig, und wie erwähnt ist eine wirkliche Heilung die Ausnahme.

Ihr Apotheker empfiehlt

Die Therapie der Vulvodynie ist anstrengend. Als Erstes sollten Sie einen Arzt suchen, der nicht nur Sie versteht, sondern auch die Krankheit (und es muss auch kein Gynäkologe sein). Als Zweites sollten Sie selbst die Erkrankung verstehen lernen und als Drittes den verschiedenen Therapiemethoden Zeit lassen, zu wirken.

Was Sie selbst tun können

Allgemeinmaßnahmen. Ausdauersport, Yoga oder Muskelrelaxation nach Jacobson tragen zur Verbesserung des Gesundheitszustandes bei.

Hygiene. Verwenden Sie keine Seife, Parfüm oder Intimspülungen, um den Bereich nicht zu reizen.

Beckenbodentraining. Der Wert eines guten und über viele Monate praktizierten Beckenbodentrainings kann gar nicht überschätzt werden. Lassen Sie sich aber mindestens drei Monate Zeit, bis Sie eine Wirkung erwarten. Bei entsprechenden Beschwerden gibt es einige Stunden Beckenbodentraining häufig sogar auf Rezept, das bei einem Physiotherapeuten gegen geringe Selbstbeteiligung eingelöst werden kann. Aber auch viele Volkshochschulen oder Sportstudios bieten Beckenbodentraining in (kostengünstigen) Kursen an. Trotzdem sollte das Training nicht auf die wenigen Übungsstunden unter fachlicher Anleitung beschränkt bleiben, sondern auch regelmäßig zu Hause durchgeführt und ein fester Bestandteil des Tagesablaufes werden.

Übungen für zu Hause:

  • Unterbrechen Sie beim Wasserlassen bewusst für einige Sekunden den Harnstrahl, indem Sie die entsprechenden Muskeln anspannen – dies sind die Muskeln des Beckenbodens. Wiederholen Sie diese Übung mehrmals täglich.
  • Führen Sie das Anspannen der Beckenbodenmuskulatur auch im Sitzen am Schreibtisch, in der Bahn oder im Auto durch. Halten Sie die Spannung 10 Sekunden lang, dann lassen Sie wieder locker – mehrmals pro Tag und mindestens 10-mal. Stellen Sie sich dabei vor, Sie ziehen einen Lift über mehrere Etagen Ihres Beckenbodens hoch und lassen ihn dann langsam wieder absinken.
  • Legen Sie sich auf den Rücken und stellen Sie die Füße bei leicht gebeugten Knien auf. Atmen Sie ein, spannen Sie Ihre Bauch- und Beckenbodenmuskeln an und heben Sie ganz langsam das Gesäß an, bis Oberschenkel und Bauch eine Linie bilden. Die Schultern und der Kopf bleiben dabei locker am Boden liegen. Halten Sie die Spannung 10 Sekunden lang, atmen Sie aus und senken Sie dabei das Gesäß wieder ganz langsam. Wiederholen Sie die Übung 5-mal.
  • Steigerung: Klemmen Sie sich ein kleines Kissen zwischen die Knie und führen Sie dann die vorherige Übung wie beschrieben aus, nur pressen Sie dabei noch das Kissen zusammen. Das verstärkt die Anspannung der Beckenbodenmuskulatur.
  • Setzen Sie sich auf einen Gymnastikball und rollen Sie das Becken vor und zurück, um die vorderen und hinteren Anteile der Beckenbodenmuskulatur zu erspüren.

Stressreduzierung. Daten deuten darauf hin, dass betroffene Frauen mehr unter Stress und Angst leiden als gesunde. Da chronischer Stress die Symptome verschlimmern kann, tragen Entspannungstechniken wie Meditation und Autogenes Training oder Yoga dazu bei, diesen Zyklus zu durchbrechen.

Warme Sitzbäder. Warme Bäder mit Bittersalz können beruhigend wirken.

Eispackungen (Coldpack). Die Anwendung von Eispackungen an der Vulva für 10–15 Minuten alle vier bis sechs Stunden lindern das Brennen.

Kleidung. Weite Hosen und Unterhosen wie Boxershorts bringen oft eine Linderung.

Sex. Für alle betroffenen Frauen ist Geschlechtsverkehr ein schwieriges Thema – ihn zu praktizieren bedeutet heftigste Qualen, ihn aber dauerhaft zu vermeiden stürzt die Betroffenen ebenso ins Unglück. Hier ist Fantasie gefragt: Manchmal helfen Gleitcremes, manchmal (Partner-)Masturbation ohne Vaginalverkehr, manchmal auch nur viel Geduld, manchmal dann auch wieder eine längere Pause. Gelingt es, den Teufelskreis aus Verzicht und Schmerz zu durchbrechen, können wieder praktizierter Sex und Zärtlichkeit nicht nur die Beziehung, sondern auch die Erkrankung sehr positiv beeinflussen, wie Betroffene berichten.

Komplementärtherapie

Viele andere, insbesondere naturheilkundliche, Therapieangebote werden angepriesen. Ihr Nutzen hängt vom Einzelfall ab, gerade aber bei der Vulvodynie gilt: Probieren ist besser als Studieren. Zu erwägen sind:

  • Nicht medikamentöse Schmerztherapien wie Massagen, Wärme- und Kälteanwendungen
  • Biofeedback-Übungen zur Entspannung der Beckenbodenmuskulatur
  • Akupunktur
  • Umstellung der Ernährung auf mediterrane Vollwertkost, diätetische Maßnahmen wie das Vermeiden von glutamathaltigen Lebensmitteln
  • Osteopathie
  • Entspannungstherapien wie Autogenes Training oder Muskelrelaxation nach Jacobson
  • Yoga

Lebensführung


Sehr sinnvoll ist es, das Leben "in Ordnung" zu bringen. Ist es der Job, der chronisch Stress mit sich bringt, lohnt es sich, nach Alternativen zu suchen oder Teilzeit zu beantragen. Gleiches gilt für das private Umfeld.

Von: Dr. med. Astrid Waskowiak, Dr. med. Arne Schäffler in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualisierung der Sektionen „Beschreibung“, „Symptome und Leitbeschwerden“, „Wann zum Frauenarzt“, „Die Erkrankung“, „Diagnosesicherung“, „Behandlung“, „Prognose“ und „Ihre Apotheke empfiehlt“: Dagmar Fernholz
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Gezielt gegen Blasenschwäche

Bei einer Blasenschwäche ist nicht nur der erhöhte Wäscheaufwand ein Problem für die Betroffenen.

Gezielt gegen Blasenschwäche

Mit Training und Medikamenten

Immer noch ein Tabu, aber weit verbreitet: Unter einer Blasenschwäche leiden in Deutschland Millionen von Frauen und Männern. Gegen den unwillkürlichen Urinverlust helfen allgemeine Maßnahmen und das Trainieren von Blase und Beckenboden. Reicht das nicht aus, kommen Medikamente ins Spiel.

Eingeschränkte Lebensqualität

Blasenschwäche (Harninkontinenz) ist die Unfähigkeit, den Urin in der Harnblase zu halten. Es kommt stattdessen zu unkontrolliertem Urinverlust, entweder tröpfchenweise oder auch im Schwall. Darunter leiden viele Menschen. Bei den 40- bis 60-Jährigen ist jede Zehnte betroffen, bei den Über-60-Jährigen jede Vierte.

Ob jünger oder älter – eine Blasenschwäche ist immer sehr belastend. Je nach Ausmaß wird die Lebensqualität durch die Inkontinenz stark eingeschränkt. Weil sie sich schämen, gehen viele Menschen trotz ihrer Beschwerden nicht zur Ärzt*in. Dabei ist es wichtig, eine Blasenschwäche zu behandeln. Denn nicht nur die psychischen Folgen wie Depressionen und Vereinsamung sind erheblich. Es drohen Hautentzündungen im Intimbereich und wiederkehrende Harnwegsinfektionen bis hin zum Nierenschaden. Zudem fallen alte Menschen mit Blasenschwäche häufiger hin, weil sie die Toilette schnell erreichen wollen. Solche Stürze enden oft mit einer fatalen Oberschenkelhalsfraktur.

Hinweis: Frauen leider öfter an Blasenschwäche als Männer. Ihr Beckenboden ist dehnbarer und hat mehr Durchgänge als der männliche Beckenboden. Außerdem wird der Blasenverschluss beim Mann durch die unter der Blase liegende Prostata unterstützt.

Welche Blasenschwäche ist es?

Blasenschwäche ist nicht gleich Blasenschwäche. Um die Beschwerden zu dokumentieren und besser interpretieren zu können, ist ein Blasentagebuch hilfreich. Darin hält man täglich fest, wieviel man trinkt und wie häufig man auf die Toilette muss. Wenn möglich, misst man auch die Menge des täglich ausgeschiedenen Urins. Mithilfe dieser Informationen kann die Ärzt*in die Blasenschwäche meist gut einordnen.

Belastungsinkontinenz. Jede zweite Frau mit Blasenschwäche leidet an einer Belastungsinkontinenz (früher auch Stressinkontinenz genannt). Dabei verliert die Betroffene Urin, ohne dass sie vorher einen Harndrang bemerkt hat. Der muskuläre Verschluss am Ausgang der Blase funktioniert nicht mehr gut, etwa weil die Beckenbodenmuskulatur schwach ist oder die Beckenbänder geschädigt sind. Dann genügt schon ein kleiner Druckanstieg in der Blase und die Betroffene verliert Urin. Der Druck in der Blase steigt an, wenn sich der Druck im Bauchraum erhöht. Dazu kommt es schon bei ganz normalen körperlichen Beanspruchungen wie Husten, Niesen oder dem Heben schwerer Gegenstände. Begünstigt wird die Belastungsinkontinenz durch eine Gebärmuttersenkung und Übergewicht.

Dranginkontinenz. Bei der Dranginkontinenz muss die Betroffene plötzlich ganz dringend auf die Toilette, ohne dass die Blase richtig gefüllt ist. Wer nicht schnell genug ist, verliert kleine Tropfen Urin, manchmal aber auch einen ganzen Schwall. Das passiert sowohl tagsüber als auch nachts. Auslöser ist eine Störung in der Blasenwandmuskulatur, z.B. durch Entzündungen, Blasensteine oder neurologische Erkrankungen wie Multiple Sklerose oder Parkinson. Beim Mann kommt als Ursache auch eine Prostatavergrößerung in Frage.

Mischinkontinenz. Hier leiden die Betroffenen unter beiden Formen der Blasenschwäche. Sie haben wie bei einer Dranginkontinenz auch bei nicht gefüllter Blase Harndrang und ungewollten Urinverlust. Außerdem verlieren sie Urin bei körperlicher Beanspruchung.

Überaktive Blase. Bei dieser Blasenschwäche zieht sich der Muskel am Blasenausgang immer wieder zusammen und lässt dann wieder los. Das Phänomen ist nervenbedingt oder psychisch. Die Patient*innen leiden unter sehr starkem, manchmal sogar schmerzhaftem Harndrang, der sie mehr als acht Mal täglich und auch nachts zur Toilette zwingt. Solange der Beckenboden noch funktioniert, können die Betroffenen den Urin aber noch willkürlich zurückhalten.

Daneben gibt es weitere Formen der Blasenschwäche. Befindet sich z.B. am Blasenausgang ein Tumor oder Blasenstein, entleert sich die Blase beim Wasserlassen nicht komplett. Es bleibt Urin in der Blase, d.h. die Menge an sog. Restharn steigt an. Die Blase ist überfüllt und kann überlaufen. Patient*innen haben meist einen dauerhaften Harndrang und verlieren ständig kleine Mengen an Urin. Andere Ursachen für Blasenschwäche sind Nervenerkrankungen wie z.B. die Querschnittlähmung. Dabei lösen Reflexe (etwa bei gefüllter Blase) das Pinkeln aus. Man spricht dann von einer Reflexinkontinenz.

Ist die Form der Blasenschwäche erkannt, wird nach der Ursache gesucht. Je nach Verdachtsdiagnose kommen spezielle Untersuchungen zum Einsatz. Dazu gehören z.B. die Restharnbestimmung und die Urinanalyse, z.T. auch Blutuntersuchungen zur Überprüfung der Nierenfunktion. Bei Frauen ist eine gynäkologische Untersuchung empfehlenswert, da Veränderungen im Becken häufig eine Blasenschwäche auslösen oder verstärken. Beim Mann ist die Untersuchung der Prostata obligat. In manchen Fällen sind auch Ultraschalluntersuchungen oder eine Blasenspiegelung nötig.

Was gegen die Blasenschwäche hilft

Liegt der Harninkontinenz eine Erkrankung zugrunde, wird diese entsprechend therapiert. Dies ist zum Beispiel bei der Prostatavergrößerung oder bei Blasensteinen der Fall. Häufig gibt es aber keine behandelbare Ursache. In diesen Fällen geht man den ungewollten Urinverlust in Stufen an. Basis sind folgende Allgemeinmaßnahmen:

  • Koffeinkonsum reduzieren. Kaffee, Cola und schwarzer Tee haben aufgrund des Koffeins eine ausschwemmende Wirkung. Bei manchen Betroffenen wird die Blasenschwäche besser, wenn sie diese Genussmittel vermeiden.
  • Übergewicht verringern. Zu viele Kilos erhöhen den Druck im Bauch und folglich auch den Druck auf die Blase. Abnehmen bessert deshalb vor allem die Belastungsinkontinenz.
  • Verstopfung behandeln. Starkes Pressen beim Stuhlgang belastet die Beckenbodenmuskulatur und schwächt diese auf Dauer.
  • Flüssigkeitszufuhr kontrollieren. Vor allem bei der überaktiven Blase kann es helfen, etwas weniger zu trinken. Aber Vorsicht, diese Maßnahme sollte man immer mit der Ärzt*in besprechen. Auf keinen Fall darf man aufgrund seiner Blasenschwäche eine Austrocknung (Dehydrataion) riskieren.
  • Mehr bewegen. Spazierengehen und auch Hausarbeit sind besser als Herumsitzen und Schonen. Denn auch moderate körperliche Bewegung stärkt den Beckenboden.
  • Ungünstige körperliche Belastungen vermeiden. Schweres Heben schadet dem Beckenboden, ebenso sind manche Sportarten ungünstig. Dazu gehören z.B. Trampolinspringen oder Crossfit-Training.
  • Rauchen aufgeben. Raucherhusten geht oft mit einer Belastungsinkontinenz einher.

Tipp: Manche Medikamente verursachen oder fördern eine Harninkontinenz. Dazu gehören Anticholinergika zur Behandlung von Atemwegserkrankungen oder Parkinson, muskelentspannende Mittel, indirekte Parasympathikomimetika oder Beruhigungsmittel. Mit der Ärzt*in sollte besprochen werden, ob diese Arzneimittel reduziert oder ersetzt werden können.

Blase oder Beckenboden trainieren

Auch Training kann bei einer Blasenschwäche helfen. Gestärkt werden dabei je nach Form der Blasenschwäche entweder die Blase selbst oder der Beckenboden.

Das Blasentraining hilft besonders gegen die Dranginkontinenz. Es zielt darauf ab, die Zeiträume zwischen den Toilettengängen zu verlängern. Zunächst versucht die Betroffene, nicht gleich beim ersten Anzeichen eines Harndrangs zur Toilette zu gehen. Schritt für Schritt wird der Gang zur Toilette immer länger verzögert. Hilfreich dabei sind Entspannungsübungen. Auf diese Weise vergrößert sich das Aufnahmevolumen der Blase, der Harndrang wird geringer und das Wasserlassen besser kontrolliert.

Intensives Beckenbodentraining ist dagegen die passende Maßnahme für eine Belastungsinkontinenz. Diese Übungen erlernt man am besten in einer Physiotherapie. Spüren Betroffene mit Belastungsinkontinenz ihre Beckenbodenmuskulatur nicht, kann die Elektrostimulation helfen. Dazu verschreibt die Ärzt*in spezielle Geräte, die über die Scheide oder den Dammbereich elektrische Impulse abgeben.

Tipp: In die Scheide eingelegte Pessare stabilisieren die Harnröhre von innen. Sie helfen besonders bei unwillkürlichem Urinverlust durch körperliche Belastungen im Rahmen einer Belastungsinkontinenz.

Medikamente gegen Urinverlust

Wenn allgemeine Maßnahmen und Training nicht zum erwünschten Erfolg führen, sind stärkere Geschütze geboten. Leider gibt es wenig Hilfe aus dem Reich der Pflanzen. Zwar werden zur Linderung der Beschwerden zahlreiche Extrakte angeboten. Klinische Studien mit eindeutigen Daten zur Wirksamkeit fehlen in den meisten Fällen. Für Kürbissamen gibt es aus einer Beobachtungsstudie mit 117 Betroffenen Hinweise, dass sie Frauen mit überaktiver Blase helfen können.

Anders sieht das mit synthetischen Arzneimitteln aus. Für die Dranginkontinenz und die überaktive Blase gelten Muskarinrezeptor-Antagonisten als effektive Option. Sie verringern spontane Mikrobewegungen in der Blasenwandmuskulatur und reduzieren den Harndrang. Allerdings blockieren die Wirkstoffe nicht nur die Muskarinrezeptoren in der Blase, sondern im gesamten Organismus. Deshalb haben diese Substanzen auch zahlreiche Nebenwirkungen. Dazu gehören u.a. Mundtrockenheit, Sehstörungen und Verstopfung. Oxybutynin führt bei älteren Menschen sogar zu Verwirrtheit und Denkstörungen, vor allem wenn es abgeschluckt wird.

Einige Muskarinrezeptor-Antagonisten (z.B. Tolterodin) sollen beinahe nur auf die Blase wirken und so weniger Nebenwirkungen auslösen. Letzteres gilt auch für Präparate, deren Wirkstoff verzögert freigesetzt wird, sog. retardierte Arzneistoffe.

Eine neue Therapieoption gegen Dranginkontinenz und eine überaktive Blase ist Mirabegron. Die Substanz bindet an Betarezeptoren in der Harnblasenmuskulatur und entspannt dadurch die Blase. Eingesetzt wird Mirabegron, wenn Muskarinrezeptor-Antagonisten nicht ausreichend wirken. Sie sind auch bei älteren Menschen geeignet, weil sie seltener Verwirrtheit oder Denkstörungen auslösen. Als Nebenwirkung ist allerdings eine Erhöhung des Blutdrucks zu beachten.

Ein Wirkstoff zur Behandlung der Belastungsinkontinenz ist das Antidepressivum Duloxetin, ein selektiver Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer. Es stärkt den Schließmuskel der Blase und erhöht ihr Fassungsvermögen. Dadurch kommt es seltener zu unwillkürlichem Urinverlust. Das hat allerdings auch bei Duloxetin seinen Preis: Typisch sind Nebenwirkungen im Verdauungstrakt wie Übelkeit, Bauchschmerzen, Durchfall oder Verstopfung. Vor allem bei psychisch nicht gesunden Menschen soll der Wirkstoff aber auch vermehrt Angst und innere Unruhe auslösen.

Mit Operationen an die Blasenschwäche

Manchmal helfen auch Medikamente nicht ausreichend. Ist der Leidensdruck hoch, sind interventionelle oder operative Verfahren eine Option.

Interventionelle Verfahren. Bei der überaktiven Blase und bei der Dranginkontinenz kann die Ärzt*in den Wirkstoff Onabotulinumtoxin A in die Blase instillieren. Dadurch entspannt sich die Blasenmuskulatur und der Harndrang wird weniger. Die Wirkung setzt jedoch erst zwei Wochen nach dem Eingriff ein und hält nur einige Wochen bis Monate an. Eine weitere Option bei überaktiver Blase ist die sakrale Neuromodulation. Dabei wird eine Art Schrittmachers in die Blase eingesetzt. Dieser sendet sanfte elektrische Impulse an den Sakralnerv, der die Blase versorgt. Auf diese Weise lässt sich sowohl eine Überaktivität als auch eine Unteraktivität der Blasenmuskulatur kontrollieren.

Operationen. Die Belastungsinkontinenz kann auch relativ einfach mit einer Band- oder Schlingen-Operationen behandelt werden. Dabei wird das natürliche Band, das die Harnröhre in ihrer Position hält, durch ein künstliches Band verstärkt. Eine weitere Möglichkeit ist das Injizieren von Gel in den Bereich des Harnröhrenabgangs von der Blase. Es entsteht ein Polster, das den Blasenausgang besser verschließt. Manchmal empfehlen die Ärzt*innen auch das operative Anheben des Blasenhalses. Ist bei Männern eine vergrößerte Prostata die Ursache der Blasenschwäche, hilft deren komplette oder teilweise Entfernung.

Quelle: S2k-Leitlinie Harninkontinenz der Frau

Von: Dr. med. Sonja Kempinski; Bild: mauritius images / Giuseppe Anello / Alamy / Alamy Stock Photos