Gesundheit heute

Schlafstörung ohne andere Erkrankung als Ursache

Primäre Schlafstörung: Nichterholsamer Schlaf, der als eigenes Krankheitsbild auftritt, ohne andere nachweisbare Erkrankung. Sie äußert sich als Einschlaf- oder Durchschlafstörung und nimmt die Form zu frühen Erwachens oder einer Schlafrhythmusstörung an.

Die Häufigkeit von Schlafstörungen ist beträchtlich. Rund 30 % der Bevölkerung haben zumindest zeitweise mit Schlafstörungen zu kämpfen, wobei Frauen etwas häufiger als Männer betroffen sind, und ältere Menschen nach der Pensionierung viel häufiger als jüngere, im Berufsleben stehende.

Erst wenn die Beschwerden mindestens vier Wochen dauern, spricht man in der Schlafmedizin von Schlafstörungen. Etwa fünf Millionen Deutsche leiden unter behandlungsbedürftigen, schweren Schlafstörungen.

Die Behandlung des nichterholsamen Schlafs hat in den letzten Jahren vor allem durch die inzwischen verfügbaren verhaltensmedizinischen Behandlungsformen Fortschritte gemacht, wobei diese eine erhebliche Mitarbeit der Betroffenen erfordern.

Werden Schlafstörungen nicht behandelt, drohen Folgeerkrankungen wie depressive Verstimmungen, Verkehrsuntüchtigkeit im Straßenverkehr, Leistungsabfall am Arbeitsplatz und soziale Isolation im Privatleben.

Leitbeschwerden

Bei der Einschlafstörung:

  • Stundenlanges Wachliegen am Abend mit Grübeleien und kreisenden Gedanken
  • In ausgeprägten Fällen „Zwischenzustand“ mit in der Regel als unangenehm erlebten Tagträumen
  • Aufgrund der anhaltenden Müdigkeit geht der Betroffene, wenn keine äußeren Zwänge vorliegen, immer früher zu Bett.

Bei der Durchschlafstörung:

  • Längere Wachperioden in der Nacht (kurze Wachperioden sind aber Teil des normalen Schlafs!)
  • Grübeleien und kreisende Gedanken

Vorzeitiges Erwachen:

  • Aufwachen nach nur 2–5 Stunden Schlaf, ohne dass innerhalb angemessener Zeit wieder eingeschlafen werden kann

Bei allen Formen:

  • Fehlender Erholungswert des Schlafs
  • Ausgeprägte Tagesschläfrigkeit und vermehrter Tagesschlaf
  • Gereiztheit
  • Konzentrationsprobleme
  • Vermehrte Empfindlichkeit gegen Genussmittel wie Koffein, Nikotin und Alkohol
  • Verlust der Lebensfreude
  • Häufig Symptome von depressiver Verstimmung oder von Angsterkrankungen.

Die Erkrankung

Tritt ein nichterholsamer Schlaf als eigenständige Erkrankung auf, äußert sie sich

  • Als Einschlafstörung: Quälend langes Wachliegen bis der Schlaf eintritt, im Extremfall über drei Stunden lang.
  • Als Durchschlafstörung: Oberflächlicher und „zerhackter“ Schlaf durch häufige und länger andauernde Wachperioden.
  • Als vorzeitiges Erwachen: Erwachen nach nur wenigen Stunden Schlaf, ohne dass wieder eingeschlafen werden kann.
  • Als Schlafrhythmusstörung: Störung des Wechsels von Wach- und Müdigkeitsphasen. Eine Schlafrhythmusstörung tritt zwangsläufig beim auf Jetlag, ist aber ansonsten eher Folge als Ursache des nichterholsamen Schlafs.

Das macht der Arzt

Die schlafmedizinische Therapie bei Schlafstörungen ohne zugrunde liegende chronische Erkrankung umfasst drei Formen:

  • Medikamentöse Therapie
  • Verhaltenstherapie
  • Selbsthilfe in Form verbesserter Schlafhygiene.

Medikamentöse Therapie. Über ein Drittel der Patienten mit nichterholsamem Schlaf erhält vom Arzt Schlafmedikamente. Aber es ist eine offene Frage, welcher Prozentsatz dieser Verordnungen dem Betroffenen überhaupt hilft. Schlafmediziner argumentieren jedenfalls, dass für keines dieser Medikamente nachgewiesen werden konnte, dass es die Lebensqualität des Betroffenen wirklich verbessert, oder dass es besser wirkt als ein Placebo bzw. Selbsthilfemaßnahmen. Demgegenüber haben Schlafmittel gerade bei älteren Menschen teils bedenkliche Nebenwirkungen und sind häufig für Stürze und damit verbundene Knochenbrüche verantwortlich [W03].

Der Arzt wird Schlafmittel vor allem dann verordnen, wenn die Schlafstörung eine klare Ursache hat, wenn z. B. ein bevorstehendes Ereignis (Operation, Umzug, Gerichtstermin), ein einschneidendes Erlebnis (Unfall, Tod eines Angehörigen) oder eine andere kurzfristige Ausnahmesituation vorliegt.

Bei chronischen – also schon monatelang bestehenden – Schlafproblemen wird er Schlafmittel nur dann verordnen, wenn die Einnahme von verhaltenstherapeutischen Maßnahmen und einer Verbesserung der Schlafhygiene begleitet wird.

Über die Details und insbesondere die Dauer der Einnahme gehen die Meinungen weit auseinander. Die Deutsche Gesellschaft für Schlafmedizin empfiehlt zunächst eine Verordnung von Schlafmitteln über zwei Wochen. Bessert sich die Schlafstörung, tritt aber nach korrektem Absetzen unverändert wieder auf, ist eine zweite Zwei-Wochen-Periode der Therapie zulässig. Besteht die Schlafstörung nach erneutem Absetzen weiter, ist davon auszugehen, dass keine Aussicht auf einen Erfolg durch die bisher verordneten Medikamente besteht. Jetzt muss die Diagnostik überprüft werden. Der Arzt wird verhaltenstherapeutische Verfahren einleiten, die Schlafhygiene verbessern helfen oder Medikamente anderer Substanzklassen verordnen.

Aktuelle Studien ergaben allerdings, dass Schlaftabletten das Sterberisiko erhöhen können – selbst in niedriger Dosierung. Bei Betroffenen, die etwa 18 Dosen im Jahr nehmen, erhöht sich das Risiko, an Krebs oder anderen Leiden zu erkranken, um mehr als das Dreifache. Bei 130 Dosen ist es sogar fünfmal so hoch.

Sind verhaltenstherapeutische Verfahren nicht möglich oder erweisen sich als ineffektiv, kann eine Abendmedikation mit Benzodiazepinen unter bestimmten Bedingungen durch einen schlafmedizinisch qualifizierten Arzt verordnet werden, wenn andernfalls eine erhebliche Tagesbeeinträchtigung durch die Folgen der Schlafstörung besteht. Die Verordnung sollte alle zwei Wochen überprüft werden. Nach 3, spätestens 6, Monaten unergiebiger Behandlung sollte die Behandlung abgebrochen und der Patient an ein Schlaflabor überwiesen werden [W04].

Für viele Ärzte (und ihre Patienten) sind diese Regelungen nicht immer praktikabel. So nehmen viele ältere Patienten Benzodiazepine über etliche Monate ein und sind damit auch zufrieden – bei jedem ausschleichenden Absetzen, so langsam es auch erfolgt, setzt die Schlafstörung jedoch in vollem Umfang wieder ein. In diesen Fällen ist die langfristige Weiterverordnung des Schlafmittels vertretbar, und ein Absetzen ist nur aus zwingenden Gründen erforderlich [W05].

Sondertext: Schlafmittel

Statt der festen Verordnung eines Medikaments kann der Arzt dem Patienten auch eine Bedarfstherapie vorschlagen. In diesem Fall nimmt der Patient das Schlafmittel nur dann, wenn er es wirklich benötigt. Dies ist angemessen, wenn die Schlafstörungen nur gelegentlich auftreten (z. B. immer vor Dienstreisen mit dem Flugzeug) und/oder wenn vorhersehbar ist, dass die Schlafstörung von selbst vorübergeht (z. B. Trauerphase, Hausbau). Der Patient muss also selbst entscheiden, wann er medikamentöse Hilfe braucht. Allerdings besteht hierbei die Gefahr, dass der Patient „lernt“, bestimmte Situationen nur noch mit Hilfe eines Medikaments zu bewältigen und damit das Vertrauen in seine eigenen Kräfte verliert.

Eine weitere Alternative ist die Intervalltherapie. Entweder erhält der Patient sein Medikament in einem festen Rhythmus (z. B. jede dritte Nacht) oder bei vorher vereinbarten Anlässen (z. B. bei Schichtarbeitern zum Ende der Nachtschichten). Diese Form der Medikamentenverordnung ist auf längere Sicht besonders vielversprechend, wenn der Patient parallel verhaltenstherapeutisch geschult wird.

Verhaltenstherapeutische Schlaftherapie. Verhaltensmedizinische Maßnahmen sind bei Schlafstörungen – auch bei solchen, die eine andere Krankheit als Ursache haben – inzwischen die Therapie der ersten Wahl. In vielen Städten gibt es mittlerweile schlaftherapeutische Angebote, die auf der Verhaltenstherapie aufbauen. Zu deren Techniken gehören:

  • Stimuluskontrolle. Die Funktion von Bett und Schlafzimmer wird optimiert, indem schlafstörende Verhaltensweisen ausgeschaltet und schlaffördernde eingeübt werden. Dazu gehört, dass das Bett nur zum Schlafen benutzt werden darf. Andere Tätigkeiten, wie Arbeiten, Lesen oder Entspannen (mit Ausnahme von Sex) sind im Bett „verboten“ und müssen an anderen Orten der Wohnung ausgeführt werden.
  • Schlafrestriktion. Die Schlafqualität wird verbessert, indem durch eine Begrenzung der Zeitspanne, die der Betroffene im Bett liegend verbringen darf, die Müdigkeit erhöht wird und damit angestrengte Einschlafversuche unterbleiben. Diese Technik eignet sich im Übrigen auch gut zur Selbsttherapie, erfordert aber hohe Disziplin.
  • Paradoxe Intention. Durch die Aufforderung bzw. die bewusste Absicht, wach zu bleiben, werden erfolglose Einschlafversuche verhindert; der Einschlafvorgang ist damit weniger angstbesetzt.
  • Kognitive Techniken. Schlafängste werden vermindert durch die Konzentration auf beruhigende Gedankenbilder und die Unterbrechung schlafstörenden Grübelns und Gedankenkreisens.

Bei hartnäckigen Schlafproblemen sollten Sie, wenn verfügbar, solche Angebote ausprobieren, auch wenn die Krankenkassen die Kosten in der Regel nicht übernehmen.

Selbsthilfe

Das Einmaleins der Schlafhygiene

Bei kaum einer chronischen Erkrankung ist der Betroffene so sehr „Wissenschaftler in eigener Sache“ wie bei der Schlafstörung. Die folgenden Tipps und Regeln geben die schlafmedizinisch etablierten Elemente der modernen Schlafhygiene wieder. Was für Sie am wirkungsvollsten ist und was Sie als Erstes versuchen sollten, müssen Sie selbst herausfinden. Sinnvoll ist es jedoch, an mehreren Punkten gleichzeitig anzusetzen.

Taktgeber nutzen. Regelmäßige Schlafzeiten einzuhalten ist besonders hilfreich. Dabei sollten Sie vor allem äußere Taktgeber, wie das Sonnenlicht, Spaziergänge am Abend aber auch regelmäßige Sozialkontakte, wenn sie nicht psychisch belasten, ausnutzen.

Nachgewiesen ist, dass körperliche Aktivität während des Tages (nicht jedoch am Abend) den Nachtschlaf fördert, während Passivität und Bewegungslosigkeit die Schlafqualität negativ beeinflussen [W07].

Essen. Empfohlen wird, das Abendessen möglichst am frühen Abend einzunehmen und leicht verdauliche Speisen zu bevorzugen. Mit vollem Bauch schläft man schlecht. Aber auch hungrig sollte man nicht zu Bett gehen. In der ärztlichen Praxis spielt der Faktor Essen nur eine untergeordnete Rolle, weil die meisten Menschen ihren Lebensrhythmus bereits entsprechend eingestellt haben. Nur Menschen, die aus beruflichen Gründen abends essen müssen, etwa auf Dienstreisen, können dies als problematisch empfinden.

Auch mit den Genussmitteln Alkohol und Koffein wissen die meisten Menschen richtig umzugehen. So ist Koffein – etwa in Form einer Tasse Kaffee als Abschluss der Mahlzeit – für manche ein echter „Schlafkiller“. Menschen, die diese Erfahrung bei sich bereits gemacht haben, werden im Normalfall darauf verzichten.

Auch der Genuss von frisch gegorenem Bier oder Sekt lässt manche Menschen unruhig schlafen, während ein Glas Rotwein meist keine Probleme bereitet. Wer sich nicht sicher ist, was ihm schadet, muss durch konsequentes Weglassen selbst herausfinden, ob nicht doch eine der Ess- oder Trinkgewohnheiten den Schlaf stört. Diese Versuche sollten mindestens eine Woche lang durchgehalten werden.

Zuviel Alkohol wirkt sich grundsätzlich ungünstig auf den Schlaf aus und bewirkt, dass man vorzeitig wieder erwacht.

Zur Ruhe kommen. Normalerweise denkt man eher selten darüber nach, wie man Entspannung findet, denn man entspannt sich ganz einfach von selbst. Wem das jedoch nicht mehr gelingt, der kann Entspannung lernen. Wichtig ist dabei, alle Gedanken an Dinge, die einen beunruhigen, auszuschalten. Manchmal hilft es schon, zum Einschlafen einer schönen Musik ganz bewusst zuzuhören. Dabei stellt man die Lautstärke am besten so niedrig, dass man genau hinhören muss. Auch Hörbücher sind zu diesem Zweck geeignet. Häufig lassen sich negative Gedanken mit Atemübungen wirkungsvoll vertreiben. Konzentrieren Sie sich auf die eigene Atmung, indem Sie eine Hand auf den Bauch legen und dem Ein- und Ausatmen nachspüren. Beim Einatmen sollte sich der Bauch heben, beim Ausatmen sprechen Sie ein leises „Ssssss“ und beobachten, wie der Bauch sich senkt. Auch bei den aus China stammenden Entspannungstechniken wie Qi Gong und Tai Chi dienen Atemübungen dazu, innere Ruhe zu finden.

Eine alte, aber dennoch ganz wirksame Methode, zur Ruhe zu kommen ist das Baden: Ein warmes Vollbad mit Melisse oder anderem Badezusatz kann das Einschlafen wirksam fördern (mehr zu Vollbädern). Bestehen Wadenschmerzen oder andere Schmerzsyndrome, sind kühle Wadenwickel oder Abwaschungen möglicherweise die bessere Wahl.

Eine weitere wirkungsvolle Methode, Schlafstörungen in den Griff zu bekommen, ist das Autogene Training, eine Art Selbstsuggestion, die dabei hilft, sich besser zu entspannen. Wenn Sie die Methode noch nicht beherrschen, können Ihnen Ratgeberbücher oder Kurse (wie sie z. B. von Volkshochschulen angeboten werden) behilflich sein, diese zu lernen.

Die Biofeedback-Methode zur Entspannung ist für Menschen ideal, die eine Vorliebe für Technik haben. Während Sie unter Anleitung entspannen, werden durch angeschlossene Elektroden Entspannung und Anspannung gemessen und auf einem Bildschirm sichtbar gemacht.

Auch in unserem Kulturkreis ist mittlerweile die Meditation als Weg bekannt, um Entspannung und innere Ruhe zu finden. In der indischen Kultur ist sie, neben körperlichen Übungen, wichtiger Bestandteil verschiedener Yoga-Richtungen. Meditation sollte unter Anleitung geübt werden; wenn man die wesentlichen Grundzüge beherrscht, kann man jedoch fast überall und jederzeit meditieren.

Das Prinzip der Progressiven Muskelrelaxation nach Jacobson (PMR) beruht darauf, dass man sich ganz bewusst auf die Entspannung und Anspannung der einzelnen Muskelgruppen konzentriert, angefangen bei den Händen über Arme, Nacken und Schultern usw., bis hin zu den Füßen. Auch diese Methode lernt man am besten in eigens angebotenen Kursen. Später kann das Gelernte mithilfe einer CD oder DVD allein ausgeführt werden.

Alle Entspannungstechniken wirken bei richtiger Ausführung, indem sie das Aktivitätsniveau des Gehirns herabsetzen. Dieses Herunterschalten des Gehirns lässt sich im EEG verfolgen: Wer seine Entspannungstechnik beherrscht, kann quasi auf Knopfdruck z. B. den Anteil langsamerer Alpha-Wellen steigern. Entscheidend ist deshalb nicht, welches Verfahren Sie für sich wählen, wichtig ist vielmehr, dass Sie die Methode, für die Sie sich entschieden haben, auch wirklich in Ihren Alltag integrieren.

Erwarten Sie keine raschen Erfolge: Abgesehen von positiven Anfangserfolgen (die vor allem unter Anleitung oder in einer Gruppe eintreten), dauert es oft lange, das heißt mehrere Monate, bis Entspannungsverfahren zuverlässig und regelmäßig wirken. Aber der Weg lohnt sich: Wer z. B. gelernt hat, Autogenes Training richtig anzuwenden, kann sich selbst in größten Stressphasen gezielt Entspannung verschaffen und „auf Knopfdruck“ einen kurzen, erholsamen Mittagsschlaf halten.

Stressursachen abbauen. Die Entspannungsfähigkeit zu fördern ist eine der Möglichkeiten, um Schlafstörungen zu verhindern. Ebenso nützlich ist jedoch, schon im Vorfeld zu vermeiden, dass man regelmäßig in Situationen großer Anspannung gerät.

Konflikte lösen. Dass ein gutes Gewissen das beste Ruhekissen ist, ist eine altbekannte Weisheit. Prüfen Sie also, ob Sie wirklich alles getan haben, um schwelende Konflikte aus Ihrem Leben zu verbannen. Gehen Sie dazu die Themen durch, die Ihnen nachts beim Grübeln immer wieder in den Sinn kommen. Manche Experten raten auch zur tiefenpsychologisch orientierten Psychotherapie, wenn gravierende Konflikte Ursache von Schlafstörungen sind. Ob diese aber besser wirkt als eine verhaltenstherapeutische Schlaftherapie, ist unklar. Im akuten Stadium der Psychotherapie können sich Schlafstörungen sogar zunächst verschlimmern.

Schlafrituale. Jeden Abend bestimmte Rituale einzuhalten, ist wohltuend und schlaffördernd. Das kann ein Spaziergang, eine Tasse Kräutertee als „Betthupferl“ oder auch ein kleines Glas eines alkoholischen Getränks sein.

Unmittelbar vor dem Einschlafen haben sowohl für Kinder als auch für Erwachsene Gute-Nacht-Geschichten, für Letztere in Form eines Buchs, einen beruhigenden, schlaffördernden Effekt. Für gläubige Menschen gehört meist ein Gutenacht-Gebet zu den Ritualen. Fernsehen dagegen ist im Allgemeinen eher ungünstig.

Nicht zuletzt ist die Zeit vor dem Einschlafen auch die beliebteste Zeit für Zärtlichkeiten und Geschlechtsverkehr, deren schlaffördernde Wirkung unumstritten ist.

Schlafzimmer. Das Schlafzimmer spielt eine besondere Rolle für den erholsamen Schlaf. In erster Linie sollten Sie sich in Ihrem Schlafzimmer wohl fühlen, und es sollte eine ruhige, entspannende Atmosphäre haben. Es darf zwar kühl, aber nicht kalt und ungemütlich sein. Ideal ist es, wenn ein kleines Ostfenster das Morgenlicht hereinlässt, andererseits aber während der Nacht keine Licht- und Geräuschquellen den Schlaf zu unterbrechen drohen.

Ein wichtiger Stressfaktor für den Nachtschlaf ist Lärm. Wenn sich der Außenlärm nicht reduzieren lässt, hilft es, sich an die Benutzung von Ohrstöpseln aus Wachs (Ohropax®) oder Schaumgummi zu gewöhnen. Manche Menschen schlafen auch gut mit einem zweiten kleineren Kissen, das sie auf dem freiliegenden Ohr platzieren.

Sind diese Maßnahmen nicht ausreichend, sollte der Einbau von Lärmschutzfenstern erwogen werden, deren positiver Effekt oft verblüffend ist. Wenn diese Möglichkeit nicht zur Wahl steht, bleibt in extremen Fällen (und wenn die finanziellen Mittel dies zulassen) nur ein Wohnungswechsel, denn die Lärmempfindlichkeit nimmt mit dem Alter zu.

Allein oder zu zweit. Wenn Ihr Partner schnarcht oder wenn es Sie nervös macht, dass er schläft, während Sie schlaflos sind, dann sollten Sie überlegen, ob es nicht besser ist, (vorübergehend) alleine zu schlafen.

Temperatur. Während beim Einschlafen Wärme förderlich ist und Frieren das Einschlafen stark behindert, ist beim Durchschlafen das Gegenteil der Fall: Hier wird nämlich der Wärmestau unter der Bettdecke zum Problem. Die thermischen Anforderungen sind also widersprüchlich.

Die meisten Menschen lösen diesen Konflikt, indem sie die fehlende „Einschlafwärme“ mit Hilfe von Bettsocken, Wärmekissen oder einer Wärmflasche herbeiführen. In der Apotheke oder im Sanitätshaus sind auch große Kompressen erhältlich, die im Wasserbad erwärmt werden und eine lang anhaltende Wärmewirkung haben. Wenn Sie eine dieser Methoden anwenden, kann die Raumtemperatur in Ihrem Schlafzimmer eher niedrig sein. Prinzipiell sollte im Schlafzimmer eine deutlich niedrigere Temperatur als in der übrigen Wohnung herrschen. Dies ist empfehlenswert, denn der Körper muss in der Nacht „runterschalten“ können. Dies entspricht nicht zuletzt dem Rhythmus der Natur mit einer nächtlichen Absenkung der Lufttemperatur von 5 bis über 10 °C. Viele Menschen verzichten völlig auf eine Beheizung ihres Schlafzimmers und benutzen im Winter stattdessen besonders wärmende Bettwäsche oder Daunendecken.

Das Bett. Auch das Bett, die gewählte Matratze und die Bettwäsche spielen eine wichtige Rolle bei der Schlafqualität. Folgendes sollte bedacht werden:

  • Die Matratze sollte weder zu weich noch zu hart sein. Es gibt inzwischen auch Matratzen mit unterschiedlichen Härtezonen, wodurch besonders im Schulterbereich eine weichere Federung erreicht wird. Taschenfederkernmatratzen sind atmungsaktiver als Latexmatratzen und führen die vor allem am Ende der Nacht entstehende Wärme besser ab.
  • Für die Oberbetten gilt: Synthetische Bettdecken sind für Allergiker von Vorteil, begünstigen aber einen Wärmestau eher als solche aus Naturmaterialien. Im Winter Daunen und im Sommer Wildseide oder anderen Naturmaterialien sind also für Nichtallergiker die bessere Wahl.
  • Ein häufig vernachlässigter Faktor ist schließlich das Kissen: Die traditionelle Form und Standardgröße (80 x 80 cm) ist eher ungünstig, weil das Kissen beim Schlafen leicht verrutscht und außerdem die gewünschte Kopferhöhung oft zu gering ausfällt. Dadurch werden Schmerzen in der Halswirbelsäule begünstigt. Im Handel gibt es deshalb eine Vielzahl von Gesundheitskissen, die Sie ausprobieren sollten.

In der Alternativmedizin gehen die Anforderungen noch erheblich weiter. Die Feng-Shui-Lehre fordert eine harmonische Raumaufteilung; eine ungünstige Position des Betts kann demnach Schlafprobleme verursachen. Andere Therapierichtungen sehen unter dem Bett verlaufende Wasseradern als Problemverursacher; wieder andere warnen vor Elektrosmog. Letztere legen großen Wert darauf, dass keine stromführenden Leitungen in der Nähe des Betts verlaufen und vermeiden sogar jede Art von Metall im Bettgestell und in der Matratze. Auch wenn derlei scheinbar ursächliche Zusammenhänge manchmal erstaunlich plausibel klingen – ihren Wahrheitsgehalt hat keine dieser Hypothesen bisher nachweisen können.

Nächtliches Wasserlassen. Patienten, bei denen nächtliches Wasserlassen (Nykturie) neu auftritt, sollten unbedingt einen Arzt aufsuchen. In Zusammenhang mit Ödemen ist das ein Hinweis auf eine schwere Erkrankung, z. B. Herzerkrankung, Eiweißmangel, Lebererkrankung oder Nierenerkrankung, die behandelt werden muss.

Auch ohne schwere Erkrankung sind manchmal Toilettengänge nachts unumgänglich. Wer sie vermeiden will, sollte nach 18 Uhr nur noch wenig trinken. Liegt keine schwere Erkrankung zugrunde, kann die Nykturie selbst medikamentös behandelt werden, etwa mit Desmopressin (Nocdurna®). Zu beachten sind hier die geschlechtsspezifischen Dosierungen. Vorsichtig ist insbesondere geboten für Patienten über 65 Jahren. Diese Altersgruppe besitzt unter Desmopressin-Einnahme ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Hyponatriämie (Natriummangel) mit Beschwerden wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Gewichtszunahme oder Krämpfen.

Harntreibende Medikamente (Diuretika) ebenso wie harntreibende Kräutertees (Blasen- und Nierentee oder Tee aus Brennnessel, Goldrute, Schachtelhalm oder Bärentraubenblättern) sollten in Absprache mit dem Arzt möglichst nicht abends eingenommen bzw. getrunken werden. Auch frische Früchte (besonders Birnen, Pfirsiche, Trauben) wirken harntreibend und sollten nicht in größeren Mengen vor dem Zubettgehen gegessen werden.

Grübeln. Ein verbreiteter Störfaktor des erholsamen Schlafs ist das „Grübel-Übel“. Gedanken und Sorgen, die im Kopf kreisen, lassen sich einfach nicht vertreiben. Wenn es irgend möglich ist, versuchen Sie, das Kreisen der Gedanken radikal abzubrechen. Die Vorschläge mancher Ratgeber, nur an schöne Dinge zu denken oder Schäfchen zu zählen, helfen in der Praxis meist wenig oder gar nicht. Den für Sie besten Weg, kreisende Gedanken abzubrechen, müssen Sie also selbst finden.

Mitunter ist dauerhaftes, nicht unterdrückbares Grübeln auch ein Hinweis auf eine Depression, die medikamentös behandelt werden sollte.

  • Manchen Menschen hilft es, kurz aufzustehen, in Ruhe etwas Warmes zu trinken und sich dann bald wieder hinzulegen.
  • Andere finden einen Schluck Wasser ausreichend. Wenn bereits ein Glas Wasser auf dem Nachttisch steht, vermeidet man, durch das Aufstehen den Kreislauf wieder anzukurbeln.
  • Wenn ein Thema gar nicht aus dem Kopf zu vertreiben ist, kann es helfen, einen Zettel und einen Stift am Bett bereit zu haben und sich kurze Notizen zu machen. Noch besser ist es, wenn Sie zum Aufschreiben der Gedanken einen Platz außerhalb des Betts aufsuchen. Damit signalisieren Sie sich selbst, dass die Probleme im Bett „nichts zu suchen haben“.
  • Oft kann auch das Lesen eines spannenden Buchs oder eines interessanten Zeitungsartikels vom Grübeln ablenken.
  • Menschen, die darunter leiden, dass sie Lebenspartner, ein Kind oder Elternteil verloren haben, tut es gut, wenn sie gedanklich ein Zwiegespräch mit dem geliebten Menschen führen.

Komplementärmedizin

In kaum einem anderen Bereich der Medizin verlaufen die Grenzen zwischen alternativen und schulmedizinischen Therapiemethoden so fließend wie in der Schlafmedizin. So zählen die oben unter Selbsthilfe besprochenen entspannungsfördernden Therapien bei anderen Krankheiten durchaus zu den Alternativverfahren – während sie in der Schlafmedizin schon zu Kernbausteinen der „schulmedizinischen“ Therapie geworden sind. So sind phytotherapeutische Schlafmittel in der hausärztlichen Praxis fest etabliert. Eine weitere Variante ist die Aromatherapie. Dabei werden vor dem Zubettgehen ein paar Tropfen Bitterorangenöl in die Schale einer Duftlampe geträufelt. Auch Lavendel- oder Kamillenöl können durch ihren Geruch beruhigend wirken.

Methoden wie Akupunktur oder Homöopathie spielen in der Praxis der Schlafmedizin nur eine geringe Rolle.

Das Hormon Melatonin wird vielfach – auch im Internet – als natürliches Medikament für einen besseren Schlaf beworben. Wissenschaftliche Studien sprechen der isolierten Einnahme allerdings kaum einen Nutzen zu [W08]:

  • Bei primären Schlafstörungen lässt sich durch die Einnahme des Medikaments die Einschlafdauer zwar um etwa zehn Minuten verkürzen; die Schlafqualität und auch die Schlafdauer bleiben dabei aber unbeeinflusst.
  • Bei durch Schichtarbeit oder Jetlag bedingten Schlafstörungen erhöht Melatonin zwar die Schlafdauer; allerdings wird auch hier die Schlafqualität nicht verbessert.
  • Bei allen sekundären Schlafstörungen ist Melatonin wirkungslos.

Weiterführende Informationen

  • www.leitlinien.net – Über die Rubrik Leitlinien-Startseite, dann Nicht aktualisierte Leitlinien, Register-Gruppe 063 gelangen Sie zur Leitlinie für Diagnostik und Therapie des nicht erholsamen Schlafs der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM). Auch wenn es hier als nicht mehr aktuell geführt wird, so ist es doch das ausführlichste Dokument in deutscher Sprache. Sehr umfassende Informationen, leider nicht sehr laienfreundlich formuliert.
  • www.schlafgestoert.de – Eine der wenigen Internetseiten zum Thema, die uneingeschränkt empfohlen werden kann, betrieben von drei Schlafmedizinern aus Münster. Dort finden sich viele Links, weitergehende Quellen und ein Schlafprotokoll zum Herunterladen.
  • J. Zulley: Mein Buch vom guten Schlaf. Zabert Sandmann, 2005. Richtig schlafen kann man lernen – das ist die Grundthese des Autors, der als Schlafforscher bekannt ist.
  • Stiftung Warentest (Hrsg.): Fit durch gesunden Schlaf. Guter und ausgewogener Überblick zum Thema, auch wenn der Ratgeber bereits 1994 erschienen ist.

Von: Dr. Bernadette Andre-Wallis, Dr. med. Arne Schäffler in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualisierung: Dr. med. Sonja Kempinski
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Keine Chance der Migräne!

Migräne beeinträchtigt die Lebensqualität der Betroffenen erheblich.

Keine Chance der Migräne!

Behandeln oder vorbeugen

Wer unter einer Migräneattacke leidet, möchte erstmal nur eines: Dass sie schnell wieder verschwindet. Mit modernen Wirkstoffen gelingt das heutzutage in den meisten Fällen auch. Sind die Attacken besonders schwer oder besonders häufig, gibt es mehrere Möglichkeiten, ihnen vorzubeugen.

Volkskrankheit mit üblen Folgen

Die Migräne ist eine sehr häufige Kopfschmerzerkrankung: Weltweit sollen mehr als eine Milliarde Menschen darunter leiden. In Deutschland sind laut Robert Koch-Institut 15% der Frauen und 6% der Männer von Migräne betroffen, manche Fachleute gehen sogar von noch höheren Zahlen aus.

Die immer wiederkehrenden Migräne-Attacken sind gekennzeichnet durch einseitige, pulsierende Kopfschmerzen unterschiedlicher Stärke, die sich bei Bewegung oft verschlimmern. Vielfach gehen sie mit Übelkeit und Erbrechen einher, und viele Betroffene sind überempfindlich gegenüber Licht, Geräusche oder Gerüche. Die Anfälle dauern zwischen vier Stunden und drei Tage. Auch die Häufigkeit der Migräneanfälle variiert erheblich: Manche Menschen haben nur wenige Attacken im Jahr, manche mehr als 15 Migränetage im Monat (dann spricht man von einer chronischen Migräne).

Bis zu 30% der Betroffenen erleben zusätzlich zu den Kopfschmerzen auch Auraphänomene. Eine Aura ist eine im Gehirn ausgelöste, sich wellenförmig über die Hirnrinde ausbreitende Nervenzellaktivität. Sie macht sich bemerkbar durch beidseitiges Doppeltsehen oder andere Sehstörungen wie

  • Einschränkungen des Gesichtsfelds, d.h., das Sehfeld wird kleiner und das räumliche Sehen erschwert
  • Flimmersehen
  • blendende, sich ausbreitende Kreise oder Vierecke sowie
  • Lichtblitze oder Sterne vor den Augen.

Weitere mögliche Auraphänomene sind Probleme beim Sprechen, Tinnitus, Schwindel oder Bewusstseinsstörung. In seltenen Fällen leiden Migränepatient*innen auch nur unter Auraphänomenen, ohne dabei Kopfschmerzen zu haben.

Migräne ist eine überaus belastende chronische Erkankung. Die Lebensqualität der Betroffenen ist durch die Attacken oft stark eingeschränkt, viele müssen aufgrund der Anfälle immer wieder Verabredungen und Termine absagen und ziehen sich aus dem sozialen Leben zurück.

Hinweis: Nicht nur die persönlichen, auch die sozioökonomischen Folgen der Erkrankung sind enorm. Durch Migräne gehen jährlich etwa 1,9 Milliarden Arbeitsstunden verloren. Insgesamt kostet das die deutsche Volkswirtschaft durchschnittlich 146 Milliarden Euro Wertschöpfung pro Jahr.

Wo kommt die Migräne her?

Ganz sind die Vorgänge hinter den Migräneattacken noch nicht geklärt. Dreh- und Angelpunkt scheint aber die Freisetzung verschiedener Botenstoffe im Gehirn zu sein. Dazu gehören das vasoaktive intestinale Peptid (VIP), die Schmerzsubstanz P und das Calcitonin-Gene-Related Peptide (CGRP). Diese sorgen dafür, dass sich die Blutgefäße in den Hirnhäuten entzünden. Weil die Blutgefäße mehr durchblutet werden, muss sich die entzündete Gefäßwand dehnen. Das wiederum wird im Gehirn als pulsierender Kopfschmerz wahrgenommen.

Heute geht man davon aus, dass die Migräne auf einer genetischen Veranlagung beruht. Vererbt ist also, dass die Nervenzellen der Patient*innen auf bestimmte Reize oder Zustände mit einer Migräneattacke reagieren. Häufige Auslöser sind Aufregung, Stress und Schlafmangel. Es gibt aber individuell viele weitere Trigger, dazu gehören z.B.

  • Lebensmittel (z.B. Kaffee, Cola, Alkohol, Schokolade und Käse)
  • Zeitverschiebungen und Veränderungen des Schlaf-Wach-Rhythmus
  • Wetterumschwünge, Föhnwetter
  • Hormoneinnahme (z.B. die Pille)
  • Gerüche, z.B. Zigarettenrauch, Parfüm oder Lösungsmittel
  • ungewohnte körperliche Anstrengung
  • Weglassen von Mahlzeiten
  • Lichtreize von außen wie flackerndes Licht oder Neonlicht.

Hinweis: Bei empfindlichen Personen kann der plötzliche Wechsel zwischen Arbeitsstress und Entspannung Migräneanfälle auslösen. Dieses Phänomen ist unter der Bezeichnung „Feiertagsmigräne“ bekannt.

Akute Attacke bekämpfen

Ruhe und das Abschirmen von äußeren Reizen sind die ersten Maßnahmen bei einer akuten Migräne. Medikamentös gibt es verschiedene Optionen, die zum Teil ärztlich verschrieben werden müssen. Oft haben die Betroffenen erst nach einigen Versuchen „ihr“ Migränemedikament identifiziert. Das wichtigste ist dann, bei einer Attacke so früh wie möglich und hochdosiert zu behandeln.

Schmerzmittel. Leichte bis mittelschwere Attacken lassen sich häufig mit nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) beherrschen. Günstig sind Brausetabletten, weil der Körper den in Wasser gelöste Wirkstoff schnell aufnimmt. Empfohlen werden z.B. 1000 mg Acetylsalicylsäure (ASS) oder 200 – 600 mg Ibuprofen, jeweils als Einmalgabe. Wer keine NSAR nehmen darf, kann sich mit Paracetamol behelfen. Auch empfohlen, aber etwas weniger wirksam sind Diclofenac-Kalium-Kombinationen oder Kombinationspräparate mit ASS, Paracetamol und Koffein.

Triptane. Bei mittelschweren bis schweren Migräneattacken sind Triptane die Therapie der Wahl. Das Gleiche gilt, wenn die Kopfschmerzen nicht auf die oben genannten Schmerzmittel ansprechen. Triptane verengen die erweiterten Gefäße wieder. Außerdem hemmen sie die entzündungsfördernden Botenstoffe und die Weiterleitung von Schmerzimpulsen in den Nerven. In Deutschland sind sechs Triptane zugelassen, sie werden als Tabletten, Nasenspray, Zäpfchen oder als Spritze verabreicht. Am schnellsten und stärksten soll gespritztes Sumatriptan wirken. Zum Schlucken sind laut Migräneleitlinie Eletriptan und Rizatriptan am schnellsten wirken. Naratriptan und Almotriptan sind als Tabletten auch rezeptfrei verfügbar.

Die Einnahme von Triptanen sollte nur nach Rücksprache mit der behandelnden Ärzt*in erfolgen. Da sie an Gefäßen verengend wirken, sind sie für Menschen mit Gefäßerkrankungen tabu. Sie kommen also zum Beispiel nicht in Frage bei koronarer Herzkrankheit, peripherer Verschlusskrankheit (pAVK) oder Bluthochdruck. Auch während der Schwangerschaft und Stillzeit sollten Triptane nicht eingesetzt werden.

Neue Medikamente. Auch für Menschen, bei denen Triptane keine Besserung bringen, gibt es dank neuer Wirkstoffe Hoffnung. Rimegepant blockiert den CGRP-Rezeptor, und verhindert damit, dass der entzündungsfördernde Botenstoff CGRP an den Gefäßen andocken kann. Lasmiditan wirkt ähnlich wie Triptane, verengt aber die Gefäße nicht. Es könnte deshalb auch für Patient*innen mit Gefäßerkrankungen eine Option sein. Beide Wirkstoffe sind in Deutschland aber leider noch nicht erhältlich (Stand Januar 2023).

Hinweis: Manchmal hilft es auch, Migränemittel nach ärztlicher Rücksprache zu kombinieren. Möglich ist beispielsweise die Kombination aus Triptan und einem lang wirkenden NSAR wie Naproxen.

Akute Migräne alternativ lindern

Neben Triptanen und Schmerzmitteln gibt es auch nicht-medikamentöse Verfahren, mit denen sich eine akute Migräneattacke lindern lässt:

  • Durch ein spezielles Blut-Volumen-Puls-Biofeedback können Migränepatient*innen lernen, akuten Attacken Einhalt zu gebieten. Dabei wird im schmerzfreien Intervall mithilfe eines kleinen Sensors an der Schläfe gezielt trainiert, die Schläfenarterie zu verengen.
  • Ebenfalls erfolgreich bei der Behandlung von Migräneattacken ist die Stimulation des Nervus trigeminus. Dazu klebt man eine Reizelektrode auf die Stirn und koppelt einen kleinen Impulsgeber für etwa eine Stunde magnetisch an.
  • Manchen Betroffenen hilft auch die Akupunktur im akuten Anfall. Nicht aller Studien konnten hier aber tatsächlich einen Effekt nachweisen.

In einigen Fällen lassen sich Migränekopfschmerzen und ihre Nebenerscheinungen überhaupt nicht selbst beherrschen. Ein solcher Zustand gilt als Notfall, der in ärztliche Hände gehört.

Hinweis: Gegen die begleitende Übelkeit helfen Metoclopramid und Domperidon. Diese Präparate haben auch den Vorteil, dass sie den Magen beruhigen und dadurch die Aufnahme geschluckter Schmerzmittel und Triptane verbessern.

Vorbeugender Lebensstil

Generell profitieren Patient*innen mit Migräne von einem achtsamen Lebensstil. Dazu gehören etwa das regelmäßige Üben von Entspannungsverfahren oder das Achtsamkeitstraining. Auch die kognitive Verhaltenstherapie soll Betroffenen helfen, die Migräne und die damit verbundenen Belastungen zu reduzieren. Wer seine Trigger (siehe oben) kennt, kann diese meiden und dadurch Migräneattacken vorbeugen.

Eine weitere sehr effektive Vorbeugungsmaßnahme ist regelmäßiger Sport. Dabei ist jede Bewegung von Vorteil. Besonders gut scheinen aber regelmäßiges Krafttraining und begleitendes Ausdauertraining zu wirken.

Hinweis: Mit Nahrungsergänzungsmitteln lässt sich – obwohl häufig propagiert – wenig gegen Migräneattacken ausrichten. Es gibt jedoch Hinweise, dass bestimmte Ernährungsweisen hilfreich sein können. Dazu gehört vor allem der Verzicht auf Zucker und Fett, evtl. auch die ketogene Diät.

Migräneprophylaxe mit Medikamenten

Bei sehr stark betroffenen Patient*innen kann es sinnvoll sein, der Migräne durch die dauerhafte Einnahme von Medikamenten vorzubeugen. Das ist etwa der Fall bei mehr als drei Attacken pro Monat, bei besonders schweren und langen Anfällen oder wenn die Akuttherapie nicht hilft. Die Präparate können – jeweils in unterschiedlichem Ausmaß - die monatlichen Migränetage reduzieren. Zu einer kompletten Migränefreiheit führt keines der Präparate, es verlängern sich nur die Pausen zwischen den Attacken.

Wichtig zu wissen: Es dauert oft einige Zeit, bis die Prophylaxe greift. Zur endgültigen Beurteilung der sollte man deshalb mindestens drei Monate abwarten, bei chronischer Migräne empfehlen Fachleute auch einen Therapieversuch über bis zu sechs Monaten.

Die Dauer der Prophylaxe variiert individuell je nach Ausmaß der Beschwerden und der verwendeten Substanz. Flunarizin soll beispielsweise nicht länger als sechs Monate eingenommen werden. Alle anderen Wirkstoffe werden mindestens neun Monate lang gegeben. Danach ist ein Auslassversuch möglich, d.h. man setzt das Medikament wieder ab und beobachtet, ob die Patient*in auch ohne die vorbeugende Therapie auskommt.

Welches Präparat am besten geeignet ist, entscheiden Betroffene und Ärzt*in gemeinsam. Wichtig sind dabei auch eventuelle Begleiterkrankungen. Leidet die Patient*in z.B. an Bluthochdruck, gibt man häufig Betablockern den Vorzug. Besteht zusätzlich eine Depression, versucht man es gern mit Antidepressiva. Bei Migräne und Epilepsie bieten sich dagegen Antiepileptika wie Valproinsäure an.

Traditionelle Migräneprophylaktika. Zu den Klassikern gehören Betablocker, vor allem Propanolol und Metoprolol. Daneben werden auch Flunarizin, das Antidepressivum Amitryptilin, und die Antiepileptika Topiramat und Valproinsäure zur Prophylaxe der Migräne eingesetzt. Eine weitere Option ist die Injektion des muskelentspannenden Wirkstoffs Onabotulinumtoxin (Botox) in bestimmte Bereiche der Schädelmuskulatur.

Antikörper gegen CGRP. Seit einigen Jahren gibt es Antikörper, die den Botenstoff und „Migräneverursacher“ CGRP oder dessen Rezeptor hemmen. Zugelassen zur Migräneprophylaxe sind inzwischen vier Wirkstoffe. Sie alle sind laut Migräneleitlinie gut verträglich und wirksamer als ein Scheinmedikament. Erenumab, Fremanezumab und Galcanezumab werden unter die Haut gespritzt, ihre Wirkung setzt meist nach bis zu zwei Wochen ein. Eptinezumab gibt die Ärzt*in direkt in die Vene, sein Vorteil ist deshalb eine etwas schnellere Wirksamkeit.

Etliche Menschen dürfen diese Antikörper allerdings nicht einnehmen. Dazu gehören diejenigen mit Gefäßerkrankungen wie koronare Herzerkrankung, Schlaganfall, pAVK (periphere arterielle Verschlusskrankheit, auch Schaufensterkrankheit genannt) oder einem Morbus Raynaud. Auch bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen und obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) sind die Antikörper kontraindiziert. Schwangere, Stillende oder Frauen, die nicht (ausreichend) verhüten, dürfen das Medikament ebenfalls nicht erhalten.

Rimegepant. Rimegepant kann Migräneattacken möglicherweise ebenfalls vorbeugen, so die aktuellen Migräneleitlinien. Sein großer Vorteil: Das Medikament muss nicht gespritzt, sondern kann einfach geschluckt werden. Wo sich die zugelassene, aber in Deutschland noch nicht erhältliche (Stand Januar 2023) Substanz in der Praxis einreiht, ist allerdings noch ungewiss.

Vergleichsstudien, welches Präparat am besten wirkt, gibt es kaum. In einer Studie erwies sich Erenumab als effektiver und besser verträglich als Toparimat. In einer anderen Studie waren Propanolol und Topiramat vergleichbar effektiv zur Vorbeugung bei chronischer Migräne. Rimegepant wiederum soll etwas weniger wirksam sein als Migräne-Antikörper. Letztendlich wird ebenso wie bei der Therapie der akuten Migräne die Patient*in durch Therapieversuche herausfinden, welches Präparat für sie am geeignetsten ist.

Hinweis: Ein wichtiges Instrument zur Beurteilung von Therapieerfolg und Krankheitsaktivität ist das Kopfschmerztagebuch. Dafür gibt es inzwischen als praktische Variante auch zahlreiche Apps fürs Smartphone.

Nervenblockaden und Muskeldurchtrennung

Wenn Medikamente zur Vorbeugung gegen chronische Migräne nicht helfen, kann man auch direkt auf die schmerzleitenden Nerven einwirken (interventionelle Verfahren). Die Ärzt*innen blockieren die Nerven z.B, indem sie in unmittelbarer Nähe lokale Betäubungsmittel oder Kortison spitzen. Manchmal entscheiden sich die Ärzt*innen aber auch dazu, die Nerven elektrisch zu stimulieren. Weitere Verfahren wie die Durchtrennung perikranieller (den Schädel umgebender) Muskeln oder das Einpflanzen stimulierender Elektroden in bestimmte Gehirnregionen (z.B. das Ganglion sphenopalatinum) werden heute nicht mehr empfohlen.

Quelle: Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne, S1-Leitlinie, 2022, DGN und DMKG

Von: Dr. med. Sonja Kempinski; Bild: Ground Picture/shutterstock.com