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Polyneuropathie

Polyneuropathie
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Polyneuropathie (PNP, Polyneuritis): Nicht verletzungsbedingte Funktionsstörungen mehrerer peripherer Nerven, die sich oft durch Ameisenlaufen, Kribbeln oder Schmerzen äußern. Zu den häufigsten Ursachen gehören zu je einem Drittel der Fälle Diabetes und Alkoholabhängigkeit, allerdings können auch Infektionen, Vergiftungen, Gefäßentzündungen oder angeborene Erkrankungen zu Polyneuropathien führen.

Neben der Behandlung der zugrundeliegenden Erkrankung kommen Schmerzmittel, Antiepileptika und Antidepressiva zum Einsatz. Meist ist damit jedoch nur eine Linderung der Beschwerden und keine völlige Schmerzfreiheit zu erzielen.

Symptome und Leitbeschwerden

  • Symmetrische, distal betonte, strumpf- oder handschuhförmige schmerzhafte oder brennende Missempfindungen
  • "Ameisenlaufen" oder Kribbeln auf der Haut
  • "Burning feet", d. h. Brennen an den Füßen, vor allem nachts
  • Wadenkrämpfe
  • Vermindertes Berührungs- oder Vibrationsempfinden, Taubheitsgefühle oder auch eingeschränktes Schmerzempfinden
  • Gehstörungen
  • Lähmungen
  • Blasenschwäche, Erektionsstörungen, Völlegefühl.

Wann in die Arztpraxis

In den nächsten Tagen, wenn

  • oben genannte Missempfindungen oder Empfindungsstörungen über mehrere Tage bestehen oder sich schnell verstärken.

Noch am selben Tag

  • bei Muskellähmungen.

Die Erkrankung

Verlauf

Polyneuropathien beginnen in der Regel schleichend, häufig mit strumpf- oder handschuhförmigen Empfindungsstörungen an Beinen bzw. Armen. Während in erster Linie Missempfindungen und Schmerzen den Betroffenen belasten und daher zur Arztpraxis führen, werden Ausfälle wie etwa ein vermindertes Vibrationsempfinden erst spät bemerkt, etwa wenn es durch fehlende Rückmeldung über die Bodenbeschaffenheit zu Gehstörungen gekommen ist.

Sind Nerven beeinträchtigt, die für Muskelbewegungen zuständig sind, kommt es zu Muskelschwäche oder Lähmungen. Sind Nerven des vegetativen Nervensystems betroffen, können Magen-Darm-Beschwerden, sexuelle Störungen und Blasen- oder Darmentleerungsstörungen folgen. Führt die Nervenschädigung zu einer gestörten Blutdruckregulation, entwickelt sich manchmal eine orthostatische Dysregulation mit Schwindelgefühl beim Aufstehen aus dem Liegen. Auch die Hautdurchblutung leidet, was sich z. B. durch hartnäckigen Hautpilz der Zehen zeigen kann, nicht selten aber erst bei Vorliegen von Hautgeschwüren bemerkt wird.

Ursachen

Unzählige Erkrankungen und Substanzen können die Nerven schädigen. Zu den wichtigsten Ursachen gehören

  • Toxische Einflüsse
    • Alkoholmissbrauch
    • Vergiftungen mit Schwermetallen wie Blei oder Arsen
    • Lösungsmittel
    • Medikamente (Chemotherapeutika)

  • Stoffwechsel- oder hormonelle Erkrankungen
    • Diabetes mellitus
    • Akromegalie
    • Schwangerschaft
    • Mangelernährung (z. B. Vitamin-B-Mangel)

  • Angeborene Erkrankungen
    • Porphyrie
    • Amyloidose
    • Genetisch bedingte Neuropathien (selten)

  • Infektionen
    • Borreliose, Lepra, Syphilis
    • HIV-Infektion, Zytomegalie, Influenza
  • Entzündungen
    • rheumatische Erkrankungen
    • Guillain-Barré-Syndrom
    • Therapeutische Bestrahlung, z. B. im Rahmen einer Krebsbehandlung
    • Gefäßentzündungen

  • Begleiterscheinung einer Krebserkrankung
    • Z. B. beim Lungenkrebs.

Diagnosesicherung

Die Ursacheneingrenzung gleicht manchmal der berühmten Suche nach der Nadel im Heuhaufen (und bleibt in etwa 20 % erfolglos). Sie ist aber notwendig, weil die Polyneuropathie bei weiter bestehender Schädigungsursache fortschreitet, wohingegen die Chancen auf (langsame) Besserung der Beschwerden nach Beseitigung der Ursache gut sind.

Die Diagnostik beginnt mit diversen neurologischen Untersuchungen, wobei die Ärzt*in Sensibilität, Vibrationsempfinden (siehe Abbildung), Motorik und Reflexe genau prüft. Außerdem folgen Blutuntersuchungen auf mögliche Auslöser, z. B. auf Giftstoffe, erhöhten Blutzucker, Syphilis-Antikörper oder Vitaminmangel.

Erhärtet wird der Verdacht auf eine Polyneuropathie durch eine Messung der Nervenleitgeschwindigkeit und eine Elektromyografie. Beide Untersuchungen sind unangenehm, da feine Nadeln unter die Haut eingestochen werden, aber gut erträglich.

Im Zweifel werden auch kleine Gewebeproben entnommen, z. B. von Nerven oder von der Haut, um diese unter dem Mikroskop untersuchen zu lassen.

Ob die autonomen Nervenfasern des Herzens geschädigt sind, wird mithilfe des EKGs geprüft. Eine Schädigung der Blasennerven äußert sich zumeist durch die inkomplette Blasenentleerung der Blase, d. h., es verbleibt nach dem Wasserlassen Restharn in der Blase. Diesen Restharn wird z. B. mithilfe einer Ultraschalluntersuchung nachgewiesen.

Differenzialdiagnosen. Symmetrisch verteilte Missempfindungen und Schmerzen an Armen oder Beinen finden sich auch bei der Peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK), Funikulärer Myelose, Neurosyphilis oder bei Nervenkompression durch Bandscheibenvorfälle.

Behandlung

Neben der Ursachenbehandlung (Diabetes optimal einstellen, Alkoholkonsum reduzieren, Infektionen behandeln) verordnet die Ärzt*in zusätzlich Medikamente gegen die oft quälenden Missempfindungen und Schmerzen. Dabei ist Geduld gefragt, da die Medikamente oft mehrere Wochen brauchen, um wirksam zu werden. Zudem lässt sich meist keine völlige Schmerzfreiheit erzielen, häufig ist jedoch eine Linderung der Schmerzen auf ein akzeptables Niveau möglich.

Bei leichten, nicht kontinuierlichen Schmerzen empfehlen die Leitlinien einen Behandlungsversuch mit Schmerzmitteln wie Paracetamol oder Metamizol. Reichen diese nicht aus oder handelt es sich von vorneherein um mittelschwere oder starke Schmerzen und Missempfindungen, werden folgenden Wirkstoffe einzeln oder in Kombination verabreicht:

  • Antiepileptika wie z. B. Gabapentin, Pregabalin, Carbamazepin. Diese krampflösenden Substanzen dämpfen die Erregbarkeit der Nervenzellen und können dadurch Schmerzen und Missempfindungen lindern. Antiepileptika stören oft die Blutbildung, deshalb muss die Ärzt*in regelmäßig das Blut kontrollieren.
  • Antidepressiva wie z. B. Amitryptilin oder Duloxetin. Sie beseitigen den Schmerz nicht, unterdrücken aber seine Weiterleitung. Antidepressiva dosiert der Arzt vorsichtig auf, um die Nebenwirkungen wie Blutdruckabfall oder Erektionsstörungen möglichst gering zu halten.
  • Opioide sind starke Schmerzmittel, haben aber den Nachteil, dass sie zu einer Gewöhnung führen. Manchmal lässt auch ihre Wirkung mit der Zeit nach, wodurch immer höhere Dosen erforderlich sind (Toleranzentwicklung). Sie werden nur verordnet, wenn Antiepileptika oder Antidepressiva keine Wirkung zeigen.
  • Schmerzlindernde Pflaster. Schmerzlindernde Pflaster gelten in der Therapie des polyneuropathischen Schmerzes als zweite Wahl, d. h. die Ärzt*in verordnet sie, wenn die Therapie mit Tabletten nicht anschlägt. Sie dürfen nur auf unverletzte, trockene Haut geklebt werden. Capsaicin-Pflaster (z. B. Qutenza®) ist zugelassen zur Behandlung polyneuropathischer Schmerzen bei Erwachsenen, die nicht an Diabetes leiden. Der Wirkstoff reduziert die Empfindlichkeit der Schmerzrezeptoren in der Haut. Etwa eine Woche, nachdem das Capsaicin-Pflaster für 30–60 Minuten auf das schmerzende Areal aufgeklebt wurde, beginnt die Schmerzreduktion, die über etwa 12 Wochen anhält. Lidocain-Pflaster unterbinden die krankhafte Nervenerregung in der Haut, sie werden einmal täglich für 12 Stunden auf die Haut geklebt.
  • Alpha-Liponsäure soll Schmerzen und Empfindungsstörungen bei der diabetischen Polyneuropathie verbessern, die Wirkung ist allerdings umstritten. Deshalb übernehmen die Gesetzlichen Krankenkassen die Kosten einer solchen Behandlung nicht.

Physio- und Ergotherapie helfen, Gelenkversteifungen zu vermeiden und Muskeln wiederaufzubauen. Individuell angepasste Hilfsmittel können die Gangsicherheit erhöhen und Immobilität vorbeugen.

Prognose

Lässt sich bei einer Polyneuropathie der Auslöser frühzeitig abstellen, ist die Prognose gut. Je später jedoch die Erkrankung erkannt wird, desto höher ist die Gefahr, dass die Nerven schon bleibend geschädigt sind. In diesen Fällen lassen sich die Beschwerden mit den genannten Medikamenten jedoch häufig zumindest lindern.

Ihre Apotheke empfiehlt

Was Sie selbst tun können

Füße gut pflegen. Die Empfindungsstörungen bei Polyneuropathien können gefährliche Folgen haben. Dadurch, dass Druckstellen oder kleine Fußverletzungen nicht mehr bemerkt werden, entwickeln sich sehr leicht Fußgeschwüre. Vor allem Diabetiker sind häufig vom diabetischen Fußsyndrom betroffen, weil bei ihnen zusätzlich die Wundheilung gestört ist. Achten Sie deshalb auf eine gute Fußpflege und tragen Sie nur gut passendes Schuhwerk.

Mobil bleiben. Nutzen Sie physikalische Therapien und Krankengymnastik, um gelenkig zu bleiben. Auch Wechselbäder können die Durchblutung steigern und schwache Muskeln wieder stärken.

Wadenkrämpfe lindern. Zur Behandlung von Wadenkrämpfen kann Magnesium versucht werden. In manchen Fällen verschreibt die Ärzt*in auch das rezeptpflichtige Chinin.

Schwindel- und Schwächegefühle behandeln. Wenn die Blutdruckregulation gestört ist und Sie unter einer orthostatischen Dysregulation leiden, tragen Sie Stützstrümpfe. Außerdem sollten Sie immer langsam aufstehen, um keinen Schwindel zu provozieren. Regelmäßiges Muskeltraining fördert zudem die Venenpumpe.

Blasenstörungen in den Griff bekommen. Gehen Sie regelmäßig zur Toilette, damit sich nicht zu viel Restharn in der Blase ansammelt. Suchen Sie bei starker Beeinträchtigung ihre Hausarztpraxis auf, diese kann Ihnen mit Medikamenten helfen.

Erektionsstörungen ansprechen. Polyneuropathien machen auch vor dem vegetativen Nervensystem nicht halt. Zudem stören auch die zur Behandlung der Missempfindungen eingenommenen Medikamente manchmal die Erektion. Sprechen Sie bei Erektionsstörungen mit Ihrer Ärzt*in, er kann Ihnen beispielsweise mit der Verordnung eines PDE-5-Hemmers oder auch einer Vakuumpumpe helfen.

Komplementärmedizin

Magnettherapie. Neuere Studien zeigen positive Effekte bei diabetischer Neuropathie. Auf welchem Mechanismus die Wirkung der Magnettherapie beruht, ist aber derzeit noch unklar. [T19]

Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS). Manchen Patienten hilft es, eine schmerzhafte Hautregion elektrisch zu stimulieren. Ob die TENS bei Polyneuropathie wirksam ist, wurde bisher jedoch nicht in kontrollierten Studien nachgewiesen.

Homöopathie. Die Homöopathie empfiehlt u. a. Aconitum C3, D4 bei neuralgischen, stechenden, brennenden Schmerzen, Agaricus muscarius D6 und D12 bei Missempfindungen (z. B. Taubheitsgefühl und "Ameisenlaufen"), Spigelia D6 und D12 bei periodisch auftretenden neuralgischen Schmerzen und Verbascum D1, D2 und D3 bei neuralgischen Gliederschmerzen mit Lähmungsgefühl [T17] für den Akutfall, sowie individuell abgestimmte Mittel zur Konstitutionstherapie.

Weiterführende Informationen

Die Deutsche Polyneuropathie Selbsthilfe e.V. unterstützt Betroffene und ihre Familienangehörigen. Die Webseite findet sich unter https://polyneuro.de/index.php?id=16
Seite mit Blogs zum Leben mit Polyneuropathie von Betroffenen: https://polyneuropathie-pnp.jimdofree.com/.
Ein Faltblatt mit Informationen zur Polyneuropathie finden Sie auf der Webseite der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke e.V.: https://www.dgm.org/muskelerkrankungen/polyneuropathie

Von: Dr. med. Nicole Menche in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualisierung: Dr. med. Sonja Kempinski
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Hunde gehören nicht nur zu den besten Freunden der Menschen. Die Vierbeiner gewinnen auch als medizinische Helfer immer mehr an Bedeutung: Sie führen Blinde über die Straße, erschnüffeln Unterzucker und beruhigen in Stresssituationen.

Helfen, warnen, Krankheiten aufspüren

Jede Hundefreund*in liebt seinen Vierbeiner auch ohne zusätzliche Meisterleistungen. Doch es ist wirklich erstaunlich, was die klugen Tiere nach entsprechender Ausbildung und Prüfung alles bewerkstelligen können: Als Assistenzhunde führen sie nicht nur Sehbehinderte durch die Straßen. Für Menschen, die aufgrund ihrer Erkrankung gelähmt sind oder sich nur schwer bewegen können, öffnen sie Türen, betätigen Lichtschalter und heben kleine Dinge auf. Gehörlosenhunde melden, wenn Telefon oder Türglocke klingeln oder der Feuermelder Alarm gibt. Demenz-Hunde passen auf ihren Patient*innen auf und holen Angehörige oder Pflegende, wenn ihre Bezugsperson etwas Ungewöhnliches tut.

Signalhunde sind darauf trainiert, bestimmte Stoffwechselzustände zu erschnüffeln. Wie sie das genau machen, ist Inhalt intensiver Forschung. Diabetes-Warnhunde erkennen z.B. die Unterzuckerung von Herrchen oder Frauchen frühzeitig am Geruch. So alarmiert können die Betroffenen der drohenden Bewusstlosigkeit mit der Aufnahme von Zucker gut gegensteuern. Andere Hunde erschnüffeln Bakterien im Urin und machen so auf Harnwegsinfekte aufmerksam. Dass hilft bei Personen gut, die nicht mehr gut auf sich achten können. Neu sind die Forschungen in Bezug auf epileptische Anfälle. Auch diese können Hunde offenbar am Geruch betroffener Menschen vorhersagen. Wie gut das im Vorfeld klappt, wird jetzt erforscht.

Auch vor Krebs können die Fellnasen warnen. Prostatakrebs erkennen sie an flüchtigen organischen Verbindungen im Urin, zum Erschnüffeln von Darmkrebs müssen sie an Stuhlproben oder Atemluft-Proben riechen. Derzeit trainiert man Hunde auch für das Aufspüren von Melanomen, also dem schwarzen Hautkrebs.

Coronainfizierte werden erschnüffelt

Ihren hervorragenden Geruchssinn konnten die Hunde auch in der Pandemie gut einsetzen. Auf den Geruch von COVID-19-trainierte Fellnasen waren in der Lage, Coronainfizierte aus einer Menge von Schulkindern herauszufischen – nur, indem sie an deren Knöcheln und Füßen rochen.

Ganz ohne Geruchssinn helfen Hunde auch gegen depressive Verstimmungen und Angst. Während der Pandemie waren Hundebesitzer*innen z.B. deutlich besser vor Depressionen und Ängsten geschützt als Menschen, die keinen Hund hatten. Therapiehunde verringerten in einer US-amerikanischen Studie Schmerzen und Ängste von Patient*innen in der Notaufnahme. Autistische Kinder profitieren von Assistenzhunden, die sie in stressigen Situationen beruhigen und ihre Ängste verringern.

Schon der normale Haushund nützt

Man muss jedoch gar nicht krank oder verstimmt sein, um gesundheitlich von seinem Vierbeiner zu profitieren. Immer wieder zeigen Studien, dass Hundehalter*innen weniger psychischen Stress haben und seltener an kardiovaskulären Erkrankungen leiden.

Quelle: medscape

Von: Dr. med. Sonja Kempinski; Bild: mauritius images / RossHelen editorial / Alamy / Alamy Stock Photos