Gesundheit heute

Schwindel

Schwindel (Vertigo): Gleichgewichtsstörung, bei der der Betroffene fälschlicherweise meint, die Umgebung bewege sich, oft verbunden mit Übelkeit und Erbrechen. Schwindel ist keine eigenständige Krankheitsdiagnose, sondern ein Symptom, das bei vielen unterschiedlichen Erkrankungen und Störungen vorkommt. Häufige Ursachen sind Innenohrerkrankungen, Gefäßerkrankungen, neurologische und psychische Störungen oder unerwünschte Medikamentenwirkungen. Beim multimodalen Altersschwindel kommen meist mehrere Schwindelursachen zusammen.

Die Behandlung des Schwindels richtet sich nach der Ursache, z. B. genügt beim benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel ein sog. Befreiungsmanöver (ein Positionswechsel nach festem Muster), während beim Akustikusneurinom operiert werden muss. Zur Akuttherapie und in Fällen, in denen sich keine Ursache finden lässt, verordnet der Arzt auch Medikamente gegen Schwindel, die Antivertiginosa. Beim multimodalen Altersschwindel sind zudem Gangschulung und Gleichgewichtstraining von besonderer Bedeutung.

Symptome und Leitbeschwerden

  • Schwindelgefühle, Gefühle "wie im Karussell", "wie auf einem Schiff" oder "wie in einem auf- und abfahrenden Lift"
  • Benommenheit, schummriges Gefühl im Kopf
  • Gangunsicherheit
  • Übelkeit und Erbrechen
  • Evtl. begleitende Hörstörungen und/oder Kopfschmerzen.

Wann zum Arzt

Sofort zum Arzt oder ins Krankenhaus, bei

  • plötzlich auftretendem, starkem und unerklärlichem Schwindel
  • plötzlich aufgetretenen Gangstörungen, Benommenheit
  • plötzlichen Seh- und Hörstörungen.

Demnächst, wenn

  • sich Gangunsicherheiten oder Gleichgewichtsstörungen entwickeln
  • immer wieder Benommenheit oder Schwindel auftritt
  • Sehen und Hören kontinuierlich schlechter wird.

Die Erkrankung

Schwindel gehört zu den Gesundheitsproblemen, die zwar nicht altersbedingt sind, aber mit zunehmendem Alter häufiger werden: Klagen schätzungsweise 10 % aller Patienten einer Hausarztpraxis über Schwindel, so sind es bei den über 65-Jährigen bis zu 30 % und bei hochbetagten Pflegeheimbewohnern sogar bis zu 70 %.

Krankheitsentstehung

Augen, Gleichgewichtsorgane und verschiedene Reizaufnehmer (Rezeptoren) in Muskeln, Gelenken und Haut leiten ständig Informationen über unsere Position im Raum zum Gehirn weiter. Schwindel entsteht immer dann, wenn sich diese Informationen widersprechen, sodass das Gehirn kein stimmiges Bild erstellen kann. Begleitet wird Schwindel häufig von Übelkeit bis hin zu Erbrechen, Blässe und Schweißausbruch, da die an der Gleichgewichtsregulation beteiligten Nervenzellen im Gehirn mit denen zur Steuerung vegetativer Reaktionen verbunden sind.

Schwindel als solcher ist kein krankhaftes Phänomen. Jeder kennt das Kinderspiel, erst länger im Kreis gedreht und dann losgelassen zu werden. Schwindel, scheinbare Drehbewegungen der Umwelt und Taumeln sind dabei absolut normal und machen den Reiz des Spiels aus. Schwindel bei einfachem Drehen des Kopfs hingegen ist ein Krankheitszeichen.

Schwindelformen

Für die Ursachenfindung ist eine genaue Beschreibung des Schwindels unverzichtbar, wobei folgende Schwindelformen unterschieden werden:

    •  Zum systematischen Schwindel oder gerichteten Schwindel gehören
      • Drehschwindel. Der Betroffene hat das Gefühl, seine Umgebung drehe sich um ihn wie in einem Karussell
      • Schwankschwindel. Hier hat man das Gefühl, als ob der Boden unter den Füßen schwanke, etwa wie auf einem Boot
      • Liftschwindel. Hier meint der Betroffene, sich wie in einem Aufzug nach oben oder unten zu bewegen

  • Der ungerichtete, unsystematische oder auch diffuse Schwindel wird auch Benommenheitsschwindel genannt und geht mit dem Gefühl der "Schummrigkeit" oder "Duseligkeit" sowie häufig mit Unsicherheit bzw. Gangunsicherheit einher.

Ursachen

Die Ursache für Schwindel kann in allen an der Reizaufnahme und -verarbeitung beteiligten Strukturen liegen. Deshalb wird Schwindel durch eine große Anzahl von Erkrankungen, Störungen oder Situationen ausgelöst. Der Arzt unterscheidet neben dem "normalen" physiologischen Schwindel aufgrund von Höhe, Karussellfahren oder Reisekrankheit zwei Hauptgruppen:

Beim vestibulären Schwindel liegt die Ursache in Gleichgewichtsorgan, Kleinhirn oder Stammhirn. Hier dominiert der Drehschwindel als Beschwerde, häufig kommen aber auch Schwank- und Liftschwindel und manchmal auch Benommenheitsschwindel vor. Mögliche Ursachen für vestibulären Schwindel sind

  • Gutartiger plötzlich auftretenden Lagerungsschwindel (benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel, BPPV). Hier handelt es sich um eine der häufigsten Schwindelformen mit sekundenlangen Drehschwindelattacken, Übelkeit und einer kurz dauernden Augenbewegungsstörung. Ihm liegt eine Ablösung von winzigen Steinchen aus dem Innenohr zugrunde, die meist in den hinteren Bogengang fallen und bei schnellen Kopfbewegungen den Schwindel auslösen.
  • Bilaterale Vestibulopathie. Bei dieser Erkrankung des Gleichgewichtsorgans kommt es zu bewegungsabhängigem Schwankschwindel und Gangunsicherheit, verstärkt in Dunkelheit und auf unebenem Grund.
  • Morbus Menière. Hier sind anfallsartiger Drehschwindel mit Übelkeit und Erbrechen, Hörminderung und Tinnitus die typischen Beschwerden.
  • Neuritis vestibularis. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um eine durch Infektion ausgelöste Entzündung des Gleichgewichtsnervs, die zu einem Dauerdrehschwindel mit Übelkeit, Erbrechen und Fallneigung führt. Je nach Schwere der Entzündung halten sich die Symptome bis zu drei Wochen. In der Regel heilt eine Neuritis vestibularis folgenlos ab.
  • Vestibuläre Migräne. Es handelt sich um eine Migräneform mit Dreh- und Schwankschwindel.
  • Hirnstamm- oder Kleinhirnläsionen. Hier kann es zu Schwindel in Form von Dreh- oder Schwankschwindel und/oder Gangstörungen, Störungen der Bewegungskoordination und Sprachstörungen kommen. Ursachen sind beispielsweise Schlaganfälle oder Tumore.
  • TIAs (tranistorische ischämische Attacke), also kurzfristige Durchblutungsstörungen im Kleinhirn. Hier sind Schwankschwindelattacken für Minuten bis Stunden typisch.
  • Vergiftung mit Alkohol oder Drogen. Dabei kommt es meist zu ungerichtetem Benommenheitsschwindel, manchmal auch zu Drehschwindel.
  • Akustikusneurinom. Hier sind neben dem Schwindel die einseitige Schwerhörigkeit und Tinnitus typisch.
  • Ototoxische Medikamente. Hierbei handelt es sich um Wirkstoffe, die das Innenohr schädigen und Hörstörungen, aber auch Schwindel auslösen können. Mögliche Präparate sind Furosemid, Chinin oder Gentamycin.

Der nicht-vestibuläre Schwindel oder diffuse Schwindel hat seinen Auslöser außerhalb des Gleichgewichtsorgans. Hier leiden die Betroffenen vor allem unter dem Benommenheitsschwindel, Mischformen mit gerichteten Schwindeltypen sind jedoch auch möglich. Mögliche Ursachen sind:

  • Schlechtes Sehen durch Fehlsichtigkeit oder Augenbewegungsstörungen
  • Multimodaler Altersschwindel. Dieser im Alter sehr häufige Schwindel kann nicht auf eine einzelne Ursache zurückgeführt werden, sondern ist durch ein Zusammenspiel verschiedener ungünstiger Einflüsse bedingt, z. B. schwankender Blutdruck plus schlechtes Sehen plus Nervenschäden (z. B. bei Zuckerkrankheit) plus depressive Verstimmung plus eine Vielzahl eingenommener Medikamente. Typisch sind ungerichteter Schwindel, Gangunsicherheit und Schwankschwindel
  • Nervenschäden mit beeinträchtigter Tastempfindung in der Haut, wodurch keine oder unpassende Meldungen an das Gehirn weitergeleitet werden, z. B. bei der Polyneuropathie
  • Blutdruckabfall bei gestörter Kreislaufregulation oder Herzrhythmusstörungen, typisch ist der Benommenheitsschwindel
  • Bluthochdruck (arterielle Hypertonie), vor allem wenn der Blutdruck rasch und stark ansteigt (Hypertensive Krise), aber auch beim schon länger bestehenden, moderaten Bluthochdruck.
  • Subclavian-Steal-Syndrom. Hier kommt es durch Gefäßverengung der A. subclavia zu Minderdurchblutung des Gehirns bei körperlicher Belastung des Armes. Beschwerden sind u. a. plötzlicher Schwindel, Synkopen und Sehstörungen
  • Funktionelles HWS-Syndrom nach einer Verletzung
  • (Überdosierte) Medikamente gegen zu hohen Blutdruck oder Epilepsie sowie Schlaf- und Beruhigungsmittel. Sie führen zu Müdigkeit, Benommenheit und damit auch Schwindel
  • Erkrankungen des Gehirns und der Hirnnerven wie z.B. Durchblutungsstörungen (insbesondere TIA und Schlaganfall, hier ist der Schwindel stark und akut auftretend),  intrakranielle Hypertension und Schädigungen des Sehnervs.

Weitere Schwindelursachen. Eine häufige Erkrankung ist der phobische Schwankschwindel, bei dem eine angstbesetzte Auslösesituation für die Beschwerden verantwortlich ist. Physiologisch, aber äußerst unangenehm sind Höhenschwindel und der Schwindel bei Reisekrankheit, auch Kinetose genannt. Bei den beiden letztgenannten Schwindeln variieren die Beschwerden, es können Benommenheitsschwindel, Drehschwindel und Schwankschwindel auftreten.

Folgen des Schwindels

Durch die schwindelbedingte Stand- und Gangunsicherheit sind vor allem ältere Menschen erheblich gefährdet, zu stürzen und einen Knochenbruch zu erleiden. Gleichzeitig neigen sie dazu, aus Angst vor einem Sturz ihre Aktivitäten auf ein Minimum zu reduzieren, was langfristig zur Immobilität mit all ihren Folgeschäden führt.

Diagnosesicherung

Mithilfe einer gründlichen Befragung grenzt der Arzt die möglichen Ursachen des Schwindels ein. Dabei kommt es nicht nur auf Art und Dauer des Schwindels an, sondern auch darauf, ob eventuelle Begleitbeschwerden bestehen. Ein "Schwarzwerden vor den Augen" deutet z. B. auf eine kreislaufbedingte Ursache hin, Kopfschmerzen auf die vestibuläre Migräne. Wichtig ist es auch, mögliche Auslöser wie Medikamente oder Situationen zu erkennen. Die weiteren diagnostischen Maßnahmen hängen von der vermuteten Ursache ab, ein typisches Programm umfasst z. B.

  • eine neurologische und HNO-ärztliche Untersuchung (letztere besonders bei Drehschwindel)
  • einen Schellong-Test (zum Ausschluss oder Nachweis einer Blutdruckregulationsstörung)
  • ein Langzeit-EKG (zum Ausschluss von Herzrhythmusstörungen)
  • eine Dopplersonografie der Hirnarterien (um Verengungen als Ursache kurzzeitiger Unterbrechungen der Gehirndurchblutung auszuschließen)
  • gegebenenfalls ein MRT (zum Ausschluss eines Schlaganfalls oder Tumors)
  • sowie die Untersuchung des Liquors und verschiedene Bluttests.

Differenzialdiagnosen. Bei der Beschwerde "Schwindel" kommen alle oben genannten Störungen und Erkrankungen in Frage.

Behandlung

Die Behandlung des Schwindels ist ursachenabhängig. Feststellbare Grunderkrankungen wie etwa Herzrhythmusstörungen werden immer entsprechend therapiert.

Konservative Behandlung

Zur Behandlung des benignen paroxysmalen Lagerungsschwindels gibt es zwei sogenannte Befreiungsmanöver (nach Epley und nach Semont). Dabei werden die schwindelverursachenden Steinchen durch koordinierte Bewegungen von Kopf und Körper und durch die Schwerkraft aus den Bogengängen herausmanövriert. Links zu anschaulichen Videos siehe unter "Weiterführende Informationen".

In seiner Wirkung vielfach unterschätzt wird das Gang- und Gleichgewichtstraining. Beim gutartigen plötzlich auftretenden Lagerungsschwindel z. B. steht es als Lagerungstraining ganz im Vordergrund, aber auch bei anderen Ursachen des Schwindels kann Training die Beschwerden wesentlich bessern. Nach dem Motto "Was nicht passt, wird passend gemacht" lernt das Gehirn, die (widersprüchlichen) Informationen neu zu verrechnen und korrigiert den Schwindel so selbst. Die verständliche und als Erstmaßnahme aus Sicherheitsgründen durchaus richtige Haltung, sich hinzulegen und zu schonen, vermeidet den Schwindel zwar zunächst einmal, wirkt sich aber auf Dauer ungünstig aus. Einzelheiten, welche Übungen am besten geeignet sind, finden Sie beim jeweiligen Krankheitsbild.

Manchmal ist Schwindel psychisch oder psychosomatisch bedingt oder ein organischer Schwindel wird durch psychische Faktoren verfestigt (Angst vor dem nächsten Schwindelanfall). Hier muss (zusätzlich) die psychische Störung behandelt werden, etwa durch eine Verhaltenstherapie.

Pharmakotherapie

Medikamente gegen Schwindel, Antivertiginosa genannt, sollten nur bei heftigem Drehschwindel mit Übelkeit kurzzeitig eingesetzt werden, bis die quälende Übelkeit abgeklungen ist, z. B bei der Neuritis vestibularis.

Als Erstlinien-Therapie hat sich in internationalen Studien Dimenhydrinat durchgesetzt.

Liegt dem Schwindel eine vestibuläre Störung zugrunde, verordnen manche Ärzte Flunarizin (z. B. Flunavert®). Auch das für den Morbus Menière zugelassene Betahistin (z. B. Vasomotal®) wird bei Schwindel off label (also ohne Zulassung für diesen speziellen Zweck) eingesetzt, auch wenn es bisher in klinischen Studien noch keinen Wirkungsnachweis erbringen konnte.

Die Behandlung des Schwindels im Rahmen der Reisekrankheit wird im entsprechenden Artikel beschrieben.

Behandlung von Altersschwindel

Bei älteren Menschen kann der Arzt häufig keine eindeutige Ursache für den Schwindel feststellen. In diesen Fällen geht man alle möglicherweise beteiligten Störfaktoren an, auch wenn jeder für sich allein nicht ausreicht, den Schwindel zu erklären. So werden die eingenommenen Medikamente überprüft, Augen und Ohren bzw. Brille und Hörgerät kontrolliert und Blutdruck und Blutzucker optimal eingestellt. Gleichzeitig wird durch Hilfsmittel, wie etwa Gehhilfen und Haltemöglichkeiten, im häuslichen Umfeld versucht, die Sturzgefahr zu mindern. Physiotherapie und Trainingsprogramme haben einen (mindestens) genauso hohen Stellenwert wie bei jüngeren Menschen, erfordern aber nicht selten erhebliche Motivationsarbeit.

Ihr Apotheker empfiehlt

  • Lassen Sie jeden Schwindel, der im Alltag zu Stand- und Gangunsicherheit und damit zu Sturz- und Verletzungsgefahr führt, zügig vom Arzt abklären.
  • Wenn Sie unter Schwindel leiden, meiden Sie den Auslöser des Schwindels. Ist der Auslöser unbekannt, führen Sie ein Schwindeltagebuch. Auf diese Weise lassen sich die auslösenden Ursachen erkennen.
  • Lassen Sie bei neu aufgetretenem Schwindel auch abklären, ob Sie eine Brille brauchen oder ob Ihre Brille angepasst werden muss.
  • Halten Sie sich im Schwindelanfall gut fest oder legen Sie sich hin.
  • Im akuten Anfall hilft oft ein nasser Lappen auf Stirn oder Nacken und bewusste tiefe Bauchatmung.
  • Fahren Sie weder Auto noch Fahrrad, solange Sie unter Schwindel leiden.

Weiterführende Informationen

Dr. Bodo Schiffmann: Jetzt hole ich mir mein Leben zurück, Hilfe zur Selbsthilfe für Schwindelpatienten. Tredition, 2018. Buch mit vielen interessanten Informationen und Anregungen für Schwindelpatienten. Video zum Befreiungsmanöver nach Epley: https://www.youtube.com/watch?v=ePodC5wHR7c Video zum Bfreiungsmanöver nach Semont: https://www.youtube.com/watch?v=3M7HtMdRy3w

Von: Dr. med. Nicole Menche in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualisierung: Dr. med. Sonja Kempinski
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Vorsicht, FSME-Gefahr!

In Risikogebieten ist jede tausendste bis zwanzigste Zecke mit FSME-Viren infiziert.

Vorsicht, FSME-Gefahr!

Zecken mit Viren im Gepäck

Jedes Jahr infizieren sich in Deutschland hunderte Menschen durch einen Zeckenstich mit der Frühsommer-Meningoenzephalitis, kurz FSME genannt. Meist verläuft die Infektion harmlos. Doch bei einigen Patient*innen bleiben neurologische Schäden zurück, und jede hundertste verstirbt daran. Im aktuellen Ratgeber erfahren Sie, wann ein Zeckenstich gefährlich ist und wie man sich vor der FSME schützen kann.

FSME-Viren weltweit verbreitet

Die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) ist eine Infektionskrankheit, bei der es zur Entzündung von Gehirn, Gehirnhaut (Meningen) und Rückenmark kommt. Ursache sind FSME-Viren, die durch Zecken übertragen werden. Sticht eine von FSME-Viren befallene Zecke zu, gelangen die Viren über den Zeckenspeichel in das Blut des Menschen und können so die Erkrankung auslösen. Im Jahr 2022 war dies in Deutschland bei 554 Personen der Fall.

FSME-Viren sind weltweit verbreitet, aber nicht überall gleich stark vertreten. In ganz Europa gibt Risikogebiete, in denen besonders viele Zecken das Virus in sich tragen. Dort infizieren sich entsprechend auch mehr Menschen durch Zeckenstiche mit FSME. Eine Region gilt dann als Risikogebiet, wenn etwa jede tausendste bis zwanzigste Zecke die Erkrankung überträgt. Außerhalb von Risikogebieten ist das FSME-Virus so selten, dass es trotz Zeckenstichen nur selten zur Infektion kommt.

In Deutschland gehören zu den Risikogebieten vor allem

  • Bayern und Baden-Württemberg
  • Südhessen und das südöstliche Thüringen
  • Sachsen und das südöstliche Brandenburg.

Seit einigen Jahren gibt es aber auch im Westen und Norden Deutschlands vereinzelte Risikogebiete. Dies sind z.B. das Emsland, die Landkreise Solingen (Nordrhein-Westfalen) und Birkenfeld (Rheinland-Pfalz) sowie der Saarpfalz-Kreis. Das Robert Koch-Institut veröffentlich auf seiner Webseite regelmäßig Informationen zu den aktuellen Risikogebieten in Deutschland. Informationen zu den europäischen FSME-Risikogebieten sind auf den Seiten des European Center for Disease Prevention and Control (ECDC) erhältlich.

Doch die FSME-Gefahr wächst nicht nur dadurch, dass die Viren geographisch immer weiter von Süden nach Norden vorrücken. Hinzu kommt: Zecken werden bei Temperaturen über 8° C aktiv - die Hauptübertragungszeit ist deshalb zwischen April und Oktober. Durch die Klimaerwärmung verlängert sich die Zeckensaison aber zunehmend und damit steigt auch das Risiko, von Zecken gestochen zu werden.

Hinweis: Wer sich in den Bergen aufhält, muss FSME und andere von Zecken übertragene Erkrankungen weniger fürchten. Krankheitsübertragende Zecken kommen bisher nur in Höhen bis etwa 2000 m vor.

Bei zweiphasigem Verlauf wird´s brenzlig

Krankheitserscheinungen entwickeln etwa ein Drittel der Menschen, die von einer mit FSME-Viren befallenen Zecke gestochen werden. Von schwerwiegenden Symptomen und bleibenden Schäden sind eher Erwachsene und vor allem älteren Menschen betroffen. Kinder haben meist leichtere Krankheitsverläufe.

Ein bis zwei Wochen nach dem Zeckenstich beginnt die Erkrankung zunächst mit leichten grippeartigen Symptomen wie Fieber, Kopfschmerzen, Übelkeit oder Schwindel. In den meisten Fällen bilden sich diese Beschwerden wieder zurück und die Krankheit ist überstanden.

In etwa 10% der Infektionen kommt es jedoch nach einem fieberfreien Intervall zu einem weiteren Krankheitsgipfel mit Beteiligung des zentralen Nervensystems. Die Erkrankten leiden unter hohem Fieber, Übelkeit, Erbrechen und starken Kopfschmerzen. Als Zeichen für entzündete Hirnhäute ist die Nackensteifigkeit typisch. Das bedeutet, dass das Beugen des Kopfes nach vorn zur Brust schmerzhaft und daher nur eingeschränkt möglich ist. In sehr schweren Fällen schädigt die Infektion sogar die Nerven und es drohen Lähmungen (auch der Atemmuskeln) und Schluckstörungen.

Sind nur die Hirnhäute betroffen, heilt die Erkrankung meist folgenlos aus. Schlechter ist die Prognose, wenn das Gehirn auch infiziert ist. Dann muss jede Fünfte mit bleibenden Schäden wie Lähmungen, epileptischen Anfällen oder Gleichgewichtsstörungen rechnen. Jede Hundertste der Patient*innen mit Beteiligung des zentralen Nervensystems stirbt sogar an seiner FSME-Infektion. Am höchsten ist dieses Risiko, wenn neben dem Gehirn auch das Rückenmark beteiligt ist.

Zeckenstich – wann zur Ärztin?

Wer an sich oder seinem Kind eine Zecke entdeckt, sollte diese möglichst schnell entfernen. FSME-Viren werden nämlich schon mit dem ersten Zeckenspeichel ins Blut übertragen. Zum Entfernen eignen sich am besten Pinzetten oder spezielle Instrumente, wie Zeckenzangen oder Zeckenkarten. Ihre Apotheker*in berät Sie beim Kauf, wie man diese am effektivsten einsetzt.

Nach dem Herausziehen der Zecke desinfiziert man die Einstichstelle gründlich. Kommt es in der Woche nach dem Zeckenstich zu Fieber, Kopfschmerzen oder gar Nackensteifigkeit, muss unbedingt die Hausärzt*in aufgesucht werden. Tritt an der Einstichstelle eine ringförmige Rötung auf, könnte eine weitere durch Zecken übertragene Infektion, die Borreliose, dahinterstecken. Auch in diesem Fall sollte man schleunigst eine Arztpraxis aufsuchen. Denn gegen die Borreliose helfen – früh eingesetzt – Antibiotika.

In der Arztpraxis wird ein Verdacht auf FSME über eine Blutentnahme abgeklärt. In den ersten beiden Wochen nach der Infektion lässt sich direkt das Virus bestimmen. Später ist das nicht mehr möglich, dann sucht die Ärzt*in nach Antikörpern, die der Körper zur Abwehr des Virus bildet. Diese lassen sich im Blut oder in der Hirnflüssigkeit (Liquor) nachweisen.

Eine spezielle Therapie gegen FSME gibt es nicht. Behandelt werden die Symptome. Gegen Kopfschmerzen und Fieber bekommen die Betroffenen z.B. Ibuprofen oder Paracetamol. Bei sehr schweren Verläufen mit Atemlähmung oder Bewusstseinsstörungen müssen die Erkrankten intensivmedizinisch betreut werden.

Hinweis: Neurologische Schäden wie Lähmungen oder Sprechstörungen erfordern oft eine lange Behandlung. Etwa 40% der Betroffenen benötigen Rehamaßnahmen. Zum Einsatz kommen dabei vor allem Krankengymnastik, Logopädie und Ergotherapie.

Vorbeugen ist besser als erkranken

Da es zur Behandlung der FSME keine spezielle Therapie gibt, ist Vorbeugen umso wichtiger. Basismaßnahme ist der Schutz vor Zeckenstichen. Wer sich in der Natur aufhält, sollte geschlossene Kleidung mit langen Ärmeln und Beinen und feste Schuhe tragen. Sehr hilfreich ist es, die Hosenbeine in die Strümpfe zu stecken. Entgegen landläufiger Meinung fallen die Zecken selten von Ästen. Sie heften sich eher von unten an den Menschen, z.B. über Gräser, und krabbeln dann unter die Kleidung die Beine entlang in Richtung Kniekehle oder Leiste. Um unbedeckte Hautstellen zeckenfrei zu halten, gibt es zeckenabweisende Mittel – diese halten allerdings nur wenige Stunden an.

Die sicherste Maßnahme gegen die FSME ist die Impfung. Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt die FSME-Impfung verschiedenen Bevölkerungsgruppen:

  • Personen, die in Risikogebieten leben oder sich dort kurzfristig aufhalten, und dort von Zecken gestochen werden können. Das sind z.B. Wandernde, Hundebesitzer*innen und andere Menschen, die sich viel in der Natur aufhalten.
  • Personen, die in Risikogebieten im Wald oder der Landwirtschaft arbeiten.
  • Menschen, die außerhalb von Deutschland in Risikogebieten Urlaub machen wollen.
  • Laborpersonal.

Kinder sollten ebenfalls gegen FSME geimpft werden – auch wenn die Infektion bei ihnen meist leichter verläuft. Erlaubt ist die Impfung ab dem Alter von zwölf Monaten. Allerdings löst sie bei Kleinkindern unter drei Jahren in bis zu 15% Fieber aus. Ärzt*in und Eltern besprechen deshalb am besten individuell, wie hoch das Risiko für das Kind tatsächlich ist.

Hinweis: Die Krankenkassen tragen die Kosten für Personen, die innerhalb Deutschlands gefährdet sind, also z.B. in einem Risikogebiet wohnen. Ob die Kosten auch als Reiseimpfung für einen Auslandaufenthalt in Risikogebieten übernommen werden, muss man mit seiner Kasse abklären.

Dreimal impfen muss sein

Für den kompletten Impfschutz sind drei Impfungen erforderlich. Je nach verwendetem Präparat erfolgt die zweite Impfung zwei Wochen bis drei Monate nach der Basisimpfung. Impfung Nr. 3 wird dann nach fünf bis zwölf oder neun bis zwölf Monaten verabreicht. Um schon im Frühjahr geschützt zu sein, beginnt man mit den Impfungen am besten im Winter. Etwa zwei Wochen nach der zweiten Impfung hat sich in den meisten Fällen ein Schutz entwickelt, der für eine Zeckensaison anhält. Nach der dritten Impfung hält der Schutz mindestens drei bis fünf Jahre, häufig auch länger. Expert*innen empfehlen, die FSME-Impfung bei Erwachsenen alle drei Jahre aufzufrischen.

Hinweis: Personen mit reduzierter Immunabwehr (z.B. unter einer Therapie mit immununterdrückenden Medikamenten oder bei einer Autoimmunerkrankung) benötigen vielleicht mehr Impfungen. Deswegen prüft die Ärzt*in nach der zweiten Teilimpfung, ob der Körper ausreichend Antikörper gebildet hat.

Nebenwirkung durch die Impfung?

Meist werden die Impfungen gut vertragen. Schmerzen und Rötungen an der Einstichstelle sind häufig, aber harmlos. Manchmal treten in den ersten vier Tagen nach der Impfung grippeähnliche Beschwerden auf, sehr selten auch Missempfinungen oder Kribbeln. Manche Geimpfte klagen auch über Übelkeit und Magen-Darm-Beschwerden. Diese unerwünschten Wirkungen klingen in den allermeisten Fällen aber schnell wieder ab und haben keine Folgen. Oft kommt es auch nur bei der ersten Impfung dazu und nicht bei den Folgeimpfungen.

Anders ist das bei Kindern unter drei Jahren. Diese reagieren in 15% der Impfungen mit Fieber. Die Ärztin bespricht deshalb mit den Eltern individuell, ob die Impfung wirklich nötig ist. Das gilt auch, wenn das Kind eine Hühnereiweißallergie hat. Die FSME-Viren für die Impfstoffentwicklung werden auf Bindegewebszellen von Hühnern gezüchtet. Damit besteht ein minimales Risiko, dass im Impfstoff Hühnereiweiß enthalten ist. Ein Kind mit schwerer Hühnereiweißallergie darf nur unter besonderen Schutzmaßnahmen und mit anschließender Beobachtung geimpft werden.

Schnellschema für Eilige

Normalerweise braucht der Körper mehrere Monate, bis er nach der Impfung einen ausreichenden Schutz aufgebaut hat. Wer kurzfristig eine Reise in ein Risikogebiet plant, benötigt den Impfschutz deutlich schneller. Dann kann nach einem speziellen Schnellschema geimpft werden.

Auch hierbei hängen die Impfabstände vom verwendeten Impfstoff ab. Dabei werden z.B. die zweite und dritte Impfung sieben bzw. 21 Tagen nach der Erstimpfung verabreicht. In der Regel lässt sich so drei bis fünf Wochen nach der Basisimpfung ein Impfschutz für ein- bis eineinhalb Jahre erreichen. Welches Präparat und Impfschema am besten geeignet ist, muss individuell entschieden werden.

Quellen: Robert Koch-Institut, Fischer S., DAZ 2023;8:32

Von: Dr. med. Sonja Kempinski; Bild: mauritius images/nature picture library/Jürgen Freund