Gesundheit heute

Somatoforme Störungen

Somatoforme Störung (Somatisierungsstörung): Der Patient leidet monate- und jahrelang an heftigen körperlichen Beschwerden, für die sich jedoch auch nach wiederholter und gründlicher Untersuchung durch den Arzt keine organische Ursache finden lässt. Trotzdem hält der Betroffene an seiner Überzeugung fest, an einer organischen Erkrankung zu leiden.

Leitbeschwerden

  • Die meisten Erkrankten haben eine lange Patientenkarriere hinter sich, da sie schon meist über Jahre hinweg an der entsprechenden Symptomatik leiden.
  • Schwankschwindel: Gefühl, als schwanke der Boden, auf dem man läuft. Häufig besteht eine ausgeprägte Gangunsicherheit.
  • Magen-Darm-Beschwerden: Bauchschmerzen, Übelkeit, Gefühl von Überblähung, Erbrechen, häufiger Durchfall.
  • Herzbeschwerden: Atemlosigkeit, Brustschmerzen, Herzstiche.
  • Harnwegsbeschwerden: Harndrang oder Harnverhalten, Schmerzen und Missempfindungen im Genitalbereich, Scheidenausfluss.
  • Haut- und Schmerzbeschwerden: Flecken oder Farbveränderungen auf der Haut, Taubheit, Kribbelgefühl, Schmerzen in den Gliedmaßen.
  • Orthopädische Beschwerden, z. B. in der Lendenwirbelregion.
  • Die Patienten befürchten, dass der Arzt etwas übersehen haben könnte oder nicht genau genug untersucht hat. Die Folge: Sie wechseln von einem Arzt zum anderen (doctors hopping).
  • Die Symptomatik verstärkt sich bei zusätzlichem Stress (z. B. familiären Problemen).

Wann zum Arzt

Bei somatoformen Störungen gehen die Patienten eher zu häufig zum Arzt und konsultieren meist auch unabhängig voneinander verschiedene Ärzte gleichzeitig. Die Erkrankten verursachen dadurch nicht nur hohe Kosten im Gesundheitssystem, sondern schädigen auch die eigene Gesundheit, indem sie z. B. Röntgenaufnahmen bei verschiedenen Ärzten mehrfach wiederholen oder sich verschiedene Medikamente verordnen lassen, die sie dann auch alle einnehmen – mit den Folgen von unübersehbaren Wechselwirkungen und entsprechenden gesundheitlichen Risiken.

Die Erkrankung

Als Ursache für die Entstehung somatoformer Störungen gilt eine gestörte Verarbeitung unterschiedlichster Belastungen:

Biografische Belastung. Patienten mit psychosomatischen Störungen sind in ihrem Leben überdurchschnittlich vielen und starken Belastungsfaktoren ausgesetzt: finanzielle Probleme, Scheidung, psychische Erkrankung von Familienangehörigen, Verlust von nahen Bezugspersonen, Erlebnisse von sexuellem Missbrauch und körperlicher Misshandlung.

Emotionale Belastung. Fast alle Patienten mit psychosomatischen Störungen leiden auch an Depressionen oder Angsterkrankungen. Allerdings werden diese als solche nicht bewusst wahrgenommen, sondern „somatisiert“: Statt seelischer Schmerzen spüren die Erkrankten körperliche Schmerzen oder organische Beschwerden.

Amplifizierung (Ausweitung der Wahrnehmung). Häufig hat der Patient als Kind in einem sonst eher kühlen Familienklima erfahren, dass ihm bei Krankheiten mehr Liebe und Aufmerksamkeit zuteil wurde. Betroffene neigen deshalb dazu, Krankheitssymptome besonders aufmerksam wahrzunehmen und ihrem Umfeld auch mitzuteilen – in der Hoffnung, dadurch Aufmerksamkeit, Zuneigung oder mehr Mitgefühl zu bekommen.

Menschen, die an somatoformen Störungen leiden, werden oft belächelt und als wehleidig oder gar als Simulanten angesehen. Dabei bilden sich die Erkrankten ihre Beschwerden keinesfalls nur ein, sondern leiden erheblich an den Symptomen wie Schmerzen, Herzbeschwerden oder ständiger Müdigkeit. Die Überzeugung, von einer unerkannten, schweren Erkrankung betroffen zu sein, führt bei vielen Betroffenen zusätzlich zu Angstzuständen und Verzweiflung — vor allem dann, wenn der Zustand unverändert andauert oder bereits mehrere gescheiterte Behandlungsversuche und diagnostische Prozeduren durchgeführt wurden.

Das macht der Arzt oder Therapeut

Der Hausarzt wird zunächst immer abklären, ob organische Ursachen für die Beschwerden vorliegen. Wenn er aber nach wiederholten Untersuchungen keine Ursache findet und die Symptome trotz mehrerer Behandlungsversuche länger als sechs Monate bestehen bleiben, hat der Arzt eine schwierige Aufgabe: Er muss dem Patienten vermitteln, dass keine organische Störung vorliegt. Dies erfordert viel psychologisches Fingerspitzengefühl. Sowohl dem Arzt als auch dem Patienten muss dabei klar sein, dass es sich nicht um eine eingebildete Erkrankung handelt. Vielmehr leidet der Erkrankte an einer ernsthaften Störung, die auch behandelt werden muss – nur eben nicht mit Medikamenten oder Operationen.

Eine stationäre Behandlung in einer psychosomatischen Klinik kann bei einer schweren und lang andauernden Symptomatik erforderlich sein.

Eine Therapie mit Psychopharmaka wird nicht empfohlen.

Psychotherapie. Wenn der Arzt erklärt, dass die Symptome psychisch bedingt sein könnten und als Behandlung eine Psychotherapie vorschlägt, fühlen sich die meisten Patienten völlig unverstanden. Sie klammern sich geradezu an eine rein organische Ursache. Der Hausarzt sollte versuchen, den Betroffenen durch Gespräche zu einer psychotherapeutischen Behandlung zu motivieren. Oft haben die Betroffenen allerdings eine große Scheu, sich in ihr „Inneres“ schauen zu lassen – meist aus Angst vor möglichen Konflikten, die sie bisher verdrängt haben. Viele haben aber auch Angst, von der Umwelt als „verrückt“ abgestempelt zu werden. Als besonders angenehm und hilfreich empfinden die meisten Betroffenen dagegen die regelmäßige Anwendung von Entspannungsverfahren.

Prognose

Die Aussichten auf Therapieerfolg sind grundsätzlich positiv, wenn der Patient sein Festhalten an organischen Ursachen aufgibt und eine psychotherapeutische Behandlung akzeptiert. Die Therapie einer somatoformen Störung wird aber umso schwieriger und langwieriger, je länger die Erkrankung bereits (unbehandelt) besteht.

Selbsthilfe

Selbsthilfegruppen sind bei dieser Erkrankung nicht von Vorteil, da sich die Teilnehmer meist gegenseitig in ihren Beschwerden und den organisch begründeten Erklärungsmodellen bestärken.

„Mir liegt ein Problem im Magen“, „Ihm ist eine Laus über die Leber gelaufen“ – das Wechselspiel zwischen Körper und Seele ist auch dem Volksmund bekannt. Bei immer wiederkehrenden Beschwerden sollten sich Betroffene diesen ganzheitlichen Zusammenhang wieder bewusst machen und versuchen, sich selbst zu fragen: Was sitzt mir wirklich im Nacken, wenn ich ständig unter Verspannungen leide? Welche Angst rumort in meinem Bauch, wenn ich oft unter Blähungen leide? Dieser Wechsel der Sichtweise kann schon auf die richtige Spur führen.

Von: Dr. med. Arne Schäffler in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualisierung: Dr. med. Sonja Kempinski
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Krankheitsangst raubt Lebensjahre

Menschen mit Hypochondrie leben in der beständigen Angst, an einer Erkrankung zu leiden.

Krankheitsangst raubt Lebensjahre

Gefährliche Hypochondrie

Hypochonder*innen werden oft belächelt oder sogar ausgelacht. Doch das ist nicht fair: Denn sie sterben tatsächlich früher als andere Menschen. Nur meist nicht an der Erkrankung, die sie sich einbilden.

Krankheitsangst mit Folgen

Unter Hypochondrie leiden Menschen, die überzeugt davon sind, krank zu sein - es aber gar nicht sind. Ihre Gedanken kreisen fortwährend um ihre Gesundheit, sie beobachten sich und ihren Körper genauestens und werten die kleinsten Unregelmäßigkeiten als Hinweise auf schwere Krankheiten. Dieser Zustand gilt sogar als psychosomatisches Krankheitsbild und wird hypochondrische Störung genannt.

Mit ihrer Art sind diese Menschen oft eine Zielscheibe für Spott und Hohn. Witze, Bücher und Filme handeln von ihnen, der bekannteste Vertreter in der Literatur ist wohl der Hypochonder Argan in Molières Komödie „Der eingebildete Kranke“.

Suizidrate um das Vierfache höher

Doch die Hypochondrie ist offenbar gefährlicher als angenommen: Ein schwedisches Forscherteam hat herausgefunden, dass davon betroffene Menschen durchschnittlich fünf Jahre kürzer leben als gleichaltrige Männer und Frauen ohne diese Befürchtungen. Ihrer Untersuchung liegen die Daten von über 4000 Personen mit der Diagnose „Hypochondrie“ zugrunde.

Das Ergebnis der Analyse: Obwohl Hypochonder*innen oft glauben, dass sie an unheilbarem Krebs erkrankt sind, starben sie in dieser Untersuchung nicht häufiger an einem Malignom als Menschen ohne Hypochondrie. Erhöht war allerdings ihr Risiko, an einer Atemwegserkrankung oder einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben. Und ihnen droht weitere Gefahr: Menschen mit Hypochondrie hatten ein um das Vierfache gesteigertes Risiko für eine Selbsttötung, schreibt das Autorenteam. Alle genannten Zusammenhänge blieben auch nach Berücksichtigung von Depressionen oder Angsterkrankungen bestehen.

Nicht ernst genommen von den Ärzt*innen

Gründe für die kürzere Lebenserwartung könnten der hypochondriebedingte Stress und ein ungesunder Lebensstil sein, vermuten die Autor*innen. Letzterer liegt womöglich auch daran, dass Hypochonder*innen häufig ein geringeres Einkommen haben und allein leben. Nicht zu vernachlässigen sei zudem die Möglichkeit, dass Ärzt*innen Menschen mit Hypochondrie weniger ernst nehmen und es deshalb zu verzögerten Diagnosen kommt.

Quelle: SpringerMedizin

Von: Dr. med. Sonja Kempinski; Bild: mauritius images / Science Photo Library / Microgen Images