Gesundheit heute

Bulimie

Bulimie (Bulimia nervosa, Ess-Brech-Sucht): Psychisch bedingte Essstörung, die durch heimliche „Fressattacken“ im Wechsel mit Erbrechen oder Fasten gekennzeichnet ist. Kann sowohl als eigenständige Erkrankung als auch in Kombination mit Magersucht auftreten. Häufig kommt es durch den Nähr- und Mineralstoffmangel zu gesundheitlichen Folgeschäden (z. B. vorzeitige Entwicklung einer Osteoporose). Die Bulimie setzt durchschnittlich etwas später ein als die Magersucht, häufig um das 18. Lebensjahr.

In Deutschland leiden etwa 3 % der Mädchen und jungen Frauen bis 30 Jahren an Bulimie. Zunehmend sind auch Jungen und junge Männer betroffen.

Leitbeschwerden

  • Die Betroffenen haben typischerweise Heißhungeranfälle, während derer sie Unmengen hochkalorischer Nahrungsmittel innerhalb weniger Stunden förmlich in sich hineinschlingen.
  • Um eine Gewichtszunahme zu verhindern, erbrechen sie unmittelbar danach, nehmen Abführmittel oder halten eine strenge Diät ein.
  • Permanente Beschäftigung mit dem Essen, dem Körpergewicht, Furcht vor einer Gewichtszunahme, Fehlwahrnehmung des eigentlich schlanken Körpers als zu „fett“.
  • Folge des Erbrechens können Störungen im Elektrolythaushalt, Entzündungen der Speiseröhre und Zahnschäden sein.
  • Der Mangel an Vitaminen und Spurenelementen macht anfällig für Infekte.
  • Im Gegensatz zu Magersüchtigen streben Frauen mit einer Bulimie aber eine „ideal-weibliche“ Figur an.

Wann zum Arzt

Noch am selben Tag, wenn

  • Der Betroffene in letzter Zeit deutlich abgenommen hat und extrem untergewichtig geworden ist
  • Gravierende Folgeprobleme auftreten wie starkes Frieren, Infekte, Verstopfung, Apathie (Teilnahmslosigkeit) oder Kreislaufstörungen.

In den nächsten Tagen, wenn sich das Essverhalten auffällig verändert hat oder sich andere Leitbeschwerden bemerkbar machen. 

Die Betroffenen schämen sich für die Symptomatik und halten sie lange geheim. Sie sind erst zu einer Behandlung zu motivieren, wenn der Teufelskreis von Essen und Erbrechen ihren Alltag bestimmt und sie erkennen, dass ihr Essverhalten krankhaft ist.

Die Erkrankung

Die Ursachen der Bulimie sind mit denen der Magersucht vergleichbar. Häufig leiden die Betroffenen in ihrem Leben abwechselnd an Phasen der Bulimie und Phasen der Magersucht oder beide Erkrankungsformen treten gleichzeitig auf.

Auslöser der Erkrankung ist – ähnlich wie bei der Magersucht – der übermächtige Wunsch, sehr schlank zu sein. Diäten werden jedoch nicht durchgehalten, führen zu Heißhungerattacken und extremen Versagensgefühlen. Die Betroffenen versuchen, das Essen unverdaut loszuwerden und „trainieren“ das Erbrechen. Müssen sie zu Anfang noch den Finger in den Hals stecken, kann auf Dauer der Brechreflex allein durch willentliche Anstrengung erzeugt werden.

Im Unterschied zu Magersüchtigen sind die meisten Bulimiker normalgewichtig, nur etwa 20 % sind leicht unter- oder übergewichtig. Bulimie bleibt der Umwelt oft lange verborgen, weil die Patienten in Schule oder Beruf häufig sehr leistungsorientiert sind und gut „funktionieren“. Angehörige und Freunde sollten deshalb stutzig werden, wenn jemand während der Mahlzeiten häufig den Raum verlässt (zur Toilette geht), zu den Mahlzeiten sehr viel trinkt oder erkennbar sehr viel isst, ohne zuzunehmen. Denn Dauerdiät, Abführmittelmissbrauch und das Erbrechen können zu körperlichen Beschwerden wie Magen-Darm-Erkrankungen, Speiseröhren- und Zahnfleischentzündungen sowie Kreislaufstörungen führen. Durch den hohen Mineralstoffverlust – insbesondere dem Kaliumverlust – kann es zu Krampfanfällen kommen.

Das macht der Arzt

Teil der Krankheit ist, dass die Betroffenen in den seltensten Fällen selbst ärztliche Hilfe suchen. Meist sind es die Eltern oder andere nahe stehenden Personen, die auf einen Arztbesuch drängen. Wichtig ist, zu einem dem Betroffenen vertrauten Arzt zu gehen. Auch Kinderärzte sind übrigens geeignete Ansprechpartner. Die Diagnose ist meist einfach durch den eindeutigen Befund der körperlichen Untersuchung, zur Sicherheit werden aber andere Ursachen für die Abmagerung wie ein Tumor oder eine akute psychiatrische Erkrankung ausgeschlossen. Nach der Diagnose wird der Betroffene in der Regel in ein Krankenhaus bzw. eine Spezialklinik überwiesen – auch um Erkrankte vorübergehend aus ihrer bisherigen Umgebung herauszunehmen.

Im Anfangsstadium der Therapie werden oft Neuroleptika wegen ihrer erregungsdämpfenden und antipsychotischen Wirkung gegeben.

Psychotherapie. Um das Essverhalten zu normalisieren, die Körperschemastörung zu beheben oder (familiäre) Konflikte zu klären, beginnt man mit einer Psychotherapie. Bewährt haben sich Spezialkliniken, die unterschiedliche Methoden anbieten und kombinieren. So kann Verhaltenstherapie in Kombination mit Sport und/oder anderen körperorientierten Therapien, einer Kunsttherapie sowie einer Familientherapie helfen, die Bulimie zu überwinden. Entspannungstechniken und Selbstsicherheitstrainings haben sich ebenfalls bewährt. Die Behandlung ist schwierig und langwierig, da bei praktisch allen Betroffenen die Krankheitseinsicht fehlt. In der Regel sind eine stationäre und eine sich daran anschließende ambulante Psychotherapie von mindestens einem Jahr notwendig.

Wichtig sind dabei klare Regeln: Ärzte, Therapeuten und Patient schließen einen Therapievertrag über stufenweise zu erreichende Gewichtsziele, Verhaltensmaßnahmen und Konsequenzen bei Nichteinhaltung ab.

Für die ambulante Weiterbehandlung gibt es z. B. therapeutische Wohngemeinschaften, die von einem Psychologen oder Sozialpädagogen betreut werden. Sie schließen die Lücke zwischen Klinikaufenthalt (intensive Therapie, aber keine Möglichkeit, Arbeit oder Ausbildung während dieser Zeit fortzusetzen) und ambulanter Therapie (wenige Therapiestunden pro Woche, keine Unterbrechung des Alltagslebens). 

Prognose

Die „reine“ Bulimie ist psychotherapeutisch gut behandelbar – nicht zuletzt auch deshalb, weil die Patienten erkennen, dass sie auf Dauer ihrem Körper schwer schaden. In leichteren Fällen wächst sich die Symptomatik oftmals mit dem Erwachsenwerden aus. Es besteht aber auch die Gefahr, dass sich die Bulimie zu einer Magersucht oder zum Binge Eating fortentwickelt.

Bei der Hälfte der Betroffenen wird sich das Essverhalten allerdings nie mehr völlig normalisieren. Ein gesundes, verlässliches Gefühl von „Sattsein“ und „Hunger“ stellt sich bei diesen Betroffenen nicht mehr ein. Sie müssen ihr Essverhalten zeitlebens ganz bewusst steuern.

Selbsthilfe

Bei starken Belastungen, Stress oder Enttäuschungen drohen Rückfälle. Als Vorsorge hilft es manchmal schon, sich dem Risiko in den entsprechenden Situationen bewusst zu sein und zu versuchen, sie gar nicht erst entstehen zu lassen.

Nach den Mahlzeiten sollte noch eine halbe Stunde eingeplant werden, in der genügend Zeit für Entspannung ist. Diese Ruhephase wirkt auch dem manchmal immer noch vorhandenen Brechimpuls entgegen.

Weiterführende Informationen

  • www.bulimie.de – Internetseite der Deutschen Forschungsinitiative Essstörungen e. V. (DFE, Leipzig): Bietet Online-Beratung und nützliche Tipps zur Selbsthilfe bei Essstörungen. Ausführlich und sehr informativ.
  • M. Langsdorff: Die heimliche Sucht, unheimlich zu essen. Bulimie verstehen und heilen. Fischer Taschenbuch, 2002. Flott geschriebenes Buch, setzt sich kritisch und ausführlich mit dem Thema auseinander.
  • U. Schmidt; J. Treasure: Die Bulimie besiegen. Ein Selbsthilfeprogramm. Beltz, 2001. Ratgeber für Betroffene, die den Teufelskreis aus Ess- und Brechzwang durchbrechen wollen. Mit konkreter Anleitung zur Selbsthilfe in Form eines Arbeits- und Übungsbuchs. Auch wegbegeleitend zur therapeutischen Unterstützung hilfreich.

Von: Dr. med. Arne Schäffler, gisela Finke in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualisierung: Dr. med. Sonja Kempinski
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Spinnen-Phobie mit App behandeln

Virtual Reality lässt sich auch therapeutisch einsetzen - zum Beispiel bei der Behandlung von Phobien.

Spinnen-Phobie mit App behandeln

VR macht´s möglich

Manche Menschen haben panische Angst vorm Fliegen, andere vor Spinnentieren oder Spritzen. Bekämpft werden solche Phobien meist durch eine Verhaltenstherapie. Jetzt soll auch eine App mit virtueller Realität helfen.

Übetrieben und unbegründet, aber unbeherrschbar

Unter einer Phobie versteht man die dauerhafte und übertriebene Angst vor Dingen, Lebewesen oder Situationen. Besonders gut bekannt ist die Furcht vor großer Höhe, vor Spinnen oder davor, eine öffentliche Rede zu halten. Die Betroffenen wissen, dass ihre Angst unbegründet ist. Trotzdem fällt ihnen die Konfrontation mit dem Angstauslöser oft so schwer, dass sie diesen zunehmend meiden.

Mit Headset und Smartphone in die Scheinwelt

Eine neuseeländische Arbeitsgruppe hat nun eine App entwickelt, mit deren Hilfe man seine Phobien in Eigenregie behandeln kann. Das Programm namens oVRcome® verbindet Elemente der traditionellen kognitiven Verhaltenstherapie mit virtueller Realität. Dabei werden die Betroffen über eine per Headset präsentierte Scheinwelt wiederholt und kurz mit ihren Angstauslösern konfrontiert, um eine Toleranz dagegen aufzubauen. Ob diese App bei Phobien effektiv helfen kann, wurde nun in einer Studie mit knapp 250 Betroffenen geprüft. Ihre Phobien bezogen sich auf das Fliegen, auf große Höhen, Spinnen, Hunde und Nadeln.

Die Hälfte der Studienteilnehmer*innen trainierte sechs Wochen lang per App. Dabei durchlebten sie ihre Phobien mithilfe virtueller Realität und bekamen Informationen und Verhaltenstipps. Außerdem lernten und absolvierten sie Entspannungsverfahren und Achtsamkeitsübungen. Die andere Hälfte der Proband*innen unternahm sechs Wochen lang nichts gegen ihre Ängste.

Ängste um 75 % reduziert

Vor der Studie und nach sechs Wochen wurde bei jeder Teilnehmer*in anhand eines 40-Punkte-Scores die Schwere der Phobie gemessen. Diejenigen, die die App genutzt hatten, konnten im Gegensatz zu den App-losen Phobikern*innen ihre Ängste deutlich lindern (von durchschnittlich 28/40 auf 7/40 Punkte). Einigen der Teilnehmer*innen gelang es sogar, mithilfe des Programms erstmals stressfrei zu fliegen, andere schafften es, sich endlich gegen COVID-19 impfen zu lassen.

Expert*innen zufolge ermöglicht die App Betroffenen, sich selbst gegen Phobien zu helfen. Inwieweit es problematisch sein könnte, manche Ängste ohne ärztliche Begleitung anzugehen, müssen weitere Studien klären. Erwähnenswert ist zudem, dass es sich bei der App um ein kommerzielles Angebot handelt. Wer oVRcome® nutzen möchte, muss ein Abonnement erwerben. Dafür gibt es jedoch gratis das nötige Headset dazu.

Quelle: www.medicalnewstoday.com

Von: Dr. med. Sonja Kempinski; Bild: Franz12/shutterstock.com