Gesundheit heute

Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)

Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS): Folge extremer Erlebnisse wie körperlicher Gewalt oder Lebensbedrohung durch Katastrophen, die die persönlichen Verarbeitungs- und Bewältigungsmöglichkeiten überfordern. Die Symptome beginnen typischerweise mit einer Verzögerung von Tagen, Wochen oder Monaten nach dem belastenden Ereignis.

Die Symptome der PTBS können auch sofort, also Stunden bis wenige Tage, nach dem einschneidenden Ereignis beginnen. Einem anfänglichen Zustand der Betäubung und Empfindungslosigkeit („wie vor den Kopf gestoßen“) folgen – je nach Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen – Depression, Angst, Ärger, Verzweiflung, Überaktivität oder sozialer Rückzug. Der Arzt spricht hier von einer akuten Belastungsreaktion. Sie wird glücklicherweise meistens erkannt und wie die PTBS therapiert.

Bei der Krankheitsentstehung spielen neben der Schwere der Belastung auch Persönlichkeitsstruktur, Erfahrungen, körperliche Verfassung und das soziale Umfeld eine Rolle. Nach belastenden Ereignissen leiden 15–30 % der Betroffenen an einer PTBS. Vor allem die frühzeitig einsetzende Intervention gilt als therapeutisch wirksam und hat sich nach Katastrophen wie z. B. Großunfällen, Krieg, Vergewaltigung und Entführung inzwischen bewährt. Als bestes Mittel zur Prophylaxe gilt die fachkundige psychologische Betreuung unmittelbar nach dem Ereignis (akute Krisenintervention).

Leitbeschwerden

  • Ständige Gedanken und Erinnerungen an das Trauma (Intrusionen)
  • Gedächtnislücken im Zusammenhang mit dem traumatischen Erleben (partielle Amnesie)
  • Übererregtheit: Schlafstörungen, Alpträume, Konzentrationsprobleme
  • Abstumpfung, Betäubung: Allgemeiner Rückzug, Interessenverlust, innere Teilnahmslosigkeit und Leere
  • Bewusste oder unbewusste Meidung von mit dem Trauma verbundenen Situationen
  • Angstzustände und Panikattacken bei Konfrontation mit Ereignissen, Personen oder Situationen, die mit dem Trauma verbunden sind oder Ähnlichkeiten aufweisen
  • Selbstverletzendes Verhalten.

Wann zum Arzt oder Psychotherapeuten

In den nächsten Tagen, wenn genannte Beschwerden auftreten, auch wenn das Ereignis länger zurück liegt.

Die Erkrankung

Auslöser einer Belastungsstörung sind immer einschneidende Erlebnisse, die den Menschen aus dem psychischen Gleichgewicht bringen:

  • Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit durch Unfälle, Naturkatastrophen oder Gewaltverbrechen
  • Bedrohung der sozialen Sicherheit und gesellschaftlichen Stellung durch Arbeitslosigkeit, materielle Schäden oder finanzielle Verluste
  • Bedrohung des persönlichen Beziehungsnetzes durch Trennungen, Scheidung oder Tod.

Stress. In einer bedrohlichen Situation reagiert der Körper mit einer Stressreaktion. Es werden Hormone ausgeschüttet (Adrenalin, Noradrenalin), die den Organismus auf Kampf oder Flucht vorbereiten. Als Folge steigen Blutdruck und Atemfrequenz. Sind aber weder Kampf noch Flucht möglich, bleibt der Organismus in unterdrückter Alarmbereitschaft. Diese „gespeicherte“ Stressreaktion springt bei bestimmten, dem Trauma ähnlichen Reizen sofort wieder an (Weiteres zu Stress).

Informationsverarbeitung. Um auf Gefahren schnell zu reagieren, kürzt das Gehirn die Reizleitung ab. Es wäre z. B. fatal, wenn wir lange überlegen müssten, ob ein auf uns zurasendes Auto gefährlich ist. In diesem Moment wird ein Teil des Gehirns, die Amygdala (Mandelkern), aktiv. Erst nachdem die Gefahr vorbei ist, wird die Information bewertet und in einem anderen Teil des Gehirns, dem Hippocampus, gespeichert. Genau dieser Prozess der Speicherung ist aber bei Traumapatienten gestört. Die Traumaspuren bleiben im Gehirn wie „eingebrannt“. Als Folge kommt es zu einer stark erhöhten Empfindlichkeit auf Ereignisse oder Reize (Trigger), die an das Trauma erinnern.

Die PTBS wird erst in neuerer Zeit als „Krankheitseinheit“ gesehen – zuvor gab es viele Begriffe und Konzepte, die aber nicht als Facetten eines gemeinsamen Ganzen erkannt wurden: So wurden in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg die Kriegszitterer beschrieben, und nach dem Zweiten Weltkrieg das so genannte KZ-Syndrom bei Überlebenden des Holocausts festgestellt. In den USA fand das Post Vietnam Syndrom breite öffentliche Beachtung. Alle diese Syndrome werden heute zur PTBS zusammengefasst.

Charakteristisch für die PTBS ist ein verzögerter Beginn der Symptomatik. Der Betroffene leidet immer wieder unter Alpträumen, den so genannten Nachhallerinnerungen oder Flashbacks und versucht, alles, was ihn an das Trauma erinnert, zu umgehen. Oft verlieren die Patienten die Lebensfreude und das Interesse an der Umgebung und ziehen sich zurück. Manchmal entwickelt der Betroffene auch ein Abhängigkeitsproblem.

Außenstehenden fallen die Reaktionen der Betroffenen vor allem durch ihre anscheinende Unangemessenheit auf: großes Erschrecken und Erstarren bei nichtigem Anlass (etwa das Knallen einer Tür), große Verletzlichkeit bei minimaler Kritik oder das grundlose Ausbrechen in Tränen.

Das macht der Arzt oder Therapeut

In den letzten Jahren ist mit der Psychotraumatologie eine neue Fachrichtung entstanden, die spezielle traumatherapeutische Behandlungsverfahren (Traumatherapie) entwickelt hat. Auslöser für diese Neuentwicklung waren Erfahrungen, dass Traumapatienten von unspezifischen verhaltentherapeutischen oder psychoanalytischen Methoden oft nur schlecht oder viel zu langsam profitierten.

Psychopharmaka. Im Vordergrund der Behandlung stehen zunächst Beruhigung und Stabilisierung des Betroffenen. Vorübergehend können in dieser Phase beruhigende Medikamente verordnet werden (Tranquilizer).

Psychotherapie. In der Psychotherapie lernt der Patient zunächst verschiedene Techniken, mit denen er der emotionalen Aufruhr, die bei der Bearbeitung des Traumas auftritt, standhalten kann. Erst dann wird er behutsam an das belastende Thema herangeführt. Besonders wichtig während der Behandlung ist die Unterbrechung des „Täterkontakts“: Bei Mobbing oder häuslicher Gewalt muss das Opfer vor der Bedrohung und Retraumatisierung geschützt werden. Dazu hilft gegebenenfalls eine richterliche Anordnung.

EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing, zu deutsch: Augenbewegung, Desensibilisierung und Neustrukturierung) ist eine der bekanntesten Methoden bei der Traumatherapie – aber auch eine der am wenigsten erforschten. Sie scheint zu wirken, aber man weiß bis heute nicht warum. Der Patient wird angeleitet, mit den Augen, dem Kopf oder dem ganzen Körper monotone Bewegungen von rechts nach links auszuführen. Dies hat einen beruhigenden Effekt und soll die Verbindung zwischen den beiden Gehirnhälften stärken. EMDR darf nur im Rahmen einer fachkundigen Traumatherapie angewendet werden.

Prognose

Je früher die Störung psychotherapeutisch behandelt wird, umso besser sind die Heilungsaussichten. Eine Studie der Universität Köln belegt, dass Patienten, die direkt nach einem schweren Trauma therapiert wurden, in durchschnittlich nur zehn Stunden stabilisiert werden konnten.

Selbsthilfe

Vielen Menschen, die Schreckliches erfahren mussten, hilft es, immer wieder über die belastenden Ereignisse zu sprechen. Denn bei Traumapatienten ist die Speicherung des Erlebten in einem bestimmten Gehirnareal, dem Hippocampus, gestört. Wird das Erlebte dort aber nicht „abgelegt“, erinnern alle möglichen Erlebnisse den Betroffenen immer wieder an das traumatische Ereignis. Das Sprechen über das Erlebte beschleunigt dagegen die „Ablage“ im Hippocampus. Die Folge: Der Patient kommt innerlich zur Ruhe.

Hilfreich sind Sport und Bewegung, weil sie angestaute Stresshormone abbauen. Zudem wird der Körper durch die Anstrengung auf natürliche Weise ermüdet, was auch den gerade bei Traumapatienten häufig gestörten Schlaf positiv beeinflussen kann. Ergänzend empfiehlt sich das Erlernen einer Entspannungstechnik, wie z. B. Autogenes Training, Yoga oder progressive Muskelrelaxation nach Jacobson.

Immer wiederkehrende Alpträume können mit der Imaginationstechnik gemildert werden. Der Betroffene ruft sich tagsüber den Alptraum ins Gedächtnis, erfindet nun aber ein gutes Ende: Er verändert die Handlung entweder zum Positiven oder lässt Helfer auftreten, die Rettung bringen. Auch das Aufschreiben eines positiven Ausgangs kann helfen, den Alptraum für immer „abzulegen“.

Selbsthilfegruppen werden dagegen eher skeptisch beurteilt: Wenn sie nicht von erfahrenen Therapeuten geleitet werden, besteht die Gefahr, dass sich die Teilnehmer gegenseitig mit Schilderungen von schrecklichen Ereignissen zusätzlich belasten.

Weiterführende Informationen

  • www.psychotraumatologie.de – Website der Deutschen Gesellschaft für Psychotraumatologie an der Universität Köln: Fundierte Informationen, Links zu Hilfsangeboten, Therapeutenlisten.
  • G. Fischer: Neue Wege aus dem Trauma. Patmos, 2008. Der bekannte Psychotraumatologe erklärt, wie sich Traumafolgen äußern, und gibt praktische Übungsanleitungen zur Traumabewältigung.
  • L. Reddemann: Imagination als heilsame Kraft. Klett-Cotta, 2001. Fundiertes Buch für Fachleute wie Laien mit Übungen zu Vorstellungsbildern (Imaginationen) für die Traumabewältigung.

Von: Gisela Finke, Dr. med. Arne Schäffler in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualisierung: Dr. med. Sonja Kempinski
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Antipsychotikaverbrauch steigt an

Jugendliche leiden immer häufiger an psychischen Störungen.

Antipsychotikaverbrauch steigt an

Kinder und Jugendliche

Kinder und Jugendliche bekommen immer häufiger Antipsychotika verschrieben. Besonders hoch ist der Anstieg bei Mädchen und jungen Frauen im Alter von 15 bis 19 Jahren.

Bei Kindern wenig untersucht

Antipsychotika sind Medikamente zur Behandlung von Schizophrenie oder bipolarer Störung. Letztere ist eine psychische Erkrankung, bei der sich depressive Zustände mit manischen Phasen abwechseln. Das heißt, dass Betroffene unter extremen Schwankungen zwischen Niedergeschlagen- und Antriebslosigkeit und übermäßig gesteigerter Stimmung leiden.

Wirkung und Sicherheit der Antipsychotika sind vor allem bei erwachsenen Patient*innen untersucht. Für Kinder gibt es dazu nur wenige Daten. Generell weiß man jedoch, dass Antipsychotika auch bei ihnen Nebenwirkungen verursachen. Dazu gehören vor allem Bewegungsstörungen wie Sitzunruhe oder unwillkürliche Muskelkontraktionen.

Trotzdem werden in Deutschland Antipsychotika bei Kindern und Jugendlichen immer häufiger eingesetzt, berichtet der Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Christian Bachmann. Sein Team von der Universitätsklinik Ulm untersuchte die Verordnung dieser Medikamente im Zeitraum von 2011 bis 2020 anhand der bundesweiten Abrechnungsdaten.

16% mehr Antipsychotika verordnet

Die Verordnung traditioneller Antipsychotika der ersten Generation stieg im untersuchten Zeitraum um 16%. Auch neue Antipsychotika der zweiten Generation, die seltener Bewegungsstörungen auslösen, wurden um 17% häufiger verschrieben. Am stärksten war die Zunahme bei Mädchen, sagt Bachmann.

Mangel an Psychotherapiemöglichkeiten oder stärkere Belastung?

Warum die Verordnungen von Antipsychotika so stark zugenommen haben, ist unklar. Möglicherweise liegt es daran, dass die psychischen Belastungen für Kinder und Jugendliche in den letzten Jahren zugenommen haben. Ein weiterer Grund könnte sein, dass es nicht genügend psychotherapeutische Behandlungsmöglichkeiten gibt und die Wartezeiten für einen Therapieplatz einfach zu lang sind.

Quelle: kinderaerzte-im-netz.de

Von: Dr. med. Sonja Kempinski; Bild: mauritius images / Cavan Images