Gesundheit heute

ADS und ADHS bei Erwachsenen

Häufigkeit: 1

Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom mit Hyperaktivität (ADHS) im Erwachsenenalter: Bei etwa 2,5 % der Erwachsenen auftretende Störung des Verhaltens, in deren Mittelpunkt eine vermehrte Ablenkbarkeit steht. Betroffene haben Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren und Vorhaben strukturiert anzugehen. Oft halten sie Frustrationen nur schwer aus und reagieren dann sehr emotional (erhöhte Impulsivität). Die beim ADHS in der Kindheit stark ausgeprägte körperliche Hyperaktivität ist im Erwachsenenalter häufig abgemildert und zeigt sich eher in innerer Unruhe, Ungeduld und sprunghaftem Verhalten sowie schnellem und vielem Reden. Auch Suchtprobleme und Risikoverhalten treten bei Betroffenen vermehrt auf. Beschränken sich die Probleme auf die verstärkte Unaufmerksamkeit, spricht man manchmal auch vom Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADS) im Erwachsenenalter.

Meist wird die Störung aus der Kindheit "mitgenommen", manchmal wird aber auch ein im Kindesalter nicht erkanntes ADHS erst im Erwachsenenalter diagnostiziert. Als Behandlungsmöglichkeiten stehen die Psychoedukation zum besseren Umgang mit der Erkrankung, psychotherapeutische Verfahren und Medikamente zur Verfügung.

Symptome und Leitbeschwerden

Unaufmerksamkeit

  • Probleme, sich länger zu konzentrieren, z. B. bei Konferenzen, beim Lesen oder Lernen
  • Probleme, sich zu organisieren und seine Zeit zu managen, insgesamt ineffizientes Arbeiten
  • Probleme, eine Aufgabe anzufangen, mangelnde Motivation, häufiges Aufschieben von Erledigungen
  • Häufiges Verlegen oder Verlieren von Dingen wie Handy oder Schlüssel
  • Schusseligkeit und Vergesslichkeit.

Impulsivität

  • Zu schnelles Autofahren
  • Geringe Frustrationsschwelle
  • Schnelle emotionale Reaktionen, Jähzorn, aggressives Verhalten
  • Bei Gesprächen oft unentwegtes Reden, Unterbrechen anderer, Abgeben überflüssiger Kommentare, Dazwischenreden
  • Impulskäufe
  • Übermäßiger Konsum von Alkohol oder anderen Suchtmitteln.

Hyperaktivität

  • Innere Unruhe, Nervosität
  • Probleme beim Anstellen oder Warten
  • Probleme, Ruhe oder Nichtstun auszuhalten, immer auf der Suche nach Beschäftigung.

Wann in die Arztpraxis

In den nächsten Tagen, wenn

  • aufgrund oben genannter Beschwerden die Lebensqualität leidet und Probleme in der Partnerschaft entstehen
  • Lern- oder Verhaltensprobleme zu eingeschränkter Leistung im Beruf führen
  • die innere Unruhe nicht mehr auszuhalten ist
  • Depressionen oder Suchterscheinungen auftreten.

Die Erkrankung

2,5 % der Erwachsenen leiden an ADHS. Weil die Beschwerden sehr variabel und weniger auffällig sind als im Kindesalter, gehen die Expert*innen von weiteren unerkannten Fällen und einer hohen Dunkelziffer aus. Zumeist haben ADHS-Patient*innen ihre Diagnose aus der Kindheit mitgenommen. Bis zu 80 % der im Kindesalter Betroffenen sollen als Erwachsene zumindest noch einzelne ADHS-Symptome aufweisen. Ein Drittel der ADHS-Kinder zeigt später sogar das Vollbild der Störung, allerdings oft mit einem etwas verschobenen Beschwerdespektrum. Einige erwachsene ADHS-Patient*innen erhalten ihre Diagnose jedoch auch erst im Erwachsenenalter. Das liegt zum Beispiel daran, dass ihre Beschwerden milder ausgeprägt waren und deshalb eine Diagnose in der Kindheit versäumt wurde.

Krankheitsentstehung

Heute geht man davon aus, dass ADHS eine genetisch bedingte oder zumindest genetisch mitbedingte neurologische Entwicklungsstörung ist. ADHS-spezifische strukturelle Gehirnveränderungen konnten bisher jedoch trotz zahlreicher Untersuchungen nicht identifiziert werden. Zwar gibt es auf Gruppenebene bei Kindern mit und ohne ADHS durchaus Unterschiede: z. B. war in einigen Studien das Hirnvolumen von ADHS-Kindern etwas kleiner; in anderen Untersuchungen deuteten die in diversen Hirnregionen gemessenen Aktivitäten auf abweichende Verarbeitungsmechanismen hin. Auch wurden Besonderheiten im EEG gefunden. Diese Ergebnisse sind aber so breit gestreut, dass sie nicht als hinreichender Beweis für die Diagnose eines ADHS gelten. Zumal auch noch ungeklärt ist, ob mögliche Veränderungen im Gehirn Folge oder Ursache der gezeigten Beschwerden sind.

Ursachen und Risikofaktoren

Warum sich ein ADHS entwickelt, ist ebenfalls noch unklar. Heute geht man davon aus, dass verschiedene Faktoren daran beteiligt sind. Dazu gehören genetische Veränderungen, Umwelteinflüsse kurz vor, während und nach der Geburt sowie Einflüsse während der frühen Kindheit (z. B. gestörte familiäre Strukturen, Vernachlässigung). Mehr zu den Ursachen siehe ADHS im Kindesalter.

Klinik, Verlauf und Komplikationen

Auch bei Erwachsenen mit ADHS werden die drei Hauptmerkmale Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität in unterschiedlicher Ausprägung beobachtet. Häufig bessert sich die Unaufmerksamkeit, wobei die Aufmerksamkeitsspanne trotzdem geringer bleibt als bei Nicht-Betroffenen. Nicht immer, aber manchmal mildert sich auch die Impulsivität. Die bei ADHS-Kindern typische körperliche Überaktivität äußert sich bei Erwachsenen oft in innerer Unruhe, Nervosität und einem Nicht-Warten-Können.

Manche Betroffene – vor allem Frauen mit ADHS – sind neben ihrer Unaufmerksamkeit eher unterdurchschnittlich aktiv (hypoaktiv) und verträumt. Sie fallen dadurch weniger auf, leiden aber stark an ihren Konzentrationsstörungen und sind oft sensibel und schnell gekränkt. Diese auch ADS genannte Form ist eine Unterform des ADHS.

Wieder andere ADHS-Patient*innen schaffen es, ihre impulsive und emotionale Art positiv zu nutzen. Sie gehen offener an Neues heran und haben oft außergewöhnlich viele Ideen. Wenn es gelingt, diesem Ideenreichtum in einem passenden Beruf Bahn zu verschaffen, können auch Menschen mit einem ADHS im Job überaus erfolgreich sein.

Psychosoziale Folgeprobleme

Leider führen Aufmerksamkeitsstörungen und mangelnde Affektkontrolle bei Erwachsenen mit ADHS häufiger zu Folgeproblemen als zu Erfolgsgeschichten. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Betroffenen öfter einen niedrigeren Ausbildungsstand erreichen sowie ein geringeres Einkommen und einen niedrigeren sozioökonomischen Status haben als Menschen ohne ADHS. Oft ist das Risikoverhalten erhöht, weshalb erwachsene ADHS-Patienten mehr Unfälle erleiden, häufiger ein riskantes Sexualverhalten zeigen und häufiger Gesetzesübertretungen begehen. Eine Studie aus dem Jahr 2016 hat zudem bei Frauen einen Zusammenhang zwischen ADHS und dem Risiko für Adipositas festgestellt. Außerdem steigt mit dem ADHS das Risiko für weitere Erkrankungen, insbesondere Suchterkrankungen, Depressionen, Angsterkrankungen und Persönlichkeitsstörungen.

Diagnosesicherung

Die Diagnose ADHS im Erwachsenenalter ist schwierig und gehört deshalb in die Hände einer erfahrenen Fachärzt*in (z. B. Fachärzt*in für Psychiatrie und Psychotherapie oder Neurologie). Im gründlichen Gespräch wird beispielsweise geklärt

  • wie stark die Einschränkungen ausgeprägt sind, welche Lebensbereiche sie betreffen (Beruf, Familie)
  • ob zusätzlich Depressionen, Ängste oder andere neurologische Störungen wie Tics vorliegen
  • ob es ähnliche Beschwerden oder Hinweise auf ein ADHS schon in der Kindheit gab und/oder wie sich diese entwickelt haben
  • ob in der Familie bereits ein ADHS aufgetreten ist
  • ob der Betroffene regelmäßig Medikamente einnimmt, raucht, Alkohol trinkt oder Drogen konsumiert.

Die Diagnosekriterien für ein ADHS bei Erwachsenen sind folgende (alle 4 Punkte müssen zutreffen):

  • Auffälligkeiten haben in der Kindheit begonnen. Für Menschen, bei denen keine Diagnose gestellt wurde, gibt es spezielle Fragebögen mit denen die Ärzt*in die ADHS-Diagnose rückblickend stellen. Dies ist erforderlich, um die unten genannten Medikamente zu verordnen.
  • Mindestens sechs Anzeichen von Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität oder Impulsivität sind vorhanden.
  • In mehr als einem Lebensbereich bestehen Probleme (Beruf, Familie, Freundeskreis).
  • Das Sozial- oder Berufsleben ist stark beeinträchtigt.

Ergänzend zum Gespräch bedient sich die Ärzt*in meist verschiedener Tests, um Konzentrationsstörungen, Teilleistungsschwächen oder eine Intelligenzminderung besser einkreisen zu können. Eine Diagnose allein aufgrund solcher Tests und Fragebögen ist jedoch nicht möglich.

Um körperliche Ursachen auszuschließen, erfolgt nach dem ausführlichen Gespräch eine gründliche neurologische und allgemeine körperliche Untersuchung. Falls der Verdacht auf eine andere Erkrankung besteht – z. B. eine Schilddrüsenerkrankung oder eine Epilepsie – wird diesem mit den erforderlichen Untersuchungen nachgegangen (Laboruntersuchungen, EEG).

Differenzialdiagnosen. Schilddrüsenüberfunktion, besondere Formen der Epilepsie, Depression, Minderbegabung und viele Formen von sonstigen Verhaltensstörungen können ein sehr ähnliches Bild aufweisen.

Behandlung

Basis der Behandlung ist die sogenannte Psychoedukation. Dabei wird den Betroffenen die Erkrankung erklärt und die wesentlichen Behandlungsstrategien erläutert. Therapeutisch hat sich eine Kombination aus Pharmako- und Psychotherapie sowie eine sozialpsychiatrische Begleitung bewährt:

  • In der Psychotherapie scheint besonders die verhaltenstherapeutisch orientierte Gruppentherapie erfolgversprechend zu sein. Verhaltenstherapeutisch bedeutet, dass ganz praktisch Strategien für den Alltag eingeübt werden. Dazu gehört der Umgang mit Stress, das Erlernen von Problemlösestrategien, das Erkennen von Frustrationen und der Umgang damit.
  • Pharmakotherapie. Zur medikamentösen Behandlung werden keine beruhigenden, sondern stimulierende Substanzen eingesetzt. Dadurch werden steuernde Einflüsse des Gehirns sowohl auf Bewegungen als auch auf die Aufmerksamkeit verstärkt und gebahnt. Auf Gesunde wirken diese Präparate aufputschend und stimmungsaufhellend; daher fällt der Einsatz eines Teils dieser Medikamente auch unter das Betäubungsmittelgesetz. Bei Menschen mit ADHS ist es umgekehrt: Sie werden nach der Einnahme ruhiger, weniger impulsiv und können sich besser konzentrieren. Zur Behandlung von ADHS im Erwachsenenalter wird vor allem Methylphenidat (z. B. Ritalin® adult oder Medikinet® adult) eingesetzt. Es darf Patienten ab 18 Jahren verschrieben werden, die seit dem Kindesalter an ADHS erkrankt sind und auf andere therapeutische Maßnahmen nicht ausreichend ansprechen. Seit 2019 ist in Deutschland ein weiteres Stimulanz (Lisdexamfetamin, z. B. Elvanse Adult®) zur Behandlung eines seit Kindheit bestehenden ADHS bei Erwachsenen zugelassen. Beide Präparate sind nach den aktuellen Leitlinien Präparate erster Wahl. Bleibt die erwünschte Besserung aus, kann das jeweils andere versucht werden. Falls beide Wirkstoffe nicht helfen oder Stimulanzien nicht angezeigt sind, ist auch die Gabe von Atomoxetin (z. B. Strattera®) möglich.

Hinweis: Atomoxetin hat bei Kindern und Jugendlichen das Risiko für Selbstmord erhöht, eine engmaschige Überwachung, besonders zu Beginn einer Behandlung damit, ist deshalb erforderlich.

Prognose

ADHS begleitet die Betroffenen ein Leben lang, verändert sich jedoch oft in seiner Ausprägung. Die Auswirkungen auf die Lebensqualität variieren deshalb sehr. Manche Betroffene kommen mit ihrer Störung gut zurecht, andere erleiden aufgrund ihrer erhöhten Risikobereitschaft Unfälle oder geraten mit dem Gesetz in Konflikt. Bedeutend für die Prognose sind auch Begleiterkrankungen wie Depression oder die Entwicklung einer Sucht.

Ihre Apotheke empfiehlt

Was Sie selbst tun können

Informieren Sie sich gründlich über ADHS. Lassen Sie sich von Ihrer Ärzt*in Bücher empfehlen. Suchen Sie eine Selbsthilfegruppe und andere erwachsene Betroffene, mit denen Sie sich austauschen können. Je besser Sie über Ihre Erkrankung Bescheid wissen, umso besser können Sie bei Problemen gegensteuern.

Suchen Sie sich einen "Coach". Es ist gut, in der Nähe jemanden zu haben, der Sie ermutigt und Ihnen hilft. Das kann eine Therapeut*in sein oder eine gute Freund*in, die ehrliches Feedback zu Ihrem Verhalten geben können. Die Lebenspartner*in ist aufgrund der Nähe und der speziellen Beziehungssituation dafür meist weniger geeignet.

Gehen Sie offen mit Ihrem ADHS um. Informieren Sie Ihre Familie und Ihre Freunde über ADHS. Sobald diese mehr darüber wissen, fällt es ihnen leichter, Sie zu verstehen und mit Ihnen umzugehen. Das gilt auch für den Kollegenkreis: Menschen, denen Sie vertrauen, sollten Sie ebenfalls in Ihre Diagnose einweihen.

Geben Sie sich keine Schuld. Denken Sie immer daran, dass ADHS eine neurobiologische Störung ist und nicht durch Unreife, Willenlosigkeit oder Charakterschwäche verursacht wird.

Setzen Sie sich Termine, organisieren Sie Ihre Arbeit. Es gibt viele kleine Hilfsmittel, die Ihnen helfen, Struktur in ihr inneres Chaos zu bringen. Arbeiten Sie bei der Planung von Vorhaben mit Listen, Merkzetteln, Notizen und Karteien. Inzwischen werden auch viele Kurse angeboten, in denen das Strukturieren der Arbeit erlernt werden kann.

Haben Sie immer Stift und Notizblock dabei. So können Sie Ihre Gedankenblitze gleich notieren, statt sie zu einer Gedankenflut im Kopf anwachsen zu lassen.

Auszeiten nehmen. Wenn etwas Sie stark ärgert, gehen Sie aus der Situation, beruhigen Sie sich. Auf diese Weise lernen Sie, Ihre (negative) Impulsivität zu zügeln.

Komplementärmedizin

Leider fehlt bisher ein gesicherter Nachweis, dass Heilpflanzen bei ADHS helfen. Dennoch spricht nichts dagegen, alternative Behandlungsansätze gegen einige Begleitsymptome auszuprobieren, etwa gegen Schlafstörungen und Unruhe.

  • Baldrian. Für den Tee 1/4 l kaltes Wasser auf 1 Teelöffel getrocknete Baldrianwurzel geben, über Nacht stehen lassen und anschließend abseihen. Vor dem Schlafengehen eine 1 Tasse davon trinken. Zur längeren Anwendung eignet sich eine Baldrian-Tinktur aus der Apotheke.
  • Johanniskraut. Zur allgemeinen Nervenstörung und gegen innere Unstimmigkeit bietet sich ein Tee an. Nehmen Sie dazu 2 Teile Johanniskraut, 2 Teile Zitronenmelisse, 2 Teile Lavendelblüten und übergießen diese Mischung mit ½ l kochendem Wasser. 10 Minuten ziehen lassen, abseihen und über den Tag verteilt einmal eine Tasse zum Trinken geben.
  • Melisse- und Johanniskrauttee. Gegen schlechten Schlaf hilft ein Tee aus Melisse und Johanniskraut. Nehmen Sie dazu jeweils 1 Teelöffel, übergießen die Mischung mit ¼ l kochendem Wasser und lassen alles ziehen. Anschließend abseihen und tagsüber trinken.
  • Hopfentee. Übergießen Sie für einen Tee 2 Teelöffel Hopfen mit ½ l kochendem Wasser. Anschließend 5 Minuten ziehen lassen und abseihen. Den Tee evtl. mit Honig versüßen und 1 Stunde vor dem Schlafengehen warm trinken.

Weiterführende Informationen

  •  ADHS-Deutschland – Home (adhs-deutschland.de) . Webseite des ADHS Deutschland e. V. mit einer Suchmöglichkeit nach Selbsthilfegruppen, Informationen zur Erkrankung und Buchempfehlungen.

Von: Dr. med. Herbert Renz-Polster in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualisierung: Dr. med. Sonja Kempinski
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Spinnen-Phobie mit App behandeln

Virtual Reality lässt sich auch therapeutisch einsetzen - zum Beispiel bei der Behandlung von Phobien.

Spinnen-Phobie mit App behandeln

VR macht´s möglich

Manche Menschen haben panische Angst vorm Fliegen, andere vor Spinnentieren oder Spritzen. Bekämpft werden solche Phobien meist durch eine Verhaltenstherapie. Jetzt soll auch eine App mit virtueller Realität helfen.

Übetrieben und unbegründet, aber unbeherrschbar

Unter einer Phobie versteht man die dauerhafte und übertriebene Angst vor Dingen, Lebewesen oder Situationen. Besonders gut bekannt ist die Furcht vor großer Höhe, vor Spinnen oder davor, eine öffentliche Rede zu halten. Die Betroffenen wissen, dass ihre Angst unbegründet ist. Trotzdem fällt ihnen die Konfrontation mit dem Angstauslöser oft so schwer, dass sie diesen zunehmend meiden.

Mit Headset und Smartphone in die Scheinwelt

Eine neuseeländische Arbeitsgruppe hat nun eine App entwickelt, mit deren Hilfe man seine Phobien in Eigenregie behandeln kann. Das Programm namens oVRcome® verbindet Elemente der traditionellen kognitiven Verhaltenstherapie mit virtueller Realität. Dabei werden die Betroffen über eine per Headset präsentierte Scheinwelt wiederholt und kurz mit ihren Angstauslösern konfrontiert, um eine Toleranz dagegen aufzubauen. Ob diese App bei Phobien effektiv helfen kann, wurde nun in einer Studie mit knapp 250 Betroffenen geprüft. Ihre Phobien bezogen sich auf das Fliegen, auf große Höhen, Spinnen, Hunde und Nadeln.

Die Hälfte der Studienteilnehmer*innen trainierte sechs Wochen lang per App. Dabei durchlebten sie ihre Phobien mithilfe virtueller Realität und bekamen Informationen und Verhaltenstipps. Außerdem lernten und absolvierten sie Entspannungsverfahren und Achtsamkeitsübungen. Die andere Hälfte der Proband*innen unternahm sechs Wochen lang nichts gegen ihre Ängste.

Ängste um 75 % reduziert

Vor der Studie und nach sechs Wochen wurde bei jeder Teilnehmer*in anhand eines 40-Punkte-Scores die Schwere der Phobie gemessen. Diejenigen, die die App genutzt hatten, konnten im Gegensatz zu den App-losen Phobikern*innen ihre Ängste deutlich lindern (von durchschnittlich 28/40 auf 7/40 Punkte). Einigen der Teilnehmer*innen gelang es sogar, mithilfe des Programms erstmals stressfrei zu fliegen, andere schafften es, sich endlich gegen COVID-19 impfen zu lassen.

Expert*innen zufolge ermöglicht die App Betroffenen, sich selbst gegen Phobien zu helfen. Inwieweit es problematisch sein könnte, manche Ängste ohne ärztliche Begleitung anzugehen, müssen weitere Studien klären. Erwähnenswert ist zudem, dass es sich bei der App um ein kommerzielles Angebot handelt. Wer oVRcome® nutzen möchte, muss ein Abonnement erwerben. Dafür gibt es jedoch gratis das nötige Headset dazu.

Quelle: www.medicalnewstoday.com

Von: Dr. med. Sonja Kempinski; Bild: Franz12/shutterstock.com