Gesundheit heute

Gestalttherapie

Der deutsche Arzt und Psychoanalytiker Frederik S. Perls (1893–1970) entwickelte ein Verfahren, mit dessen Hilfe der Patient einen besseren Zugang zu seinen Gefühlen erhalten soll: Psychische – insbesondere neurotische – Störungen entstehen demnach dadurch, dass bestimmten Inhalten der Zugang zum Bewusstsein verweigert wird. Angenommen wird, dass sich jeder Mensch selbst verwirklichen will und sich dabei auch an kulturellen Werten ausrichtet.

Ablauf der Therapie. Die Gestalttherapie ist ausgerichtet auf das „Hier und Jetzt“, im Mittelpunkt steht die Bewusstseinsschärfung für das aktuelle Problem. Angewendet wird eine Vielzahl an Techniken, um die eigenen Erlebnisse zu intensivieren. So wird der Patient z. B. aufgefordert, Eindrücke, Gefühle oder Träume darzustellen. Eine der bekanntesten Techniken ist „der heiße Stuhl“ (hot chair), auf den sich der Betroffene setzt und dem gegenüber ein leerer Stuhl steht, auf dem sich der Patient eine Person vorstellt, mit der er „in Beziehung“ treten will. Im Rollenspiel wird dann das Problem gemeinsam in der Gruppe bearbeitet.

Im Krankenhaus und in der psychiatrischen Rehabilitation findet die Gestalttherapie begleitend zu anderen Therapieformen statt. Bei Depressionen, Zwangsneurosen, narzisstischen Störungen, psychosomatischen Erkrankungen und Abhängigkeiten hat sie ihren festen Platz. Sie kann mit Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und als Paar- und Familientherapie durchgeführt werden. Zunehmend wird sie auch zur Supervision für Mitarbeiter sozialer Tätigkeiten genutzt.

Therapieziel und -dauer. Ziel ist, dass der Patient sein Leben selbstverantwortlich gestalten kann, einen besseren Zugang zu den eigenen Gefühlen gewinnt und bewusster und intensiver erlebt. Die Therapiedauer variiert – abhängig von der Symptomatik – beträchtlich und liegt zwischen 25 (leichte Neurosen) und 100 Stunden (Psychosen).

Die Berufsbezeichnung Gestalttherapeut ist ungeschützt. Fragen Sie den für Sie in Frage kommenden Therapeuten vorab, an welchem Institut er seine Ausbildung gemacht hat (in der Regel dauert die Ausbildung fünf Jahre!). Adressen von Therapeuten – ebenso wie die seriöser Institute – bekommen Sie direkt bei den Dachverbänden.

Weiterführende Informationen

  • www.igw-gestalttherapie.de – Internetseite des Instituts für Integrative Gestalttherapie: Im Verein Ärztlicher Gestalttherapeuten (VÄGP, Würzburg) sind Ärzte zusammengefasst, die mit gestalttherapeutischen Methoden arbeiten.

Von: Dr. med. Arne Schäffler, Gisela Finke in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualisierung: Dr. med. Sonja Kempinski
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Gewalt gegen Männer

Immer häufiger müssen sich misshandelte Männer gegen ihre Partnerin wehren.

Gewalt gegen Männer

Gar nicht so selten

Häusliche Gewalt ist in vielen Familien oder Partnerschaften ein Thema. Noch immer trifft es dabei vornehmlich Frauen und Kinder. Doch inzwischen steigt auch die Anzahl der männlichen Opfer. Ihr Leid wird häufig nicht ernst genommen.

Dunkelziffer ist hoch

Gewalt in Partnerschaften ist häufig. 2020 wurden von der Polizei in Deutschland knapp 147 000 Fälle registriert. 80% der Betroffenen waren Frauen, 20% Männer. Die Dunkelziffern sollen aber weitaus höher liegen. Vor allem, wenn Männer von Frauen misshandelt werden. Denn misshandelte Männer gehen noch seltener zur Polizei als misshandelte Frauen, sagen die Soziologinnen Barbara Horten und Marleen Gräber vom Institut für Kriminologie in Heidelberg.

Gekratzt, geschubst, gebissen und kontrolliert

Britische Studien schätzen, dass einer von drei Opfern häuslicher Gewalt männlich ist. In Deutschland geht man davon aus, dass etwa eine Million Männer regelmäßig Gewalt durch ihre Partnerin erfahren. Einer umfangreichen Untersuchung zufolge setzen Frauen dabei am häufigsten psychische Gewalt ein. Dazu gehören beispielsweise Erniedrigungen und Beleidigungen, aber auch Kontrollen. So werden z.B. Kontakte zu anderen Menschen unterbunden oder E-Mails, Telefonanrufe oder die Post überwacht. Auch körperliche Gewalt kommt vor. Die männlichen Opfer werden geschubst, gekratzt, gebissen, an den Haaren gezogen, geschlagen, die Treppe heruntergestoßen oder mit einer brennenden Zigarette bzw. einem Messer attackiert. In einigen Fällen werden Männer auch gegen ihren Willen zu sexuellen Handlungen gezwungen.

Scham und Angst halten von der Hilfesuche ab

Misshandelte Männer suchen selten Hilfe. Das hat verschiedene Ursachen, schreiben die Heidelberger Soziologinnen. Rollenstereotype bringen Männer dazu, die verstörenden Erlebnisse für sich zu behalten, nach dem Motto „ein Indianer kennt keinen Schmerz“. Außerdem schämen sie sich und haben Angst, ihr Ansehen als Mann zu verlieren, wenn sie sich jemandem anvertrauen. Mit dieser Sorge liegen sie nicht falsch, wie eine britische Untersuchung zeigt. Darin schlug männlichen Opfern bei Behörden häufig Diskriminierung entgegen. Sowohl professionelle Ansprechpersonen als auch Freunde und Familie reagierten eher spöttisch oder uninteressiert, oft wurde ihnen nicht geglaubt.

Männertelefon für Betroffene

Das hat schwere Folgen für die Opfer. Sie werden depressiv, leiden unter Ängsten und isolieren sich. Finden betroffene Männer jedoch kompetente psychische Unterstützung, bessern sich Angst und Einsamkeit. In Deutschland gibt es dafür spezielle Anlaufstellen wie das „Hilfetelefon Gewalt an Männern“ oder eine Online-Chathilfe. Beides erreicht man über die Webseite maennerhilfetelefon.de.

Zusätzlich müsse es jedoch ein Umdenken in der Gesellschaft geben, fordern Horten und Gräber. Denn Männer sind nicht immer die Täter – sie können auch die Opfer von Gewalt sein.

Quellen: Univadis, Forensische Psychiatrie, Psychologie und Kriminologie

Von: Dr. med. Sonja Kempinski; Bild: mauritius images / Maksim Kostenko / Alamy / Alamy Stock Photos