Gesundheit heute

Verhaltenstherapien

Verhaltenstherapien bezeichnen Heilverfahren, die auf der experimentellen Lernpsychologie basieren. Grundthese: Unerwünschtes Verhalten (z. B. Flugangst) ist erlerntes Fehlverhalten, das durch therapeutisch initiierte Lernprozesse wieder korrigiert, also eigentlich auch wieder verlernt werden kann.

Hinter dem Begriff Verhaltenstherapie verbergen sich eine Reihe teils sehr unterschiedlicher Behandlungstechniken, von denen hier einige exemplarisch dargestellt werden. Aber welche Technik auch immer zum Einsatz kommt: Im Vordergrund der Behandlung steht immer die belastende Symptomatik.

Bei den Behandlungstechniken unterscheidet man zwischen Aneignungstechniken (z. B. Selbstsicherheitstraining), Beseitigungstechniken (z. B. systematische Desensibilisierung) und kognitiven Verfahren. Allen Verfahren ist gemein, dass der Patient durch geleitetes Entdecken seine irrationalen Grundannahmen hinterfragen und rationale Alternativen entwickeln soll.

Wie läuft die Therapie ab? Die Therapie beginnt mit einer genauen Problembeschreibung, darauf folgt eine Verhaltensanalyse, die nach Ursachen des Problems sucht. Im Anschluss daran werden Therapieziele formuliert und Behandlungsmethoden festgelegt, mit deren Hilfe das Ziel erreicht werden soll: Der Therapeut erklärt und begründet dem Patienten ausführlich, wie sich die Symptomatik entwickelt hat und welche Schritte notwendig sind, um zu einer Besserung zu gelangen. Der Patient arbeitet aktiv mit: In so genannten „Hausaufgaben“ bekommt der Patient konkrete Vorgaben, was er in seinem Alltag verändern kann und welche Verhaltensweisen er mithilfe von Checklisten an sich beobachten und protokollieren (aufschreiben) soll. Darüber hinaus soll er lernen, auch zukünftige Probleme zu analysieren und zu bewältigen. Wichtig ist die gemeinsame Festlegung der Therapieziele sowie der Kriterien, anhand derer die Zielerreichung bewertet wird. Damit ist die Verhaltenstherapie Hilfe zur Selbsthilfe.

Was ist das Therapieziel? Das Therapieziel besteht im Um- oder Verlernen des falsch erlernten Verhaltens und im Neuerlernen alternativer Verhaltensweisen. Am Ende der Therapie sollte der Patient angemessener und selbstsicher auf zukünftige Anforderungen und Probleme reagieren können.

Für wen geeignet? Verhaltenstherapeutische Maßnahmen sind vor allem bei Angststörungen wie Phobien effektiv, ebenso zur Stressbewältigung oder Entwicklung von Selbstsicherheit. Sie helfen bei der Veränderung von Ernährungsgewohnheiten, der Verarbeitung von traumatischen Erlebnissen und werden begleitend bei depressiven Erkrankungen und Psychosen empfohlen.

Wie lange dauert die Therapie? „Weniger ist mehr“; um eine konkrete Verhaltensänderung zu erreichen, sind meist bereits 25 Sitzungen ausreichend. Nach intensivem Einstieg mit wöchentlichen Sitzungen kann dann schrittweise auf monatliche Treffen übergegangen werden. Für die therapeutische Begleitung Psychose-Erkrankter ist allerdings eine Langzeittherapie notwendig.

Verhaltenstherapeutische Behandlungstechniken

Reizkonfrontation (Exposition): Die Therapie bereitet vor allem darauf vor, dem Reiz (z. B. der Angst) direkt ausgesetzt zu werden, und beginnt mit einer gründlichen Diagnostik. Der Arzt klärt ab, in welchen Situationen die Angst besonders stark ist und erklärt, wie Ängste entstehen, wodurch sie aufrechterhalten werden und wie Reizkonfrontationen helfen, den Teufelskreis aus Angst und Vermeidung aufzubrechen. Die Konfrontationen werden in einem „Therapievertrag“ zwischen Therapeut und Patient schriftlich festgelegt. Der Patient unterschreibt in der Regel, dass er dem Reiz in voller Eigenverantwortung ausgesetzt werden will, seine Angst aushalten und nicht flüchten will.

Es folgt ein Block von etwa sechs bis zehn aufeinanderfolgenden Tagen, an denen der Patient dem Reiz massiv ausgesetzt wird. Dabei begleitet der Therapeut den Patienten wie eine Art Trainer: Er gibt in Krisen Hilfestellungen, betont aber vor allem, dass der Patient selbst die Kontrolle über seine Angst und seine Befürchtungen hat. Hierbei ist wichtig, dass sich der Patient während der Reizkonfrontation nicht durch Fantasien von der Situation ablenkt oder anderweitig seine Angst niederkämpft. Vielmehr soll er sie bewusst spüren, damit er dann auch fühlen kann, wie die Angst nachlässt. In der letzten Phase der Behandlung setzt der Patient die Reizkonfrontation alleine fort und berichtet dem Therapeuten über seine Erfahrungen.

Systematische Desensibilisierung: Ist die Reizkonfrontation zu belastend für den Patienten, kann auch die systematische Desensibilisierung helfen. Therapeut und Patient erarbeiten gemeinsam eine Angsthierarchie, wobei die Angst auslösende Situation nach ihrem Stärkegrad von „wenig Angst machend“ (z. B. lediglich an das Objekt denken) bis „extrem Angst einflößend“ (z. B. mit dem Objekt in einem Raum eingesperrt sein) sortiert wird. Die einzelnen Stufen der Angsthierarchie werden zunächst in der Vorstellung, dann aber auch real durchgearbeitet. Der Patient nähert sich also schrittweise den Angst machenden Dingen, die Therapie endet schließlich in der direkten Reizkonfrontation.

Selbstsicherheitstraining: Viele Menschen leiden darunter, sich nicht richtig durchsetzen oder nie „Nein!“ sagen zu können. Selbstsicherheittrainings, die von erfahrenen Verhaltenstherapeuten durchgeführt werden, helfen, soziale Ängste ab- und soziale Fähigkeiten aufzubauen. Dies wird meist im Rahmen von Gruppentherapien z. B. durch Rollenspiele trainiert, die zur gemeinsamen Analyse häufig auch per Kamera aufgezeichnet werden.

Kognitive Therapieverfahren: Grundannahme dieser verhaltenstherapeutischen Techniken ist, dass dysfunktionale Denkmuster (unlogische, irrationale, verallgemeinernde Denkschemata und Bewertungen) die zentrale Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer Störungen spielen. Kognitive, also die Erkenntnis betreffende Verfahren, zielen darauf ab, diejenigen Erwartungen, Überzeugungen, Vorstellungen und Denkmuster zu durchbrechen, die Einfluss auf das Verhalten haben. Hier werden zwei verschiedene Techniken vorgestellt:

  • Kognitive Verhaltenstherapie: Für Aaron T. Beck (1921 geboren), inzwischen emeritierter Professor an der University of Pennsylvania und neben Ellis der Begründer der kognitiven Verhaltenstherapie – sind Patient und Therapeut gleichberechtigte Partner, da der Patient der Experte seiner Denkmuster ist. Das Therapieziel besteht darin, dem Betroffenen zu vermitteln, dass Denkfehler und irrationale Annahmen die Gefühle von Minderwertigkeit und Bedrohung auslösen. Daher müssen diese negativen Gedanken aufgespürt und hinterfragt werden. Das Verfahren wurde speziell zur Depressionsbehandlung entwickelt, ist aber auch bei Angststörungen wie Panikattacken und Phobien oder Essstörungen effektiv.
  • RET (Rational-emotive Therapie): Auch der Psychotherapeut Albert Ellis (1913 geboren), heute Leiter eines gleichnamigen Instituts in New York – geht davon aus, dass menschliches Denken und die Gefühlswelt eng miteinander verbunden sind: Bedingt durch irrationale Überzeugungen kommt es zu verzerrter Wahrnehmung und falschen Interpretationen, die schließlich zu psychischen Problemen und Verhaltensstörungen führen. Ziel der Therapie ist auch hier die Identifizierung und Analyse der irrationalen Annahmen, um sie dann schrittweise abzubauen. Dabei lernt der Patient, dass er seinem Leiden nicht hilflos ausgeliefert ist, sondern selbst lernen kann, seine Gefühle und sein Verhalten aktiv zu verändern.

Von: Dr. med. Arne Schäffler, Gisela Finke in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualisierung: Dr. med. Sonja Kempinski
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Antipsychotikaverbrauch steigt an

Jugendliche leiden immer häufiger an psychischen Störungen.

Antipsychotikaverbrauch steigt an

Kinder und Jugendliche

Kinder und Jugendliche bekommen immer häufiger Antipsychotika verschrieben. Besonders hoch ist der Anstieg bei Mädchen und jungen Frauen im Alter von 15 bis 19 Jahren.

Bei Kindern wenig untersucht

Antipsychotika sind Medikamente zur Behandlung von Schizophrenie oder bipolarer Störung. Letztere ist eine psychische Erkrankung, bei der sich depressive Zustände mit manischen Phasen abwechseln. Das heißt, dass Betroffene unter extremen Schwankungen zwischen Niedergeschlagen- und Antriebslosigkeit und übermäßig gesteigerter Stimmung leiden.

Wirkung und Sicherheit der Antipsychotika sind vor allem bei erwachsenen Patient*innen untersucht. Für Kinder gibt es dazu nur wenige Daten. Generell weiß man jedoch, dass Antipsychotika auch bei ihnen Nebenwirkungen verursachen. Dazu gehören vor allem Bewegungsstörungen wie Sitzunruhe oder unwillkürliche Muskelkontraktionen.

Trotzdem werden in Deutschland Antipsychotika bei Kindern und Jugendlichen immer häufiger eingesetzt, berichtet der Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Christian Bachmann. Sein Team von der Universitätsklinik Ulm untersuchte die Verordnung dieser Medikamente im Zeitraum von 2011 bis 2020 anhand der bundesweiten Abrechnungsdaten.

16% mehr Antipsychotika verordnet

Die Verordnung traditioneller Antipsychotika der ersten Generation stieg im untersuchten Zeitraum um 16%. Auch neue Antipsychotika der zweiten Generation, die seltener Bewegungsstörungen auslösen, wurden um 17% häufiger verschrieben. Am stärksten war die Zunahme bei Mädchen, sagt Bachmann.

Mangel an Psychotherapiemöglichkeiten oder stärkere Belastung?

Warum die Verordnungen von Antipsychotika so stark zugenommen haben, ist unklar. Möglicherweise liegt es daran, dass die psychischen Belastungen für Kinder und Jugendliche in den letzten Jahren zugenommen haben. Ein weiterer Grund könnte sein, dass es nicht genügend psychotherapeutische Behandlungsmöglichkeiten gibt und die Wartezeiten für einen Therapieplatz einfach zu lang sind.

Quelle: kinderaerzte-im-netz.de

Von: Dr. med. Sonja Kempinski; Bild: mauritius images / Cavan Images