Gesundheit heute

Befindlichkeitsstörung oder psychische Erkrankung?

Jeder Mensch kennt Phasen, in denen er psychisch „nicht so gut drauf ist“, ängstlicher, depressiver, mutloser. Wann aber verwandeln sich solche Befindlichkeitsstörungen in psychische Erkrankungen, die einer Behandlung durch einen ärztlichen oder psychologischen Therapeuten bedürfen? Auch wenn die Entscheidung im Einzelfall schwierig ist, gibt es dafür klare Regeln und Hinweise. So besteht Behandlungsbedarf, wenn

  • Die Symptomatik bzw. Problematik sehr bedrohlich ist – dies ist immer bei vermuteten oder vom Betroffenen geäußerten Selbstmordgedanken der Fall (Selbstmord) sowie bei Wahnvorstellungen und Halluzinationen.
  • Der Betroffene selbst oder das soziale Umfeld stark unter den Symptomen der psychischen Belastung leiden und z. B. ein normales Leben (miteinander) nicht mehr möglich ist.
  • Die Beschwerden ohne erkennbaren äußeren Anlass auftreten und länger als zwei Wochen andauern.
  • Die Beschwerden zwar durch einen äußeren Anlass erklärbar sind, aber nach einer dem Anlass „angemessenen“ Zeit trotzdem nicht verschwinden. Bei Verlust des Arbeitsplatzes oder einer Trennung reagiert jeder Mensch mit einer Phase von Depressivität und Zukunftsängsten. Bleibt diese jedoch wochen- oder gar monatelang bestehen, sollte sich der Betroffene in psychiatrische Behandlung begeben.
  • Man etwas Schreckliches erlebt hat, was nahezu jeden Menschen aus der Bahn wirft, wie Opfer einer Gewalttat, eines schweren Unfalls oder einer Naturkatastrophe zu werden. Explizit sind hier auch Eltern zu nennen, die ein Kind verlieren (posttraumatische Belastungsstörung).

Alle psychischen Störungen, die dazu führen, dass jemand auf Dauer seinen Alltag nicht mehr so bewältigen kann, wie er das möchte, oder großen Leidensdruck erzeugen, müssen fachkundig ärztlich-psychotherapeutisch behandelt werden.

Weiterführende Informationen

  • K. Dörner: Irren ist menschlich. Psychiatrie-Verlag, 2007. Klassiker der patientenorientierten Psychiatriebücher. Wird vor allem als Lehrwerk genutzt, ist aber auch für Patienten ein lohnendes Buch.
  • R. Piontek: Wegbegleiter Psychotherapie. Psychiatrie-Verlag, 2005. Ratgeber für alle, die eine Psychotherapie beginnen wollen. Enthält Tipps für die Suche nach einem Therapieplatz sowie zum Therapieeinstieg.

Von: Dr. med. Arne Schäffler, Gisela Finke in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualisierung: Dr. med. Sonja Kempinski
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Wie ADHS-Medikamente langfristig helfen

ADHS kann die Schulkarriere und das Berufsleben der Betroffenen stark beeinflussen.

Wie ADHS-Medikamente langfristig helfen

Weniger Suizide, seltener krank

ADHS-Medikamente wirken einerseits, indem sie akute Beschwerden lindern. Sie haben darüber hinaus aber auch langfristig einen positiven Einfluss auf das Leben der Betroffenen, wie neue Daten zeigen. So senken einige von ihnen das Risiko für Klinikaufenthalte und Selbstmordversuche.

Langfristige Effekte bisher wenig bekannt

Wer heute unter einer Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) leidet, hat mehrere medikamentöse Behandlungsoptionen: So stehen stimulierende (Amphetaminderivate und Methylphenidat) und nicht-stimulierende Wirkstoffe (Atomoxetin) zur Verfügung. Sie können die übermäßige Aktivität lindern und das Konzentrationsvermögen bessern. Bisher war aber unklar, ob diese Medikamente auch einen positiven Einfluss auf die Gesamtsituation der Erkrankten haben, zum Beispiel auf das (spätere) Arbeitsleben. Zudem gab es die Hypothese, dass stimulierende Medikamente womöglich das Risiko für Suizidversuche erhöhen.

Eine schwedische Arbeitsgruppe hat sich dieser Fragen angenommen und die Krankheitsdaten von allen Personen in Schweden analysiert, die mit der Diagnose ADHS registriert waren. 71% der Patient*innen waren jünger als 30 Jahre, 55% männlich. Auf häufigsten nahmen sie Methylphenidat ein, gefolgt von Lisdexamphetamin und Atomoxetin.

Weniger Klinikaufenthalte

Ein Viertel der ADHS-Patient*innen musste im Laufe der Erkrankung in eine psychiatrische Klinik aufgenommen werden. Im Vergleich zu denjenigen, die gar keine Medikamente einnahmen, verringerte Atomoxetin das Risiko für eine Klinikaufnahme um 26%. Methylphenidat tat dies um 7%, Lisdexamphetamin um 12%. Wurden mehrere Präparate kombiniert, sank das Risiko um 15%.

Von den zu Beginn der Studie arbeitsfähigen Erkrankten wurden 30% über die Jahre krankgeschrieben oder verrentet. Im Vergleich zu Personen ohne Medikation reduzierte Atomoxetin dieses Risiko um 15%. Bei Menschen unter 30 Jahren verringerte auch Methylphenidat die Wahrscheinlichkeit, arbeitsunfähig zu werden, und zwar um 12%. Alle anderen Medikamente zeigten keinen Zusammenhang mit der Arbeitsfähigkeit. Wurden mehrere ADHS-Präparate kombiniert, stieg das Risiko für Krankschreibungen und Verrentung dagegen an.

Suizide verringert

ADHS-Betroffene haben auch ein erhöhtes Risiko für Suzide und Suizidversuche. In dieser Untersuchung wurde bei 5% der ADHS-Patient*innen ein solches suizidales Verhalten festgestellt. Amphetamine reduzierten das Risiko für Suizide und Suizidversuche um 30%, Methylphenidat um 8%. Atomoxetin dagegen erhöhte es um 20%. Das könnte nach Einschätzung der Studienautor*innen jedoch ein Artefakt, also ein Verzerrungseffekt, sein. Da Atomoxetin keine stimulierende Wirkung hat, wurde es womöglich bevorzugt bei Patien*innten mit ohnehin erhöhtem Suizidrisiko eingesetzt.

Quelle: Springer Medizin

Von: Dr. med. Sonja Kempinski; Bild: mauritius images / Pitopia / Volker Schlichting