Gesundheit heute

Risiko- und Schutzfaktoren psychischer Erkrankungen

Die Frage, warum manche Menschen psychisch erkranken und andere unter den gleichen Umständen nicht, ist letztlich immer noch offen. Viele Untersuchungen, so etwa Studien an Zwillingen, lassen vermuten, dass die Gene dafür verantwortlich sind, wie leicht eine Seele verwundbar ist. Doch auch die Umwelt ist am psychischen Leid beteiligt. Zur Erklärung der Ursachen psychischer Erkrankungen wird heute deshalb ein Modell bevorzugt, das mehrere Dimensionen oder Faktoren aufweist:

Biologische oder genetische Faktoren. Sie beschreiben vererbte Eigenschaften, die einen Menschen verletzlicher gegenüber psychischen Belastungen machen. So gibt es Menschen, die offenbar erblich bedingt relativ früh und schnell abhängig von Alkohol werden – während bei anderen selbst lange Perioden mit hohem Alkoholkonsum nicht zur Abhängigkeitsentwicklung führt. Man spricht in diesem Zusammenhang vom Vulnerabilität-Stress-Modell (Vulnerabilität = Verletzlichkeit, Schwäche).

Psychische Faktoren. Damit sind vor allem Persönlichkeitszüge wie z. B. eine niedrige Frustrationsschwelle oder mangelnde Selbstsicherheit gemeint.

Soziale Faktoren. Diese Faktoren beinhalten die äußeren Lebensbedingungen eines Menschen wie Arbeits- und Wohnsituation, Bildung und Einkommen sowie seine zwischenmenschlichen Beziehungen.

Keiner der Faktoren vermag allein die Entstehung psychischer Erkrankungen zu erklären. Es müssen in der Regel also mehrere der genannten Risikofaktoren zusammenkommen, damit ein Mensch psychisch erkrankt – weshalb der Begriff des bio-psychosozialen Krankheitsmodells gewählt wurde.

Das Rüstzeug für die Stabilität der Psyche erhält man in der Kindheit und Jugendzeit. Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von Untersuchungen in unterschiedlichen Kulturen, mit verschiedenen Risikogruppen wie z. B. Kinder aus Scheidungsfamilien, Kinder von psychisch kranken Eltern, Heimkinder, misshandelte Kinder und solche aus Kriegsgebieten.

Bei allen Unterschieden kristallisierten sich die folgenden Schutzfaktoren heraus:

  • Eine zuverlässige emotionale Beziehung zu mindestens einem Elternteil
  • Ein emotional positives, Halt und Struktur gebendes Erziehungsklima
  • Bezugspersonen, die vormachen, wie sie Belastungen positiv bewältigen (Vorbildfunktion)
  • Soziale Unterstützung durch Menschen außerhalb der Familie (z. B. Nachbarn, Lehrer, Pfarrer, Sportvereine)
  • Übertragung sozialer Aufgaben an Kinder bzw. Jugendliche, die frühe Erfolgserlebnisse verschaffen (z. B. Verantwortung für ein Haustier, Fürsorge für jüngere Geschwister, Jugendgruppen)
  • Positive, angeborene „Temperamentsmerkmale“ wie Ausgeglichenheit und innere Stabilität in emotional kritischen Situationen
  • Die Erfahrung, dass man selbst etwas bewirken kann und dass das eigene Verhalten sowie vor allem Änderungen des Verhaltens Konsequenzen hat.

Von: Dr. med. Arne Schäffler in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualisierung: Dr. med. Sonja Kempinski
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Methylphenidat stört Wachstum nicht

Wachstumsstörungen scheinen einer Studie zufolge unter Methylphenidat nicht aufzutreten.

Methylphenidat stört Wachstum nicht

Entwarnung für ADHS-Medikament

Kinder mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) erhalten häufig Methylphenidat zur Therapie. Immer wieder wird angeführt, dass dieses Medikament das Wachstum hemmt. Neue Daten geben Entwarnung.

Über 1000 ADHS-Kinder beobachtet

Viele Eltern machen sich die Entscheidung nicht leicht, ihr Kind mit Methylphenidat (Ritalin) behandeln zu lassen. Ein Grund waren bisher unter anderem Hinweise, dass Kinder unter Ritalin langsamer wachsen könnten. Ob das stimmt, hat jetzt eine britische Arbeitsgruppe untersucht.

Sie sammelten über zwei Jahre lang europaweit die Daten von Kindern und Jugendlichen, die an ADHS litten. Von den insgesamt 1147 Patientinnen und Patienten im Alter von 6 bis 17 Jahren wurden 756 mit Methylphenidat behandelt. 391 erhielten gar keine medikamentöse Therapie.

Gewichtsverlust wird wieder aufgeholt

Beide Gruppen wurden mit gesunden Kontrollkindern verglichen, um das Auftreten von Nebenwirkungen zu erkennen. Die Wachstumsgeschwindigkeit war über zwei Jahre hinweg in allen drei Gruppen gleich. Ein Unterschied zeigte sich allerdings in der Gewichtskurve: Im Vergleich zu den gesunden und den unbehandelten ADHS-Kindern nahmen die mit Methylphenidat therapierten Kinder in den ersten sechs Behandlungsmonaten ab. Diese Gewichtsabnahme kam jedoch während der nächsten Monate zum Stillstand, und bis zum Studienende holten die Methylphenidat-Kinder die anderen gewichtsmäßig wieder ein.

Blutdruck und Puls kontrollieren

Das Forscherteam verglich bei den ADHS-Kindern auch das Auftreten möglicher Nebenwirkungen. Psychosen und Depressionen kamen gleich häufig vor, egal ob die Patient*innen Methylphenidat einnahmen oder nicht. Das Gleiche galt für motorische Störungen und nervöse Tics. Blutdruck und Herzrate waren allerdings unter Methylphenidat etwas höher. Die unbehandelten ADHS-Kinder konsumierten wiederum mehr Nikotin und Marihuana, außerdem traten bei ihnen mehr suizidale Handlungen auf.

Insgesamt ist bei einer Therapie mit Methylphenidat nicht mit einer Reduktion des Längenwachstums zu rechnen, fassen die Studienautor*innen zusammen. Sie raten jedoch dazu, bei den Kontrollbesuchen in der Arztpraxis regelmäßig Blutdruck und Herzfrequenz messen zu lassen.

Quelle: SpringerMedizin

Von: Dr. med. Sonja Kempinski; Bild: mauritius images / Westend61 / Phillip Waterman