Gesundheit heute

Systemische Sklerose

Systemische Sklerose (Sklerodermie, Systemsklerose, SS, Progressive Systemsklerose PSS): Chronische autoimmunologische Bindegewebserkrankung aus der Gruppe der Kollagenosen. Es kommt zu Verdickung und Verhärtung der Haut, mit oder ohne Beteiligung innerer Organe (z. B. Speiseröhre, Lunge, Nieren oder Herz), Gelenke oder Muskeln. Über 90 % der Patient*innen leiden unter einem sekundären Raynaud-Syndrom mit Durchblutungsstörungen vor allem an den Fingern. Frauen erkranken etwa viermal häufiger als Männer. Der Krankheitsbeginn liegt meist zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr. Eine Heilung ist nicht möglich, stattdessen steht die Linderung der Beschwerden und die Behandlung der jeweiligen Organschäden im Vordergrund. Zum Einsatz kommen physikalische Maßnahmen, Kälteprophylaxe, Rauchverbot und eine immunmodulierende, antientzündliche Therapie, z. B. mit Glukokortikoiden und Antirheumatika.

Hinweis: Unterschieden von der systemischen Sklerose wird die zirkumskripte Sklerodermie. Sie zeichnet sich durch umschriebene Verhärtungen (Sklerose) der Haut aus, ohne dass dabei innere Organe betroffen sind oder eine Raynaud-Symptomatik auftritt. Diese Erkrankung wird auch Morphea genannt und von der Hautärzt*in behandelt.

Symptome und Leitbeschwerden

Hautveränderungen:

  • Verhärtungen der Haut an Händen, Füßen und/oder Körperstamm
  • Kleine Geschwüre, nach Abheilung Narben an den Fingerspitzen
  • Engegefühl der Haut, Gefühl als sei der Körper "eingemauert"
  • Gesichtsveränderungen, Mund wird kleiner
  • Schmerzlose Wasseransammlungen an Händen und Füßen
  • Stippchenförmige, durch die Haut hindurch schimmernde Kalkspritzer.

Weitere Beschwerden:

  • Bei Kälte oder Stress plötzliches Weißwerden einzelner oder mehrerer Finger (Raynaud-Symptomatik)
  • Allgemeine Müdigkeit und unerklärliche Mattigkeit, Fieber, Gewichtsabnahme
  • Trockener Mund, trockene Augen
  • Schluckbeschwerden, Sodbrennen
  • Atemnot
  • Gelenksteifigkeit, Gelenkschmerzen.

Wann in die Arztpraxis

Demnächst, wenn

  • eine oder mehrere der oben genannten Beschwerden auftreten.

Die Erkrankung

Ausgangspunkt der systemischen Sklerose ist ein fehlgeleitetes Immunsystem. Es erkennt körpereigene Strukturen als fremd und regt die weißen Blutkörperchen an, Antikörper gegen das eigene Gewebe (Autoantikörper) zu bilden. Die Autoantikörper verteilen sich über das Blut im ganzen Organismus und verursachen an Organen, Gelenken und in der Haut Entzündungen. Gleichzeitig produziert der Körper mehr Bindegewebsfasern (Kollagen). Die überproduzierten Fasern lagern sich als Knoten und Verhärtungen in der Haut an und in den inneren Organen ab. Diese Ansammlungen von Bindegewebe (Fibrose) kann die Funktion der Organe massiv einschränken (siehe unten).

Zusätzlich kommt es durch die autoimmunen Prozesse zu einer Schädigung der Innenschicht der Blutgefäße. Dadurch wird der Gefäßinnenraum enger, was im ganzen Körper die Durchblutung stören kann.

Weil das ganze Körpersystem von der Erkrankung betroffen ist, spricht man von einer systemischen Erkrankung.

Epidemiologie und Ursache

Die systemische Sklerose ist selten, es erkranken etwa 50 von 100.000 Menschen in Deutschland daran. Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer (3–5 : 1).

Die Ursache ist unklar, eine genetische Veranlagung ist anzunehmen. Diskutiert werden zudem verschiedene Krankheitsauslöser, beispielsweise Chemikalien wie organische Lösungsmittel, Benzin, Quarzstaub oder Formaldehyd. In Frage kommen auch bestimmte Medikamente oder Drogen, zum Beispiel Bleomycin, L-Tryptophan, Methamphetamin, Kokain und Appetitzügler wie Fenfluramin.

Klinik

Die systemische Sklerose wird in zwei Formen eingeteilt: die häufigere limitierte Form und die diffuse Form. Limitierte und diffuse Form unterscheiden sich darin, wie ausgeprägt die Beschwerden sind und in welchem zeitlichen Verlauf sie erscheinen.

Bei beiden Formen sind Finger, Zehen sowie Nase und Ohren verhärtet und verdickt. Das Gesicht ist maskenhaft starr, die Mundöffnung verkleinert (Mikrostomie). Die Haut ist aufgequollen, aber zugleich straff und verhärtet, oft lagert sich Kalk ein. Besonders an den Fingern entwickeln sich durch die Veränderungen an Haut und Bindegewebe Kontrakturen (Sklerodaktylie). Das bedeutet, dass die Gelenke in einer Stellung fixiert sind. Außerdem leidet fast jede Patient*in unter einem sekundären Raynaud-Syndrom.

Bei der limitierten Form beschränken sich die Hautveränderungen fast immer auf die Akren (Finger, Zehen, Nase, Ohren) und das Gesicht. Innere Organe sind meist erst sehr spät betroffen.

Die seltenere diffuse Form ist weitaus aggressiver. Die Hautveränderungen breiten sich über den gesamten Körper und das Gesicht aus. Außerdem leiden die Patient*innen meist erheblich unter trockenen Schleimhäuten, was sich vor allem an den Augen und im Mund bemerkbar macht. Oft entzünden sich auch die Gelenke. Diese schmerzen dann und werden steif. Innere Organe sind bei der diffusen Form früh und ausgeprägt beteiligt:

  • Bei etwa der Hälfte der Patient*innen ist die Speiseröhre betroffen: ihre Wand wird zunehmend starr, Schluckbeschwerden sind die Folge.
  • Als zweithäufigstes Organ wird die Lunge in Mitleidenschaft gezogen, in Form einer Lungenfibrose mit trockenem Husten und Atemnot. Das zunehmende Bindegewebe versteift die Lunge und behindert das Einatmen.
  • Am Herzen drohen Muskelentzündungen und in der Folge Herzschwäche und Herzrhythmusstörungen. Bei einer Beteiligung der Niere kann es zu einem Nierenversagen kommen.

Das CREST-Syndrom ist eine Sonderform der systemischen Sklerose, die vor allem Frauen über 50 Jahre betrifft. Durch die autoimmunbedingte Überproduktion von Kollagenfasern kommt es zu folgenden fünf Symptomen:

  • Calcinosis cutis (knotige Kalkeinlagerungen in der Haut)
  • Raynaud-Syndrom
  • Bewegungsstörungen der Speiseröhre (englisch Speiseröhre = esophagus)
  • Sklerodaktylie (gespannte und verhärtete Haut an den Fingern)
  • Teleangiektasien (erweiterte Blutgefäße in der Haut, Besenreiser).

Zusätzlich können eine Lungenfibrose oder ein Bluthochdruck im Lungenkreislauf auftreten (pulmonale Hypertonie).

Diagnosesicherung

Eine Verdachtsdiagnose stellen Ärzt*innen bereits nach der klinischen Untersuchung, wenn ihnen die typischen Verhärtungen an Fingern und Zehen auffallen. Auch ein Raynaud-Syndrom spricht für eine Sklerodermie. Um sicher zu gehen, gibt es weitere Untersuchungen:

Kapillarmikroskopie des Nagelfalzes. Dafür tropft die Ärzt*in etwas Öl auf das Nagelbett (die Nagelfalz) und untersucht es unter einem herkömmlichen Mikroskop. Im Frühstadium sind die Kapillaren (kleinste Blutgefäße) erweitert und manchmal auch ausgesackt. Im Spätstadium ist die Anzahl der Kapillaren deutlich vermindert und es gibt gefäßfreie Zonen. Manchmal lassen sich auch vermehrt Pigmentablagerungen erkennen. Die Kapillarmikroskopie ist wichtig, um das sekundäre Raynaud-Syndrom im Rahmen einer systemischen Sklerose von einem primären Raynaud-Syndrom zu unterscheiden. Bei Letzterem zeigen sich keine Veränderungen der Nagelfalzkapillaren.

Hautbiopsie. Mit einer Hautbiopsie lässt sich die Diagnose bestätigen. Dazu entnimmt die Ärzt*in eine Hautprobe aus einer verhärteten und verdickten Stelle und untersucht sie feingeweblich unter dem Mikroskop. Typische Merkmale sind z. B. verbreiterte Faserbündel aus Bindegewebe und eine verringerte Anzahl von Gefäßen.

Laboruntersuchungen. Bei den Laboruntersuchungen sprechen vor allem die typischen Antikörper für eine systemische Sklerose. Allerdings kann die Erkrankung auch vorliegen, ohne dass diese erhöht sind. Am wichtigsten ist der Nachweis von antinukleären Antikörpern (ANA), die bei 90 % der Patient*innen vorhanden sind. Etwa ein Drittel der Betroffenen hat auch einen positiven Rheumafaktor. Folgende Antikörper haben ebenfalls diagnostische Bedeutung:

  • Anti-Scl-70-Antikörper sind bei etwa 40 % der Patient*innen mit diffuser systemischen Sklerose positiv und sprechen für eine schlechte Prognose.
  • Antizentromer-Antikörper finden sich vor allem bei der limitierten Form und beim CREST-Syndrom.
  • Anti-RNA-Polymerase III-Antikörper sind mit einer prognostisch ungünstigen Nierenbeteiligung assoziiert.

Weitere Laboruntersuchungen helfen dabei, das Ausmaß der Erkrankung zu erkennen. Die Entzündungswerte (CRP, BSG) zeigen, wie stark die Entzündung ausgeprägt ist. Anhand von Kreatininwert und Eiweißausscheidung im Urin weist man eine Nierenbeteiligung nach. Eine Muskelentzündung sieht die Ärzt*in am Anstieg bestimmter Muskelenzyme im Blut.

Apparative Diagnostik. Bei Schluckbeschwerden zeigen Ösophagus-Breischluck und die Speiseröhrendruckmessung, ob die Speiseröhre beteiligt ist. Um eine Lungenfibrose frühzeitig zu erkennen, werden regelmäßig CT-Aufnahmen der Lunge angefertigt und die Funktion der Lunge untersucht. Je nachdem, welche Organe befallen sind, sind auch Ultraschalluntersuchungen, EKG, Herzechokardiografie und Kontrastmitteldarstellungen erforderlich.

Behandlung

Die Behandlung der systemischen Sklerose richtet sich nach den betroffenen Organen. Neben dem Erhalt bzw. der Verbesserung der Lebensqualität ist es wichtig, den Befall innerer Organe frühzeitig zu erkennen und ihre Zerstörung aufzuhalten.

Basis der Therapie sind allgemeine Maßnahmen (siehe Ihre Apotheke empfiehlt) und eine immunmodulierende und antientzündliche Therapie, die an das Ausmaß der systemischen Entzündung angepasst wird. Dazu kommt die an spezielle Komplikationen angepasste medikamentöse oder operative Behandlung.

Immunmodulatorische Therapie

Wenn allgemeine Maßnahmen (siehe unter Ihre Apotheke empfiehlt) zur Linderung der Hautproblematik nicht ausreichen oder wenn innere Organe beteiligt sind, verordnen die Ärzt*innen in der Regel eine antientzündliche bzw. immunmodulatorische Therapie. Dadurch sollen die Entzündung und der fibrotische Umbau von Haut und Organen aufgehalten werden.

  • Medikamente. Neben Kortison werden verschiedene antirheumatische Wirkstoffe eingesetzt. Dazu gehören Cyclophosphamid, Azathioprin, Methotrexat, Mycophenolat-Mofetil oder Tocilizumab. Sie setzen an unterschiedlichen Stellen des Immunsystems an und bremsen dadurch die entzündlichen Vorgänge.
  • Extrakorporale Photopherese. Bei dieser in speziellen Zentren durchgeführten Behandlung werden der Patient*in zunächst mithilfe einer Blutwäsche weiße Blutkörperchen (Immunzellen) entnommen, diese mit UV-Licht bestrahlt und wieder zurückinfundiert. Die veränderten, zurückinfundierten Blutkörperchen bewirken dann im Körper, dass die krankhafte Immunreaktion abgemildert wird.
  • Plasmapherese. Sind die Antikörper-Titer im Blut sehr hoch, kann eine Plasmapherese helfen. Dabei handelt es sich um eine Art Blutwäsche, wodurch die Antikörper aus dem Blut entfernt und damit zumindest zeitweise reduziert werden.
  • Stammzelltransplantation. Dieses sehr riskante und aufwändige Verfahren wird eingesetzt, wenn keine anderen Maßnahmen mehr helfen und innere Organe wie die Lunge schwer betroffen sind. Dadurch werden die kranken Immunzellen entfernt und durch gesunde Immunzellen eines Spenders ersetzt.

Spezielle Therapien

Gegen Gelenkschmerzen kommen nichtsteroidale Antirheumatika wie Diclofenac oder Ibuprofen zum Einsatz. Bei starken Gelenkschmerzen und -schwellungen hilft auch niedrig dosiertes Kortison. Lassen sich die Schmerzen so nicht beherrschen, verordnet die Ärzt*in auch Opioide.

Trockene Augen lindert man mit Dexpanthenol-Augentropfen oder künstlichen Tränen. Bei Mundtrockenheit empfehlen sich künstliche Speichelpräparate, Kaugummikauen und reichliches Trinken (siehe auch unter Ihre Apotheke empfiehlt).

Bei Raynaud-Symptomatik kann das Auftragen von nitrathaltiger Salbe die Durchblutung an den betroffenen Stellen verbessern. Nitratsalbe gibt es in Deutschland allerdings nicht als Fertigpräparat, sie muss in der Apotheke angemischt werden. Sind die Beschwerden sehr stark, verordnet die Ärzt*in auch gefäßerweiternde Kalziumantagonisten in Tablettenform.

Zur Behandlung schwerer Durchblutungsstörungen dient die intravenöse Gabe von Prostaglandinpräparaten oder Iloprost. Sind Arterien betroffen, ist manchmal ein gefäßchirurgischer Eingriff erforderlich (z. B. das Legen einer Art Bypass bei Befall der A. radialis (Speichenarterie).

Kalkeinlagerungen in der Haut (Calcinosis cutis) erfordern ebenfalls ein chirurgisches Eingreifen. Oberflächliche Knoten schabt man aus (Kürettage), tiefere entfernt die Ärzt*in mit dem Skalpell oder dem Laser.

Zur Therapie der interstitiellen Lungenfibrose gibt es seit einigen Jahren vielversprechende Wirkstoffe. Behandelt wird zweigleisig, und zwar sowohl gegen die Entzündung (z. B. mit Cyclophosphamid, Tocilizumab und Mycophenolat-Mofetil) als auch gegen die Bindegewebsvermehrung (antifibrotisch). Zugelassen zur Therapie der Lungenfibrose bei systemischer Sklerose ist der Wirkstoff Nintedanib. Durch seine antifibrotische Wirkung kann Nintedanib den bindegewebigen Umbau der Lunge abmildern und die fortschreitende Atemnot lindern. Weitere Wirkstoffe sind in der klinischen Erprobung.

Prognose

Die Prognose der systemischen Sklerose ist individuell sehr unterschiedlich. Sie hängt maßgeblich vom Befall innerer Organe ab, wobei die Entwicklung einer Lungenfibrose den größten Einfluss auf die Lebenserwartung hat.

Mit einer adäquaten Behandlung kann das Fortschreiten oft verzögert oder zu einem Stillstand gebracht werden.

Ihre Apotheke empfiehlt

Bei der Behandlung der systemischen Sklerose sind folgende Basismaßnahmen in jedem Stadium essenziell:

Rauchen abgewöhnen. Nikotin verengt die Blutgefäße und vermindert die Durchblutung. Die durch die systemische Sklerose ohnehin verschlechterte Blutversorgung von Akren und Organen wird dadurch weiter vermindert. Sklerosepatient*innen sollten deshalb auf jeglichen Nikotingenuss verzichten.

Kälte vermeiden. Beim Raynaud-Syndrom sollten die Hände immer und überall möglichst warm gehalten werden. Neben Handschuhen helfen Pulswärmer dabei. Auch sonst ist Kälte zu meiden: Das bedeutet z. B., die Wohnung gut zu heizen und auf Wintersport zu verzichten. Viele Betroffene empfinden Wärmepackungen, warme Bäder und Infrarot-Kabinen als hilfreich.

Hautpflege und Kleidung. Das zunehmende Spannen der Haut lässt sich durch ölhaltige Bäder, Duschcremes und regelmäßiges Eincremen der Haut mit fetthaltigen Lotionen etwas mildern. Gut passende, weiche Schuhe (hinten eng und vorne weit) und weite Kleidung helfen, schlecht heilende Druckstellen zu vermeiden.

Mikrostomie. Sehr belastend für Patient*innen mit systemischer Sklerose ist die Mikrostomie, d. h. das durch Haut- und Bindegewebsschrumpfung Kleinerwerden des Mundes. Dem muss frühzeitig mit logopädischen Dehnübungen vorgebeugt werden.

Essen und Trinken. Bei Schluckstörungen zum Essen viel trinken und gut kauen. Bei gleichzeitiger Refluxkrankheit nicht direkt nach dem Essen hinlegen, da dies vermehrt Magensäure in die Speiseröhre zurückfließen lässt. Das Essen sollte auf viele kleine Mahlzeiten verteilt und fette Speisen am Abend gemieden werden.

Gymnastik. Zur Erhaltung der Beweglichkeit tragen gymnastische Übungen bei, z. B. Dehnen nach dem Aufstehen und nach Wärmeanwendungen oder auch Gymnastik im warmen Wasser.

Zahnpflege. Bei trockenem Mund oder erschwerter Mundöffnung auf intensive Zahnpflege achten, da hier vermehrt Karies auftritt. Zwischendurch helfen zuckerfreie Kaugummis oder kleine Schlucke Wasser, am besten mit Zitronensaft.

Psychotherapie. Die systemische Sklerose mit all ihren Manifestationen ist eine sehr belastende Erkrankung. Betroffene sollten sich nicht scheuen, psychotherapeutische Unterstützung zu suchen. Das Erlernen und Anwenden von Entspannungsverfahren kann helfen, besser mit den Schmerzen und krankheitsbedingten Einschränkungen umzugehen.

Von: Dr. med. Sonja Kempinski
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Was Männerknochen stabil hält

Die Milch macht`s - auch im Kampf gegen die männliche Osteoporose.

Was Männerknochen stabil hält

Osteoporose vorbeugen

Osteoporose ist kein reines Frauenproblem. Auch Männerknochen werden mürbe – und das meist mit drastischeren Folgen als bei Frauen. Lesen Sie hier, wann auch Männer an eine Osteoporose denken sollten und wie das Vorbeugen gelingt.

Später Bruch mit schweren Folgen

Eigentlich sind Männer in Sachen Knochenstabilität klar im Vorteil: Denn bei Ihnen ist die sogenannte „Knochenmasse“ in aller Regel prinzipiell höher als bei Frauen. Hinzu kommt, dass Männer keine Menopause durchmachen – also die Phase, in der Frauen hormonell bedingt am schnellsten und am meisten Knochenmasse verlieren. Doch auch bei Männern gilt: Nach dem dritten Lebensjahrzehnt nimmt die Knochenmasse kontinuierlich ab. Und zwar so stark, dasswahrscheinlich jeder zehnte Mann über 65 von Osteoporose betroffen ist.

Bei Männern reduziert sich die Knochenmasse allerdings eher schleichend. Deshalb kommt es bei im Vergleich zu Frauen meist erst viel später zu osteoporotischen Knochenbrüchen. Weil die betroffenen Männer dann aber schon sehr alt sind, stecken sie den Bruch deutlich schlechter weg als die vergleichsweise früher betroffenen Frauen. So zeigen Studien, dass über ein Drittel der Männer mit Hüftfraktur im ersten Jahr nach dem Trauma verstirbt. Und diejenigen, die überleben, kommen oft nicht mehr richtig auf die Beine.

Warum Männerknochen brechen

Und noch einen weiteren Unterschied zur „weiblichen“ Osteoporose gibt es. Frauen leiden in den meisten Fällen unter einer primären Osteoporose. Dazu zählt die Osteoporose auf Grund des altersbedingten Knochenabbaus und die postmenopausale Osteoporose. Die primäre Osteoporose wird begünstigt durch falsche Ernährung, Rauchen und Bewegungsmangel.

Bei Männern hingegen ist die Osteoporose meist – in zwei Drittel der Fälle -sekundär, d.h., der Auslöser sind andere Erkrankungen wie z. B.

  • Hormonstörungen wie Hypogonadismus, Schilddrüsenüberfunktion oder Hyperparathareoidismus
  • rheumatische Erkrankungen
  • Diabetes, chronische Nierenerkrankungen, Herzinsuffizienz
  • entzündliche Darmerkrankungen
  • alkoholische Lebererkankung, Alkoholismus.

Auch die Einnahme von Medikamenten kann zu einer sekundären Osteoporose führen. Besonders häufig ist dies bei Glukokortikoiden der Fall. Hier kommt es manchmal schon nach drei Monaten Glukokortikoidtherapie zu einer verringerten Knochendichte. Ebenfalls begünstigt wird die Osteoporose durch Arzneimittel gegen männliche Geschlechtshormone, die beim Prostatakrebs verschrieben werden. Weitere knochengefährdende Arzneimittel sind Protonenpumpeninhibitoren zur Behandlung von Magengeschwüren, bestimmte Antidepressiva (SSRI), Insulinsensitizer zur Behandlung des Diabetes mellitus oder Antiepileptika und Immunsuppressiva.

Tipp: Mit Hilfe eines Online-Tests kann man das eigene Osteoporose-Risiko abschätzen. Wer dabei mehr als fünf Fragen mit „Ja“ beantwortet, sollte das Thema Osteoporose bei der behandelnden Ärzt*in ansprechen.

Obacht bei Rückenschmerzen im Alter!

Leider ist es für Männer oft gar nicht so leicht, eine Osteoporose zu erkennen. Erst spät stellen sich Rückenschmerzen ein, z. B., wenn es durch den Knochenschwund zu Wirbelkörperbrüchen gekommen ist. Häufig wird eine Osteoporose auch dann entdeckt, wenn sich der Betroffene bei einem leichten Sturz Arm, Bein oder Hüfte bricht.

b aufgrund von Rückenschmerzen oder zur Abklärung eines verdächtigen Knochenbruchs: Diagnostiziert wird die Osteoporose mit bildgebenden Verfahren. Die Knochendichtemessung (Dual X-ray-Absorptiometry, kurz DEXA) gibt Auskunft über die Qualität des Knochens. Gemessen wird an der Lendenwirbelsäule, am Oberschenkelhals und am Oberschenkelknochen. Das Ergebnis ist der T-Wert, der die sogenannte Knochenmineraldichte widerspiegelt. Ausschlaggebend für die Diagnose ist der niedrigste der drei ermittelten Werte. Ein T-Wert ≤2,5 gilt nach Vorgaben der WHO als Osteoporose. Bei Werten zwischen -1 und -2,5 handelt es sich um eine Osteopenie, die Vorstufe der Osteoporose.

Neben der Knochendichtemessung helfen beim Verdacht auf Osteoporose auch konventionelle Röntgenaufnahmen. Sie zeigen auf, ob es schon zu osteoporotischen Veränderungen oder unbemerkten Brüchen an den Wirbelkörpern gekommen ist. Im Zweifel wird auch eine Kernspinuntersuchung herangezogen, da diese Veränderungen im Knochen noch deutlicher darstellt.

Blutuntersuchungen gehören beim Abklären einer Osteoporose ebenfalls dazu. Sie geben nicht nur Aufschluss darüber, wie es mit dem Kalzium- und dem Vitamin-D-Haushalt aussieht. Die Bestimmung von Hormonen, Nieren- und Leberwerten lässt zwischen einer primären und einer sekundären Osteoporose unterscheiden und die Ursache für eine zugrundeliegende Erkrankung erkennen.

Kalzium, Vitamin D und Osteoporosemedikamente

Basis für die Knochengesundheit ist seine ausreichende Versorgung mit Kalzium (siehe unten). Ob neben der Ernährung eine zusätzliche Kalziumgabe in Form von Tabletten erforderlich ist, entscheidet die Ärzt*in. Das gleiche gilt für Vitamin D. Je nachdem wie hoch die Vitamin-D-Werte im Blut sind sind, rät die Ärzt*in zur Einnahme von Vitamin-D-Tabletten. Empfohlen wird dabei meist eine Tagesdosis von 800 bis 2000 IE (Internationale Einheiten).

Spezielle Osteoporosemedikamente verbessern die Knochendichte und beugen damit Knochenbrüchen vor. Es gibt zwei Wirkansätze: Antiresorptive Substanzen wie Bisphosphonate oder Denosumab hemmen den Knochenabbau. Osteoanabole Wirkstoffe wie das Parathormon-Analogon Teriparatid fördern den Knochenaufbau Ihr Einsatz hängt von der gemessenen Knochendichte und dem Alter ab. Je älter der Patient ist, desto früher sollte damit begonnen werden. Nach den Leitlinien sollen Männer unter 50 Jahren bei einem T-Wert ≤ -4,0 spezifische Osteoporosemedikamente erhalten, 75-jährige Männern dagegen schon bei einem T-Wert ≤ -2,0.

  • Bisphosphonate wie Alendronat hemmen die Aktivität der knochenabbauenden Zellen und beugen nachgewiesenermaßen Knochenbrüchen vor. Ist noch kein osteoporotischer Knochenbruch aufgetreten, empfehlen Expert*innen die Einnahme für drei Jahre. Nach dem Absetzen geht man davon aus, dass der Knochen eine geraume Zeit stabil bleibt. Um dies zu überwachen sind regelmäßige Knochendichtemessungen erforderlich. Bisphoshonate können zu Magen-Darm-Unverträglichkeiten bis hin zu Magen- und Speiseröhrengeschwüren führen. Damit es dazu nicht kommt gelten folgende Einnahmeregeln:
    • Tabletten immer morgens auf nüchternem Magen und in aufrechter Position einnehmen.
    • Dazu ein großes Glas Leitungswasser trinken.
    • Das Frühstück frühestens eine halbe Stunde später einnehmen (bei anderen Bisphosphonaten wie Etidronat muss man sogar zwei Stunden nüchtern bleiben).
    • Frühestens 30 Minuten nach Einnahme des Wirkstoffs wieder hinlegen.
    • Um die Aufnahme der Wirkstoffe zu gewährleisten sind andere Medikamente nur mit größerem zeitlichen Abstand einzunehmen. Entscheidend dafür sind die Hinweise im Beipackzettel des jeweiligen Bisphosphonats.

  • Denosumab. Ein weiterer Hemmstoff des Knochenabbaus ist der Antikörper Denosumab. Er ist speziell zugelassen für Männer mit Prostatakrebs, die sich einer Hormonablationstherapie unterziehen (also künstlich den Testosteronspiegel gesenkt bekommen) und dadurch ein erhöhtes Osteoporose- und Knochenbruchrisiko haben. Er wird alle sechs Monate unter die Haut gespritzt.
  • Teriparatid. Für Männer mit besonders ausgeprägter Osteoporose und hohem Knochenbruchrisiko steht auch noch ein knochenaufbauender Wirkstoff zur Verfügung. Dabei handelt es sich um ein Analogon des körpereigenen Parathormons mit Namen Teriparatid. Es darf 24 Monate lang verabreicht werden, danach wird eine Therapie mit knochenabbauhemmenden Substanzen angeschlossen.

Insgesamt haben spezifische Osteoporosemedikamente eine ganze Reihe von Nebenwirkungen, weshalb sie meist nur für einen gewissen Zeitraum eingesetzt werden.

Hinweis: Bei der sekundären Osteoporose ist die Behandlung der zugrundeliegenden Erkrankung essenziell, damit sich der Knochen erholen kann. Ist die Ursache des Knochenabbaus ein Medikament, muss die Ärzt*in prüfen, ob man dieses vielleicht absetzen oder austauschen kann.

Gezielt turnen und ins Korsett

Zum Behandlungskonzept bei Osteoporose gehören auch physiotherapeutische Maßnahmen. Denn nur durch gezielte Übungen lässt sich die Beweglichkeit erhalten oder wiederherzustellen. Durch die Belastung bessern sich auch der Knochenstoffwechsel und der Aufbau von Knochensubstanz. Ein spezielles Gang- und Standtraining soll zudem Stürzen vorbeugen.

Vor allem nach osteoporosebedingten Wirbelkörperbrüchen bekommt die Patient*in häufig ein modernes Stützkorsett verschrieben. Je nach Variante richten sie den Körper auf, geben Halt und fördern die aktive Korrektur der Wirbelsäule. Dadurch werden nicht nur die Schmerzen gelindert. Das Korsett ermöglicht auch, die Mobilität zu erhalten und Stürze zu verhindern.

Hinweis: Männer sind im Alter häufig weniger autark als Frauen. Für sie sind daher Rehabilitationsmaßnahmen besonders wichtig, um ein ausreichendes Maß an Selbstständigkeit zu gewinnen oder bewahren.

Gesunder Lebensstil beugt vor

Vor einer Osteoporose ist niemand gefeit, denn älter wird jeder und weitere Risikofaktoren dafür gibt es viele. Mit einem gesunden Lebensstil kann man aber zumindest der primären Osteoporose vorbeugen:

  • Körperlich aktiv bleiben. Bewegung hält nicht nur den Knochen stark, sondern auch die ihn stützenden und führenden Muskeln, Sehnen und Bänder. Am besten ist es, täglich zu trainieren. Schon dreißig Minuten flottes Spazierengehen, Joggen oder Walken bringen den Stoffwechsel auf Trab und fördern damit auch die Versorgung des Knochens mit den nötigen aufbauenden Substanzen. Wer zusätzlich Muskelkraft und Koordination trainiert, beugt zudem Stürzen und damit Knochenbrüchen vor. Viele Fitnessstudios bieten spezielle Programme gegen Osteoporose an. Es lohnt sich, bei der Krankenkasse nachzufragen, ob diese die Kosten oder zumindest einen Teil davon übernimmt.
  • Knochenfreundlich ernähren. Eine gesunde Ernährung ist das A und O für den Knochenaufbau. Empfohlen wird die Aufnahme von 1000 bis 1500 mg Kalzium pro Tag. Gut geeignet sind Milch, Käse und Joghurt, aber auch Hülsenfrüchte, Obst und Gemüse. Eine Scheibe Emmentaler (30 g) enthält beispielsweise etwa 330 mg Kalzium, ein Glas Milch oder Kefir 240 mg. Spitzenreiter bei den Gemüsen sind gegarter Blattspinat (310 mg Kalzium pro 210-g-Portion) und gegarter Grünkohl (280 mg/160 g). Andere wichtige Substanzen wie Folsäure, Kalium und Vitamin B12 sind in einer gesunden Mischkost meist ohnehin ausreichend erhalten.
  • Untergewicht vermeiden. Untergewicht ist ein Risikofaktor für die Osteoporose. Außerdem ist eine Gewichtsabnahme im Alter oft mit einem erhöhten Sturzrisiko verbunden. Der ideale Body Mass Index liegt zwischen 20 und 25.
  • Raus an die frische Luft! Sonnenlicht fördert die Bildung von Vitamin D, das im Körper zu Calcitriol umgebaut wird. Calcitriol ist wiederum notwendig, damit Kalzium über den Darm aufgenommen und in den Knochen eingebaut wird. Liegt ein Vitamin-D-Mangel vor, ist nach ärztlichem Rat die Einnahme von Vitamin-D-Tabletten zu erwägen.
  • Rauchen und Alkohol vermeiden. Rauchen verengt die Blutgefäße und verschlechtert dadurch die Versorgung der Knochen mit Nährstoffen. In der Folge ist der Knochenaufbau gestört und es entwickelt sich leichter eine Osteoporose. Auch übermäßiger Alkoholkonsum reduziert die Knochendichte: Alkohol hemmt die knochenaufbauenden Zellen und hat negative Wirkungen auf den Vitamin-D-Stoffwechsel.

Hinweis: Kalzium ist essenziell für die Knochen. Zuviel Kalzium ist aber auch nicht gesund. Bei einer täglichen Zufuhr über 1500 mg wird das Mineral über die Niere wieder ausgeschieden. Ist die Nierenfunktion gestört, lagert sich das im Organismus angesammelte Kalzium in Gefäßen und Geweben ab und trägt zur Verkalkung bei.

Quellen: DAZ 2021, Nr. 35, S. 4, RKI

Von: Dr. med. Sonja Kempinski; Bild: Maples Images/Shutterstock.com