Gesundheit heute

Sjögren-Syndrom

Sjögren-Syndrom (Sjögren-Erkrankung, Dacryo-Sialo-Adenopathia atrophicans, primäres Sicca-Syndrom): chronisch voranschreitende Autoimmunerkrankung aus der Gruppe der Kollagenosen, von der meist Frauen betroffen sind. Das Sjögren-Syndrom befällt vor allem Tränen- und Speicheldrüsen, kann sich aber im Verlauf auch auf Schleimhäute, Gefäße, innere Organe und das Nervensystem ausbreiten. Die Leitbeschwerde ist das Sicca-Syndrom, also trockene Augen und ein trockener Mund. Zusätzlich schränken Erschöpfung, Depression und Leistungsminderung die Lebensqualität der Betroffenen erheblich ein. Das Sjögren-Syndrom ist nicht heilbar, mit den passenden Maßnahmen lassen sich die Beschwerden jedoch lindern. Sind innere Organe beteiligt, kommen meist immunsupprimierende Medikamente zum Einsatz.

Hinweis: Das Sjögren-Syndrom wird in zwei Formen eingeteilt: Beim (selteneren) primären Sjögren-Syndrom handelt es sich um eine eigenständige Erkrankung. Das sekundäre Sjögren-Syndrom entwickelt sich im Zusammenhang mit einer anderen Autoimmunerkrankung, wobei die Sicca-Problematik schon lange vor deren Diagnose auftreten kann.

Symptome und Leitbeschwerden

  • Trockene, tränende und juckende Augen, Fremdkörpergefühl im Auge
  • Trockener Mund, Schwierigkeiten beim Schlucken, Kekse essen unmöglich
  • Nächtlicher Trinkzwang durch Mundtrockenheit
  • Unerklärliches Fieber, starke Müdigkeit, Abgeschlagenheit
  • Schwellung der Ohrspeicheldrüse
  • Trockene Nase mit Borkenbildung, trockener Husten
  • Schwellung der Halslymphknoten
  • Gelenk- und Muskelschmerzen.

Wann in die Arztpraxis

In den nächsten Tagen, bei

  • trockenen, geröteten und tränenden Augen ohne plausible Ursache, wie z. B. starkem Wind.

In den nächsten Wochen, wenn

  • der Mund ungewöhnlich trocken ist.

Die Erkrankung

Vorkommen und Häufigkeit

In Deutschland leiden etwa 400 von 100.000 Einwohnern an einem primären oder sekundären Sjögren-Syndrom. Damit ist es nach der rheumatoiden Arthritis die zweithäufigste entzündlich-rheumatische Erkrankung. Zu 90 % sind Frauen betroffen, das mittlere Alter bei Diagnosestellung beträgt 56 Jahre. Allerdings gehen die Expert*innen davon aus, dass die Krankheit häufig viel früher beginnt und erst nach Jahren erkannt wird.

Am primären Sjögren-Syndrom sollen weltweit etwa 60 von 100.000 Menschen erkranken, verlässliche Daten für Deutschland gibt es nicht. Das sekundäre Sjögren-Syndrom ist häufiger, es tritt z. B. zusammen mit folgenden Autoimmunerkrankungen auf:

  • Systemischer Lupus erythematodes (36 %)
  • Rheumatoide Arthritis (32 %)
  • Systemische Sklerodermie (24 %)
  • Primär biliäre Zirrhose (50 %).

Krankheitsentstehung und Ursachen

Beim Sjögren-Syndrom wandern Zellen des Immunsystems, die Lymphozyten, in die exokrinen Drüsen ein. Exokrine Drüsen sind Drüsen, die Sekrete nach außen abgeben, also an eine innere oder äußere Körperoberfläche. Dazu gehören z. B. Tränen- und Speicheldrüsen, aber auch die Talg- und Schweißdrüsen und die Drüsen innerer Organe (Bronchialdrüsen, Prostatadrüsen).

In den Drüsen verdrängen und zerstören die Lymphozyten das gesunde Gewebe, sodass die Drüsen immer weniger Sekrete produzieren. Gleichzeitig werden bestimmte Immunzellen, die B-Lymphozyten, übermäßig aktiviert. Sie bilden dann spezielle Antikörper, die die Funktion der Drüsen zusätzlich verschlechtern. Diese Antikörper werden auch diagnostisch genutzt (siehe unten).

Diese autoimmun-entzündlichen Vorgänge bleiben jedoch nicht auf die Drüsen beschränkt. Sie breiten sich immer weiter aus und können auch innere Organe und das Nervensystem beeinträchtigen (siehe Organkomplikationen). Durch die krankhafte Aktivierung der Lymphozyten kann sich in seltenen Fällen langfristig auch ein Lymphom (Lymphdrüsentumor) entwickeln.

Ursachen. Beim sekundären Sjögren-Syndrom ist die zugrundeliegende Erkrankung der Auslöser für die Autoimmunreaktion. Die Ursache der primären Form ist noch unklar. Man weiß jedoch, dass hormonelle Faktoren, genetische Veranlagung, Umwelteinflüsse und verschiedene Immunmechanismen eine Rolle bei der Krankheitsentstehung spielen. Neuere Untersuchungen deuten darauf hin, dass womöglich virale Infektionen, vor allem über den Darm, als Trigger beteiligt sind.

Klinik und Verlauf

Als erstes macht sich die Erkrankung meist durch das Sicca-Syndrom bemerkbar. Die ausgeprägte Beeinträchtigung der Tränendrüsen führt zu trockenen Augen und Juckreiz, es drohen chronische Bindehautentzündungen. Der Mangel an Speichel begünstigt Karies, Parodontitis und Mundgeruch. Außerdem fällt den Patient*innen das Kauen und Schlucken schwer. Beim Befall der Ohrspeicheldrüsen schwellen diese an, und zwar meist auf beiden Seiten.

Weil auch die Nasenschleimhaut austrocknet, sind der Geruchs- und Geschmackssinn vermindert. Zudem drohen häufige Infektionen im gesamten Rachenraum. Auch die Schleimhaut der Vagina kann durch das Sicca-Syndrom austrocknen und deshalb jucken und schmerzen. Betroffene Frauen haben dadurch Schmerzen beim Geschlechtsverkehr und sind anfällig für Pilzinfektionen.

Sind die Schweißdrüsen betroffen, wird die Haut schuppig, trocknet aus und juckt.

Schon früh führt das Sjögren-Syndrom zu Erschöpfungszuständen (Fatigue) und Leistungsminderung. Viele Betroffene haben Probleme, sich zu konzentrieren. Fast ein Drittel leidet unter Depressionen.

Organkomplikationen

Bei etwa 30 % der Sjögren-Patient*innen entwickelt sich eine Arthritis mit Gelenkschmerzen und Funktionseinschränkungen. Bis zu 40 % haben Durchblutungsstörungen an den Fingern, die als Raynaud-Syndrom in Erscheinung treten. Entzündungen der kleinen und mittleren Gefäße verursachen Hauteinblutungen (vor allem an den Beinen) und Hautgeschwüre.

Jede vierte Patient*in bekommt neurologische Probleme wie Lähmungen oder Gefühlsstörungen. Jede Fünfte muss mit entzündlichen Veränderungen des Lungenzwischengewebes rechnen. Eine solche interstitielle Pneumonie kann zur Vernarbung (Fibrose) der Lunge führen, wodurch Husten, Luftnot und Kurzatmigkeit drohen.

Weitere, aber seltenere Ziele der Autoimmunkrankheit sind der Magen-Darm-Trakt (dann kommt es z. B. zur chronischen Magenschleimhautentzündung), die Niere und die Leber.

Lymphomrisiko

Beim primären Sjögren-Syndrom ist das Risiko für bösartige Lymphome deutlich erhöht. Hochrisikopatient*innen benötigen deshalb engmaschige Röntgen- und Ultraschallkontrollen. Zu dieser Gruppe gehören Patient*innen mit mindestens einem der folgenden Befunde:

  • Dauerhafte Schwellung der Ohrspeicheldrüsen
  • Kryoglobulinämie
  • Lymphknotenschwellungen
  • Keimzentren im Speicheldrüsengewebe
  • Entzündete Hautgefäße (Vaskulitis).

Diagnosesicherung

Gefühlte Trockenheit in Mund und Auge sind zwar typisch für ein Sjögren-Syndrom, kommen aber auch bei vielen anderen Erkrankungen vor. Für eine sichere Diagnose müssen noch weitere Kriterien erfüllt sein.

Zunächst wird in einer gründlichen Befragung geklärt, wie ausgeprägt die Beschwerden sind. Für ein Sicca-Syndrom spricht z. B. eine tägliche beeinträchtigende Augen- oder Mundtrockenheit seit mehr als drei Monaten oder ein bleibendes Fremdkörpergefühl im Auge. Kann die Patient*in feste Speisen ohne zusätzliche Flüssigkeitszufuhr nicht mehr schlucken, ist dies ebenfalls ein deutlicher Hinweis. Objektiviert werden Mund- und Augentrockenheit dann meist mit verschiedenen Tests:

  • Der Schirmer-Test dient der Messung der Tränenproduktion. Dazu hängt die Ärzt*in einen kleinen Filterpapierstreifen mit Millimeter-Einteilung in den Bindehautsack. Nach fünf Minuten liest man ab, wieviel Strecke davon benetzt wurde. Liegt diese unter 5 mm, handelt es sich um ein krankhaft trockenes Auge.
  • Mit der Sialometrie misst man die Speichelmenge. Dazu sammelt die Patient*in ihren Speichel über zwei Minuten im Mundboden und lässt ihn in einen Sammeltrichter ablaufen. Als auffällig gilt ein Speichelfluss von weniger als 0,1 ml/min.
  • Eine weitere Methode zur Messung der Speichelproduktion ist der Saxon-Test. Hierbei kaut die Patient*in zwei Minuten lang auf einer Mullkompresse, die davor und danach gewogen wird. Liegt der Gewichtsunterschied unter 2,75 g, ist dies ein Hinweis auf eine zu geringe Speichelproduktion.

Sprechen Krankengeschichte und die Ergebnisse der Funktionstest für eine Sicca-Problematik, muss noch das Sjögren-typische Autoimmungeschehen nachgewiesen werden. Dafür gibt es folgende Verfahren:

Blutuntersuchung. Zum Nachweis der Erkrankung im Blut ist die Bestimmung der spezifischen SS-B- und SS-A-Antikörper am aussagekräftigsten. Sie liegen bei etwa 70 % der Sjögren-Patient*innen vor. Ebenfalls oft erhöht sind der Rheumafaktor und die Antinukleären Antikörper. Diese Werte sind aber nicht so aussagekräftig wie die spezifischen SS-B- und SS-A-Antikörper.

Speicheldrüsenbiopsie. Um die Veränderungen im Drüsengewebe nachzuweisen, betäubt die Ärzt*in die Innenseite der Unterlippe und entnimmt mehrere kleine, stecknadelkopfgroße Speicheldrüsen (Lippenbiopsie). Diese Probe wird dann in der Pathologie untersucht. In manchen Kliniken führt man auch statt der Lippenbiopsie eine Biopsie der Ohrspeicheldrüse durch, vor allem, wenn diese dauerhaft angeschwollen ist. Dies dient nicht nur zur Diagnose eines Sjögren-Syndroms, sondern auch dem Ausschluss oder Nachweis eines Lymphoms (Lymphdrüsenkrebs).

Für die sichere Diagnose betrachtet man alle Befunde (Krankengeschichte, Tests, Antikörper und Biopsieergebnisse) gemeinsam und bepunktet diese. Erreicht die Patient*in einen bestimmten Wert, ist die Diagnose Sjögren-Syndrom wahrscheinlich.

Differenzialdiagnosen. Eine Sicca-Problematik findet sich bei sehr vielen Zuständen oder Erkrankungen. So lösen zahlreiche Medikamente Trockenheit im Mund und im Auge aus, z. B. Antidepressiva, Antihistaminika, Medikamente gegen Herzrhythmusstörungen, Entwässerungsmittel und viele mehr. Auch eine vorangegangene Strahlentherapie kann zu einem Sicca-Syndrom führen. Auszuschließen sind zudem Hornhautentzündungen und eine alters- oder menopausenbedingte Augentrockenheit. Wichtige Differenzialdiagnosen sind auch Fibromyalgie, Depression und systemische Erkrankungen wie Sarkoidose und Amyloidose.

Therapie

Die langsame Zerstörung der Drüsen lässt sich nicht aufhalten, auch nicht mit Therapien, die das Immunsystem unterdrücken. Trotzdem kann man die Beschwerden der Erkrankung mit den geeigneten Maßnahmen lindern. Dazu gehören nicht nur ärztlich verordnete Medikamente, sondern auch viele allgemeine Anpassungen des Lebensstils in Form der Selbsthilfe (siehe unten, Ihre Apotheke empfiehlt).

  • Augentrockenheit. Gegen die Trockenheit der Augen helfen künstliche Tränen, tagsüber in Form von Tropfen, nachts als Augengele. Sie sollten frei von Konservierungsstoffen sein, da diese Tränenfilm und Augenoberfläche angreifen. Bei Hornhautschäden sollten nächtliche Augenverbände und Salben (z. B. Borsalbe) aufgelegt werden. Ciclosporin-Augentropfen haben eine antientzündliche Wirkung, meist werden sie als 0,1%ige Emulsion verordnet. Neuere Optionen sind das Verschließen des Tränenpünktchens mit einer Art Stöpsel (sog. Punktum Plugs), damit die vorhandene Tränenflüssigkeit langsamer abgeleitet wird. Auch extra große Kontaktlinsen mit Wasserspeicherfunktion können die Beschwerden lindern.
  • Mundtrockenheit und Speichelmangel. Speichel lässt sich weniger gut ersetzen: Hier hilft vor allem häufiges Trinken in kleinen Schlucken, bei manchen Patient*innen auch künstlicher Speichel. In schweren Fällen versucht die Ärzt*in, mit Pilocarpin die Drüsenfunktion anzuregen. Die häufig als Begleiterscheinung der Mundtrockenheit vorliegenden Pilzinfektionen der Mundhöhle werden mit Nystatin behandelt.
  • Trockene Nasenschleimhaut. Zum Befeuchten der Nasenschleimhaut eignet sich Nasenöl. Abschwellende Nasentropfen dürfen nicht eingesetzt werden, da sie die Trockenheit zusätzlich verstärken.
  • Scheidentrockenheit. Hier helfen Scheidengele oder, nach der Menopause, östrogenhaltige Salben und Ovula, die Schleimhaut anzufeuchten und aufzubauen.

Organkomplikationen werden spezifisch behandelt, die Palette der Medikamente ist dementsprechend breit. Bei Gelenkbeschwerden kommen beispielsweise Kortison (auch als Gelenkspritze), nicht-steroidale Antirheumatika und Hydroxychloroquin zum Einsatz. Eine interstitielle Pneumonie erfordert Kortison, manchmal auch Cyclophosphamid oder Nintedanib. Bei Nervenschmerzen (Neuropathie) helfen bestimmte Antidepressiva oder Gabapentin, eventuell auch Kortison oder intravenös verabreichte Immunglobuline.

Prognose

Die Erkrankung ist zwar nicht heilbar, schreitet aber in der Regel nur langsam fort und hat insgesamt eine gute Prognose. Liegen keine schweren Organkomplikationen vor, entspricht die Lebenserwartung von Patient*innen mit primärem Sjögren-Syndrom dem der Allgemeinbevölkerung. 5 bis 10 % von ihnen entwickeln allerdings im Rahmen ihrer Erkrankung einen Lymphdrüsentumor. Wird dieser nicht frühzeitig erkannt und behandelt, ist die Prognose schlechter.

Beim sekundären Sjögren-Syndrom hängen Prognose und Lebenserwartung von der Grunderkrankung ab.

Ihre Apotheke empfiehlt

Schleimhäute befeuchten. Am wichtigsten ist es, ausreichend zu trinken, mindestens 2 Liter pro Tag! Versuchen Sie außerdem die Speichelproduktion mit kleinen Schlucken Zitronenwasser, (zuckerfreien) Kaugummis oder auch Lutschern am Laufen zu halten. Kauen Sie Ihre Mahlzeiten gut durch. In Innenräumen ist die Zimmerluft ausreichend zu befeuchten, besonders während der Heizperiode.

Augenpflege. Vermeiden Sie Wind, Wärmestrahlung, verrauchte Räume und Klimaanlagen, sie trocknen die Augen aus. Verwenden Sie nachts Augensalben oder -gele anstatt künstlicher Tränen, sie wirken deutlich länger und sorgen für einen ruhigeren Schlaf. Manche Betroffene profitieren nachts auch von Kühlkompressen. Tragen Sie im Sommer und an windigen Tagen eine Sonnenbrille, eventuell mit Seitenschutz (Fahrradbrille). Gehen Sie alle 3–6 Monate zur Augenärzt*in und besprechen Sie mit ihr die Augenprobleme.

Zahnpflege. Unerlässlich ist eine regelmäßige und gründliche Zahnpflege: Sie fördert zum einen den Speichelfluss und schützt zum anderen vor Karies und Mundpilzinfektionen, die bei verminderter Speichelproduktion schneller auftreten. Lassen Sie sich von Ihrer Zahnärzt*in beraten, ob lokale Fluoride zur Kariesprophylaxe sinnvoll sind.

Hautpflege. Schützen Sie die Haut mit fetthaltigen Lotionen. Meiden Sie starke Sonneneinstrahlung, die die Haut zusätzlich austrocknet.

Körperliches Training. Viele Sjögren-Patient*innen leiden unter starker Erschöpfung und Leistungseinbußen. Dieser oft als bleierne Müdigkeit empfundene Zustand wird Fatigue genannt und kommt bei rheumatischen Erkrankungen und Kollagenosen sehr häufig vor. Ein geeignetes Mittel dagegen ist leichtes aerobes Ausdauertraining, z. B. Schwimmen, Radfahren, Spazierengehen oder Fitnesstraining im Sportstudio. Lassen Sie sich von Ihrer Ärzt*in beraten, wieviel Sie sich davon zumuten dürfen.

Medikamente. Wenn Sie Medikamente einnehmen, bringen Sie diese zu jedem Besuch in der Arztpraxis mit, auch zur Augenärzt*in, denn viele Arzneimittel (vor allem Psychopharmaka) verringern als Nebenwirkung Tränen- und Speichelproduktion.

Weiterführende Informationen

sjoegren-erkrankung.de: Website des Selbsthilfe Netzwerks Sjögren Syndrom, mit Erfahrungsberichten, Tipps von Betroffenen, Veranstaltungsankündigungen und Hinweisen zu Studien.

www.sjoegren-syndrom.de: Website der Sjögren-Syndrom-Selbsthilfegruppe Darmstadt mit vielen interessanten Informationen und aktuellen Nachrichten zum Thema.

Von: Dr. med. Martin Schäfer und Dr. med. Arne Schäffler in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualisierung: Dr. med. Sonja Kempinski
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Was Männerknochen stabil hält

Die Milch macht`s - auch im Kampf gegen die männliche Osteoporose.

Was Männerknochen stabil hält

Osteoporose vorbeugen

Osteoporose ist kein reines Frauenproblem. Auch Männerknochen werden mürbe – und das meist mit drastischeren Folgen als bei Frauen. Lesen Sie hier, wann auch Männer an eine Osteoporose denken sollten und wie das Vorbeugen gelingt.

Später Bruch mit schweren Folgen

Eigentlich sind Männer in Sachen Knochenstabilität klar im Vorteil: Denn bei Ihnen ist die sogenannte „Knochenmasse“ in aller Regel prinzipiell höher als bei Frauen. Hinzu kommt, dass Männer keine Menopause durchmachen – also die Phase, in der Frauen hormonell bedingt am schnellsten und am meisten Knochenmasse verlieren. Doch auch bei Männern gilt: Nach dem dritten Lebensjahrzehnt nimmt die Knochenmasse kontinuierlich ab. Und zwar so stark, dasswahrscheinlich jeder zehnte Mann über 65 von Osteoporose betroffen ist.

Bei Männern reduziert sich die Knochenmasse allerdings eher schleichend. Deshalb kommt es bei im Vergleich zu Frauen meist erst viel später zu osteoporotischen Knochenbrüchen. Weil die betroffenen Männer dann aber schon sehr alt sind, stecken sie den Bruch deutlich schlechter weg als die vergleichsweise früher betroffenen Frauen. So zeigen Studien, dass über ein Drittel der Männer mit Hüftfraktur im ersten Jahr nach dem Trauma verstirbt. Und diejenigen, die überleben, kommen oft nicht mehr richtig auf die Beine.

Warum Männerknochen brechen

Und noch einen weiteren Unterschied zur „weiblichen“ Osteoporose gibt es. Frauen leiden in den meisten Fällen unter einer primären Osteoporose. Dazu zählt die Osteoporose auf Grund des altersbedingten Knochenabbaus und die postmenopausale Osteoporose. Die primäre Osteoporose wird begünstigt durch falsche Ernährung, Rauchen und Bewegungsmangel.

Bei Männern hingegen ist die Osteoporose meist – in zwei Drittel der Fälle -sekundär, d.h., der Auslöser sind andere Erkrankungen wie z. B.

  • Hormonstörungen wie Hypogonadismus, Schilddrüsenüberfunktion oder Hyperparathareoidismus
  • rheumatische Erkrankungen
  • Diabetes, chronische Nierenerkrankungen, Herzinsuffizienz
  • entzündliche Darmerkrankungen
  • alkoholische Lebererkankung, Alkoholismus.

Auch die Einnahme von Medikamenten kann zu einer sekundären Osteoporose führen. Besonders häufig ist dies bei Glukokortikoiden der Fall. Hier kommt es manchmal schon nach drei Monaten Glukokortikoidtherapie zu einer verringerten Knochendichte. Ebenfalls begünstigt wird die Osteoporose durch Arzneimittel gegen männliche Geschlechtshormone, die beim Prostatakrebs verschrieben werden. Weitere knochengefährdende Arzneimittel sind Protonenpumpeninhibitoren zur Behandlung von Magengeschwüren, bestimmte Antidepressiva (SSRI), Insulinsensitizer zur Behandlung des Diabetes mellitus oder Antiepileptika und Immunsuppressiva.

Tipp: Mit Hilfe eines Online-Tests kann man das eigene Osteoporose-Risiko abschätzen. Wer dabei mehr als fünf Fragen mit „Ja“ beantwortet, sollte das Thema Osteoporose bei der behandelnden Ärzt*in ansprechen.

Obacht bei Rückenschmerzen im Alter!

Leider ist es für Männer oft gar nicht so leicht, eine Osteoporose zu erkennen. Erst spät stellen sich Rückenschmerzen ein, z. B., wenn es durch den Knochenschwund zu Wirbelkörperbrüchen gekommen ist. Häufig wird eine Osteoporose auch dann entdeckt, wenn sich der Betroffene bei einem leichten Sturz Arm, Bein oder Hüfte bricht.

b aufgrund von Rückenschmerzen oder zur Abklärung eines verdächtigen Knochenbruchs: Diagnostiziert wird die Osteoporose mit bildgebenden Verfahren. Die Knochendichtemessung (Dual X-ray-Absorptiometry, kurz DEXA) gibt Auskunft über die Qualität des Knochens. Gemessen wird an der Lendenwirbelsäule, am Oberschenkelhals und am Oberschenkelknochen. Das Ergebnis ist der T-Wert, der die sogenannte Knochenmineraldichte widerspiegelt. Ausschlaggebend für die Diagnose ist der niedrigste der drei ermittelten Werte. Ein T-Wert ≤2,5 gilt nach Vorgaben der WHO als Osteoporose. Bei Werten zwischen -1 und -2,5 handelt es sich um eine Osteopenie, die Vorstufe der Osteoporose.

Neben der Knochendichtemessung helfen beim Verdacht auf Osteoporose auch konventionelle Röntgenaufnahmen. Sie zeigen auf, ob es schon zu osteoporotischen Veränderungen oder unbemerkten Brüchen an den Wirbelkörpern gekommen ist. Im Zweifel wird auch eine Kernspinuntersuchung herangezogen, da diese Veränderungen im Knochen noch deutlicher darstellt.

Blutuntersuchungen gehören beim Abklären einer Osteoporose ebenfalls dazu. Sie geben nicht nur Aufschluss darüber, wie es mit dem Kalzium- und dem Vitamin-D-Haushalt aussieht. Die Bestimmung von Hormonen, Nieren- und Leberwerten lässt zwischen einer primären und einer sekundären Osteoporose unterscheiden und die Ursache für eine zugrundeliegende Erkrankung erkennen.

Kalzium, Vitamin D und Osteoporosemedikamente

Basis für die Knochengesundheit ist seine ausreichende Versorgung mit Kalzium (siehe unten). Ob neben der Ernährung eine zusätzliche Kalziumgabe in Form von Tabletten erforderlich ist, entscheidet die Ärzt*in. Das gleiche gilt für Vitamin D. Je nachdem wie hoch die Vitamin-D-Werte im Blut sind sind, rät die Ärzt*in zur Einnahme von Vitamin-D-Tabletten. Empfohlen wird dabei meist eine Tagesdosis von 800 bis 2000 IE (Internationale Einheiten).

Spezielle Osteoporosemedikamente verbessern die Knochendichte und beugen damit Knochenbrüchen vor. Es gibt zwei Wirkansätze: Antiresorptive Substanzen wie Bisphosphonate oder Denosumab hemmen den Knochenabbau. Osteoanabole Wirkstoffe wie das Parathormon-Analogon Teriparatid fördern den Knochenaufbau Ihr Einsatz hängt von der gemessenen Knochendichte und dem Alter ab. Je älter der Patient ist, desto früher sollte damit begonnen werden. Nach den Leitlinien sollen Männer unter 50 Jahren bei einem T-Wert ≤ -4,0 spezifische Osteoporosemedikamente erhalten, 75-jährige Männern dagegen schon bei einem T-Wert ≤ -2,0.

  • Bisphosphonate wie Alendronat hemmen die Aktivität der knochenabbauenden Zellen und beugen nachgewiesenermaßen Knochenbrüchen vor. Ist noch kein osteoporotischer Knochenbruch aufgetreten, empfehlen Expert*innen die Einnahme für drei Jahre. Nach dem Absetzen geht man davon aus, dass der Knochen eine geraume Zeit stabil bleibt. Um dies zu überwachen sind regelmäßige Knochendichtemessungen erforderlich. Bisphoshonate können zu Magen-Darm-Unverträglichkeiten bis hin zu Magen- und Speiseröhrengeschwüren führen. Damit es dazu nicht kommt gelten folgende Einnahmeregeln:
    • Tabletten immer morgens auf nüchternem Magen und in aufrechter Position einnehmen.
    • Dazu ein großes Glas Leitungswasser trinken.
    • Das Frühstück frühestens eine halbe Stunde später einnehmen (bei anderen Bisphosphonaten wie Etidronat muss man sogar zwei Stunden nüchtern bleiben).
    • Frühestens 30 Minuten nach Einnahme des Wirkstoffs wieder hinlegen.
    • Um die Aufnahme der Wirkstoffe zu gewährleisten sind andere Medikamente nur mit größerem zeitlichen Abstand einzunehmen. Entscheidend dafür sind die Hinweise im Beipackzettel des jeweiligen Bisphosphonats.

  • Denosumab. Ein weiterer Hemmstoff des Knochenabbaus ist der Antikörper Denosumab. Er ist speziell zugelassen für Männer mit Prostatakrebs, die sich einer Hormonablationstherapie unterziehen (also künstlich den Testosteronspiegel gesenkt bekommen) und dadurch ein erhöhtes Osteoporose- und Knochenbruchrisiko haben. Er wird alle sechs Monate unter die Haut gespritzt.
  • Teriparatid. Für Männer mit besonders ausgeprägter Osteoporose und hohem Knochenbruchrisiko steht auch noch ein knochenaufbauender Wirkstoff zur Verfügung. Dabei handelt es sich um ein Analogon des körpereigenen Parathormons mit Namen Teriparatid. Es darf 24 Monate lang verabreicht werden, danach wird eine Therapie mit knochenabbauhemmenden Substanzen angeschlossen.

Insgesamt haben spezifische Osteoporosemedikamente eine ganze Reihe von Nebenwirkungen, weshalb sie meist nur für einen gewissen Zeitraum eingesetzt werden.

Hinweis: Bei der sekundären Osteoporose ist die Behandlung der zugrundeliegenden Erkrankung essenziell, damit sich der Knochen erholen kann. Ist die Ursache des Knochenabbaus ein Medikament, muss die Ärzt*in prüfen, ob man dieses vielleicht absetzen oder austauschen kann.

Gezielt turnen und ins Korsett

Zum Behandlungskonzept bei Osteoporose gehören auch physiotherapeutische Maßnahmen. Denn nur durch gezielte Übungen lässt sich die Beweglichkeit erhalten oder wiederherzustellen. Durch die Belastung bessern sich auch der Knochenstoffwechsel und der Aufbau von Knochensubstanz. Ein spezielles Gang- und Standtraining soll zudem Stürzen vorbeugen.

Vor allem nach osteoporosebedingten Wirbelkörperbrüchen bekommt die Patient*in häufig ein modernes Stützkorsett verschrieben. Je nach Variante richten sie den Körper auf, geben Halt und fördern die aktive Korrektur der Wirbelsäule. Dadurch werden nicht nur die Schmerzen gelindert. Das Korsett ermöglicht auch, die Mobilität zu erhalten und Stürze zu verhindern.

Hinweis: Männer sind im Alter häufig weniger autark als Frauen. Für sie sind daher Rehabilitationsmaßnahmen besonders wichtig, um ein ausreichendes Maß an Selbstständigkeit zu gewinnen oder bewahren.

Gesunder Lebensstil beugt vor

Vor einer Osteoporose ist niemand gefeit, denn älter wird jeder und weitere Risikofaktoren dafür gibt es viele. Mit einem gesunden Lebensstil kann man aber zumindest der primären Osteoporose vorbeugen:

  • Körperlich aktiv bleiben. Bewegung hält nicht nur den Knochen stark, sondern auch die ihn stützenden und führenden Muskeln, Sehnen und Bänder. Am besten ist es, täglich zu trainieren. Schon dreißig Minuten flottes Spazierengehen, Joggen oder Walken bringen den Stoffwechsel auf Trab und fördern damit auch die Versorgung des Knochens mit den nötigen aufbauenden Substanzen. Wer zusätzlich Muskelkraft und Koordination trainiert, beugt zudem Stürzen und damit Knochenbrüchen vor. Viele Fitnessstudios bieten spezielle Programme gegen Osteoporose an. Es lohnt sich, bei der Krankenkasse nachzufragen, ob diese die Kosten oder zumindest einen Teil davon übernimmt.
  • Knochenfreundlich ernähren. Eine gesunde Ernährung ist das A und O für den Knochenaufbau. Empfohlen wird die Aufnahme von 1000 bis 1500 mg Kalzium pro Tag. Gut geeignet sind Milch, Käse und Joghurt, aber auch Hülsenfrüchte, Obst und Gemüse. Eine Scheibe Emmentaler (30 g) enthält beispielsweise etwa 330 mg Kalzium, ein Glas Milch oder Kefir 240 mg. Spitzenreiter bei den Gemüsen sind gegarter Blattspinat (310 mg Kalzium pro 210-g-Portion) und gegarter Grünkohl (280 mg/160 g). Andere wichtige Substanzen wie Folsäure, Kalium und Vitamin B12 sind in einer gesunden Mischkost meist ohnehin ausreichend erhalten.
  • Untergewicht vermeiden. Untergewicht ist ein Risikofaktor für die Osteoporose. Außerdem ist eine Gewichtsabnahme im Alter oft mit einem erhöhten Sturzrisiko verbunden. Der ideale Body Mass Index liegt zwischen 20 und 25.
  • Raus an die frische Luft! Sonnenlicht fördert die Bildung von Vitamin D, das im Körper zu Calcitriol umgebaut wird. Calcitriol ist wiederum notwendig, damit Kalzium über den Darm aufgenommen und in den Knochen eingebaut wird. Liegt ein Vitamin-D-Mangel vor, ist nach ärztlichem Rat die Einnahme von Vitamin-D-Tabletten zu erwägen.
  • Rauchen und Alkohol vermeiden. Rauchen verengt die Blutgefäße und verschlechtert dadurch die Versorgung der Knochen mit Nährstoffen. In der Folge ist der Knochenaufbau gestört und es entwickelt sich leichter eine Osteoporose. Auch übermäßiger Alkoholkonsum reduziert die Knochendichte: Alkohol hemmt die knochenaufbauenden Zellen und hat negative Wirkungen auf den Vitamin-D-Stoffwechsel.

Hinweis: Kalzium ist essenziell für die Knochen. Zuviel Kalzium ist aber auch nicht gesund. Bei einer täglichen Zufuhr über 1500 mg wird das Mineral über die Niere wieder ausgeschieden. Ist die Nierenfunktion gestört, lagert sich das im Organismus angesammelte Kalzium in Gefäßen und Geweben ab und trägt zur Verkalkung bei.

Quellen: DAZ 2021, Nr. 35, S. 4, RKI

Von: Dr. med. Sonja Kempinski; Bild: Maples Images/Shutterstock.com