Gesundheit heute

Beckenschiefstand

Häufigkeit: 4

Beckenschiefstand: Fehlstellung, bei der das Becken im Stehen nicht waagrecht steht, sondern dauerhaft zur Seite gekippt ist. Die Ursachen sind häufig funktionell, z. B. durch Fehlhaltungen und Muskelverspannungen. Dem strukturellen Beckenschiefstand liegt eine echte Beinlängendifferenz zugrunde, sie ist anlagebedingt oder entsteht beispielsweise durch falsch verheilte Knochenbrüche. Eine leichte Schiefstellung des Beckens ist sehr häufig und meist nicht mit Problemen verbunden. Bei ausgeprägterem Beckenschiefstand kann es zu zahlreichen Beschwerden kommen, die von Zähneknirschen über Hüft- und Fußschmerzen bis hin zu starken Rückenschmerzen reichen.

Ein funktioneller Beckenschiefstand wird vor allem mit Physiotherapie behandelt. Bei einer echten Beinlängendifferenz helfen Absatz- oder Schuhsohlenerhöhung. Längenunterschiede von 3 cm machen eine operative Beinverlängerung erforderlich.

Symptome und Leitbeschwerden

  • Rückenschmerzen, Kreuzschmerzen
  • Schmerzen in Schultern und Nacken
  • Schmerzen in Knie und Fuß
  • Schmerzen im Gesäß, Leistenschmerzen
  • Schmerzen im Becken.

Wann in die Arztpraxis

Demnächst, wenn

  • dauerhaft oder immer wieder oben genannte Schmerzen ohne erkennbare Ursache auftauchen.

Die Erkrankung

Das Becken besteht aus den beiden Hüftbeinen und dem Kreuzbein. Die Knochen sind ringförmig angeordnet: hinten sind rechtes und linkes Hüftbein jeweils über die sehr straffen Kreuz-Darmbein-Gelenke (Iliosakralgelenke) mit der Wirbelsäule verbunden, vorne stoßen die Hüftbeine in der sogenannten Symphysenfuge aneinander. Die Hüftgelenkspfanne bildet gemeinsam mit dem Kopf des Oberschenkelknochens das Hüftgelenk.

Das Becken ist sehr stabil, es sorgt für einen sicheren Stand und ermöglicht dem Menschen die aufrechte Haltung und das Gehen. Um das Gewicht des Körpers zu tragen und die Kraft gleichmäßig zu verteilen, muss das Becken annähernd waagrecht stehen. Eine leichte Schiefe können Wirbelsäule, Beine und Füße gut ausgleichen. Bei ausgeprägter Schiefe kommt es zu Schmerzen aufgrund der Fehlhaltung und der Fehlbelastung von Gelenken, Sehnen, Bändern und Muskeln.

Häufigkeit und Ursachen

Fast zwei Drittel aller Erwachsenen haben einen Beckenschiefstand. In den meisten Fällen ist dieser leicht und beträgt nicht mehr als etwa 1 cm. Bei schwereren Beckenschiefständen sind Männer fast doppelt so häufig betroffen wie Frauen.

In vielen Fällen stecken funktionelle Ursachen hinter einem Beckenschiefstand. Dazu gehören beispielsweise einseitige Verspannungen der Muskulatur rund um das Becken wie z. B. der Gesäßmuskeln oder der Muskulatur im Lendenwirbelsäulenbereich. Zu solchen Verspannungen kommt es durch Fehlhaltungen, sehr langes Sitzen oder allgemein Bewegungsmangel. Auch eine angeborene Wirbelsäulenverkrümmung (Skoliose) kann durch die daraus entstehende Fehlhaltung der Wirbelsäule zu einem funktionellen Beckenschiefstand führen (und vice versa: bei nicht behandeltem, ausgeprägtem Beckenschiefstand droht durch den Versuch der Wirbelsäule, die Schiefe auszugleichen, eine sekundäre Skoliose).

Typische strukturelle Ursache eines Beckenschiefstands ist die "echte" Beinlängendifferenz. Echt deshalb, weil das Bein tatsächlich kürzer ist und nicht nur durch ein funktionell schiefstehendes Becken höher steht. Eine geringe Beinlängendifferenz kann der Körper ausgleichen. Ist ein Bein jedoch mehr als etwa 6 mm kürzer, kommt es zu Fehlbelastungen und Schmerzen. Ursachen für eine echte Beinlängendifferenz sind

  • genetische Veranlagung
  • Schädigung von Wachstumszonen (z. B. im Kniebereich) und dadurch Hemmung des Knochenwachstums
  • Gefäßtumoren, die ein Mehrwachstum in Wachstumszonen auslösen und dadurch einen Knochen länger wachsen lassen
  • schlecht verheilte Knochenbrüche
  • Prothesenlockerung nach Hüft-TEP durch Einsinken des Schafts in den Markraum des Oberschenkelknochens
  • Arthrose in Fuß-, Knie- oder Hüftgelenk.

Klinik

Ein schiefes Becken führt zu Fehlhaltungen und Fehlbelastungen, die an der gesamten Wirbelsäule und an den Beinen Schmerzen verursachen können. Oft strahlen die Schmerzen auch aus, zum Beispiel in die Gesäßmuskulatur, in die Leiste oder in den Unterleib.

Komplikationen

Durch die dauerhafte Fehlbelastung anderer Knochen und Gelenke droht die Entwicklung von Skoliose, Hüftgelenksarthrose und Kniegelenksarthrose. Durch die Fehlhaltung der Wirbelsäule werden zudem Bandscheibenvorfälle begünstigt.

Diagnosesicherung

Körperliche Untersuchung. Hierbei untersucht die Orthopäd*in zunächst Wirbelsäule und Becken auf Verkrümmungen und Asymmetrien sowohl im Stehen als auch weit vorneüber gebeugt. Bei Verdacht auf eine Beinlängendifferenz werden die Beine ausgemessen.

Bildgebende Verfahren wie das Röntgen lassen vor allem knöcherne Ursachen für einen Beckenschiefstand erkennen, z. B. eine Skoliose, Arthrosen oder ungleiche Beinknochen. Manche Orthopäd*innen bieten auch die 3D Wirbelsäulenmessung an, bei der sich Statik und Haltung von Becken und Wirbelsäule ohne Röntgenstrahlung ermitteln lassen. Dazu projiziert man Licht auf den Rücken, aus dem ein Computer ein dreidimensionales Bild errechnet. Die Kosten für diese Analyse werden von den gesetzlichen Krankenkassen meist nicht übernommen.

Differenzialdiagnosen. Die Beckenschiefe kann durch die Fehlbelastung anderer Knochen und Gelenke Schmerzen von den Zähnen bis zu den Füßen auslösen. Dementsprechend vielfältig sind die auszuschließenden Diagnosen. Beispiele sind die Hüftgelenksarthrose, der Bandscheibenvorfall oder Blockaden im Kreuz-Darmbein-Gelenk. Bei Schmerzen in Unterbauch und Becken ist auch an Erkrankungen der Harnblase, des Darms oder der inneren Geschlechtsorgane zu denken.

Behandlung

Eine Behandlung ist nur erforderlich, wenn der Beckenschiefstand Probleme bereitet oder wenn die Schiefe so ausgeprägt ist, dass eine Verkrümmung der Wirbelsäule droht. Die Art der Therapie richtet sich nach der Ursache.

Funktioneller Beckenschiefstand

Liegt der Beckenschiefe eine fehlhaltungsbedingte Verspannung oder Verkürzung der Muskulatur zugrunde, hilft die gezielte Physiotherapie. Dabei gilt es, die verspannten Muskeln zu lockern und zu dehnen und die verkümmerten Muskeln der Gegenseite zu trainieren. Ziel ist es, die Fehlhaltung zu beseitigen, den Körper aufzurichten und das Becken dadurch wieder in die Waagrechte zu bringen.

Manchmal kommt es durch Verspannungen auch zu einer mechanischen Blockade des Kreuz-Darmbein-Gelenks. Hier lässt sich das Gelenk häufig durch spezielle Handgriffe der manuellen Therapie wieder richten.

Ist es durch eine Skoliose zu Fehlhaltung und Beckenschiefe gekommen, steht die Behandlung der Wirbelsäulenverkrümmung im Zentrum (mehr dazu siehe Skoliose).

Struktureller Beckenschiefstand

Je nach Ursache und Ausmaß gibt es hier konservative und operative Therapiemöglichkeiten.

Konservative Behandlung. Bei einer Beinlängendifferenz bis zu 1 cm verordnet die Ärzt*in oft orthopädische Schuheinlagen. Nach Anpassung sind Sitz und Nutzen der Einlagen regelmäßig zu kontrollieren. Bei einer Beinlängendifferenz von 1 bis 3 cm ist die Erhöhung des gesamten Schuhs oder des Schuhabsatzes ratsam. Auch hier ist regelmäßig zu prüfen, ob die Maßnahme zum Erfolg führt und nicht etwa eine neue Fehlhaltung provoziert. Größere Differenzen lassen sich durch Einlagen und höhere Absätze nicht mehr behandeln, da die Gefahr des Umknickens zu hoch ist.

Operative Behandlung. Ab einer Beinlängendifferenz von etwa 3 cm kommt eine operative Beinverlängerung infrage. Dabei wird der betroffene Oberschenkel und/oder Unterschenkel durchtrennt. In dieser künstlich geschaffenen Wachstumsfuge wächst nun Knochensubstanz nach und füllt den Spalt. Durch permanenten Zug am Knochen lässt sich die Breite des Spaltes und damit die Menge an neuem Knochen einstellen und so das Bein auf die gewünschte Länge bringen. Der nötige Zug entsteht zum Beispiel mit einem in die Knochen eingebrachten Marknagel, der durch magnetische Impulse von außen langsam teleskopartig ausgefahren wird. Der Spezialnagel wird nach der Beinverlängerung in einem zweiten Eingriff wieder entfernt. Bei der traditionellen Methode kommt der Zug durch einen Knochenspanner (Fixateur externe) zustande, der an von außen in den Knochen eingeführten Drähten und Schrauben befestigt ist.

In beiden Fällen dauert die Behandlung mehrere Monate. Komplikationen sind Infektionen, unvorhergesehener oder ausbleibender Wachstumsverlauf, Knochenbrüche und Thrombosen.

Aufgrund der möglichen Komplikationen und der langen Behandlungsdauer empfehlen manche Ärzt*innen bei Beinlängendifferenz, das längere Bein zu verkürzen. Das zieht allerdings eine Verringerung der Körpergröße nach sich. Operationskomplikationen wie Thrombose oder Infektion sind etwas seltener als bei der Beinverlängerungsoperation, aber ebenfalls möglich.

Prognose

Wie gut sich ein schiefes Becken wieder in die Waagrechte bringen lässt, hängt von der Ursache und der Methode ab. Unbehandelt drohen bei ausgeprägtem Beckenschiefstand Arthrosen und Skoliose.

Ihre Apotheke empfiehlt

Physiotherapie. Bei funktionellem Beckenschiefstand ist es wichtig, die in der Physiotherapie gezeigten Übungen regelmäßig nachzuturnen. Hier zwei Beispiele für das Dehnen und Kräftigen der Hüftmuskulatur:

  • Dehnung im Vierfüßlerstand:
    • In den Vierfüßlerstand gehen, die Knie sind etwa 90° gebeugt, der Unterschenkel liegt locker am Boden.
    • Knie langsam auseinanderführen und Fußsohlen zusammenbringen (wie ein Frosch). Die Unterschenkel drehen sich dabei leicht nach innen.
    • Ganz langsam Becken, Leiste und Gesäß (nicht den Bauch!) herunterhängen lassen bzw. herunterdrücken. Auf diese Weise ist in Hüfte und Oberschenkel schon ein Ziehen zu spüren.
    • Mit jedem Ausatmen langsam tiefer in die Dehnung gehen. Beide Knie 30 Sekunden fest in den Boden drücken, dann wieder entspannen. Weiter Leiste und Becken durchhängen lassen.
    • Mehrfach wiederholen.
    • Vorsichtig die Übung beenden.
  • Dehnung im Stehen: Im Stehen dehnt man die Strukturen des Beckens, indem man ein Bein nach hinten anwinkelt, den Fuß mit der Hand festhält und das Becken nach vorne schiebt.
  • Kräftigung des kürzeren und schwächeren Beins: Hierfür begibt man sich zwischendurch einfach immer wieder in den Einbeinstand, d. h., man stellt sich auf das kürzere Bein und zieht das andere an.

Vorbeugung

Rumpfmuskeln trainieren. Kräftigen Sie Ihre Bauch- und Rückenmuskulatur! Eine starke Rumpfmuskulatur und eine gute Körperhaltung begünstigen auch die korrekte Lage des Beckens.

Richtiges Sitzen. Vermeiden Sie langes Sitzen in einer Stellung und Fehlhaltungen am Schreibtisch. Stehen Sie regelmäßig auf, recken und strecken Sie sich und flechten Sie immer wieder kleine Bewegungsübungen ein. Sorgen Sie für einen ergonomischen Bürostuhl, wenn Sie viel am Schreibtisch sitzen. Alternativen sind Sitzbälle, Knie- oder Wackelstühle.

Entspannungsübungen und Yoga. Lernen Sie Entspannungsübungen wie die Progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen oder Autogenes Training. Auch Yoga hilft, den Körper zu entspannen und in die richtige Balance zu bringen.

Schwimmen. Ein günstiger Sport ist das Brustschwimmen, denn dabei kommen Becken und Hüfte gleichmäßig in Bewegung.

Von: Dr. med. Sonja Kempinski
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Knie-OP: Physio geht auch per Video

Mit einer genauen Anleitung lässt sich eine Physiotherapie auch per Video erfolgreich durchführen.

Knie-OP: Physio geht auch per Video

Nach der Knie-Prothesen-OP

Nach dem Einpflanzen einer Knieprothese ist erstmal die Rehabilitation angesagt. Ein wichtiger Teil davon ist die Physiotherapie. Die klappt auch gut mit virtueller Anleitung.

Ohne Reha geht es nicht

Damit ein künstliches Kniegelenk (Knie-TEP) gut einheilt und funktioniert, ist eine Rehabilitation nötig, also eine spezifische Anschlussheilbehandlung. Sie beginnt direkt nach der Operation und wird dann in Rehakliniken oder ambulant fortgesetzt. Neben Schmerzbehandlung und Beratung ist die Physiotherapie der wichtigste Bestandteil der Maßnahme. Durch spezielle Übungen wird dafür gesorgt, dass das Knie wieder gebeugt und gestreckt werden kann. Außerdem werden die Muskeln gestärkt. Das ist besonders wichtig, weil sie das Kniegelenk führen und stabilisieren sollen.

Normalerweise wird die Physiotherapie unter persönlicher Betreuung durchgeführt. Dass sie bei ausgewählten Patient*innen auch virtuell erfolgreich ist, haben jetzt kanadische Forschenden gezeigt. In ihrer Studie untersuchten sie die Reha-Ergebnisse von 275 Personen nach einer Knie-TEP. 100 von ihnen hatten ihre Physiotherapie zweimal wöchentlich per Video online erhalten. 175 Betroffene turnten zwei Mal die Woche in 5er-Gruppen unter persönlicher Anleitung einer Physiotherapeut*in.

Schmerzen in beiden Gruppen gleich

In der Videogruppe erreichten 85% der Betroffenen eine Kniebeugung von über 120°, und 96 Prozent ein Kniestreckungsdefizit von weniger als 5% (das bedeutet, dass sie das Knie fast komplett strecken konnten). Bei den persönlich Betreuten waren das zwar etwas mehr (91 und 98 Prozent), der Unterschied war jedoch nicht signifikant. Die Schmerzen waren in beiden Gruppen vergleichbar.

Etwa 10% aus der Videogruppe kamen mit der Videoanleitung nicht zurecht und mussten auf die persönliche Betreuung wechseln. Dabei handelte es sich vor allem um Frauen über 65, deren Kniebeugung direkt nach Operation stark eingeschränkt war.

Physio per Video war beliebt

Das virtuelle Programm kann bei ausgewählten Patient*innen die persönliche Betreuung ersetzen, meinen die Forschenden. Die meisten Patient*innen, die bis zum Schluss per Video trainiert wurden, sahen dies genauso: 80 Prozent von ihnen würden sich wieder für eine virtuelle Physiotherapie entscheiden.

Quelle: Ärztezeitung

Von: Dr. med. Sonja Kempinski; Bild: mauritius images / Westend61 / Giorgio Fochesato