Gesundheit heute

Nierenkrebs

Nierenkrebs (Nierenzellkarzinom, Adenokarzinom der Nieren, Hypernephrom): Bösartiger Nierentumor, zunehmend nach dem 50. Lebensjahr auftretend. Männer sind doppelt so häufig betroffen wie Frauen; Rauchen und Gifte wie Kadmium (z. B. in Tabakrauch und Düngemitteln) gelten als Risikofaktor.

Nierenkrebs verursacht lange Zeit keine Beschwerden. Erst spät bemerkt der Patient Blut im Urin (der Tumor ist bereits in die ableitenden Harnwege eingedrungen) und Schmerzen in der Nierengegend. Durch die einfache, oft zufällige Diagnose mittels Ultraschall wird der Tumor heute in 3/4 der Fälle trotzdem frühzeitig erkannt und hat deshalb nach operativer Entfernung eine gute Prognose.

Symptome und Leitbeschwerden

  • Meist keine Beschwerden
  • Im Spätstadium: Blut im Urin und/oder Schmerzen in der Nierengegend
  • Im Spätstadium: Nachtschweiß, Gewichtsverlust und Fieber als typische Zeichen einer schweren Krebserkrankung.

Wann zum Arzt

In den nächsten Tagen bei

  • Blut im Urin
  • Nachtschweiß, Gewichtsverlust, Fieber.

Am gleichen Tag bei

  • plötzlich auftretenden starken Schmerzen in der Nierengegend.

Die Erkrankung

Ursachen und Risikofaktoren

Der Nierenkrebs entsteht aus Epithelzellen des Nierengewebes. Warum die Zellen bösartig entarten, ist unklar. Eine genetische Komponente scheint jedoch wahrscheinlich, da erstgradig Verwandte von Betroffenen ein verdoppeltes Risiko für Nierenkrebs haben. Daneben gibt es einige seltene, vererbte Syndrome mit ebenfalls erhöhtem Nierenkrebs-Risiko, dazu gehören die von-Hippel-Lindau-Krankheit und das Birt-Hogg-Dubé-Syndrom.

Bekannt ist zudem eine Reihe von Risikofaktoren, die die Entwicklung eines Nierenkrebses begünstigen:

  • Rauchen
  • Umgang mit Kadmium, Blei, petrochemische Substanzen, Teer und Holzschutzmittel
  • Terminale Niereninsuffizienz
  • Niedrige soziale Herkunft, Stadtbewohner
  • Übergewicht und Bluthochdruck
  • Erhöhter Konsum von Fetten und Eiweiß.

Stadien

Wie alle bösartigen Tumoren wird auch der Nierenkrebs in verschiedene Stadien eingeteilt. Entscheidend ist dabei, ob der Krebs über die Niere hinauswächst. So sind die Stadien T1 und T2 auf die Niere begrenzt und haben deshalb eine bessere Prognose. 75 % der Nierentumoren werden heute in diesem Stadium diagnostiziert.

Komplikationen

Metastasierung, vor allem in die Lunge, die Knochen, die Leber und das Gehirn.

Diagnosesicherung

Jeder zweite Nierenkrebs wird zufällig entdeckt, vor allem bei der Ultraschalluntersuchung der Niere. Weitere Untersuchungen bei Verdacht auf Nierenkrebs sind:

  • Bauchultraschall zur Suche nach Metastasen
  • CT mit Kontrastmittel für die operative Planung
  • CT und Röntgen des Brustkorbs zum Nachweis von Lungenmetastasen
  • MRT des Schädels bei Verdacht auf Hirnmetastasen
  • Evtl. Biopsie bei unklaren Befunden

Differenzialdiagnosen. Hinter raumfordernden Prozessen im Nierenbereich, Blut im Urin und/oder Schmerzen können auch Nierenabszesse, Metastasen anderer Tumoren und große Nierenzysten stecken.

Behandlung

Je nach Tumorausbreitung kommen folgende Behandlungsverfahren in Frage:

Nierenteilresektion. In aller Regel versuchen die Ärzte, den Tumor operativ zu entfernen. Dabei erreichen sie die Niere entweder laparoskopisch oder über einen Flankenschnitt. Kleine und mittelgroße, auf die Niere begrenzte Tumoren operieren die Ärzte meist organerhaltend als Nierenteilresektion, d. h. sie entfernen nur den von Krebs betroffenen Bereich der Niere.

Radikale Nephrektomie. Bei großen oder ungünstig gelegenen Tumoren entfernen die Ärzte die betroffene Niere komplett (radikale Nephrektomie oder Totalresektion), meist inklusive der direkt an der Niere gelegenen Lymphknoten. Auch diese Operation ist laparoskopisch oder über einen Flankenschnitt möglich.

Aktives Überwachen. Vor allem bei älteren Patienten mit Begleiterkrankungen empfehlen die Ärzte aufgrund des Operationsrisikos manchmal, den Tumor zunächst engmaschig mit Ultraschalluntersuchungen oder CT zu überwachen. Operiert wird erst dann, wenn der Tumor schnell wächst.

Kryoablation oder Radiofrequenzablation. Kleinere Tumoren (< 4 cm) behandelt der Arzt auch manchmal lokal mit Wärme oder Kälte. Dazu schiebt er über einen Bauchschnitt oder während einer Bauchspiegelung eine Sonde zum Tumor und zerstört diesen mit Wechselstrom (Radiofrequenzablation) oder Kälte (Kryoablation).

Operation von Metastasen. Isolierte und operativ gut erreichbare Metastasen in Lunge und Leber entfernen die Ärzte in der Regel operativ.

Bestrahlung. Therapeutisch bestrahlt werden vor allem Hirn- und Knochenmetastasen.

Medikamentöse Therapie. Medikamentös therapiert wird vor allem in der palliativen Situation, d. h., beim fortgeschrittenen, metastasierten Nierenkrebs, der operativ nicht mehr geheilt werden kann. Gegen die Standard-Chemotherapeutika weist der Nierenkrebs allerdings eine hohe Resistenz auf. Eingesetzt werden daher die neueren Wirkstoffe der sogenannten "Zielgerichteten Therapie", wie z. B. die Tyrosinkinase-Hemmer Sunitinib oder Sorafenib, der mTor-Inhibitor Temsirolimus oder Everolimus. Aus der Gruppe der Immuntherapie nutzen die Ärzte außerdem Interferon alpha, Bevacizumab oder den PD1-Antikörper Nivolumab.

Prognose

Hat der Tumor zum Zeitpunkt der Diagnose noch keine Metastasen gebildet, ist die Prognose gut und eine Heilung oft möglich (5-Jahres-Überlebensrate der Tumorstadien 1 und 2 etwa 90 %). Ist der Tumor bereits in das Venensystem oder in die Nachbarorgane eingebrochen, ist die Prognose schlecht.

Prävention

Regelmäßige Ultraschalluntersuchungen der Niere werden bei Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz, von-Hippel-Lindau-Krankheit und Nierenzysten empfohlen.

Weiterführende Informationen

  • Eine Patientenleitlinie der deutschen Krebshilfe zum Thema Nierenkrebs im frühen und lokal fortgeschrittenen Stadium finden Sie unter https://www.krebshilfe.de/fileadmin/Downloads/PDFs/Leitlinien/PLL_Nierenkrebs_frueh_WEB_160914.pdf
  • Die bundesweit tätige Patientenorganisation "Das Lebenshaus" bietet Unterstützung und Erfahrungsaustausch für Nierenkrebs-Kranke und Angehörige. Zu erreichen unter https://www.daslebenshaus.org/nier.html.

Von: Dr. André Lauber, Dr. med. Arne Schäffler in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualisierung: Dr. med. Sonja Kempinski
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Gezielt gegen Blasenschwäche

Bei einer Blasenschwäche ist nicht nur der erhöhte Wäscheaufwand ein Problem für die Betroffenen.

Gezielt gegen Blasenschwäche

Mit Training und Medikamenten

Immer noch ein Tabu, aber weit verbreitet: Unter einer Blasenschwäche leiden in Deutschland Millionen von Frauen und Männern. Gegen den unwillkürlichen Urinverlust helfen allgemeine Maßnahmen und das Trainieren von Blase und Beckenboden. Reicht das nicht aus, kommen Medikamente ins Spiel.

Eingeschränkte Lebensqualität

Blasenschwäche (Harninkontinenz) ist die Unfähigkeit, den Urin in der Harnblase zu halten. Es kommt stattdessen zu unkontrolliertem Urinverlust, entweder tröpfchenweise oder auch im Schwall. Darunter leiden viele Menschen. Bei den 40- bis 60-Jährigen ist jede Zehnte betroffen, bei den Über-60-Jährigen jede Vierte.

Ob jünger oder älter – eine Blasenschwäche ist immer sehr belastend. Je nach Ausmaß wird die Lebensqualität durch die Inkontinenz stark eingeschränkt. Weil sie sich schämen, gehen viele Menschen trotz ihrer Beschwerden nicht zur Ärzt*in. Dabei ist es wichtig, eine Blasenschwäche zu behandeln. Denn nicht nur die psychischen Folgen wie Depressionen und Vereinsamung sind erheblich. Es drohen Hautentzündungen im Intimbereich und wiederkehrende Harnwegsinfektionen bis hin zum Nierenschaden. Zudem fallen alte Menschen mit Blasenschwäche häufiger hin, weil sie die Toilette schnell erreichen wollen. Solche Stürze enden oft mit einer fatalen Oberschenkelhalsfraktur.

Hinweis: Frauen leider öfter an Blasenschwäche als Männer. Ihr Beckenboden ist dehnbarer und hat mehr Durchgänge als der männliche Beckenboden. Außerdem wird der Blasenverschluss beim Mann durch die unter der Blase liegende Prostata unterstützt.

Welche Blasenschwäche ist es?

Blasenschwäche ist nicht gleich Blasenschwäche. Um die Beschwerden zu dokumentieren und besser interpretieren zu können, ist ein Blasentagebuch hilfreich. Darin hält man täglich fest, wieviel man trinkt und wie häufig man auf die Toilette muss. Wenn möglich, misst man auch die Menge des täglich ausgeschiedenen Urins. Mithilfe dieser Informationen kann die Ärzt*in die Blasenschwäche meist gut einordnen.

Belastungsinkontinenz. Jede zweite Frau mit Blasenschwäche leidet an einer Belastungsinkontinenz (früher auch Stressinkontinenz genannt). Dabei verliert die Betroffene Urin, ohne dass sie vorher einen Harndrang bemerkt hat. Der muskuläre Verschluss am Ausgang der Blase funktioniert nicht mehr gut, etwa weil die Beckenbodenmuskulatur schwach ist oder die Beckenbänder geschädigt sind. Dann genügt schon ein kleiner Druckanstieg in der Blase und die Betroffene verliert Urin. Der Druck in der Blase steigt an, wenn sich der Druck im Bauchraum erhöht. Dazu kommt es schon bei ganz normalen körperlichen Beanspruchungen wie Husten, Niesen oder dem Heben schwerer Gegenstände. Begünstigt wird die Belastungsinkontinenz durch eine Gebärmuttersenkung und Übergewicht.

Dranginkontinenz. Bei der Dranginkontinenz muss die Betroffene plötzlich ganz dringend auf die Toilette, ohne dass die Blase richtig gefüllt ist. Wer nicht schnell genug ist, verliert kleine Tropfen Urin, manchmal aber auch einen ganzen Schwall. Das passiert sowohl tagsüber als auch nachts. Auslöser ist eine Störung in der Blasenwandmuskulatur, z.B. durch Entzündungen, Blasensteine oder neurologische Erkrankungen wie Multiple Sklerose oder Parkinson. Beim Mann kommt als Ursache auch eine Prostatavergrößerung in Frage.

Mischinkontinenz. Hier leiden die Betroffenen unter beiden Formen der Blasenschwäche. Sie haben wie bei einer Dranginkontinenz auch bei nicht gefüllter Blase Harndrang und ungewollten Urinverlust. Außerdem verlieren sie Urin bei körperlicher Beanspruchung.

Überaktive Blase. Bei dieser Blasenschwäche zieht sich der Muskel am Blasenausgang immer wieder zusammen und lässt dann wieder los. Das Phänomen ist nervenbedingt oder psychisch. Die Patient*innen leiden unter sehr starkem, manchmal sogar schmerzhaftem Harndrang, der sie mehr als acht Mal täglich und auch nachts zur Toilette zwingt. Solange der Beckenboden noch funktioniert, können die Betroffenen den Urin aber noch willkürlich zurückhalten.

Daneben gibt es weitere Formen der Blasenschwäche. Befindet sich z.B. am Blasenausgang ein Tumor oder Blasenstein, entleert sich die Blase beim Wasserlassen nicht komplett. Es bleibt Urin in der Blase, d.h. die Menge an sog. Restharn steigt an. Die Blase ist überfüllt und kann überlaufen. Patient*innen haben meist einen dauerhaften Harndrang und verlieren ständig kleine Mengen an Urin. Andere Ursachen für Blasenschwäche sind Nervenerkrankungen wie z.B. die Querschnittlähmung. Dabei lösen Reflexe (etwa bei gefüllter Blase) das Pinkeln aus. Man spricht dann von einer Reflexinkontinenz.

Ist die Form der Blasenschwäche erkannt, wird nach der Ursache gesucht. Je nach Verdachtsdiagnose kommen spezielle Untersuchungen zum Einsatz. Dazu gehören z.B. die Restharnbestimmung und die Urinanalyse, z.T. auch Blutuntersuchungen zur Überprüfung der Nierenfunktion. Bei Frauen ist eine gynäkologische Untersuchung empfehlenswert, da Veränderungen im Becken häufig eine Blasenschwäche auslösen oder verstärken. Beim Mann ist die Untersuchung der Prostata obligat. In manchen Fällen sind auch Ultraschalluntersuchungen oder eine Blasenspiegelung nötig.

Was gegen die Blasenschwäche hilft

Liegt der Harninkontinenz eine Erkrankung zugrunde, wird diese entsprechend therapiert. Dies ist zum Beispiel bei der Prostatavergrößerung oder bei Blasensteinen der Fall. Häufig gibt es aber keine behandelbare Ursache. In diesen Fällen geht man den ungewollten Urinverlust in Stufen an. Basis sind folgende Allgemeinmaßnahmen:

  • Koffeinkonsum reduzieren. Kaffee, Cola und schwarzer Tee haben aufgrund des Koffeins eine ausschwemmende Wirkung. Bei manchen Betroffenen wird die Blasenschwäche besser, wenn sie diese Genussmittel vermeiden.
  • Übergewicht verringern. Zu viele Kilos erhöhen den Druck im Bauch und folglich auch den Druck auf die Blase. Abnehmen bessert deshalb vor allem die Belastungsinkontinenz.
  • Verstopfung behandeln. Starkes Pressen beim Stuhlgang belastet die Beckenbodenmuskulatur und schwächt diese auf Dauer.
  • Flüssigkeitszufuhr kontrollieren. Vor allem bei der überaktiven Blase kann es helfen, etwas weniger zu trinken. Aber Vorsicht, diese Maßnahme sollte man immer mit der Ärzt*in besprechen. Auf keinen Fall darf man aufgrund seiner Blasenschwäche eine Austrocknung (Dehydrataion) riskieren.
  • Mehr bewegen. Spazierengehen und auch Hausarbeit sind besser als Herumsitzen und Schonen. Denn auch moderate körperliche Bewegung stärkt den Beckenboden.
  • Ungünstige körperliche Belastungen vermeiden. Schweres Heben schadet dem Beckenboden, ebenso sind manche Sportarten ungünstig. Dazu gehören z.B. Trampolinspringen oder Crossfit-Training.
  • Rauchen aufgeben. Raucherhusten geht oft mit einer Belastungsinkontinenz einher.

Tipp: Manche Medikamente verursachen oder fördern eine Harninkontinenz. Dazu gehören Anticholinergika zur Behandlung von Atemwegserkrankungen oder Parkinson, muskelentspannende Mittel, indirekte Parasympathikomimetika oder Beruhigungsmittel. Mit der Ärzt*in sollte besprochen werden, ob diese Arzneimittel reduziert oder ersetzt werden können.

Blase oder Beckenboden trainieren

Auch Training kann bei einer Blasenschwäche helfen. Gestärkt werden dabei je nach Form der Blasenschwäche entweder die Blase selbst oder der Beckenboden.

Das Blasentraining hilft besonders gegen die Dranginkontinenz. Es zielt darauf ab, die Zeiträume zwischen den Toilettengängen zu verlängern. Zunächst versucht die Betroffene, nicht gleich beim ersten Anzeichen eines Harndrangs zur Toilette zu gehen. Schritt für Schritt wird der Gang zur Toilette immer länger verzögert. Hilfreich dabei sind Entspannungsübungen. Auf diese Weise vergrößert sich das Aufnahmevolumen der Blase, der Harndrang wird geringer und das Wasserlassen besser kontrolliert.

Intensives Beckenbodentraining ist dagegen die passende Maßnahme für eine Belastungsinkontinenz. Diese Übungen erlernt man am besten in einer Physiotherapie. Spüren Betroffene mit Belastungsinkontinenz ihre Beckenbodenmuskulatur nicht, kann die Elektrostimulation helfen. Dazu verschreibt die Ärzt*in spezielle Geräte, die über die Scheide oder den Dammbereich elektrische Impulse abgeben.

Tipp: In die Scheide eingelegte Pessare stabilisieren die Harnröhre von innen. Sie helfen besonders bei unwillkürlichem Urinverlust durch körperliche Belastungen im Rahmen einer Belastungsinkontinenz.

Medikamente gegen Urinverlust

Wenn allgemeine Maßnahmen und Training nicht zum erwünschten Erfolg führen, sind stärkere Geschütze geboten. Leider gibt es wenig Hilfe aus dem Reich der Pflanzen. Zwar werden zur Linderung der Beschwerden zahlreiche Extrakte angeboten. Klinische Studien mit eindeutigen Daten zur Wirksamkeit fehlen in den meisten Fällen. Für Kürbissamen gibt es aus einer Beobachtungsstudie mit 117 Betroffenen Hinweise, dass sie Frauen mit überaktiver Blase helfen können.

Anders sieht das mit synthetischen Arzneimitteln aus. Für die Dranginkontinenz und die überaktive Blase gelten Muskarinrezeptor-Antagonisten als effektive Option. Sie verringern spontane Mikrobewegungen in der Blasenwandmuskulatur und reduzieren den Harndrang. Allerdings blockieren die Wirkstoffe nicht nur die Muskarinrezeptoren in der Blase, sondern im gesamten Organismus. Deshalb haben diese Substanzen auch zahlreiche Nebenwirkungen. Dazu gehören u.a. Mundtrockenheit, Sehstörungen und Verstopfung. Oxybutynin führt bei älteren Menschen sogar zu Verwirrtheit und Denkstörungen, vor allem wenn es abgeschluckt wird.

Einige Muskarinrezeptor-Antagonisten (z.B. Tolterodin) sollen beinahe nur auf die Blase wirken und so weniger Nebenwirkungen auslösen. Letzteres gilt auch für Präparate, deren Wirkstoff verzögert freigesetzt wird, sog. retardierte Arzneistoffe.

Eine neue Therapieoption gegen Dranginkontinenz und eine überaktive Blase ist Mirabegron. Die Substanz bindet an Betarezeptoren in der Harnblasenmuskulatur und entspannt dadurch die Blase. Eingesetzt wird Mirabegron, wenn Muskarinrezeptor-Antagonisten nicht ausreichend wirken. Sie sind auch bei älteren Menschen geeignet, weil sie seltener Verwirrtheit oder Denkstörungen auslösen. Als Nebenwirkung ist allerdings eine Erhöhung des Blutdrucks zu beachten.

Ein Wirkstoff zur Behandlung der Belastungsinkontinenz ist das Antidepressivum Duloxetin, ein selektiver Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer. Es stärkt den Schließmuskel der Blase und erhöht ihr Fassungsvermögen. Dadurch kommt es seltener zu unwillkürlichem Urinverlust. Das hat allerdings auch bei Duloxetin seinen Preis: Typisch sind Nebenwirkungen im Verdauungstrakt wie Übelkeit, Bauchschmerzen, Durchfall oder Verstopfung. Vor allem bei psychisch nicht gesunden Menschen soll der Wirkstoff aber auch vermehrt Angst und innere Unruhe auslösen.

Mit Operationen an die Blasenschwäche

Manchmal helfen auch Medikamente nicht ausreichend. Ist der Leidensdruck hoch, sind interventionelle oder operative Verfahren eine Option.

Interventionelle Verfahren. Bei der überaktiven Blase und bei der Dranginkontinenz kann die Ärzt*in den Wirkstoff Onabotulinumtoxin A in die Blase instillieren. Dadurch entspannt sich die Blasenmuskulatur und der Harndrang wird weniger. Die Wirkung setzt jedoch erst zwei Wochen nach dem Eingriff ein und hält nur einige Wochen bis Monate an. Eine weitere Option bei überaktiver Blase ist die sakrale Neuromodulation. Dabei wird eine Art Schrittmachers in die Blase eingesetzt. Dieser sendet sanfte elektrische Impulse an den Sakralnerv, der die Blase versorgt. Auf diese Weise lässt sich sowohl eine Überaktivität als auch eine Unteraktivität der Blasenmuskulatur kontrollieren.

Operationen. Die Belastungsinkontinenz kann auch relativ einfach mit einer Band- oder Schlingen-Operationen behandelt werden. Dabei wird das natürliche Band, das die Harnröhre in ihrer Position hält, durch ein künstliches Band verstärkt. Eine weitere Möglichkeit ist das Injizieren von Gel in den Bereich des Harnröhrenabgangs von der Blase. Es entsteht ein Polster, das den Blasenausgang besser verschließt. Manchmal empfehlen die Ärzt*innen auch das operative Anheben des Blasenhalses. Ist bei Männern eine vergrößerte Prostata die Ursache der Blasenschwäche, hilft deren komplette oder teilweise Entfernung.

Quelle: S2k-Leitlinie Harninkontinenz der Frau

Von: Dr. med. Sonja Kempinski; Bild: mauritius images / Giuseppe Anello / Alamy / Alamy Stock Photos