Gesundheit heute

Glomerulonephritis

Glomerulonephritis (GN, Nierenkörperchenentzündung): Schwere, akute oder chronische Entzündung der Nierenkörperchen beider Nieren, oft mit unbekanntem Auslöser. Manchmal ist eine Glomerulonephritis die Spätfolge einer bakteriellen Entzündung wie Scharlach oder Mittelohrentzündung, manchmal ist sie Bestandteil einer schweren rheumatologischen Erkrankung.

Behandelt wird abhängig von der Ursache vor allem mit Diät, Salz- und Flüssigkeitskontrollen sowie Medikamenten, in schweren Fällen auch mit einer Blutwäsche. Betroffene Kinder haben sehr gute Heilungschancen, die Hälfte der erwachsenen Patienten behält hingegen einen Nierenschaden zurück, der lebenslang kontrollbedürftig ist.

Eine Glomerulonephritis betrifft immer beide Nieren. Darin liegt auch die Gefahr bei dieser Erkrankung, denn nicht selten führt die Glomerulonephritis zum chronischen Nierenversagen.

Symptome und Leitbeschwerden

Akute Form:

  • Ödeme (Wassereinlagerungen), vor allem im Gesicht
  • Krankheitsgefühl mit Müdigkeit, Kopfschmerzen und Fieber
  • Blut im Urin (Urin sieht aus wie Cola oder Eistee) oder schaumiger Urin
  • Schmerzen im Rückenbereich, etwas oberhalb der Taille oder der Lendenregion
  • Erhöhter Blutdruck.

Chronische Form:

  • Appetitlosigkeit und Mundgeruch
  • Übelkeit
  • Juckreiz.

Wann zum Arzt

In den nächsten Tagen bei

  • nachlassendem Appetit und häufigerer Übelkeit oder
  • starkem Juckreiz am ganzen Körper.

Heute noch, wenn

  • morgens nach dem Aufwachen das Gesicht geschwollen ist
  • Blut im Urin ist
  • kurz nach einer Infektionskrankheit wieder Fieber auftritt
  • starke Schmerzen in der Nierengegend auftreten.

Die Erkrankung

Krankheitsentstehung

Es gibt eine ganze Reihe verschiedener Glomerulonephritiden, die in primäre und sekundäre Formen eingeteilt werden. Die primären Formen entwickeln sich direkt an den Nierenkörperchen, die sekundären Formen entstehen im Rahmen einer anderen Grunderkrankung wie z. B. dem Lupus erythematodes oder dem Goodpasture-Syndrom. Allen gemeinsam ist jedoch, dass bei ihrer Entstehung das Immunsystem beteiligt ist.

So patrouillieren z. B. ständig Abwehrzellen des Immunsystems im Blut, um Krankheitserreger zu identifizieren und die Bildung von Antikörpern (körpereigenen Abwehrstoffen) einzuleiten. Mit dem Blutstrom werden Antikörper oder Antigen-Antikörper-Komplexe auch in die Nieren geschwemmt, wo sie sich bei einer Glomerulonephritis in den Nierenkörperchen festsetzen und dadurch eine Entzündung auslösen.

Im Einzelnen kommt es zu einer Glomerulonephritis, wenn

  • sich Bestandteile von Bakterien mit Antikörpern zusammenballen und Antigen-Antikörper-Komplexe bilden (Immunkomplexnephritis).
  • das Immunsystem die Antikörper nicht gegen die Antigene von Bakterien und Viren, sondern überschießend gegen Bestandteile der Membranen der Nierenkörperchen (Autoantikörper) produziert, z. B. im Rahmen einer Antibasalmembran-Glomerulonephritis, membranösen Glomerulonephritis.
  • sich die Nierenkörperchen aus unbekanntem Grund entzünden (idiopathische Glomerulonephritis).

Abgesehen von diesen drei Formen gibt es viele weitere Unterformen der Glomerulonephritis.

Einteilung

In der Praxis hat es sich bewährt, die Einteilung nach den Beschwerden und dem Verlauf vorzunehmen, sodass zwischen akuten und chronischen Formen unterschieden wird.

Akute Glomerulonephritis: Häufig handelt es sich hierbei um eine Immunkomplexnephritis, die im Rahmen einer Infektion mit Bakterien auftritt, genauer gesagt mit Streptokokken der Gruppe A, die auch Scharlach oder Mittelohrentzündungen auslösen. Nach überstandener Infektion kommt es wenige Wochen später zu einer akuten Glomerulonephritis, weshalb diese Form Poststreptokokken-Glomerulonephritis genannt wird.

Eine seltene, jedoch besonders aggressive Form der akuten Glomerulonephritis ist die rasch progrediente Glomerulonephritis. Sie betrifft vor allem Menschen mit rheumatologischen Erkrankungen und führt innerhalb weniger Monate zum Nierenversagen.

Chronische Glomerulonephritis: Sie entwickelt sich schleichend über viele Jahre und bleibt deshalb lange unentdeckt, da die Ursachen nur selten offensichtlich sind und auch nur in Ausnahmefällen zuerst ein akutes Stadium auftritt. Die Patienten haben lange nur milde und allgemeine Beschwerden. Wenn überhaupt, wird die Diagnose meist per Zufall gestellt, z. B. wenn der Arzt bei einer Routineuntersuchung geringe Mengen Blut oder Eiweiß im Urin entdeckt. Die chronische Glomerulonephritis ist nicht heilbar und führt im Allgemeinen zur Dialysepflicht.

Diagnosesicherung

Da die akute Glomerulonephritis relativ typische Beschwerden verursacht, wird die Krankheit oft früh entdeckt. Im Urin der Patienten lassen sich immer Eiweiße und kleine Mengen Blut feststellen. Blutuntersuchungen zeigen eine überwundene Streptokokkeninfektion oder eine rheumatologische Erkrankung an. Unerlässlich ist die Nierenbiopsie, zumindest bei größeren Eiweißverlusten über 2000 mg pro Tag (Makroalbuminurie) und hohen Kreatininwerten.

Die chronische Glomerulonephritis wird vielfach bei einer Routinekontrolle des Urins diagnostiziert. Wie bei der akuten Form finden sich auch bei der chronischen Glomerulonephritis Eiweiße und kleine Mengen Blut im Urin. Zusätzlich misst der Arzt den Blutdruck.

Differenzialdiagnosen. Es gibt eine Vielzahl von Erkrankungen, die ähnliche Beschwerden wie die Glomerulonephritiden aufweisen. Akute Schmerzen im Flankenbereich finden sich z. B. bei Nierenbeckenentzündung und Nierensteinen. Eiweiß im Urin kommt bei der diabetische Nierenschädigung, bei Blutkrebs oder der Nephrosklerose vor. Für Blut im Urin sind u.a. Entzündungen von Blase oder Niere, Nierensteine sowie Tumoren wie Harnblasenkrebs oder Nierenkrebs verantwortlich.

Behandlung

Für alle Formen der Glomerulonephritis sind mehr oder weniger die gleichen Behandlungsmaßnahmen angezeigt. Dazu gehören:

  • Körperliche Schonung, um die Heilungsprozesse zu fördern
  • Eiweißarme Kost, um die Niere zu entlasten und die Eiweißausscheidung zu vermindern
  • Bei Ödemen: salzarme Diät und eventuell entwässernde Medikamente (Diuretika), um die Flüssigkeit auszuschwemmen
  • Bei Bluthochdruck: bluthochdrucksenkende Medikamente, bei chronischer Glomerulonephritis sind Blutdruckwerte unter 130/80 mmHg anzustreben
  • Bei hohen Eiweißverlusten: ACE-Hemmer oder AT1-Antagonisten
  • Nikotinabstinenz. Rauchen ist ein Risikofaktor für die Entwicklung der Glomerulonephritis.

Je nach Ursache kommen spezielle Therapien hinzu:

  • Bei einer Infektion mit Streptokokken: das Antibiotikum Penizillin oder ein Cephalosporin, bei anderen bakteriellen Erregern entsprechende Antibiotika
  • Bei einer rheumatischen Erkrankung: Intensivierung der Therapie der rheumatischen Erkrankung, z. B. durch Kortison oder durch Medikamente, die das Immunsystem unterdrücken wie z. B. Cyclophosphamid
  • Bei der rasch progredienten Glomerulonephritis evtl. auch Plasmapherese zur Entfernung von Antikörpern und Autoimmunkomplexen
  • Bei deutlich sinkender Ausscheidung: Dialyse, evtl. Nierentransplantation

Prognose

Gute Aussichten haben Patienten mit einer akuten Poststreptokokken-Glomerulonephritis, da diese Form, rechtzeitig therapiert, bei über 90 % der Kinder und bei 50–75 % der Erwachsenen vollständig ausheilt.

Die Aussichten der rasch progredienten Glomerulonephritis hängen stark vom Zeitpunkt der Diagnose und der Therapie ab. In 40 % der Fälle ist die spätere Dialysepflicht nicht zu verhindern.

Die chronische Glomerulonephritis, z. B. bei rheumatischen Erkrankungen, hat eine schlechte Prognose. Die meisten Patienten müssen sich innerhalb weniger Jahre mit der Dialyse abfinden.

Weiterführende Informationen

  • www.bundesverband-niere.de - Website des Bundesverbandes Niere mit bundesweiten Adressen von Selbsthilfegruppen, einer gebührenfreien Hotline für Fragen rund um die Niere und andere Unterstützung und Informationen für chronisch Nierenkranke.

Von: Dr. med. André Lauber, Dr. med. Arne Schäffler in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014). Überarbeitung und Aktualisierung: Dr. med. Sonja Kempinski
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Gezielt gegen Blasenschwäche

Bei einer Blasenschwäche ist nicht nur der erhöhte Wäscheaufwand ein Problem für die Betroffenen.

Gezielt gegen Blasenschwäche

Mit Training und Medikamenten

Immer noch ein Tabu, aber weit verbreitet: Unter einer Blasenschwäche leiden in Deutschland Millionen von Frauen und Männern. Gegen den unwillkürlichen Urinverlust helfen allgemeine Maßnahmen und das Trainieren von Blase und Beckenboden. Reicht das nicht aus, kommen Medikamente ins Spiel.

Eingeschränkte Lebensqualität

Blasenschwäche (Harninkontinenz) ist die Unfähigkeit, den Urin in der Harnblase zu halten. Es kommt stattdessen zu unkontrolliertem Urinverlust, entweder tröpfchenweise oder auch im Schwall. Darunter leiden viele Menschen. Bei den 40- bis 60-Jährigen ist jede Zehnte betroffen, bei den Über-60-Jährigen jede Vierte.

Ob jünger oder älter – eine Blasenschwäche ist immer sehr belastend. Je nach Ausmaß wird die Lebensqualität durch die Inkontinenz stark eingeschränkt. Weil sie sich schämen, gehen viele Menschen trotz ihrer Beschwerden nicht zur Ärzt*in. Dabei ist es wichtig, eine Blasenschwäche zu behandeln. Denn nicht nur die psychischen Folgen wie Depressionen und Vereinsamung sind erheblich. Es drohen Hautentzündungen im Intimbereich und wiederkehrende Harnwegsinfektionen bis hin zum Nierenschaden. Zudem fallen alte Menschen mit Blasenschwäche häufiger hin, weil sie die Toilette schnell erreichen wollen. Solche Stürze enden oft mit einer fatalen Oberschenkelhalsfraktur.

Hinweis: Frauen leider öfter an Blasenschwäche als Männer. Ihr Beckenboden ist dehnbarer und hat mehr Durchgänge als der männliche Beckenboden. Außerdem wird der Blasenverschluss beim Mann durch die unter der Blase liegende Prostata unterstützt.

Welche Blasenschwäche ist es?

Blasenschwäche ist nicht gleich Blasenschwäche. Um die Beschwerden zu dokumentieren und besser interpretieren zu können, ist ein Blasentagebuch hilfreich. Darin hält man täglich fest, wieviel man trinkt und wie häufig man auf die Toilette muss. Wenn möglich, misst man auch die Menge des täglich ausgeschiedenen Urins. Mithilfe dieser Informationen kann die Ärzt*in die Blasenschwäche meist gut einordnen.

Belastungsinkontinenz. Jede zweite Frau mit Blasenschwäche leidet an einer Belastungsinkontinenz (früher auch Stressinkontinenz genannt). Dabei verliert die Betroffene Urin, ohne dass sie vorher einen Harndrang bemerkt hat. Der muskuläre Verschluss am Ausgang der Blase funktioniert nicht mehr gut, etwa weil die Beckenbodenmuskulatur schwach ist oder die Beckenbänder geschädigt sind. Dann genügt schon ein kleiner Druckanstieg in der Blase und die Betroffene verliert Urin. Der Druck in der Blase steigt an, wenn sich der Druck im Bauchraum erhöht. Dazu kommt es schon bei ganz normalen körperlichen Beanspruchungen wie Husten, Niesen oder dem Heben schwerer Gegenstände. Begünstigt wird die Belastungsinkontinenz durch eine Gebärmuttersenkung und Übergewicht.

Dranginkontinenz. Bei der Dranginkontinenz muss die Betroffene plötzlich ganz dringend auf die Toilette, ohne dass die Blase richtig gefüllt ist. Wer nicht schnell genug ist, verliert kleine Tropfen Urin, manchmal aber auch einen ganzen Schwall. Das passiert sowohl tagsüber als auch nachts. Auslöser ist eine Störung in der Blasenwandmuskulatur, z.B. durch Entzündungen, Blasensteine oder neurologische Erkrankungen wie Multiple Sklerose oder Parkinson. Beim Mann kommt als Ursache auch eine Prostatavergrößerung in Frage.

Mischinkontinenz. Hier leiden die Betroffenen unter beiden Formen der Blasenschwäche. Sie haben wie bei einer Dranginkontinenz auch bei nicht gefüllter Blase Harndrang und ungewollten Urinverlust. Außerdem verlieren sie Urin bei körperlicher Beanspruchung.

Überaktive Blase. Bei dieser Blasenschwäche zieht sich der Muskel am Blasenausgang immer wieder zusammen und lässt dann wieder los. Das Phänomen ist nervenbedingt oder psychisch. Die Patient*innen leiden unter sehr starkem, manchmal sogar schmerzhaftem Harndrang, der sie mehr als acht Mal täglich und auch nachts zur Toilette zwingt. Solange der Beckenboden noch funktioniert, können die Betroffenen den Urin aber noch willkürlich zurückhalten.

Daneben gibt es weitere Formen der Blasenschwäche. Befindet sich z.B. am Blasenausgang ein Tumor oder Blasenstein, entleert sich die Blase beim Wasserlassen nicht komplett. Es bleibt Urin in der Blase, d.h. die Menge an sog. Restharn steigt an. Die Blase ist überfüllt und kann überlaufen. Patient*innen haben meist einen dauerhaften Harndrang und verlieren ständig kleine Mengen an Urin. Andere Ursachen für Blasenschwäche sind Nervenerkrankungen wie z.B. die Querschnittlähmung. Dabei lösen Reflexe (etwa bei gefüllter Blase) das Pinkeln aus. Man spricht dann von einer Reflexinkontinenz.

Ist die Form der Blasenschwäche erkannt, wird nach der Ursache gesucht. Je nach Verdachtsdiagnose kommen spezielle Untersuchungen zum Einsatz. Dazu gehören z.B. die Restharnbestimmung und die Urinanalyse, z.T. auch Blutuntersuchungen zur Überprüfung der Nierenfunktion. Bei Frauen ist eine gynäkologische Untersuchung empfehlenswert, da Veränderungen im Becken häufig eine Blasenschwäche auslösen oder verstärken. Beim Mann ist die Untersuchung der Prostata obligat. In manchen Fällen sind auch Ultraschalluntersuchungen oder eine Blasenspiegelung nötig.

Was gegen die Blasenschwäche hilft

Liegt der Harninkontinenz eine Erkrankung zugrunde, wird diese entsprechend therapiert. Dies ist zum Beispiel bei der Prostatavergrößerung oder bei Blasensteinen der Fall. Häufig gibt es aber keine behandelbare Ursache. In diesen Fällen geht man den ungewollten Urinverlust in Stufen an. Basis sind folgende Allgemeinmaßnahmen:

  • Koffeinkonsum reduzieren. Kaffee, Cola und schwarzer Tee haben aufgrund des Koffeins eine ausschwemmende Wirkung. Bei manchen Betroffenen wird die Blasenschwäche besser, wenn sie diese Genussmittel vermeiden.
  • Übergewicht verringern. Zu viele Kilos erhöhen den Druck im Bauch und folglich auch den Druck auf die Blase. Abnehmen bessert deshalb vor allem die Belastungsinkontinenz.
  • Verstopfung behandeln. Starkes Pressen beim Stuhlgang belastet die Beckenbodenmuskulatur und schwächt diese auf Dauer.
  • Flüssigkeitszufuhr kontrollieren. Vor allem bei der überaktiven Blase kann es helfen, etwas weniger zu trinken. Aber Vorsicht, diese Maßnahme sollte man immer mit der Ärzt*in besprechen. Auf keinen Fall darf man aufgrund seiner Blasenschwäche eine Austrocknung (Dehydrataion) riskieren.
  • Mehr bewegen. Spazierengehen und auch Hausarbeit sind besser als Herumsitzen und Schonen. Denn auch moderate körperliche Bewegung stärkt den Beckenboden.
  • Ungünstige körperliche Belastungen vermeiden. Schweres Heben schadet dem Beckenboden, ebenso sind manche Sportarten ungünstig. Dazu gehören z.B. Trampolinspringen oder Crossfit-Training.
  • Rauchen aufgeben. Raucherhusten geht oft mit einer Belastungsinkontinenz einher.

Tipp: Manche Medikamente verursachen oder fördern eine Harninkontinenz. Dazu gehören Anticholinergika zur Behandlung von Atemwegserkrankungen oder Parkinson, muskelentspannende Mittel, indirekte Parasympathikomimetika oder Beruhigungsmittel. Mit der Ärzt*in sollte besprochen werden, ob diese Arzneimittel reduziert oder ersetzt werden können.

Blase oder Beckenboden trainieren

Auch Training kann bei einer Blasenschwäche helfen. Gestärkt werden dabei je nach Form der Blasenschwäche entweder die Blase selbst oder der Beckenboden.

Das Blasentraining hilft besonders gegen die Dranginkontinenz. Es zielt darauf ab, die Zeiträume zwischen den Toilettengängen zu verlängern. Zunächst versucht die Betroffene, nicht gleich beim ersten Anzeichen eines Harndrangs zur Toilette zu gehen. Schritt für Schritt wird der Gang zur Toilette immer länger verzögert. Hilfreich dabei sind Entspannungsübungen. Auf diese Weise vergrößert sich das Aufnahmevolumen der Blase, der Harndrang wird geringer und das Wasserlassen besser kontrolliert.

Intensives Beckenbodentraining ist dagegen die passende Maßnahme für eine Belastungsinkontinenz. Diese Übungen erlernt man am besten in einer Physiotherapie. Spüren Betroffene mit Belastungsinkontinenz ihre Beckenbodenmuskulatur nicht, kann die Elektrostimulation helfen. Dazu verschreibt die Ärzt*in spezielle Geräte, die über die Scheide oder den Dammbereich elektrische Impulse abgeben.

Tipp: In die Scheide eingelegte Pessare stabilisieren die Harnröhre von innen. Sie helfen besonders bei unwillkürlichem Urinverlust durch körperliche Belastungen im Rahmen einer Belastungsinkontinenz.

Medikamente gegen Urinverlust

Wenn allgemeine Maßnahmen und Training nicht zum erwünschten Erfolg führen, sind stärkere Geschütze geboten. Leider gibt es wenig Hilfe aus dem Reich der Pflanzen. Zwar werden zur Linderung der Beschwerden zahlreiche Extrakte angeboten. Klinische Studien mit eindeutigen Daten zur Wirksamkeit fehlen in den meisten Fällen. Für Kürbissamen gibt es aus einer Beobachtungsstudie mit 117 Betroffenen Hinweise, dass sie Frauen mit überaktiver Blase helfen können.

Anders sieht das mit synthetischen Arzneimitteln aus. Für die Dranginkontinenz und die überaktive Blase gelten Muskarinrezeptor-Antagonisten als effektive Option. Sie verringern spontane Mikrobewegungen in der Blasenwandmuskulatur und reduzieren den Harndrang. Allerdings blockieren die Wirkstoffe nicht nur die Muskarinrezeptoren in der Blase, sondern im gesamten Organismus. Deshalb haben diese Substanzen auch zahlreiche Nebenwirkungen. Dazu gehören u.a. Mundtrockenheit, Sehstörungen und Verstopfung. Oxybutynin führt bei älteren Menschen sogar zu Verwirrtheit und Denkstörungen, vor allem wenn es abgeschluckt wird.

Einige Muskarinrezeptor-Antagonisten (z.B. Tolterodin) sollen beinahe nur auf die Blase wirken und so weniger Nebenwirkungen auslösen. Letzteres gilt auch für Präparate, deren Wirkstoff verzögert freigesetzt wird, sog. retardierte Arzneistoffe.

Eine neue Therapieoption gegen Dranginkontinenz und eine überaktive Blase ist Mirabegron. Die Substanz bindet an Betarezeptoren in der Harnblasenmuskulatur und entspannt dadurch die Blase. Eingesetzt wird Mirabegron, wenn Muskarinrezeptor-Antagonisten nicht ausreichend wirken. Sie sind auch bei älteren Menschen geeignet, weil sie seltener Verwirrtheit oder Denkstörungen auslösen. Als Nebenwirkung ist allerdings eine Erhöhung des Blutdrucks zu beachten.

Ein Wirkstoff zur Behandlung der Belastungsinkontinenz ist das Antidepressivum Duloxetin, ein selektiver Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer. Es stärkt den Schließmuskel der Blase und erhöht ihr Fassungsvermögen. Dadurch kommt es seltener zu unwillkürlichem Urinverlust. Das hat allerdings auch bei Duloxetin seinen Preis: Typisch sind Nebenwirkungen im Verdauungstrakt wie Übelkeit, Bauchschmerzen, Durchfall oder Verstopfung. Vor allem bei psychisch nicht gesunden Menschen soll der Wirkstoff aber auch vermehrt Angst und innere Unruhe auslösen.

Mit Operationen an die Blasenschwäche

Manchmal helfen auch Medikamente nicht ausreichend. Ist der Leidensdruck hoch, sind interventionelle oder operative Verfahren eine Option.

Interventionelle Verfahren. Bei der überaktiven Blase und bei der Dranginkontinenz kann die Ärzt*in den Wirkstoff Onabotulinumtoxin A in die Blase instillieren. Dadurch entspannt sich die Blasenmuskulatur und der Harndrang wird weniger. Die Wirkung setzt jedoch erst zwei Wochen nach dem Eingriff ein und hält nur einige Wochen bis Monate an. Eine weitere Option bei überaktiver Blase ist die sakrale Neuromodulation. Dabei wird eine Art Schrittmachers in die Blase eingesetzt. Dieser sendet sanfte elektrische Impulse an den Sakralnerv, der die Blase versorgt. Auf diese Weise lässt sich sowohl eine Überaktivität als auch eine Unteraktivität der Blasenmuskulatur kontrollieren.

Operationen. Die Belastungsinkontinenz kann auch relativ einfach mit einer Band- oder Schlingen-Operationen behandelt werden. Dabei wird das natürliche Band, das die Harnröhre in ihrer Position hält, durch ein künstliches Band verstärkt. Eine weitere Möglichkeit ist das Injizieren von Gel in den Bereich des Harnröhrenabgangs von der Blase. Es entsteht ein Polster, das den Blasenausgang besser verschließt. Manchmal empfehlen die Ärzt*innen auch das operative Anheben des Blasenhalses. Ist bei Männern eine vergrößerte Prostata die Ursache der Blasenschwäche, hilft deren komplette oder teilweise Entfernung.

Quelle: S2k-Leitlinie Harninkontinenz der Frau

Von: Dr. med. Sonja Kempinski; Bild: mauritius images / Giuseppe Anello / Alamy / Alamy Stock Photos