Gesundheit heute

Übergewicht – ein Bilanzproblem

Wie viel Energie in Form von Fett abgelagert wird, ist eine Frage der Bilanz. Wir nehmen Energie in Form von Nahrung zu uns und geben sie durch Arbeit wieder aus. Als Arbeit zählt in diesem Fall jede Form der Bewegung ebenso wie der normale Haushalt des Körpers, z. B. Verdauung und Ruhestoffwechsel. Was unter dem Strich übrig bleibt, kommt aufs Konto – d. h. in die Fettzellen.

Damit ist der Fall Übergewicht eigentlich ganz einfach: Übergewicht entsteht, wenn über längere Zeit mehr Kalorien mit der Nahrung zugeführt als verbraucht werden. Übergewicht ist deshalb immer die Folge einer zu hohen Kalorienzufuhr und/oder zu geringer körperlicher Bewegung.

Die Balance zwischen Kalorienzufuhr und verbrauch ist sehr fein eingestellt: Um die 10 kg anzusammeln, die der durchschnittliche Erwachsene im mittleren Lebensalter zunimmt, reicht ein Energieüberschuss von 0,4 %! [231].

Energieverbrauch (Energieumsatz). Jeder Mensch braucht Energie, damit sein Körper funktionieren, sich erhalten und bei Kindern wachsen kann. Diese – meist in Kilokalorien (kcal, Kalorien) oder in Kilojoule (kJ) angegebene – Energie stammt ausschließlich aus der aufgenommenen Nahrung.

Zwei Drittel bis drei Viertel des täglichen Energiebedarfs benötigt der Körper allein zur Aufrechterhaltung der grundlegenden Lebensfunktionen, z. B. der Zellfunktionen oder der Durchblutung (Grundumsatz). Etwa 10 % der Energie werden direkt in Wärme umgewandelt (Thermogenese) – der größte Teil bei der Verdauung. Der Rest der aufgenommenen Energie wird benötigt, um die körperliche Aktivität abzudecken. Dieser Bewegungsumsatz ist der variabelste Posten in unserem Energiehaushalt. Bei den meisten Menschen macht die für Bewegung ausgegebene Energie nicht mehr als 25 % des Energieumsatzes aus; der Anteil kann aber – z. B. bei Leistungssportlern oder körperlich schwer arbeitenden Menschen – bis 50 % gehen. Bei den meisten Menschen spielen Alltagsaktivitäten wie Treppensteigen und Hausarbeit für den Bewegungsumsatz eine weit größere Rolle als schweißtreibende Anstrengungen wie etwa Sport.

Wie hoch der Grundumsatz eines Menschen ist, hängt vor allem von seiner Muskelmasse ab. Denn Muskeln verbrauchen auch in Ruhe viel Energie und ihre Masse ist – im Gegensatz zu den anderen Organen – von Mensch zu Mensch sehr verschieden. Frauen haben deshalb einen etwas geringeren Grundumsatz, und auch im Alter brauchen Menschen weniger Energie, da ihre Muskelmasse allmählich schwindet. Zudem wird der Grundumsatz auch von Stoffwechselfaktoren und möglicherweise von der Darmflora beeinflusst.

Der mittlere tägliche Energiebedarf eines etwa 35-jährigen, 70 kg wiegenden Mannes liegt mit 2 400 kcal auch deutlich höher als der einer gleichaltrigen Frau mit 2 000 kcal. Schwangere jedoch benötigen durchschnittlich 300 kcal und Stillende sogar ca. 650 kcal zusätzlich pro Tag. Nehmen wir mehr Energie auf, als wir verbrauchen, lagert der Körper die Energie in Fettzellen ein, in Form von Neutralfetten. Sie bestehen aus Fettsäuren und Glyzerin – die einzelnen Moleküle werden deshalb chemisch auch als Triglyzeride bezeichnet.

Die Fettzellen – sie liegen vor allem in der Unterhaut, aber auch im Bauchraum – füllen sich mit diesem Fett in Form feinster Tröpfchen auf. Der Speckgürtel wächst, die Fettzellen können dabei bis auf das 200-fache ihrer Größe anwachsen. Entgegen früherer Annahmen entstehen leider auch noch bei Erwachsenen neue Fettzellen. Die Fettmasse nimmt bei Erwachsenen in den Industrieländern zwischen 35 und 55 Jahren um durchschnittlich 10 kg zu [231]. Das hat zum einen mit der in der Lebensmitte abnehmenden Bewegung zu tun, zum anderen spielen hier auch hormonelle Faktoren mit: Ab dem 30. Lebensjahr nimmt die Menge der Wachstumshormone allmählich ab und damit auch die Muskelmasse. Beim Mann wird dieser Effekt durch den natürlicherweise fallenden Testosteronspiegel noch verstärkt. Damit sinkt der Kalorienbedarf ab dem dritten Lebensjahrzehnt um etwa 1 % pro Jahr.

Das Fettgewebe als Organ. Die Fettzellen sind aber nicht nur Speicherbehälter – sie unterhalten vielmehr enge Kontakte mit den anderen Organen, vor allem dem Gehirn. Diese Fernwirkung beruht darauf, dass Fettzellen ständig chemische Botenstoffe (Zytokine oder Adipokine) und Hormone bilden. Das Fettgewebe wird deshalb heute von den Medizinern als das größte Hormonorgan des menschlichen Körpers angesehen. Über die abgebildeten Botenstoffe beeinflusst das Fettgewebe vor allem unseren Appetit und unser Essverhalten. Gut gefüllte Fettzellen bilden z. B. das Hormon Leptin, das im Gehirn den Appetit reduziert. Die bei Übergewichtigen gemessenen Leptinspiegel im Blut sind entsprechend hoch. Leider funktioniert die durch Leptin vermittelte Sättigungsbremse aber nur eine Weile. Sind die Leptinspiegel nämlich dauerhaft erhöht, reagiert das Gehirn schwächer – der Appetit bleibt also trotz gut gefüllter Fettspeicher und hoher Leptinspiegel gut. Deshalb blieben Versuche erfolglos, Übergewicht mit Leptin-Spritzen zu behandeln.

Neben Leptin sind viele andere Botenstoffe an der Appetitsteuerung beteiligt. So wird z. B. der Botenstoff Ghrelin immer dann von der Schleimhaut des Magens ausgeschüttet, wenn der Pegelstand in den Fettzellen sinkt. Im Gehirn stimuliert Ghrelin das Appetitzentrum: Wir bekommen Hunger und Appetit. Wie viel Ghrelin ausgeschüttet wird, hat leider nichts mit dem Füllstand der Fettzellen zu tun, entscheidend ist nur, dass der Pegel abfällt – egal von welchem Ausgangsstand!

Das Fettgewebe bildet aber auch noch andere Hormone. So wandelt es z. B. die in der Nebenniere ständig in kleinen Mengen (auch bei Frauen) gebildeten männlichen Geschlechtshormone (Androgene) teilweise zu Östrogen um. Da Östrogene bei Kindern wachstumsfördernd und bei Mädchen zudem pubertätsauslösend wirken, wachsen übergewichtige Kinder schneller und kommen früher in die Pubertät. Nach den Wechseljahren der Frau, in denen die Östrogenproduktion der Eierstöcke nachlässt, kann sich das im Fettgewebe gebildete Östrogen durchaus positiv auswirken; gewichtige Frauen haben dann weniger Beschwerden und insbesondere ein geringeres Osteoporoserisiko als schlanke.

Von: Dr. med. Herbert Renz-Polster, in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014).
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Kind bezahlt mit späterer Krankheit

Wer seinem Baby Gutes tun möchte, beschränkt seinen Zuckerkonsum in der Schwangerschaft.

Kind bezahlt mit späterer Krankheit

Zuviel Zucker in der Schwangerschaft

Die Zeit von der Empfängnis bis zum zweiten Geburtstag ist entscheidend für die gesunde Entwicklung eines Kindes. Erhält es währenddessen zu hohe Mengen Zucker, drohen später Typ-2-Diabetes und Bluthochdruck.

Rationierung nach dem 2. Weltkrieg

Die ersten 1000 Tage im Leben eines Kindes gelten als eine ganz besonders sensible Phase für die gesundheitliche Entwicklung eines Kindes. Das ist zwar schon lange bekannt, wird aber zu selten beachtet. Eine aktuelle britische Studie untermauert nun eindrucksvoll, wie schwerwiegend die Folgen schlechter Ernährung in diesem Zeitraum sind.

Untersucht wurden darin Personen, die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in Großbritannien geboren worden waren. In dieser Zeit gab es dort eine staatliche Zuckerrationierung. Für Erwachsene – also auch für werdende Mütter – waren täglich maximal 40 g Zucker erlaubt.

Seltener Diabetes und Hochdruck

Das hatte positive Folgen für die Gesundheit: Die Kinder, die dadurch als Ungeborene weniger Zucker aufgenommen hatten, entwickelten im Erwachsenenalter deutlich seltener einen Typ-2-Diabetes oder einen Bluthochdruck als die Menschen, die der Rationierung nicht ausgesetzt waren, berichtet die Ernährungswissenschaftlerin Prof. Sandra Hummel.

Noch deutlicher wurde der schützende Effekt, wenn der Zuckerkonsum sowohl in der Schwangerschaft als auch in den ersten Lebensmonaten geringgehalten wurde. Diese Phase überschneidet sich mit der Einführung der Beikost und gilt als besonders sensibel. In den ersten sechs Lebensmonaten sollten Babys idealerweise überhaupt keinen zugesetzten Zucker bekommen, betonte die Expertin.

Nicht mehr als 15 bis 25 g Zucker am Tag

Auch später gilt es, den Zuckerkonsum zu bremsen. So wie Erwachsene sollten auch Kinder maximal 10% ihres Energiebedarfs als Zucker aufnehmen. Das sind je nach Alter, Geschlecht und Kalorienbedarf maximal 15 bis 25 g am Tag. Die Realität sind anders aus: Im Durchschnitt nehmen Kinder doppelt so viel Zucker zu sich, mahnte die Expertin.

Kinder müssen vor zu viel Zucker geschützt werden, fordern verschiedene Fachgesellschaften. Es ist dringend geboten, zuckerreiche Lebensmittel gezielt zu besteuern und die Werbung für ungesunde Kinderprodukte zu verbieten. „Zucker darf nicht länger ein günstiger Füllstoff für Kinderlebensmittel sein. Wir brauchen gesetzliche Vorgaben, die die Gesundheit der nächsten Generation schützen“, betont Hummel.

Quelle: Pressemeldung DDG und DGE

Von: Dr. med. Sonja Kempinski; Bild: mauritius images / Ambrozinio / Alamy / Alamy Stock Photos