Gesundheit heute

Wie sich unsere Essensvorlieben ausbilden

Dass der Mensch bei seiner evolutionären Strategie auf Intelligenz setzt, hat ihm immerhin eines eingebracht: Er kann im Gegensatz zu allen anderen Säugetieren in praktisch allen Klimazonen leben (neuerdings sogar in einer kleinen Weltraumstation). Dabei kommt ihm auch eine zweite Eigenschaft zupass, nämlich dass er ein breites Nahrungsangebot tierischer und pflanzlicher Herkunft nutzen kann. Das macht ihn zwar flexibel, was die Wahl seines Lebensraums angeht (der auf Bambussprossen spezialisierte Pandabär ist nicht ohne Grund vom Aussterben bedroht), stellt den Menschen aber vor ein Dilemma – das Dilemma des Generalisten: Ein großer Teil der vorgefundenen Nahrung ist giftig, weil Pflanzen gegen das Gefressenwerden irgendwann eine chemische Abwehr aufgebaut haben. Sie sind bitter, unverträglich – oder sogar tödlich giftig. Wie lernt der Mensch die jeweils richtigen Nahrungsmittel zu bevorzugen?

Ganz grob gesagt, sind drei – teils kulturell, teils biologisch bedingte – Einflüsse an der Ausbildung unseres Geschmacks beteiligt.

Erstens: Universelle Vorlieben

Jedes Kind, ob aus München oder Manila, bewertet aufgrund angeborener biologischer Vorlieben drei Geschmacksqualitäten positiv: süß (ab dem 1. Tag), salzig (ab dem 4. Monat) und umami („fleischig“, etwa ab dem 6. Monat). Die zwei übrigen Geschmacksqualitäten dagegen werden zumeist negativ bewertet: bitter (steht für „womöglich giftig“) und sauer (steht für „unreif“, d. h. kalorisch minderwertig, und manchmal auch für „womöglich verdorben“). Auch wenn keine speziellen Geschmackszellen für Fett bekannt sind, wird fette Nahrung schon von Kindern in allen Kulturen bevorzugt. Dies liegt daran, dass Fett alle positiven Geschmacksqualitäten verstärkt – fetthaltige Nahrung schmeckt einfach intensiver. Dass Menschen Kalorienbomben wie Schokolade und Chips bevorzugen, hat also einen biologischen Hintergrund [208; 209].

Eine weitere allgemein gültige Voreinstellung ist der Garcia-Effekt: Hat ein Nahrungsmittel einmal Übelkeit oder Erbrechen ausgelöst, so wird dieses langfristig abgelehnt. Eine einzige schlechte Erfahrung reicht dabei aus, um das jeweilige Nahrungsmittel jahrelang zu meiden – zumindest bei Kindern.

Ein weiterer Einfluss, der die Nahrungsvorlieben aller Kinder prägt, ist die Neophobie – Kinder meiden bisher unbekannte Nahrungsmittel. Sie folgt einem bei allen Kindern in etwa ähnlichen zeitlichen Verlauf: Im Alter von 4–6 Monaten ist sie am wenigsten ausgeprägt; Säuglinge akzeptieren in diesem Zeitraum praktisch alles, was ihnen angeboten wird [210]. Ab etwa dem 18. Monat verengt sich der Wahlhorizont allmählich; mit 4–5 Jahren ist er am engsten. Kinder sind dann wirklich schlechte Esser. Erst zwischen 8 und 12 Jahren weitet sich der Wahlhorizont wieder. Dieser Verlauf erklärt sich evolutionsbiologisch so: Während das Kind gestillt wird und in unmittelbarer Nähe der Mutter lebt, soll sein Geschmackshorizont breit sein – die Mutter sorgt schließlich mit ihrer Vorauswahl dafür, dass das, was das Kind zu essen bekommt sicher ist. Ganz anders, wenn das Kind die – an Giftstoffen nicht arme – Umwelt auf eigenen Beinen erforscht: Dann wird eine Verengung des Wahl- und Geschmackshorizonts zu einer Frage des Überlebens. Alles, was unbekannt ist, muss jetzt gemieden werden – insbesondere wenn es dazu noch grün ist oder bitter schmeckt. Erst wenn die inneren Organe reifer sind (d. h. weniger anfällig gegenüber Giftstoffen) und wenn die Nahrungsauswahl durch kulturelles Lernen abgesichert ist, kann sich der Geschmacks- und Wahlhorizont wieder öffnen. Wenn Kinder schlecht essen, dann tun sie das also nicht unbedingt in mutwilliger Absicht.

Zweitens: Individuelle Vorlieben

Je nachdem, wo Kinder aufwachsen, essen sie spätestens im Schulalter Maden, gegrillte Vogelspinnen, Hamburger oder Knödel – und finden sie lecker. Diese flexible geschmackliche Anpassung an das Nahrungsangebot ist für uns Menschen überlebenswichtig: Wer den nicht giftigen Teil der essbaren Umwelt nicht irgendwann geschmacklich positiv bewertet, hat für seine Ernährung schwerwiegende Nachteile – zumindest unter den knappen Umweltbedingungen, wie sie für den Menschen in seiner evolutionären Umwelt typisch waren und noch heute vielerorts sind.

Die geschmackliche Anpassung erfolgt dabei bisweilen unter extremen Sonderbedingungen. Scharf essen ist dort sinnvoll, wo Nahrungsmittel schnell verderben, denn scharfe Gewürze können Keime und Parasiten abtöten. Andenbewohner essen z. B. wilde Kartoffeln zusammen mit Lehm – das hilft die giftigen Inhaltsstoffe der Kartoffeln zu neutralisieren.

Soziales Lernen. Einen starken Einfluss auf das, was wir essen, hat die Gewöhnung – wir sprechen nicht umsonst von Ernährungsgewohnheiten. Experimente zeigen, dass Kinder, die ein Nahrungsmittel zunächst ablehnen, dieses doch annehmen, wenn es ihnen an aufeinanderfolgenden Tagen noch 8–10 weitere Male angeboten wird.

Was Experimente auch zeigen: Kindern fällt es leichter, das zu akzeptieren, was die Erwachsenen am Tisch lecker finden – Kinder orientieren sich bei der Entwicklung ihres Geschmacks auch an Vorbildern. So probieren 1- bis 4-Jährige ein neues Nahrungsmittel doppelt so häufig, wenn ein freundlicher Erwachsener davon zuerst nimmt. Dieses Lernen in der Gemeinschaft heißt auch soziales Lernen.

Wir essen also bestimmte Nahrungsmittel nicht deshalb, weil sie uns schmecken, sondern sie schmecken uns, weil wir sie immer wieder essen.

Drittens: Genetische Unterschiede

Aber auch genetische Unterschiede spielen eine Rolle: Rund ein Viertel der Mitteleuropäer (darunter mehr Frauen als Männer) sind so genannte Supertaster – sie haben besonders viele Geschmacksrezeptoren für Bitterstoffe auf der Zunge und reagieren sehr sensibel auf Geschmacksreize. Manches Kind, das schlecht isst, dürfte zu dieser Gruppe gehören. Im Erwachsenenalter sind Supertaster dagegen häufiger unter den Köchen zu finden.

Von: Dr. med. Herbert Renz-Polster in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014).
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Helfen Vitamine dem Gehirn?

Zum Fithalten der grauen Zellen empfehlen Experten vor allem tägliches Gehirnjogging - z.B. mit Kreuzworträtseln.

Helfen Vitamine dem Gehirn?

Wenn graue Zellen altern

Mit dem Alter verändert sich nicht nur der Körper. Auch die Leistung des Gehirns nimmt Schritt für Schritt ab. Multivitaminpräparate sollen dabei helfen, diese kognitiven Verluste zu verlangsamen.

Informationen werden langsamer verarbeitet

Älterwerden schlägt auch aufs Gehirn: Ab etwa 60 Jahren verarbeitet es neue Informationen langsamer, und Gedächtnislücken treten häufiger auf – das ist ganz normal. Ob die Einnahme von Multivitaminpräparaten dem Gedächtnisverlust entgegenwirkt, wurde in einer mehrteiligen US-amerikanischen Studie geprüft.

Mehr als 5000 Erwachsene nahmen dafür über zwei bis drei Jahre hinweg täglich entweder ein Präparat aus 20 essenziellen Mikronährstoffen oder ein Scheinmedikament ein. Schon in den ersten beiden Vorstudien ließen sich positive Effekte auf die Kognition erkennen – die Hirnleistungstest waren jedoch nur am Telefon und am PC durchgeführt worden.

Gehirnalterung um zwei Jahre verzögert?

In einer dritten Studie wurden die kognitiven Fähigkeiten genauer unter die Lupe genommen. Dazu testeten die Forscher*innen die allgemeine Kognition und das Gedächtnis bei 500 Proband*innen persönlich mit verschiedenen neuropsychologischen Verfahren. Auch in dieser Studie zeigte sich ein zumindest leichter positiver Effekt der Präparate: Diejenigen Proband*innen, die täglich Multivitamine geschluckt hatten, schnitten in puncto Gedächtnis etwas besser ab als diejenigen, die nur ein Scheinmedikament erhielten.

In einer Metaanalyse bewertete das Team dann die Ergebnisse aller drei Untersuchungen zusammen. Dabei errechnete es, dass das Multivitaminpräparat im Vergleich zum Scheinmedikament die Alterung der Gehirnfunktion (kognitive Alterung) um etwa zwei Jahre verzögert hatte.

Noch zu früh für eine Empfehlung

Soll jetzt jeder täglich zu einer Extraportion Vitamintabletten greifen? Kritiker*innen der Studie betonen, dass es für eine generelle Empfehlung zu früh sei und diese Ergebnisse erst durch weitere Studien unterstützt werden müssen. Zumal es bisher kaum Hinweise darauf gibt, dass Vitamine die Hirnfunktion im Alter verbessern können. Zudem raten sie, die regelmäßige Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln prinzipiell zunächst mit der Hausärzt*in zu besprechen.

Zum Glück gibt es noch andere Möglichkeiten, dem kognitiven Verlust im Alter entgegenzuwirken. Dazu gehören eine gesunde Ernährung, Bewegung und das Gehirn täglich zu fordern und zu trainieren.

Quelle: arznei-news.de

Von: Dr. med. Sonja Kempinski; Bild: mauritius images / Image Source