Gesundheit heute

Papa im Kreißsaal – ja oder nein?

Anfang der 1970er Jahre war der werdende Vater im Kreißsaal die Ausnahme. Nur etwa jeden fünften Mann zog es zur Geburt des gemeinsamen Kindes an die Seite seiner Frau. Die Übrigen wären nicht im Traum auf diese Idee gekommen – es war einfach nicht üblich. Heute ist dagegen von Anfang an in den meisten Fällen klar: Der Vater muss dabei sein – muss er?

Gratulieren, wenn alles vorbei ist: Diese Vaterrolle gehört noch gar nicht so lange der Vergangenheit an. Während aber die Vaterpräsenz bei der Geburt für viele werdende Eltern schon fast nicht mehr hinterfragt wird, sehen Fachkreise inzwischen auch die Nachteile. Es ist deshalb gut, wenn sich jedes Paar bewußt darüber verständigt, was sie voneinander erwarten in diesen entscheidenden Stunden.

Im Zuge der sich neu definierenden Geschlechterrollen sind heutzutage neun von zehn Männern bei der Geburt anwesend und erleben mit, was jahrhundertelang als reine Frauensache galt. Und nicht selten berichten sie hinterher von dem Moment, als ihr erstes Kind das Licht der Welt erblickt hat, als dem großartigsten in ihrem Leben.

Aber es gibt ernst zu nehmende Kritik an dieser Geburtspraxis. Der französische Mediziner Michel Odent, Vorreiter der sanften Geburt, der vor 30 Jahren die Entbindung im Wasser propagierte, resümiert inzwischen: Väter im Kreißsaal sind häufig ein Hindernis. Im Bemühen, der Partnerin Schmerz zu ersparen, lenke der Mann die Frau von der schwierigen Aufgabe des Gebärens ab. Hilflos redet der stark angespannte Mann auf die Frau ein, fragt, was in ihr vorgeht und zwingt sie so, mit der intellektuellen Seite ihres Gehirns präsent zu bleiben. Doch das erschwert die Geburt, denn der Geburtsakt erfordert ein ungehemmtes Hören auf den Körper. Jedes Ansprechen des Verstands kann den Wehenverlauf stören. Zudem lässt sich die Frau von der Angst des Partners ablenken und fühlt sich für sein Wohl noch mitverantwortlich. Die Folge: Frauen verlangen öfter nach Schmerzmitteln. Und auch die Rate von Kaiserschnitten ist mit dem Einzug der Männer in die Kreißsäle gestiegen.

Bei einer Befragung englischer Mütter gaben 41 % an, sie hätten im Nachhinein lieber auf die Anwesenheit ihres Mannes verzichtet, weil er der Situation nicht gewachsen schien und sie zu sehr um ihn besorgt waren.

Viele Ärzte und Hebammen betonen aber auch, wie positiv sich das Miteinander von Mann und Frau im Kreißsaal gestalten kann. Gut sei jedoch, wenn ein Paar im Vorfeld abmacht, die Geburt nicht um jeden Preis gemeinsam durchzustehen.

Für Hebammen und Ärzte ist es heutzutage schwierig, einen Mann aus dem Kreißsaal zu schicken, selbst wenn sie sehen, dass es für die Frau besser wäre. Der nunmehr über 70-jährige Michel Odent rät den Hebammen zum Eingreifen: „Schickt die Männer zum Kaffeetrinken, wenn sie stören.“ Der werdende Vater in der Nähe, aber nicht unbedingt und die ganze Zeit im Kreißsaal dabei, ist für viele Paare unter Umständen die passendere Alternative.

Von: Arne Schäffler in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014).
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Was steckt hinterm Sommerbaby-Boom?

Die meisten Eltern wünschen sich ein Frühjahrs- oder Frühsommerbaby.

Was steckt hinterm Sommerbaby-Boom?

Klima, Pille, Weihnachten

Früher war das Frühjahr die Zeit der Geburten — doch seit etwa 40 Jahren kommen die meisten Kinder im Sommer auf die Welt. Was steckt dahinter? Die Hypothesen reichen von der Pille bis zum Klimawandel.

Gute Ernte, neues Kind

Die Über-50-Jährigen merken es alle Frühjahre wieder, wenn sich im Kreis der Gleichaltrigen Geburtstagfeier an Geburtstagsfeier reiht: Bis in die 70er-Jahre erblickten Kinder vor allem in den Monaten Februar, März und April das Licht der Welt. Als Erklärung dafür muss die Landwirtschaft herhalten. Denn war im Sommer die Ernte gut, konnte sich die Familie ein weiteres Kind leisten — und das kam dann neun Monate später im Frühjahr zur Welt.

Gute Sitten: Frühjahrsbaby

Auch die guten Sitten bevorzugen Frühjahrsbabys: Sex vor der Ehe war ein Tabu, und geheiratet wurde im Sommer. Erst danach gings mit Volldampf in die Kinderproduktion. Doch seit einigen Jahrzehnten wackelt das frühjährliche Geburten-Hoch und der Sommer verzeichnet die meisten Neuankömmlinge. 2019 war beispielsweise Juli der geburtenstärkste Monat, dicht gefolgt vom August und vom September.

Demografen rätseln, was hinter diesem Wandel steckt. Womöglich sind die die wilden 60er-Jahre, ihre Enttabuisierung von Sex und die Entkopplung von Sex und Ehe eine Erklärung. Zudem sind seitdem Geburten durch die Pille planbarer. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht, erklärt Joshua Wilde vom Max-Planck-Institut für demografische Entwicklung. Denn die meisten Eltern wünschen sich die Geburt ihres Nachwuchses in Frühjahr oder Frühsommer. Die Pillen-Theorie würde also eher zu einer Vermehrung der Frühjahrsbabys führen.

Weihnachtszeit, Familienzeit …

Weihnachten scheint beim Geburtengipfels ebenfalls mitzumischen: 9 Monate nach den Festtagen werden seit 40 Jahren durchschnittlich die meisten Kinder geboren. Allerdings nicht von muslimischen oder christlichen Frauen, wie ein israelischer Wissenschaftler herausfand. Bei ihnen zeigt sich kein postweihnachtliches Geburtenhoch im September. Anzumerken ist, dass es auch schon früher ein kleines septemberliches Zwischenhoch gab — und das Fest von Christi Geburt offenbar schon immer zu Zweisamkeit anregte. Gegen die Weihnachtstheorie als verstärkender Faktor spricht außerdem, dass auch viele Länder auf der Südhalbkugel den Wechsel von Frühjahrs- auf Sommerbabys vollzogen haben.

Hitzewelle stört die Zeugung

Demografieforscher Joshua Wilde führt stattdessen den Klimawandel als Erklärung ins Feld. Die immer stärker werdende Sommerhitze erschwert Schwangerschaften, die im Sommer entstehen, es drohen vermehrt Fehlgeburten. Das könnte erklären, warum Sex im Sommer weniger Folgen hat und im Frühjahr weniger Kinder das Licht der Welt erblicken.

Immerhin passt diese Erklärung dazu, dass das Phänomen der boomenden Sommerbabys auch in vielen europäischen Ländern und in den USA zu beobachten ist. Hitzewellen und immer wärmeres Wetter gebe es weltweit, betont Wilde. Doch auch für diese Hitze-Hypothese gibt es Gegenargumente: West- und Ostdeutschland gleichen sich im Klima, haben aber die Entwicklung von Frühjahrs- zu Sommerbabyboom zeitversetzt durchgemacht: Der Westen in den 80er-Jahren, der Osten erst seit den 90ern.

Quelle: Ärztezeitung

Von: Dr. med. Sonja Kempinski; Bild: t.max/Shutterstock.com