Gesundheit heute

Artgerechte Ernährung

Wo sich so viele Diäten und Ernährungsformeln als die beste Ernährung anbieten, ist der Blick zurück zu den Wurzeln unserer Ernährung verständlich. Sollte nicht das, was homo sapiens schon immer gegessen hat, die beste Richtschnur für gesundes Essen sein?

So beruft sich manche neue Diät auf eine Art Urnahrung (natürliche Ernährung), die auf der Ernährungsweise unserer jagenden und sammelnden Ahnen basieren soll – oft mit widersprüchlichen Argumenten.

Gesichert ist, dass sich der Speiseplan unserer Vorfahren immer wieder wandelte [202]: Waren die affenähnlichen Vorfahren des Menschen vor allem Pflanzenesser, so ist der anatomisch moderne Mensch nach Aufbau seines Gebisses und seines Verdauungstrakts als Mischköstler einzuordnen. Geoklimatische Erwägungen und völkerkundliche Beobachtungen an Jäger- und Sammlergesellschaften legen nahe, dass der Fleischanteil regional stark schwankte – bei der Besiedelung Amerikas über die Beringstraße etwa mussten sich die Einwanderer vor allem auf Fisch und Fleisch verlassen, wie auch heute noch die Inuit. Als Durchschnittswert gilt, dass die meisten Volksgruppen der Steinzeit 30–40% ihrer Kalorien aus Fleisch gewannen.

Entscheidend änderte sich das mit dem Eintritt in die Sesshaftigkeit vor 6000–10000 Jahren. Durch die Zucht ertragreicher Gräser (Getreide) änderte sich die Art der zugeführten Kohlenhydrate stark. Die Gesamtmenge der Kohlenhydrate blieb dagegen in etwa gleich. Später kamen auch Tiermilch und Mastfleisch auf den Speisezettel. Untersuchungen des menschlichen Erbguts zeigen, dass diese neueren Änderungen unseres Speisezettels Spuren hinterlassen haben. So sind immerhin 28% der genetischen Unterschiede zwischen den Menschen in den verschiedenen Regionen Europas auf Ackerbaugene zurückzuführen, also auf Gene, die sich erst mit der Sesshaftigkeit ausbreiteten [203].

Um das Nahrungsangebot optimal verwerten zu können, passte sich der Mensch genetisch ein Stück weit den neuen Möglichkeiten an: Beispiel Milchzuckerunverträglichkeit (Laktoseintoleranz). Ursprünglich hatte es für den Menschen keinen Sinn, die zur Verdauung von Milchzucker benötigten Enzyme ein Leben lang vorzuhalten – die einzige Quelle von Milchzucker war schließlich die Muttermilch. Das änderte sich mit der Einführung der Viehhaltung – jetzt war es von Vorteil, auch im späteren Leben Laktose verwerten zu können. Diejenigen unserer Vorfahren, die den Milchzucker 100% verwerten konnten, hatten einen Überlebensvorteil. Und so änderte sich bei den Viehhaltern durch natürliche Ausleseprozesse nach und nach die Verdauung. Das Resultat: Während Volksgruppen ohne Viehzuchttradition (wie etwa viele afrikanische Volksstämme oder die meisten Asiaten) den in allen Tiermilcharten enthaltenen Milchzucker nicht vertragen, können die Nachfahren von Viehhaltern – so die meisten Europäer – Milch lebenslang als Nahrungsquelle nutzen.

Und das umso eher, je weiter nördlich sie leben, denn je weniger Sonnenlicht den Menschen zur Verfügung stand, desto entscheidender war der Vorteil, den die Milch brachte. Schließlich ist diese nicht nur eine zusätzliche Nahrungsquelle, sondern sorgt durch ihren Kalziumgehalt auch für stärkere Knochen und ein besseres Wachstum – ein riesiges Plus in den an Sonnenlicht armen Klimazonen, in denen die Gesundheit der Knochen immer von Rachitis bedroht ist. Kein Wunder also, dass praktisch alle Skandinavier Milch gut vertragen, während das im Süden Europas nur für 2/3 der Bevölkerung gilt.

Beispiel Kohlenhydrate. Da die Sesshaftigkeit für manche Volksgruppen früher, für andere später begann, lassen sich weitere Unterschiede im Stoffwechsel feststellen. So reagieren etwa die Nachfahren von nicht Ackerbau betreibenden Völkern (etwa die Ureinwohner Australiens oder Amerikas) auf eine Ernährung, die auf Getreidestärke basiert, mit einer starken Neigung zum metabolischen Syndrom und Diabetes. Die seit tausenden von Jahren an Ackerbau gewöhnten Europäer dagegen scheinen mit der modernen Ernährung besser zurechtzukommen.

Es gibt keine „beste Ernährung“

Aber nicht nur die von Mensch zu Mensch unterschiedliche genetische Voreinstellung spricht gegen die Auffassung einer für alle Menschen idealen oder gar artgerechten Ernährung. So reagieren Männer und Frauen nicht nur auf Alkohol unterschiedlich, sondern auch auf „reguläre“ Nahrungsbestandteile wie bestimmte Fette oder Öle. Dazu kommt, dass Ernährung immer auch auf das sonstige Leben eines Menschen zugeschnitten sein muss. Eine Ernährung, die für Menschen optimal war, die pro Tag 30 km wanderten, ist nicht optimal für einen Menschen, der von morgens bis abends sitzt.

Ernährung mag der Schlüssel zur Gesundheit sein, aber er muss auch zum Schloss passen – und das ist von Mensch zu Mensch anders.

Zudem ist das Konzept einer Steinzeitdiät kaum auf die heutige Zeit übertragbar: Die Fleischquelle etwa waren Wildtiere – diese haben einen um 90% geringeren Fettanteil als Nutztiere, und während das Fett der Masttiere vor allem gesättigtes Speicherfett darstellt, besteht das Fett wilder Tiere größtenteils aus mehrfach ungesättigten Fettsäuren, allen voran den Omega-3-Fettsäuren. Und selbst wenn mageres Wildfleisch unsere artgerechte Ernährung wäre – wie sollten heute sieben Milliarden Menschen von Kaninchen, Rehen und Antilopen leben?

Von: Dr. med. Herbert Renz-Polster in: Gesundheit heute, herausgegeben von Dr. med. Arne Schäffler. Trias, Stuttgart, 3. Auflage (2014).
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Vitamin-A-Mangel vorbeugen

Vegane Mütter begeistern ihren Nachwuchs schon früh für Karotten & Co.

Vitamin-A-Mangel vorbeugen

Für Schwangere und Veganer*innen

Wer regelmäßig Milchprodukte, Eier und Fleisch isst, braucht sich um seinen Vitamin-A-Haushalt keine Gedanken zu machen. Doch wie sieht das bei veganer Ernährung aus? Und was müssen Schwangere beachten?

Plazenta und Embryo brauchen Vitamin A

Vitamin A hat im Körper viele Aufgaben: Es ist unentbehrlich für das Sehen und fördert den Aufbau von Knochen, Haut und Bindegewebe. Auch für das Immunsystem ist Vitamin A wichtig. Zudem entschärfen Vorstufen des Vitamins die aggressiven Sauerstoffverbindungen, die in unserem Organismus fortlaufend durch ganz normale Stoffwechselprozesse entstehen.

Eine weitere Funktion hat Vitamin A beim Aufbau der Plazenta und der Reifung des ungeborenen Kindes. Deshalb brauchen Schwangere auch 2050 % mehr Vitamin A als nicht-schwangere erwachsene Frauen, deren Tagesbedarf bei etwa 0,8 mg liegt. Grundsätzlich lässt sich das durch die Nahrung erreichen, praktisch geschieht das aber eher selten.

Vitamin-A-Supplemente statt Leber

Der früher oft erteilte Rat, viel Vitamin-A-reiche Leber zu essen, ist heute sogar gefährlich: Schlachttiere bekommen oft sehr hohe Mengen an Vitamin A zugefüttert. Die hohen Dosen, die sich dann in der Leber ansammeln, können beim Embryo zu Fehlbildungen führen.

Um den vermehrten Bedarf sicher zu stellen, empfehlen Expert*innen heute, ab dem 4. Schwangerschaftsmonat 3.000 Internationale Einheiten Retinol-Äquivalente zuzuführen (Retinol ist die Transportform des Vitamin A im Körper).

Veganer schützt Provitamin

Doch nicht nur Schwangere sollten sich Gedanken über Vitamin A machen. Weil das Vitamin ausschließlich in tierischen Produkten wie Eier, Milch, Käse, Leberwurst und fettem Fisch vorkommt, droht Veganer*innen eine Unterversorgung. Mit ausreichend Obst und Gemüse muss es dazu aber nicht kommen. Süßkartoffeln, Aprikosen, Mangos, Karotten, Paprika und Spinat enthalten die Vitamin-A-Vorstufe Beta-Carotin, die der Körper zu Vitamin A umwandelt. Um ausreichend davon herzustellen, benötigt der Organismus jedoch täglich doppelt so viel Beta-Carotin wie Vitamin A.

Für Veganer*innen, die ihren Vitamin-A-Haushalt durch Supplemente sichern wollen, gibt es spezielle Produkte (z. B. ohne Weichgelatinekapseln oder ohne Retinolbestandteile aus tierischer Quelle). Zur besseren Übersicht sollte man sich dazu in der Apotheke beraten lassen.

Quelle: pta heute

Von: Dr. med. Sonja Kempinski; Bild: everst/shutterstock.com