Gesundheit heute

Autismus-Spektrum-Störung

Autismus-Spektrum-Störung (ASS, Autismus): Tiefgreifende Entwicklungsstörung, die bereits im Kindesalter auftritt und sich äußert durch Probleme in der sozialen Interaktion, Probleme in der sprachlichen und nicht-sprachlichen Kommunikation sowie eingeschränkten Interessen und Aktivitäten mit stereotypen Verhaltensweisen.

Früher wurde in der Regel nur von Autismus gesprochen. Autismus-Spektrum-Störungen äußern sich jedoch sehr unterschiedlich, sodass im deutschen Sprachraum drei Typen unterschieden werden:

  • Schwerer frühkindlicher Autismus (Kanner-Syndrom)
  • Milderes Asperger-Syndrom (häufigste ASS)
  • Atypischer Autismus, der weder zum einen, noch zum anderen Typ passt. Es fehlen etwa einige Leitsymptome der frühkindlichen Form oder das typische Bild zeigt sich erst nach dem dritten Lebensjahr.

Die Übergänge sind fließend, sodass eine eindeutige Zuordnung zu einem Typ oft nicht möglich ist. Neue internationale Krankheitsklassifikationen (DSM V und ICD 11) gehen deshalb von einem Kontinuum aus und sprechen nur noch von Autismus-Spektrum-Störung. Im klinischen Alltag, aber auch in der Frühförderung und Sonderpädagogik, werden weiter die oben genannten Typen unterschieden.

Die Behandlung umfasst ein multimodales Konzept aus Frühförderung, Familienberatung, Psychotherapie und je nach Beschwerden auch Medikamenten. Der Verlauf ist sehr variabel. Bei manchen Betroffenen gehen die Symptome im Erwachsenenalter zurück, bei anderen verstärken sie sich sogar. Häufig ist eine lebenslange Betreuung notwendig.

Symptome und Leitbeschwerden

Frühkindlicher Autismus:

  • Beeinträchtigte Kontaktaufnahme und Kommunikation (bereits im Säuglingsalter)
  • Reduzierter Blickkontakt, aussagearmer Gesichtsausdruck, fehlendes soziales Lächeln
  • Passivität, bevorzugtes Alleinsein, wenig Nachahmen
  • Stark verlangsamte Sprachentwicklung, 50 % der Kinder fangen gar nicht an zu sprechen
  • Stereotypes Wiederholen bestimmter Abläufe oder Bewegungen
  • Häufig Fixierung auf bestimmte Objekte, Aktivitäten und zeitliche Abläufe
  • Häufig Intelligenzminderung bis hin zur geistigen Behinderung.

Asperger-Syndrom:

  • Auffällig erst ab dem dritten Lebensjahr
  • Flüchtiger Blickkontakt, aussagearmer Gesichtsausdruck
  • Normale geistige und sprachliche Entwicklung
  • Oft spezielle Stärken oder Inselbegabungen, z. B. im Gedächtnis oder der Wahrnehmung
  • Oft zusätzliche Symptome von ADS/ADHS.

Wann in die Kinderarztpraxis

  • Wenn Sie über längere Zeit das Gefühl haben, dass Ihr Kind nicht normal mit Ihnen als Mutter oder Vater interagiert und kommuniziert
  • Wenn die Kindertagesstätte Sie darauf aufmerksam macht, dass Ihr Kind sich in seiner Kommunikation und seinem Spielverhalten auffällig verhält
  • Wenn Sie das Gefühl haben, dass sich das Kind nicht altersgerecht entwickelt, also zum Beispiel nicht zu sprechen beginnt.

Die Erkrankung

Krankheitsentstehung

Autismus-Spektrum-Störungen lassen sich nicht, wie früher angenommen, auf eine gestörte Eltern-Kind-Beziehung zurückführen. Vielmehr liegen ihm Auffälligkeiten in der Struktur, Entwicklung, Funktion oder Organisation des Gehirns zugrunde. Dessen Ursachen sind letztlich unklar.

Ein (teilweiser) erblicher Hintergrund gilt als erwiesen. Geschwister von autistischen Kindern haben etwa ein 5%iges Risiko, selbst autistisch zu sein. Zudem könnten äußere Einflüsse wie etwa Schädigungen im Mutterleib oder unter der Geburt eine Rolle spielen.

Früher wurde häufig die Masern-Mumps-Röteln-Impfung für die Erkrankung verantwortlich gemacht. Diese Hypothese ist heute nachgewiesenermaßen widerlegt.

Komplikationen

Viele Kinder leiten an Begleiterkrankungen wie ADS/ADHS, Angststörungen, Tics und Zwangsstörungen sowie Epilepsie. Auch funktionelle Störungen treten häufig auf, etwa Ernährungsprobleme, nächtliches Einnässen, Schlafstörungen und Verstopfung.

Diagnosesicherung

Die Diagnose der Autismus-Spektrum-Störung wird dadurch erschwert, dass einzelne Symptome für sich allein noch normal sein können. Erst wenn mehrere der oben genannten Verhaltensweisen gleichzeitig bestehen, ergibt sich ein Verdacht. In diesem Fall sollte die Kinderärzt*in an eine Fachärzt*in überweisen. Dieser stehen zur Diagnose standardisierte Beobachtungsskalen zur Verfügung, etwa ADOS, CARS oder ADI-R. Mithilfe von Laboruntersuchungen, Kernspin und EEG kann die Ärzt*in organische Ursachen ausschließen. Auch sollten die Kinder auf Hör- und Sehstörungen getestet werden. Eine sichere Diagnose ist dennoch meist erst ab dem 18. Lebensmonat möglich.

Differenzialdiagnosen. In der Praxis stellt sich oft der Verdacht auf die Differenzialdiagnose ADHS oder ADS. In der Tat sind Aufmerksamkeitsstörungen für beide Erkrankungen typisch. Zur Differenzierung stellt die Ärzt*in folgende Überlegungen an:

  • Gegen ADHS und ADS sprechen die Fixierung auf einige wenige Aktivitäten, das fokussierte detailorientierte Spielverhalten und "inselartige" Stärken und Begabungen.
  • Gegen eine Autismus-Spektrum-Störung sprechen schwache Impulskontrolle (wie z. B. das schnelle Aufkommen von Wutanfällen bei Frustrationen) und Hyperaktivität. Auch "Desorganisation" im Alltag und Sprunghaftigkeit in Denken und Handeln sind nicht typisch.

Autismusähnliches Verhalten zeigen Kinder auch bei Verwahrlosung oder Misshandlung. In diesen Fällen verschwindet das autismusähnliche Verhalten jedoch, wenn das Kind in eine intakte und fördernde Umgebung wie z. B. eine geeignete Pflegefamilie kommt.

Auch andere neurologische oder körperliche Erkrankungen führen zu Verhaltensstörungen und Intelligenzminderung, die dem ASS ähneln. Dazu gehören beispielsweise Schizophrenie, das fetale Alkoholsyndrom, Stoffwechselerkrankungen wie die Phenylketonurie oder angeborene genetische oder chromosomale Defekte.

Behandlung

Eine Autismus-Spektrum-Störung lässt sich nicht heilen. Es ist aber durchaus möglich, die autismustypischen Defizite positiv zu beeinflussen. Die Behandlung orientiert sich immer am Einzelfall und kombiniert psychotherapeutische und pädagogische Verfahren mit Methoden der Verhaltenstherapie. Arzneimittel können zum Einsatz kommen, um begleitende und besonders belastende Krankheitszeichen zu unterdrücken, etwa Krampfanfälle.

  • Stabile Umgebung. Damit sich ein Kind mit einer Autismus-Spektrum-Störung wohl fühlen und sich seinen Möglichkeiten entsprechend entwickeln kann, ist eine stabile Umgebung das A und O. Der Alltag zu Hause, Kindergarten und Schule, die Therapie – alles sollte möglichst vorhersehbar und überschaubar gestaltet werden.
  • Frühförderung. Sie beginnt bereits in einem Alter von 2 bis 3 Jahren und endet mit der Einschulung. In intensiver Verhaltenstherapie werden dabei sprachliche Fähigkeit sowie die Interaktion mit Erwachsenen (später auch anderen Kindern) eingeübt. Auch Alltagsfähigkeiten lassen sich in diesem Rahmen üben, so kann auch Toilettentraining Teil der Therapie sein. Wie kleinschrittig die Therapeut*in dabei vorgeht, hängt von der Ausprägung der Erkrankung ab.
  • Gruppentherapie. Die soziale Interaktion lässt sich auch mit einer autismusspezifischen Gruppentherapie weiter verbessern. Hier geht es zudem darum, dass Betroffene lernen, ihre Handlungen besser zu planen und souveräner mit Ärger und Frustration umzugehen. Eine solche Maßnahme dauert bis zu einem Jahr, kann aber auch wiederholt werden.
  • Klassische Verhaltenstherapie. Diese eignet sich vor allem, wenn betroffene Kinder und Jugendliche zusätzlich unter einer Angst- oder Zwangsstörung leiden.
  • Medikamente. Es gibt kein "Medikament gegen Autismus". Einige Arzneien lassen sich aber einsetzen, um Begleitsymptome zu mildern. Atypische Antipsychotika wie Risperidon werden verschrieben bei aggressivem Verhalten, Zwängen und Stereotypien. Methylphenidat oder andere Stimulanzien sollen hyperaktives oder impulsives Verhalten positiv beeinflussen. Das trizyklische Antidepressivum Mirtazapin ist eine Option bei Depressionen.
  • Sonstige Maßnahmen. Je nach Bedarf gibt es viele Möglichkeiten, einzelne Fertigkeiten des Kindes zu trainieren. Logopädie ist eine gute Option, um das Sprechen weiter zu verbessern, Ergotherapie, um motorische Fähigkeiten auszubauen.

Prognose

Eine Autismus-Spektrum-Störung ist nicht heilbar. Wie sich die Erkrankung in ihrem Verlauf entwickelt, ist sehr unterschiedlich. Bei manchen Betroffenen gehen die Symptome im Erwachsenenalter zurück, bei anderen verstärken sie sich sogar. Häufig ist eine lebenslange Betreuung nicht zu verhindern – sei es, zu Hause, durch ambulante Kräfte oder in einem betreuten Wohnen. Auch bei milder Ausprägung der Erkrankung ist das Alltagsleben leider oft deutlich eingeschränkt.

Ihre Apotheke empfiehlt

Was Sie als Eltern tun können

Sich um sich selbst kümmern. So sehr Sie Ihr Kind auch lieben – die Betreuung kostet viel Kraft. Vergessen Sie also Ihre eigenen Bedürfnisse nicht und nehmen Sie Hilfsangebote wahr. Viele betroffene Eltern profitieren zum Beispiel von Selbsthilfegruppen, die gegenseitige Unterstützung und einen intensiven Informationsaustausch bieten. Holen Sie sich stundenweise Hilfe oder nehmen Sie eine Kurzzeitbetreuung in Anspruch, um auch Zeit für sich selbst zu haben.

Angebote ausprobieren. Jedes Kind ist anders – das gilt natürlich auch bei Kindern mit einer Autismus-Spektrumstörung. Auch wenn es für Angebote wie therapeutisches Reiten, Tanz- oder Musiktherapie keine wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt – probieren Sie es einfach aus, wenn Sie ein gutes Gefühl dabei haben. Optimistischen Heilsversprechen, die mit hohen finanziellen Ausgaben verbunden sind, sollten Sie besser kritisch gegenüberstehen.

Fördern mit Augenmaß. Ihr Kind wird von Fördermaßnahmen sicher profitieren – sofern Sie realistische Ziele setzen und es nicht überfordern. Auf der anderen Seite ist es nicht nötig, Ihr Kind übermäßig zu behüten. Das gilt vor allem, wenn Sie sich bereits einen Überblick über mögliche Gefahrenquellen in Ihrer Alltagsumgebung verschafft haben und diese gut umschiffen können.

Umfeld informieren. Ihr Kind hat spezielle Bedürfnisse – die Sie mit Ihrem Umfeld unbedingt besprechen sollten. Nur so haben Ihre Mitmenschen die Chance, das Verhalten Ihres Kindes richtig einzuordnen und entsprechend zu reagieren.

Weiterführende Informationen

Der Bundesverband zur Förderung von Menschen mit Autismus bietet auf seiner Webseite Informationen und Hilfe für Betroffene und deren Angehörige, die von Reise- und Ausbildungsangeboten bis hin zu Informationen über rechtliche Fragen reicht: www.autismus.de

www.autismus-kultur.de ist die Webseite eines persönlich Betroffenen, die für andere Betroffene und deren Angehörige aktuelle Nachrichten und autistische Erfahrungen zu einem Autismus-Ratgeber bündelt.

Von: Dr. med. Herbert Renz-Polster, Dr. med. Nicole Menche, Dr. med. Arne Schäffler in: Gesundheit für Kinder, Kösel, München, 8. Auflage (2015). Überarbeitung und Aktualisierung: Sara Steer
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Keine Knopfzelle in Kinderhand!

Kleine Kinder nehmen fast alles in den Mund, was sie finden und interessant aussieht.

Keine Knopfzelle in Kinderhand!

Weil schwere Verätzungen drohen

Fernbedienungen, Wecker, Kinderspielzeug: Immer mehr elektronisch betriebene Kleingeräte beziehen ihre Energie aus Knopfzellen. Doch die bonbongroßen Batterien sind eine Gefahr für Kleinkinder. Werden sie in den Mund genommen und verschluckt, drohen schwere Verätzungen.

Stromfluss löchert Speiseröhre

Babys und Kleinkinder stecken Dinge gerne in den Mund. Vor allem wenn sie klein und gut greifbar sind. Handelt es sich dabei um Plastikperlen oder Cent-Stücke, ist das kein größeres Problem. Die Fremdkörper werden meist einfach wieder ausgeschieden und landen in der Windel, dem Töpfchen oder der Toilette.

Anders sieht das bei Knopfzellen aus. Diese Batterien bleiben aufgrund ihrer Form und Größe besonders leicht in der kindlichen Speiseröhre stecken. Durch die feuchte Umgebung und die Überbrückung von Plus- und Minus-Pol fließt Strom, der die Schleimhaut verätzt. So kann es nicht nur zu Löchern in der Speiseröhre kommen – auch die angrenzenden Blutgefäße und die Luftröhre sind bedroht. Am gefährlichsten sind 3-Volt-Lithiumknopfzellen der Größe CR2032 mit dem Durchmesser von 2 cm. Sie bleiben besonders leicht in der kindlichen Speiseröhre hängen und sind am Großteil der Todesfälle und schweren Verletzungen beteiligt.

Jedes zehnte Kind stirbt

Welche Komplikationen nach Verschlucken von Knopfbatterien besonders häufig sind, hat ein australisches Team untersucht. Ausgewertet wurden 437 Fälle. Die Kinder waren durchschnittlich 1,8 Jahre alt. Von den verschluckten Zellen blieben 80 % in der Speiseröhre stecken, die anderen landen im Magen oder im Darm. Die Kinder litten unter Schluck- oder Atembeschwerden, manche hatten Bauchschmerzen. 23 % entwickelten durch die Verätzungen Fisteln, d.h. Verbindungen zwischen Speiseröhre und Luftröhre, bei 10 % kam es zu einem Speiseröhrendurchbruch. 9% der Kinder starben an den Komplikationen.

Sofort Giftnotruf anrufen

Je später die Knopfzelle aus der Speiseröhre geborgen wird, desto gefährlicher ist die Situation. Nach mehr als sechs Stunden muss man mit größeren langfristigen Schäden rechnen, schreibt das Autorenteam. Umso wichtiger ist es für Eltern, schnell zu reagieren. Beim leisesten Verdacht, dass das Kind eine Knopfzelle verschluckt haben könnte, wird am besten sofort der Giftnotruf angerufen. Dort erfährt man, welche Klinik in der Nähe in der Lage ist, die Knopfzelle mit einem Endoskop aus der Speiseröhre zu fischen.

Damit es gar nicht erst zu solchen Unfällen kommt, hilft nur eins: Augen auf und Knopfzellen an einer für Kinder nicht erreichbaren Ort aufbewahren. Das gilt auch für ausgetauschte Batterien. Sie sollten für die Entsorgung immer an einem kindersicheren Platz gesammelt werden.

Quelle: SpringerMedizin, Kinder Notfall Bonn

Von: Dr. med. Sonja Kempinski; Bild: mauritius images / Westend61 / Eva Gruendemann